Aktenzeichen 34 AR 126/16
Leitsatz
1. Zur Bestimmung eines dritten, nicht am Zuständigkeitsstreit beteiligten Gerichts bei Vorliegen eines gemeinsamen Gerichtsstands.
2. Der ausschließliche Gerichtsstand des § 32b Abs. 1 ZPO ist nicht eröffnet, wenn der (einzige) Beklagte nicht als Prospektverantwortlicher im Sinne des § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO, sondern wegen Ansprüchen aus Prospekthaftung im weiteren Sinne in Anspruch genommen wird (ebenso BGH BeckRS 2016, 112696). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
3. Zwar kann eine Bestimmung nach dem Wortlaut des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nur dann erfolgen, wenn von den beiden sich für unzuständig erklärenden Gerichten eines tatsächlich zuständig ist. Aus Gründen der Prozessökonomie und der Verfahrensbeschleunigung kann in Ausnahmefällen bei einem entsprechenden Antrag der Klägerseite auch ein drittes, örtlich tatsächlich zuständiges, aber am Zuständigkeitsstreit nicht beteiligtes Gericht bestimmt werden. Dies kann anzunehmen sein, wenn bei mehreren Streitgenossen eine gemeinsame (besondere) Zuständigkeit bei einem dritten Gericht besteht. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
Örtlich zuständig ist das Landgericht Stendal.
Gründe
Die Voraussetzungen für die Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2, § 37 ZPO sind gegeben, nämlich einerseits der grundsätzlich bindende Verweisungsbeschluss (vgl. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO) des Landgerichts München I vom 4.12.2015 und andererseits der die Entscheidungskompetenz verneinende, verkündete Beschluss des angegangenen Landgerichts Magdeburg vom 12.10.2016 (vgl. BGH NJW-RR 2013, 764; OLG Hamm NJW 2016, 172; Hüßtege in Thomas/Putzo ZPO 38. Aufl. § 36 Rn. 23 m. w. N.).
Zuständig zur Entscheidung über das Klagebegehren ist aufgrund des Verweisungsantrags der Klägerin vom 9.6.2017 gem. § 281 Abs. 1 ZPO das Landgericht Stendal, da der Verweisungsbeschluss des Landgerichts München I wegen Verletzung rechtlichen Gehörs nicht bindend und keines der am Zuständigkeitsstreit beteiligten Gerichte für beide Beklagte gemeinsam zuständig ist.
1. Der Beschluss des Landgerichts München I vom 4.12.2015 entfaltet wegen Versagung des rechtlichen Gehörs (vgl. BGHZ 102, 338/340f.; Zöller/Greger ZPO 31. Aufl. § 281 Rn. 17a) ausnahmsweise keine Bindungswirkung. Die Beklagten konnten sich zwar gemäß richterlichem Hinweis vom 18.11.2015 zur Zuständigkeitsfrage äußern, nicht aber zu dem dann am 3.12.2015 konkret gestellten, auf § 29c ZPO gestützten, hilfsweisen Verweisungsantrag. Darin liegt nach den maßgeblichen Umständen des Einzelfalls (BGH vom 26.8.2014 – X ARZ 275/14 = MDR 2015, 51; Senat vom 31.1.2017 – 34 AR 40/16; Zöller/Greger § 281 Rn. 17a) ein die Bindungswirkung der Verweisung aufhebender Verfahrensfehler. Die Gewährung des rechtlichen Gehörs soll den Parteien Gelegenheit bieten, sich zu den für die Beurteilung der Zuständigkeitsfrage maßgeblichen tatsächlichen (und rechtlichen) Gesichtspunkten zu äußern und dem Gericht den insoweit erheblichen Sachverhalt – aus der Sicht jeder der Parteien – vorzutragen (BGH NJWE-FER 1997, 115). Die Beklagtenseite hatte keine Gelegenheit, auf die Frage, ob sie vorliegend § 29c ZPO für einschlägig hält, einzugehen. In der Hinweisverfügung vom 18.11.2015 stellte das Landgericht München I lediglich auf die allgemeinen Gerichtsstände der Beklagten ab, nämlich das Landgericht Berlin für die Beklagte zu 1 und Landgericht Magdeburg für den Beklagten zu 2. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten zu 1 hat auch nach Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Magdeburg mit Schriftsatz vom 20.09.2016 die Anwendung des § 29c ZPO gerügt.
2. Eine Zuständigkeit für beide Beklagte gemeinsam besteht weder beim Landgericht München I noch beim Landgericht Magdeburg.
a) Das Landgericht München I ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt, namentlich nicht gemäß § 32b ZPO als Gericht am Sitz des betroffenen Emittenten oder Anbieters, örtlich zuständig. Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 01.12.2016 (Az. X ARZ 180/16, NZG 2017, 267), die in einer denselben Fonds (Nr. IV) betreffenden Sache auf Vorlage des Senats nach § 36 Abs. 3 ZPO erging, ist der ausschließliche Gerichtsstand des § 32b Abs. 1 ZPO nicht eröffnet, wenn der (einzige) Beklagte nicht als Prospektverantwortlicher im Sinne des § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO, sondern wegen Ansprüchen aus Prospekthaftung im weiteren Sinne in Anspruch genommen wird. So ist es auch hier. Weder die Beklagte zu 1 noch der Beklagte zu 2 sind Prospektverantwortliche. Eine anderweitige örtliche Zuständigkeit des zunächst angerufenen Landgerichts München I, sei es aus §§ 32, 39 ZPO, ist nicht ersichtlich. Eine (Rück) Verweisung an das Landgericht München I hat das Landgericht Magdeburg nicht ausgesprochen, so dass auch kein insoweit das Landgericht München I bindender Beschluss vorliegt.
b) Das Landgericht Magdeburg, in dessen Bezirk zwar der Beklagte zu 2 seinen allgemeinen Wohnsitz hat, ist (was der Klägervertreter und das verweisende Landgericht München I übersehen haben) nicht das für die Klägerin gem. § 29c ZPO örtlich zuständige Gericht, da deren Wohnsitz im Bezirk des Landgerichts Stendal liegt. Eine Zuständigkeit des Landgerichts Magdeburg für beide Beklagte scheidet daher ebenfalls aus. Da zudem der Verweisungsbeschluss gegen das Gebot rechtlichen Gehörs verstößt, ist er insgesamt und nicht nur im Hinblick auf die Beklagte zu 1 wirkungslos (vgl. OLG Hamm vom 2.1.2017, BeckRS 2017, 100544).
3. Auf den Verweisungsantrag der Klägerin vom 9.6.2017 bestimmt der Senat das Landgericht Stendal als örtlich zuständig.
a) Beim Landgericht Stendal besteht für beide Beklagte eine örtliche Zuständigkeit nach § 29c ZPO (BGH vom 01.12.2016, NZG 2017, 267; BGH vom 7.1.2003, NJW 2003, 1190). Auch ließe sich dort nach dem insoweit maßgeblichen Klägervortrag für den Beklagten zu 2 ein weiterer besonderer Gerichtsstand nach § 32 ZPO herleiten.
b) Zwar kann eine Bestimmung nach dem Wortlaut des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nur dann erfolgen, wenn von den beiden sich für unzuständig erklärenden Gerichten eines tatsächlich zuständig ist. Aus Gründen der Prozessökonomie und der Verfahrensbeschleunigung kann in Ausnahmefällen bei einem entsprechendem Antrag der Klägerseite auch ein drittes, örtlich tatsächlich zuständiges, aber am Zuständigkeitsstreit nicht beteiligtes, Gericht bestimmt werden. Anerkannt ist dies für den Fall einer ausschließlichen Zuständigkeit des am Kompetenzkonflikt nicht beteiligten Gerichts (vgl. BGH, NJW 1978, 1163; BayObLG, NJW-RR 2000, 67; Zöller/Vollkommer, § 36 ZPO Rdnr. 27; Hüßtege in Thomas/Putzo § 36 Rn. 24). Etwas anderes kann aber nicht gelten, wenn bei mehreren Streitgenossen eine gemeinsame (besondere) Zuständigkeit bei einem dritten Gericht besteht (Roth in Stein/Jonas ZPO 23. Aufl. § 36 Rn. 50). Zwar stünde den Parteien in diesen Fällen sowohl die Möglichkeiten einer Gerichtstandsvereinbarung als auch einer rügelosen Einlassung beim Ausgangsgericht offen. Hiervon haben die Parteien jedoch keinen Gebrauch gemacht. In diesen Fällen besteht kein Anlass, das – unter keinem Gesichtspunkt örtlich zuständige – Landgericht München I erneut mit der Sache zu befassen, insbesondere da weder das Landgericht München I noch das Landgericht Stendal an die Rechtsauffassung des Senats zur örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts Stendal gebunden wäre.
c) Der Bestimmung des Landgerichts Stendal steht auch nicht entgegen, dass beim Landgericht Magdeburg eine Zuständigkeit für den Beklagten zu 2 besteht. Denn der Verweisungsbeschluss des Landgerichts München I entfaltet auch hinsichtlich des Beklagten zu 2 keine Bindungswirkung (vgl. oben unter 2b). Eine Zuständigkeit des Landgerichts Magdeburg für den Beklagten zu 2 besteht daher noch nicht. Von einer Bestimmung des Landgerichts Magdeburg für diesen konnte daher – nach Änderung des Verweisungsantrags durch die Klägerin – aus prozessökonomischen Gründen abgesehen werden, um zu verhindern, dass, obwohl ein gemeinsamer Gerichtsstand für beide Beklagten bestünde, aufgrund eines Verfahrensfehlers des Landgerichts München I zwei getrennte Verfahren geführt werden müssen.
4. Für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, wie mit Schriftsatz der Klägerin vom 27.01.2017 beantragt, ist kein Raum, da für beide Beklagte ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand begründet ist.