Bankrecht

Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung einer im sog. Policenmodell nach § 5a VVG aF abgeschlossenen Lebensversicherung; Treuwidrigkeit des Widerspruchs nach jahrelanger Vertragsdurchführung

Aktenzeichen  23 O 15917/16

Datum:
27.6.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 145838
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG § 5a Abs. 2 S. 4
BGB § 242, § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, § 818 Abs. 1
VAG § 10a, § 11 Abs. 1
AEUV Art. 267 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Zur formellen und materiellen Ordnungsgemäßheit einer Belehrung des Versicherungsnehmers einer im so genannten Policenmodell gem. § 5a VVG abgeschlossenen Lebensversicherung über sein Widerspruchsrecht. (Rn. 33 – 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrten Versicherungsnehmer einer im so genannten Policenmodell nach § 5a VVG aF geschlossenen Lebensversicherung kann es nach Treu und Glauben gem. § 242 BGB wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt sein, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf eine angebliche Unwirksamkeit des Vertrages zu berufen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass der Versicherungsnehmer bei Abschluss einer Lebensversicherung auch eine Absicherung seiner Familie oder sonstiger Dritter für den Todesfall erstrebt und der Versicherer gesetzlich verpflichtet ist, ausreichend Deckungsrückstellungen zu bilden. Der Versicherer muss deshalb darauf vertrauen können, dass auch bei einer vorzeitigen Beendigung des Vertrages die Grundsätze der Risikogemeinschaft beachtet werden und ihm die Prämie nicht in vollem Umfang entzogen wird (unter Hinweis auf BGH BeckRS 2014, 15662 Rn. 32 f.). (Rn. 41 und 48 – 49) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar
Beschluss
Der Streitwert wird auf 14 591.22 € bis 2 2 2017, sodann auf 2.090,14 € festgesetzt.

Gründe

1. Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet, da der Klägerin kein Rückzahlungsanspruch gem. §§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt., 818 Abs. 1 BGB oder aus einem anderen Grunde zusteht.
Der zwischen den Parteien abgeschlossene Lebensversicherungsvertrag ist auf Grundlage des § 5 a VVG a F wirksam zustande gekommen.
a) Auf den vorliegenden Fall ist § 5 a VVG in seiner Fassung bis zum 31.12 2007 anzuwenden, da es sich um einen sog Altvertrag handelt. Art. 1 Abs. 1 und 2 EGVVG.
b) Der Vertrag ist wirksam zustande gekommen. 
§ 5 a Abs. 1 VVG a F bestimmt für den Fall, dass der Versicherungsnehmer bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen nicht übergeben oder eine Verbraucherinformation nach § 10 a VAG unterlassen hat, dass der Vertrag auf der Grundlage des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformationen als abgeschlossen gilt, wenn nicht der Versicherungsnehmer innerhalb von 14 Tagen nach Überlassen der Unterlagen in Textform widerspricht.
Nach § 5 a Abs. 2 Satz 1 VVG a F beginnt die Frist erst zu laufen, wenn der Versicherungsschein und die sonstigen in Absatz 1 genannten Unterlagen vollständig vorliegen und der Versicherungsnehmer bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden ist Zwischenzeitlich wurde von dem Klägervertreter unstreitig gestellt, dass die Klägerin die nach § 5 a VVG a F erforderlichen Unterlagen mit dem Versicherungsschein und entsprechendem Anschreiben erhalten hat und nicht binnen 14 Tagen den Widerspruch erklärte.
Der Widerspruch in dem Schreiben vom November 2015 ist verfristet, da er nicht innerhalb der in § 5 a Abs. 1 Satz 1 VVG a F normierten Frist erfolgte.
Nach Durchführung der Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass die Klägerin unmittelbar nach Vertragsschluss den Versicherungsschein nebst einem Begleitschreiben erhalten hat, das dem Muster in der Anlage BLD 2 entsprechen hat.
Die Klägerin selbst hat in ihrer Anhörung angegeben, dass sie keine Erinnerung mehr daran habe, welche Unterlagen sie von der Versicherung erhalten hat. Sie konnte dabei auch nicht ausschließen, dass sie ein solches erhalten hat.
Dagegen konnte der Zeuge glaubhaft und glaubwürdig angeben, dass der Kunde in der damaligen Zeit immer zu dem Versicherungsschein auch ein Deckblatt erhalten hat, an das sich der Versicherungsschein, die Versicherungsbedingungen, ein Bezugsrechtschreiben, ein Steuerinformationsschreiben und ein Merkblatt zur Datenverarbeitung anschloss. Dieses Policenbegleitschreiben sei auch inhaltlich und formmäßig dem Muster in der Anlage BLD 2 entsprechend gewesen. Der Zeuge konnte schildern, dass immer das komplette Paket an den Kunden übersandt wurde und nach menschlichem Ermessen dies immer komplett war.
Durch einen Strichcode sei in der Druckstraße auch sichergestellt gewesen, dass die Unterlagen auch komplett waren. Dies erscheint dem Gericht ausreichend, um anzunehmen, dass die Klägerin auch das Policenbegleitschreiben erhalten hat und dieses dem Muster BLD 2 entsprach.
Im Anschreiben zu dem Versicherungsschein (Anlage BLD 2) befindet sich die folgende Widerspruchsbelehrung, wobei dieser Absatz anders als der restliche Text durch 4 Striche umrahmt und somit drucktechnisch deutlich hervorgehoben ist. außerdem befindet er sich am Ende der Seite 1 und sticht auch dadurch in Auge, dass er weiter nach rechts ragt als der andere Fließtext.
“Sie können dem Vertragsabschluß innerhalb von 14 Tagen ab Erhalt dieser Unterlagen schriftlich widersprechen Zur Wahrung dieser Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs.“
Darüber hinaus befindet sich auf der Rückseite des Versicherungsscheins unter der fettgedruckten Überschrift. Wichtige Hinweise“ noch Ausführungen zum Widerspruchsrecht; auf Anlage K2 wird Bezug genommen.
Damit ist die Klägerin ausreichend über ihr Widerspruchsrecht belehrt. Die Widerspruchsbelehrung ist auch in der erforderlichen drucktechnischen hervorgehobenen Form erfolgt. Die Belehrung erfolgt dabei in einem einseitigen Schreiben, wobei die Widerspruchsbelehrung als einziges durch Striche umrahmt und damit im Vergleich zum restlichen Text auf der Seite deutlich hervorgehoben ist und hervorsticht.
Die Belehrung ist auch inhaltlich ausreichend und zutreffend. Der Inhalt der Belehrung muss nicht nur zutreffen, sondern auch unmissverständlich sein, um den Versicherungsnehmer über sein Widerspruchsrecht klar und eindeutig zu belehren. Hierbei dürfen aber keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden.
Zum notwendigen Inhalt der Widerspruchsbelehrung gehört auch die Angabe des Fristbeginns, was im vorliegenden Fall erfolgt ist. Dabei ist jedoch nicht erforderlich, den Beginn der Widerspruchsfrist durch konkrete Kalenderdaten und/oder Wochentage zu bezeichnen. Es reicht aus, wenn die Widerrufsbelehrung zutreffend und unzweideutig das Ereignis benennt, das nach dem Gesetz den Lauf der Frist auslost, nämlich den Erhalt der Versicherungsunterlagen, die mit dem genannten Schreiben vollständig versandt wurden, sodass die Formulierung „ab Erhalt dieser Unterlagen“ korrekt ist. Die Grundsätze der Fristberechnung brauchen in der Belehrung nicht angegeben zu werden (vgl BGH NJW 94,1800)
Soweit der Kläger rügt, dass der Begriff „Textform“ nicht erläutert sei, ergibt sich aus der damals geltenden Regelung des § 5 a VVG a F, dass dort von Textform noch nicht die Rede war, sondern von Schriftlichkeit.
Der Begriff “schriftlich“ war nicht weiter zu erläutern. Auch der Adressat ist ausreichend benannt. Aus dem Anschreiben ist die Postanschrift der Beklagten ersichtlich, an die ein Widerruf gerichtet werden kann. Die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift ist daneben nicht erforderlich, da die Belehrung den Empfänger in die Lage versetzen soll, sein Widerrufsrecht auszuüben, wofür die Kenntnis der Postanschrift aber ausreicht. Darüber hinaus sind Hausanschrift und Faxnummer der Beklagten deutlich aus dem Policenbegleitschreiben ersichtlich und für jeden durchschnittlichen Versicherungsnehmer schon beim bloßen Durchblättern der Unterlagen problemlos auffindbar. Eine Belehrung über die Rechtsfolgen des Widerrufs ist nach Auffassung des Gerichts nicht erforderlich, eine solche ist in § 5a VVG a.F. nicht vorgesehen.
Der so geschlossene Versicherungsvertrag unterliegt entgegen der Auffassung des Klägervertreters nicht wegen Gemeinschaftswesentlichkeit des § 5 a VVG a.F. Wirksamkeitszweifeln.
Die Frage, ob § 5 a Abs. 1 Satz VVG a.F europarechtskonform ist, ist insbesondere im Schrifttum außerordentlich umstritten.
Darauf hat auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 4.11 2014, 2 BvR 892/12 hingewiesen. In seiner Entscheidung vom 16.7.2014 hat der Bundesgerichtshof explizit diese Frage geprüft (Aktenzeichen IV ZR 73/13). Der Bundesgerichtshof ist dabei zu dem Schluss gekommen, dass das Policen-Modell nach Auffassung des Senats eindeutig im Einklang mit den Bestimmungen in den Lebensversicherungsrichtlinien steht; insoweit wird auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs Bezug genommen und dessen Begründung der sich das Gericht vollinhaltlich anschließt.
Auf die Europarechtskonformität kommt es aber im vorliegenden Fall nicht zwingend an, so dass auch eine Vorlagepflicht an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht besteht. Es ist der Klägerin nach Treu und Glauben gem. § 242 BGB wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten. Eine Rechtsausübung kann dabei gem. § 242 BGB unzulässig sein wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlichen unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick darauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (BGH, Urteil vom 16 7 2014 – IV ZR 73/13, Rand-Nr. 32 f.).
Im vorliegenden Fall ist dies erfüllt.
Die Klägerin verhielt sich treuwidrig, in dem sie nach ordnungsgemäßer Belehrung über die Möglichkeit den Vertrag ohne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, diesen ab der Vertragslaufzeit vom 1.2 .1996 mit monatlichen Raten bediente und diese auch bis 1.6 2002, somit über 6 Jahre lang leistete. Auch nach diesem Zeitpunkt zweifelte die Klägerin gegenüber der Beklagten zunächst nicht an der Wirksamkeit des Vertrages, vielmehr wurde der Vertrag nach der Kündigung abgewickelt.
Damit ist das Verhalten der Klägerin jedoch objektiv widersprüchlich.
Die ihr zumindest vertraglich eingeräumte und bekannt gemachte Widerspruchsfrist ließ sie zunächst ungenutzt verstreichen. Erst nach Darüberhinaus gab die Klägerin durch die Korrespondenz während der Vertragslaufzeit immer zu erkennen, dass sie an dem Vertrag festhält, so indem sie zum 1. 6. 1998 beantragte, die Laufzeit zu verkürzen, dann indem sie zum 1. 6 .2002 eine Beitragsfreistellung beantragte. Erst nach Erlangung des Ruckkaufswertes im Jahr 2009 widersprach sie dann im November 2015, somit nach 19 Jahren, dem Zustandekommen des Vertrages, was zwar grundsätzlich möglich ist, im vorliegenden Fall jedoch treuwidrig erscheint. Die Klägerin war dabei von der Beklagten auch über ihr Widerspruchsrecht ordnungsgemäß belehrt worden, sodass ihr auch bekannt war, dass sie den Vertrag nicht hätte zustande kommen lassen müssen und ihr die Beklagte ein Recht zur Lösung zugestanden hat.
Vor diesem Hintergrund durfte die Beklagte die jahrelangen Prämienzahlungen als Ausdruck des Willens auffassen, dass die Klägerin den Vertrag durchführen wollte und auch die Klägerin in den Genuss des entsprechenden Versicherungsschutzes kommen wollte.
Für die Klägerin war diese vertrauensbegründende Wirkung ihres Verhaltens auch erkennbar angesichts der oben geschilderten Begleitumstande mit der Korrespondenz während der Vertragslaufzeit.
Bei der Würdigung nach Treu und Glauben ist nach Ansicht des Gerichts auch zu berücksichtigen, dass es im vorliegenden Fall des Abschlusses eines Lebensversicherungsvertrages gerade nicht wie bei anderen Anlagenformen nur auf die Anlage eines bestimmten Geldbetrages ankommt, sondern der Versicherungsnehmer ja auch eine Absicherung seiner Familie oder sonstiger Dritter für den Todesfall erstrebt. Insoweit handelte es sich nicht um einen typischen Warenlieferungsvertrag, bei dem die einzelnen Leistungen in der Regel einfach zurückzugewähren sind. Die Leistung durch den Versicherer für den Versicherungsnehmer besteht nämlich dann, wenn es zu keinem Leistungsfall kommt, wahrend der Laufzeit des Vertrages zunächst in dem Versprechen des Versicherers Deckungsschutz zu gewähren.
Dem Versicherungsvertrag liegt insoweit eine Risikoübernahme zugrunde, die auf der Grundlage des Gesetzes der großen Zahl“ nach versicherungsmathematischen Grundsätzen kalkuliert wird. Auch der Lebensversicherer ist deshalb gesetzlich verpflichtet, ausreichend Deckungsrückstellungen zu bilden (§ 11 Abs. 1 VAG). Der Versicherer muss deshalb darauf vertrauen können, dass auch bei einer vorzeitigen Beendigung des Vertrages die Grundsatze der Risikogemeinschaft beachtet werden und ihm die Prämie nicht in vollem Umfang entzogen wird. Der Versicherer ist also gerade in Fallen der Lebensversicherung auch schutzwürdig.
Es ist auch nicht ersichtlich, warum das Risiko der Nichtigkeit von Rechtsvorschriften, die vom nationalen Gesetzgeber gesetzt werden, einseitig vom Versicherer getragen werden sollen.
Mangels Anspnuchs in der Hauptsache besteht auch kein Anspruch auf die geltend gemachten Nebenforderungen, insbesondere den Zinsanspruch und die außergerichtlich angefallene Geschäftsgebühr.
3. Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof war schon deswegen nicht erforderlich da es auf die Europarechtskonformität nicht ankam Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 709 Satz 1, Satz 2 ZPO.

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