Aktenzeichen 3 Ta 192/15
ZPO ZPO § 114 I 1
Leitsatz
1. Voraussetzung für eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage bei Versäumung der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 KSchG ist es, dass etwaige falsche Auskünfte oder fehlerhafte Hinweise von einer zuverlässigen Stelle erteilt wurden. Als zuverlässige Stelle in diesem Sinne ist die Rechtsberatungsstelle einer Gewerkschaft, aber auch die Rechtsantragstelle eines Arbeitsgerichts anzusehen, nicht jedoch die Rechtsantragstelle eines Amtsgerichts. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Klägervertreters vom 21.12.2015 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 03.12.2015 wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Die Parteien streiten im vorliegenden Verfahren über die Rechtswirksamkeit von zwei Kündigungen und einen Antrag auf nachträgliche Klagezulassung.
Der Kläger war bei der Beklagten, … seit 01.02.2013 in deren Restaurant … als Küchenhilfe beschäftigt. Vertragsgrundlage war der schriftliche Arbeitsvertrag vom 16.05.2013. Mit Schreiben vom 16.02.2015 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos zum 15.02.2015 mit sofortiger Wirkung. Das Kündigungsschreiben ist dem Kläger nach dessen Vortrag zweimal zugegangen, einmal in der Nacht des 15.02.2015 unterschrieben von dem Geschäftsführer … einmal am 17.02.2015 unterschrieben von Herrn Betriebsleiter … und … Der Kläger hat mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten …, vom 31.03.2015, eingegangen am 31.03.2015, Kündigungsschutzklage, erhoben und Antrag auf nachträgliche Klagezulassung gemäß § 5 KSchG gestellt. Der Kläger hat mit weiterem Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 31.03.2015, eingegangen am 31.03.2015, Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten gestellt.
Der Kläger hat zum Prozesskostenhilfeantrag vorgetragen, seine Klage sei nicht mutwillig und habe Aussicht auf Erfolg. Dies ergebe sich aus den Ausführungen in der Klageschrift und dem Zulassungsantrag. Die Kündigung sei unbegründet. Das Kündigungsschutzgesetz finde Anwendung. Die Kündigung sei unwirksam, weil sie nicht rechtsverbindlich erklärt worden sei. Es sei unklar, welcher Rechtsträger die Kündigung ausgesprochen habe. Die Klage sei auch nachträglich zuzulassen, er habe die dreiwöchige Klagefrist nicht unverschuldet versäumt. Er sei griechischer Staatsangehöriger und der deutschen Sprache kaum mächtig. Seine Umgangssprache sei Englisch. Er habe sich rechtzeitig nämlich bereits am 06.03.2015 rechtskundig gemacht, indem er am 06.03.2015 mit einem Bekannten die Rechtsantragstelle des Amtsgerichts Bamberg aufgesucht habe. Die Rechtsantragstelle des Amtsgerichts sei grundsätzlich eine geeignete Stelle, bei der man sich kundig machen könne. Er habe von der Rechtsantragstelle des Amtsgerichts Bamberg einen Beratungshilfeberechtigungsschein erhalten. Er sei weder über die Klagefrist noch über die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts informiert worden. Seine Bekannte … Auszubildende habe in der 13. Kalenderwoche im Büro der Rechtsanwaltskanzlei … angerufen und für den 30.03.2015 einen Besprechungstermin vereinbart. Er habe alles ihm mögliche getan, sich sachkundig zu machen und entsprechende Schnitte einzuleiten. Der Kläger hat zur Versicherung seiner Angaben eine eidesstattliche Versicherung vom 31.03.2015 vorgelegt (Bl. 14 d. A.).
Die Beklagte ist der Auffassung, die Klage sei verfristet, der Antrag auf nachträgliche Klagezulassung sei zurückzuweisen, da ein nachträglicher Zulassungsgrund nicht vorhanden sei. Das Arbeitsgericht Bamberg hat mit Beschluss vom 03.12.2015 den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen.
Dieser Beschluss wurde dem Klägervertreter gemäß Empfangsbekenntnis am 03.12.2015 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 21.12.2015, per Telefax eingegangen am gleichen Tag, hat der Klägervertreter sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass Gericht verkenne, dass dem Antragsteller und Beschwerdeführer auch nicht leichte Fahrlässigkeit bei der Versäumung der Klagefrist vorgeworfen werden könne. Denn hier habe der Antragsteller und Beschwerdeführer Rechtsrat eingeholt, indem er die Rechtsantragstelle des Amtsgerichts aufgesucht habe. Es gelte der Grundsatz, dass bei Einholung von Rechtsrat bei einer Falschauskunft über die einzuhaltenden Fristen kein Verschulden anzunehmen sei, wenn der Arbeitnehmer von der Kompetenz des um Rat Befragten ausgehen konnte. Dabei sei klar, dass zur Auskunftserteilung geeignet auch die Rechtsantragstelle anzusehen sei. Hier liege der Fall so, dass zwar keine Falschauskunft erfolgt sei, jedoch die Nichtaufklärung über die maßgebliche Frist wie eine Falschauskunft zu werten sei. Denn die Rechtsantragstelle sei verpflichtet, den Rechtsunkundigen auf derartige Fristen hinzuweisen. Jedenfalls habe der Rechtsunkundige immerhin dieses von einer Rechtsantragstelle erwarten können. Mit Beschluss vom 22.12.2015 hat das Arbeitsgericht Bamberg der Beschwerde nicht abgeholfen und das Verfahren dem Landesarbeitsgericht Nürnberg vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die in dem vorliegenden Verfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II. 1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie ist gemäß §§ 11 a Abs. 1 ArbGG, 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthaft und innerhalb der Frist von einem Monat eingelegt worden, § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO.
2. Die sofortige Beschwerde war zurückzuweisen.
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts ist nicht zu beanstanden, soweit die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen wurde. Insoweit wird auf die ausführliche und zutreffende Begründung des Erstgerichts verwiesen. Für die Prozesskostenhilfebewilligung ist § 11 a ArbGG und § 114 f. ZPO maßgeblich.
Nach § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Das Gericht muss daher vor der Entscheidung auch materiell im Einzelnen überprüfen, ob in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht im Zeitpunkt der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag zumindest eine gewisse Aussicht auf Erfolg besteht. Hinreichende Erfolgsaussicht besteht, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt der Prozesskostenhilfe begehrenden Partei aufgrund ihrer Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen mindestens für vertretbar hält und von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Es muss als auf summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage möglich sein, dass der Antragsteller mit seinem Begehren durchdringen kann (vgl. Zöller ZPO 29. Aufl., § 114 Rn. 19).
In Übereinstimmung mit dem Erstgericht ist festzustellen, dass der vorliegende Fall für die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Denn der Kläger hat in jedem Fall die dreiwöchige Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG versäumt. Die Voraussetzungen für eine nachträgliche Klagezulassung gemäß § 5 KSchG sind nicht erfüllt. Die Kündigung ist daher mangels rechtzeitiger Klageerhebung gemäß § 7 KSchG rechtsunwirksam. Die dreiwöchige Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG bezieht sich auf sämtliche Unwirksamkeitsgründe.
Der Antragsteller meint, dass hier zwar keine Falschauskunft erfolgt sei, jedoch die Nichtaufklärung über die maßgebliche Frist durch die Rechtsantragstelle wie eine Falschauskunft zu werten sei und die Rechtsantragstelle verpflichtet sei, einen Rechtsunkundigen auf derartige Fristen hinzuweisen. Das Landesarbeitsgericht konnte sich dieser Auffassung nicht anschließen.
Ausweislich des Berechtigungsscheins der Rechtsantragstelle des Amtsgerichts Bamberg vom 06.03.2015 wurde die Angelegenheit mit „Problemen mit dem Arbeitgeber“ bezeichnet (Kündigung, Nichtausstellung der Arbeitsbescheinigung, unklare Regelungen/Ausgestaltung im/des Arbeitsvertrag/es, Lohnabrechnungen), Bl. 15 d. A..
Falsche Auskunft und fehlerhafte Hinweise, sei es, dass auf entsprechende Fragen des Arbeitnehmers über die Klagefrist falsch informiert wurde oder es unterlassen wurde, im Rahmen der Auskunft über die Kündigung auf ihre Berechtigung und die etwa dagegen einzuleitenden Schritte oder auf die Dreiwochenfrist hinzuweisen, führen nur dann zur nachträglichen Zulassung der Kündigungsschutzklage, wenn die Auskunft von einer zuverlässigen Stelle erteilt wurde (Stahlhacke/Preis, Rz. 129; Schaub § 136 II Ziffer 3).
Der Arbeitnehmer muss wenigstens deutlich machen, dass es sich um eine Kündigung handelt. Als zuverlässige Stelle in diesem Sinne sind anzusehen die Rechtsberatungsstelle einer Gewerkschaft, aber auch die Rechtsantragstelle eines Arbeitsgerichts (vgl. ArbG Passau, 29.06.1969, ARST 1989 Nr. 76 = LAG Baden-Württemberg, 11.04.1988, NZA 1989, 153), nicht jedoch die Rechtsantragstelle des Amtsgerichts.
Die Rechtsantragstelle des Amtsgerichts ist nicht als eine zur Auskunftserteilung geeignete Stelle anzusehen. Sie war weder gehalten, den Kläger auf die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts hinzuweisen, noch den Kläger von der dreiwöchigen Klagefrist zu informieren. Dass tatsächlich eine Beratung überhaupt nicht stattgefunden hat, ergibt sich auch daraus, dass das Amtsgericht lediglich einen Beratungsschein ausgestellt hat.
Dies ist nach dem Beratungshilfegesetz möglich, Beratungshilfe kann auch in Angelegenheiten gewährt werden, für deren Entscheidung die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig sind.
Nach einer Entscheidung des LAG Baden-Württemberg, 22.06.1983 – 6 Ta 8/83 – könnte sich der Kläger selbst dann nicht auf eine falsche Auskunft berufen und den Antrag auf nachträgliche Klagezulassung nach § 5 KSchG rechtfertigen, wenn er bei der Rechtsantragstelle des Arbeitsgerichts abgewimmelt wurde bzw. eine sachliche Erörterung über die Klagefrist nicht stattgefunden hat. Insoweit hätte sich der Kläger ebenfalls nach der für ihn unbefriedigenden Vorsprache bei einer anderen Stelle weiter erkundigen müssen. Diese Möglichkeit hatte er weitgehend auch, da er einen Beratungsberechtigungsschein erhalten hat. Der Kläger hat unabhängig davon auch nicht den ihm nächstmöglichen Beratungstermin bei … vereinbart, sondern einen Termin mit Abstimmung seiner Bekannten … Er hat also jedenfalls auch nach Ausstellung des Berechtigungsscheines durch die Rechtsantragstelle des Amtsgerichts Bamberg vom 06.03.2015 nicht unverzüglich weitere Schritte unternommen, um gegen die Kündigung vorzugehen. Die 13. Kalenderwoche 2015 begann am Montag, 23.03.2015. Der Kläger hat danach nach dem 06.03.2015 noch mehr als zwei Wochen zugewartet, um fachkundige Auskunft zu erteilen. Die Nichteinhaltung der dreiwöchigen Klagefrist ist daher nicht unverschuldet. Die bloße Unkenntnis über die Einhaltung der Dreiwochenfrist kann einen Antrag auf nachträgliche Klagezulassung auch nicht begründen.
III. Eine Kostenentscheidung ist im Hinblick auf § 127 Abs. 4 ZPO nicht veranlasst. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts konnte ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter erfolgen, § 78 Satz 3 ArbGG.