Aktenzeichen 23 O 416/17
ZPO ZPO § 29, § 29b, § 256, § 287
HGB HGB § 171
Leitsatz
1 Die mögliche Kenntnisnahme aus einem Emissionsprospekt rückt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung dann in den Hintergrund, wenn – wie üblich – der Anleger den Ratschlägen, Auskünften und Mitteilungen des Anlageberaters besonderes Vertrauen entgegen bringt (ebenso BGH BeckRS 2010, 19570). (Rn. 28) (red. LS Andy Schmidt)
2 Die dreijährige Verjährungsfrist nach § 195 BGB kann allerfrühestens mit dem Zeitpunkt beginnen, in dem dem Anleger erste Zweifel kamen, ob etwas mit der Beteiligung nicht stimmt. Es ist auch zu berücksichtigen, dass nach den Emissionsunterlagen von mehrjährigen, 5 bis 7 Jahre umspannenden Thesaurierungsphasen auszugehen ist, in denen der Anleger ohnehin keine Ausschüttungen erwarten kann, sodass er auch kein Misstrauen schöpfen muss. (Rn. 31) (red. LS Andy Schmidt)
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 11.812,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 18.03.2017 zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger von sämtlichen weiteren wirtschaftlichen Nachteilen aus und im Zusammenhang mit der Beteiligung des Klägers an der Hl ISchiff GmbH & Co. KG freizustellen.
3. Die Verurteilung in Ziffer I bis II erfolgt Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche des Klägers aus der treuhändisch gehaltenen Beteiligung an der H… Schiff GmbH & Co. KG in Höhe von 11.250,00 € an die Beklagte.
4. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der Abtretung der Beteiligung des Klägers an der H^ …l GmbH & Co. KG in Höhe von 11.250,00 € in Verzug befindet.
5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 562,87 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.09.2017 zu bezahlen.
6. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
7. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 13% und die Beklagte 87%.
8. Das Urteil ist für beide Parteien vorläufig vollstreckbar; für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des gesamten vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 13.812,50 € festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Klage ist ganz überwiegend begründet. Dem Kläger stehen Schadensersatzansprüche wegen Pflichtverletzung des Anlageberatungsvertrages gegen die Beklagte zu.
I.
Die Klage ist zulässig. Das Landgericht Kempten (Allgäu) ist sachlich gemäß §§ 23,71 GVG und örtlich sowohl gemäß § 29 als auch gemäß § 29b ZPO zuständig. Das für die erhobene Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse (§ 256 ZPO) ist angesichts möglicher zu künftiger Schäden bzw. Inanspruchnahmen gegeben.
II.
Die Klage ist auch ganz überwiegend begründet. Der Kläger hat im Wege des Schadensersatzes Anspruch auf die Rückzahlung der Beteiligungssumme inkl. Agio Zug-um-Zug gegen Abtretung der Ansprüche aus der streitgegenständlichen Beteiligung gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 249 ff. BGB.
1. Der Beratungsvertrag bezüglich der Vermittlung der streitgegenständlichen Beteiligung ist zur Überzeugung des Gerichts zwischen dem Kläger und der Beklagten geschlossen worden. Gemäß § 164 Abs. 1 S. 2 BGB ist es ausreichend, dass die Erklärung gemäß den Umständen im Namen des Vertretenen abgegeben werden soll. Unstreitig hatte die Zeugin S… gegenüber dem Kläger und der Zeugin M… bereits vor der Beratung hinsichtlich der streitgegenständlichen Beteiligung Beratungen im Namen der Beklagten durchgeführt und Produkte vermittelt. Ebenso unstreitig kommunizierte die Zeugin S… mit dem Kläger stets unter ihrer E-Mail-Adresse …@…de und gibt sich auch selbst in ihrer Außendarstellung (etwa ihrem Internetauftritt, Anlage K7) als Handelsvertreterin der Beklagten aus.
Der Kläger musste somit zunächst davon ausgehen, dass die Zeugin S… auch im Zuge der hier streitgegenständlichen Beratung im Namen und im Auftrag der Beklagten auftrat. Hinweise auf die mögliche Involvierung der E finden sich lediglich oben rechts auf der Beitrittserklärung (Anlage B 1) und auf der ersten Seite des Leitfadens (Anlage B 2). Auf den weiteren Seiten des Leitfadens, insbesondere im Bereich der Unterschriftenfelder oder auch bei den sonstigen, im übrigen durchaus ausführlich gehaltenen schriftlichen Hinweise, findet sich keinerlei Erläuterung der Rolle der E oder auch nur ein weiterer Hinweis auf diese. Lediglich an Hand dieser äußeren Umstände war für den Kläger somit nicht erkennbar, dass ein Beratungsvertrag mit der E abgeschlossen werden soll.
Auch die Zeugin S… konnte in ihrer Zeugeneinvernahme nicht zur Überzeugung des Gerichts darlegen, dass dem Kläger hinreichend klargemacht wurde, dass Vertragspartner nicht, wie ansonsten bei von der Zeugin S… vermittelten Geschäften der Fall, die Beklagte werden sollte. Sie hatte keinerlei konkrete Erinnerung an die Beratungsgespräche und insbesondere nicht an die Erläuterung des Leitfadens (Seiten 4 f. des Protokolls vom 26.09.2017 = Bl. 83 f. d. A.). Die Zeugin M…, die bei allen Gesprächen anwesend war, hatte jedenfalls keine Kenntnis davon, worum es sich bei der EH handelt (Seite 7 d. Protokolls = Bl. 86 d. A.).
Somit verbleibt es auf jeden Fall zumindest bei einer Haftung der Beklagten auf Grund des von der Zeugin in der Beklagten zurechenbarerweise gesetzten Rechtsscheins (vgl. hierzu auch OLG Oldenburg, Urteil vom 26.06.2014, Az. 8 U 113/13 = Anlage K 8).
2. Die Zeugin S… als Vertreterin der Beklagten hat zudem die Pflichten aus dem Beratungsvertrag verletzt. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht für das Gericht fest, dass keine anleger- und anlagegerechte Beratung erfolgte.
Die Zeugin M… hat die klägerische Behauptung, der Kläger sei von der Zeugin S… falsch beraten und insbesondere hinsichtlich der Sicherheit der Geldanlage in falscher Sicherheit gewiegt worden, bestätigen können. Das Gericht hat den Eindruck gewonnen, dass der von der Zeugin M… geschilderte Wunsch, das Geld auf jeden Fall sicher anzulegen, für die Zeugin M… und den Kläger ein auch zum damaligen Zeitpunkt ganz vorherrschender Gesichtspunkt war. Die Zeugin M… konnte detailreich und nachvollziehbar schildern, dass die Frage nach der Sicherheit der Anlage bei den Gesprächen den Eheleuten M… das wichtigste Thema war. Die spontane Erinnerung der Zeugin M… an die ebenfalls mit der Zeugin S… besprochene „Piratenproblematik“ (S. 7 oben des Protokolls = Bl. 86 d. A.), die tatsächlich im Jahr 2008 äußerst aktuell war, bestärkt den Eindruck, dass die Zeugin sich zutreffend an den Gesprächsverlauf erinnert. Im Übrigen wird die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage M… noch dadurch weiter verstärkt, dass diese, anders als der Kläger in der Klageschrift, die ihr wohl bekannt gewesen sein dürfte, in der jedenfalls potentiell durchaus erheblichen Frage der Übergabe des Emissionsprospekts angab, dass dieser tatsächlich vor dem letzten Gespräch bereits übergeben und durchgeschaut worden war (S. 6 des Protokolls = Bl. 85 d. A.).
Die klägerischen Behauptungen, welche von der Zeugin M… bestätigt wurden, konnten von der Zeugin S… (nicht ausgeräumt werden. Diese hat keine konkreten Erinnerungen an die Beratungsgespräche und konnte lediglich ihre übliches Vorgehen darstellen. Hätte die Zeugin S( (tatsächlich die von ihr als Normalfall dargestellte Beratung hinsichtlich sämtlicher Risiken des Schiffsfonds durchgeführt, hätten die Eheleute M( …, so der deutliche Eindruck des Gerichts nach der durchgeführten Beweisaufnahme, diese Beteiligung nicht erworben.
An dieser Beurteilung ändert sich auch nichts durch die im offenbar, entgegen der klägerischen Darstellung, doch übergebenene Emissionsprospekt (Anlage K 1) und dem Leitfaden (Anlage B 2) enthaltenen Risikohinweise etwa hinsichtlich des möglichen Totalverlustes im Ergebnis nichts. Zutreffend ist, dass in beiden Dokumenten auf erhebliche Risiken bei dem Investment in den streitgegenständlichen Schiffsfonds hingewiesen wird und letztlich hat auch der Kläger in seiner informatorischen Anhörung es auch jedenfalls für wahrscheinlich gehalten, dass er jedenfalls den Leitfaden auch durchgelesen hat (S. 3 des Protokolls = Bl. 82 d. A.). Entscheidend ist jedoch, dass nach der Rechtsprechung des BGH (siehe etwa Urteil vom 22.07.2010, Az. III ZR 203/09 = NJW-RR 2010,1623, 1624) die hierdurch vermittelte Kenntnis dann in den Hintergrund, wenn – wie üblich – der Anleger den Ratschlägen, Auskünften und Mitteilungen des Anlageberaters besonderes Vertrauen entgegen bringt. Ein ebensolcher Fall liegt nach dem oben Gesagten hiervon
3. Die klägerischen Ansprüche sind auch nicht verjährt.
Insbesondere begann die Verjährungsfrist nicht bereits im Jahr 2008 mit dem Abschluss des Beratungsvertrages oder der Zeichnung der Beteiligung zu laufen. Gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist Voraussetzung für den Verjährungsbeginn die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der den Anspruch begründenden Umstände. Diese Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis wurde nicht durch die Vorlage des Emissionsprospekts und/oder des Leitfadens begründet, da in diesem Fall der Kläger als Anleger, wie bereits dargestellt, den Angaben der Zeugin S… als Vertreterin der Beklagten vertraute, was ihm nicht als grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 199 Abs. 1 S. 2 BGB zur Last gelegt werden kann (siehe hierzu BGH, Urteil vom 22.07.2010, Az. III ZR 203/09 = NJW-RR 2010, 1623, 1624).
Die dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) kann allerfrühestens in dem Zeitpunkt zu laufen begonnen haben, als dem Kläger erste Zweifel kamen, ob etwas mit der Beteiligung nicht stimmt. Die erste dokumentierte Rückfrage in diese Richtung stammt aus dem Jahr 2014, wie die Zeugin S. rekonstruieren konnte (Seite 5 des Protokolls = Bl. 84 d. A.), sodass frühestens zu diesem Zeitpunkt von ernsteren Zweifeln auf Klägerseite ausgegangen werden kann. Im Übrigen ist auch zu berücksichtigen, dass sogar nach den Emissionsunterlagen (etwa Seite 8 des Emissionsprospekts, Anlage K 1 und Seite 5 des Flyers, Anlage K 5), von mehrjährigen, 5 bis 7 Jahre umspannenden Thesaurierungsphasen auszugehen ist, in denen der Anleger ohnehin keine Ausschüttungen erwarten kann, sodass er auch kein Misstrauen schöpfen muss.
Der vom Kläger begehrte Feststellunganspruch ist ihm ebenfalls zuzusprechen, da insbesondere angesichts der Struktur des Fonds als GmbH & Co. KG beispielsweise Inanspruchnahmen etwa gemäß § 171 HGB nicht völlig auszuschließen sind.
5. Da nach dem unbestritten gebliebenen klägerischen Vortrag, dass die Rückzahlung der Beteiligungssumme Zug-um-Zug gegen Abtreteung der daraus bestehenden Ansprüche bereits vorgerichtlich geltend gemacht wurde und hierzu auch ein Rechtsanwalt beauftragt wurde, ist zudem auszusprechen, dass die Beklagte sich in Annahmeverzug befindet und die Rechtsanwaltskosten aus dem Gesichtspunkt der §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB erstattungsfähig sind. Gleiches gilt für die geltend gemachten Zinsen (§§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286, 288, 291 BGB).
6. Abgewiesen werden musste die Klage hinsichtlich des vom Kläger geltend gemachten entgangenen Gewinns (§ 252 BGB). Der Kläger hat die umfangreiche Rechtsprechung des BGH zu diesem Punkt zutreffend dargestellt. Allerdings wurde von Klägerseite den dort gestellten Anforderungen nicht genügt. Zu einer – zulässigen – Schätzung nach § 287 ZPO kann es eben nur dann kommen, wenn der Kläger Umstände darlegt, die irgendeine anderweitige gewinnbringende Geldanlage annehmen lassen (BGH NJW 2012, 2427 Rz. 64). Die Annahme eines zu schätzenden Mindestschadens ist eben nicht zulässig (BGH aaO).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Das Gericht hat den Wert des Feststellungsanspruchs mit 2.000 € berücksichtigt. Ebenso ist in die Berechnung des im Rahmen der Kostenberechnung festzustellenden Obsiegensgrades die klägerische Forderung nach entgangenem Gewinn einzustellen, obschon diese nicht streitwerterhöhend wirkt (BGH NJW 1988, 2173, 2175).
IV.
Die Entscheidung über die vorläufige Vorllstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 709, 711 S. 2 ZPO.