Aktenzeichen BayAGH I – 1 – 3/18
Leitsatz
1 Eine fachlich unabhängige Tätigkeit iSd § 46 Abs. 3 BRAO übt nicht aus, wer sich an Weisungen zu halten hat, die eine eigenständige Analyse der Rechtslage und eine einzelfallorientierte Rechtsberatung ausschließen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die anwaltliche Tätigkeit wird durch die in § 46 Abs. 3 BRAO bezeichneten Merkmale geprägt, wenn die in Nr. 1 bis 4 der Vorschrift genannten, fachlich unabhängig und eigenverantwortlich auszuübenden Tätigkeiten quantitativ und qualitativ den Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses darstellen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom 22.12.2017 (Az.: P …) wird aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die beantragte Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwalt für ihre Tätigkeit bei der A. SE zu erteilen.
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits; die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
IV. Das Urteil ist im Kostenausspruch gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
V. Der Streitwert wird auf 50.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die gegen den Bescheid der Beklagten vom 22.12.2017 erhobene Klage ist als Verpflichtungsklage statthaft (§ 112 c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 42 Abs. 1 2. Alt. VwGO) und auch sonst zulässig. Insbesondere wurde die Klage form- und fristgerecht erhoben, § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO i.V.m. §§ 112 c Abs. 1, 215 Abs. 3 BRAO. Gemäß Art. 15 Abs. 2 BayAGVwGO war ein Vorverfahren nach § 68 VwGO nicht durchzuführen.
II.
Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg. Die Ablehnung der beantragten Zulassung des Klägerin zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwalt für ihre Tätigkeit bei der Allianz Global durch die Beklagte mit Bescheid vom 22.12.2017 erweist sich als rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 112 c BRAO, 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für eine Zulassung als Syndikusrechtsanwältin gemäß §§ 46, 46 a BRAO. Sie ist im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses anwaltlich für ihre Arbeitgeberin tätig und diese anwaltliche Tätigkeit prägt wiederum das Arbeitsverhältnis insgesamt. Dies hat zur Folge, dass die Beklagte zu verpflichten ist, die Klägerin als Syndikusrechtsanwältin zuzulassen.
Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwalt ist gemäß § 46 a Abs. 1 BRAO zwingend auf Antrag zu erteilen, wenn die allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen zum Beruf des Rechtsanwalts gemäß § 4 BRAO erfüllt sind, kein Zulassungsversagungsgrund nach § 7 BRAO vorliegt und die Tätigkeit den Anforderungen des § 46 Abs. 2 bis 5 BRAO entspricht.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die angenommenen Versagungsgründe greifen nicht durch.
Im Einzelnen:
1. Die allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen für den Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts gemäß § 4 BRAO sind erfüllt. Die Klägerin ist seit dem 31.01.2002 zugelassene Rechtsanwältin.
2. Gründe für die Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 7 BRAO sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
3. Die Tätigkeit der Klägerin, wie sie sich unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung einschließlich der Anhörung der Klägerin ergeben hat, entspricht den Anforderungen des § 46 Abs. 2 bis 5 BRAO.
a. Die Klägerin ist Angestellte einer anderen als in § 46 Abs. 1 BRAO genannten Person oder Gesellschaft, nämlich der A.
b. Angestellte Syndikusrechtsanwälte sind anwaltlich tätig, wenn ihre fachlich unabhängig und eigenverantwortlich auszuübenden Tätigkeiten durch die in § 46 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 BRAO aufgeführten Merkmale geprägt sind (§ 46 Abs. 3 BRAO). Eine fachlich unabhängige Tätigkeit übt nicht aus, wer sich an Weisungen zu halten hat, die eine eigenständige Analyse der Rechtslage und eine einzelfallorientierte Rechtsberatung ausschließen. Die fachliche Unabhängigkeit ist vertraglich und tatsächlich zu gewährleisten. Aus § 46 Abs. 2 BRAO i.V.m. § 46 Abs. 3 und 4 BRAO wird deutlich, dass nicht jeder Mitarbeiter eines Unternehmens, der juristisch geprägte Tätigkeiten ausübt, anwaltlich tätig ist. Die anwaltliche Tätigkeit ist entscheidend von der Unabhängigkeit der anwaltlichen Beratung und Vertretung in Rechtsangelegenheiten geprägt (vgl. § 3 BRAO).
Im Nachtrag vom 14./23.03.2016 zum Arbeitsvertrag vom 16./25.06.2014 betreffend die Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt wird der Klägerin die fachlich unabhängige Ausübung der anwaltlichen Tätigkeit gewährleistet und darauf hingewiesen, dass sie keinen allgemeinen oder konkreten Weisungen unterliegt, die eine eigenständige Analyse der Rechtslage und eine einzelfallorientierte Rechtsberatung ausschließen. Die Tätigkeiten im Einzelnen, die die Klägerin bei ihrem Arbeitgeber ausübt, werden vor allem in den von ihr und ihrem Arbeitgeber am 04.02.2017 (Anlage K 7) und am 29.04.2017 (Anlage K 8) unterzeichneten Tätigkeitsbeschreibungen beschrieben. Danach handelt es sich in über 90 % der Gesamttätigkeit um anwaltliche Tätigkeiten. Beim Versicherungsrecht und dort insbesondere auch beim Recht der Haftpflichtversicherung handelt es sich um eine schwierige und komplexe Materie, die bei den Gerichten fast durchgehend spezialisierten Spruchkörpern übertragen sind. Die Anhörung der vollumfänglich glaubwürdigen und glaubhaften Klägerin hat deren schriftlichen Vortrag zur Überzeugung des Senats bestätigt. Es haben sich insbesondere keine Zweifel daran ergeben, dass die Klägerin keinen allgemeinen oder konkreten Weisungen unterliegt, die eine eigenständige Analyse der Rechtslage und eine einzelfallorientierte Rechtsberatung ausschließen. Die Klägerin hat angegeben, ca. je zur Hälfte eigene Schadensfälle zu bearbeiten und die Bearbeitung lokaler Schadenssachbearbeiter zu überprüfen. Bei ihren eigenen deutschen Haftpflichtfällen, die Schäden ab 25.000 EUR betreffen, müsse sie ab 250.000 EUR – was 80 % ihrer eigenen Fälle ausmache – Vorlagen fertigen, darunter, d.h. in den verbleibenden 20 % entscheide sie selbst. Ausländische Abteilungen müssten sie bei Haftpflichtfällen mit einer Schadenssumme von 5 Mio EUR aufwärts einschalten; in allen diesen Fällen müsse sie Vorlagen erstellen. Die Klägerin erteilt ihrem Arbeitgeber auch Rechtsrat gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 3 BRAO. Für alle Fälle, in denen die Klägerin Vorlagen erstellt und eine bestimmte Vorgehensweise vorschlägt, liegt dies unmittelbar auf der Hand. Da dies in 90 % ihrer anwaltlichen Tätigkeiten, nämlich in allen Auslandsfällen und in 80 % ihrer eigenen Inlandsfälle der Fall ist, kommt es nicht mehr darauf an, dass die Erteilung von Rechtsrat an den Arbeitgeber auch dann zu bejahen ist, wenn die Klägerin nach Prüfung des Falles selbständig entscheiden darf, weil das Handeln für den Arbeitgeber nach juristischer Prüfung die Erteilung von Rechtsrat umfasst. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll der Sitzung vom 07.02.2019 (dort insb. S. 2/4, Bl. 52/54 d.A.) Bezug genommen. In der Gesamtschau ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei in der Anlage K 7 unter 3 b bis 3 f benannten Punkten um anwaltliche Tätigkeiten handelt.
c. Die anwaltliche Tätigkeit der Klägerin wird auch durch die in § 46 Abs. 3 BRAO bezeichneten Merkmale geprägt. Eine derartige Prägung liegt dann vor, wenn die in § 46 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 BRAO genannten, fachlich unabhängig und eigenverantwortlich auszuübenden Tätigkeiten quantitativ und qualitativ den Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses darstellen. Ein Anteil von – wie hier (vgl. oben unter II 3 b) – über 90 % der insgesamt geleisteten Arbeit reicht ohne weiteres aus (vgl. BGH Beschluss vom 14.01.2019 – AnwZ (Brfg) 29/17, juris Rn. 7). Der Sachverhalt ist ausermittelt (vgl. W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl., § 86 Rn. 14). Eine weitere Aufklärung ist insbesondere nicht wegen der zum Antrag auf Zulassung zur Anwaltschaft als Syndikusrechtsanwältin vorgelegten Tätigkeitsbeschreibung vom 14./15.03.2016 notwendig. Nach der glaubhaften Aussage der Klägerin wurde der Aufbau dieser Tätigkeitsbeschreibung von der A. entwickelt, als ihre Abteilung im Rahmen einer Umstrukturierung ausgegliedert worden war; sie gibt an, welche zusätzlichen Tätigkeiten erwartet wurden. Keineswegs sei es so, dass die dort genannten sechs Hauptaufgabenfelder von ihrem zeitlichen Anteil an der Gesamtarbeitszeit gleichgewichtig seien. Es sei zutreffend, dass der Punkt 3 b in der Anlage K 7 mit 40 % der Arbeitszeit angegeben sei. In diesem Punkt sei weitgehend ihre Tätigkeit hinsichtlich der Auslandsfälle erfasst. Wenn sie zum Hauptaufgabenfeld „Relationship Management“ im Tätigkeitsbericht vom 14./15.3.2016 gesagt habe, dieser nehme nur einen geringen zeitlichen Rahmen ein, so stelle dies keinen Widerspruch dar, da die Tätigkeit, die unter „Relationship Management“ falle, nur einen Bruchteil der vom Punkt 3 b in der Anlage K 7 erfassten Gesamtbearbeitung der Auslandsfälle ausmache. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll der Sitzung vom 07.02.2019 (dort insb. S. 2/4, Bl. 52/54 d.A.) Bezug genommen. Der in der Sitzung von der Beklagten gestellte Antrag, die dort genannten Zeugen zur Frage zu vernehmen, „ob die im Protokoll der Sitzung vom 07.02.2019 enthaltenen Angaben der Klägerin zur Zusammensetzung ihrer Tätigkeit den Tatsachen entsprechen“, zeigt keinen weiteren Aufklärungsbedarf auf. Unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung einschließlich der glaubhaften Angaben der glaubwürdigen Klägerin steht daher fest, dass die anwaltliche Tätigkeit der Klägerin durch die in § 46 Abs. 3 BRAO bezeichneten Merkmale geprägt wird.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 167 VwGO, 709 S. 2 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 194 Abs. 2 BRAO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung waren nicht gegeben, § 124 Abs. 2 VwGO.