Aktenzeichen III ZR 7/20
§ 826 BGB
§ 263 StGB
§ 138 Abs 2 ZPO
§ 138 Abs 3 ZPO
Leitsatz
1. Ist vorhersehbar, dass bei einem Anlagemodell die den Anlegern versprochene Rendite nicht aus den Erträgen des Anlageobjekts, sondern aus den Einlagen weiterer Anleger bedient werden wird (sogenanntes “Schneeballsystem”), erfüllt dies regelmäßig sowohl die Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB als auch diejenigen eines Eingehungsbetrugs gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB.
2. Der Geschädigte genügt seiner Darlegungslast regelmäßig bereits dadurch, dass er Umstände vorträgt, die das (weitere) Betreiben eines solchen “Schneeballsystems” als naheliegend erscheinen lassen. Den Gegner trifft in solchen Fällen eine sekundäre Darlegungslast. Er hat sich im Rahmen der ihm nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei zu äußern; anderenfalls gilt das Vorbringen des Geschädigten als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO).
Verfahrensgang
vorgehend OLG Bamberg, 5. Dezember 2019, Az: 1 U 16/19vorgehend LG Schweinfurt, 14. Dezember 2018, Az: 21 O 761/16
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Oberlandesgerichts Bamberg – 1. Zivilsenat – vom 5. Dezember 2019 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage im Hinblick auf den Vorwurf, der Beklagte habe ein sogenanntes Schneeballsystem betrieben, abgewiesen worden ist.
In diesem Umfang wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche nach einer fehlgeschlagenen Kapitalanlage, die sich in dritter Instanz nur noch gegen den Beklagten zu 1 richten (im Folgenden daher lediglich Beklagter).
2
Der Beklagte war Alleinaktionär, alleiniges Mitglied des Verwaltungsrats und Hauptentscheidungsträger der in der Schweiz ansässigen und in Deutschland tätigen S. AG (S. AG). Diese bot über die von ihr beherrschte B. L. S. AG ein als “Cashselect” bezeichnetes Anlagemodell an. Danach sollten die Anleger ihre Versicherungen, Bausparverträge und ähnliche Kapitalanlagen kündigen beziehungsweise kündigen lassen, um die Rückkaufswerte dann der S. AG zur Verfügung zu stellen. Das Geld sollte gewinnbringend – zuletzt vornehmlich in Unternehmen aus der Branche der erneuerbaren Energien – investiert werden. Die Anleger schlossen dafür Verträge über den “Ankauf von Rückkaufswerten aus Vermögensanlagen”, die als Kaufpreis für die erworbenen Rückkaufswerte spätere Auszahlungen der S. AG vorsahen, die – je nach Preismodell – entweder in Raten oder als einmalige Zahlung an den Anleger geleistet werden sollten (Vertragstypen A-F mit unterschiedlichen Laufzeiten) und eine erhebliche Verzinsung vorsahen. Über eine Erlaubnis nach dem Schweizer Bankgesetz oder nach dem Kreditwesengesetz verfügte die S. AG nicht.
3
Auch der Kläger schloss auf der Grundlage des von ihm am 27. Februar 2012 abgegebenen – vorformulierten – Angebots mit der S. AG einen solchen auf Erwerb des Rückkaufswerts seiner bei der V. L. bestehenden Lebensversicherung gerichteten Vertrag. Den erzielten Erlös stellte er dem Anlagemodell (Vertragstyp E) entsprechend der S. AG – nachrangig zu den Forderungen sonstiger gegenwärtiger und zukünftiger Gläubiger – zur Verfügung. Der Betrag sollte sodann ratierlich mit Gewinn binnen 15 Jahren zurückgezahlt werden. Zeitgleich mit dem Angebot erteilte der Kläger mehreren – von der S. AG beauftragten – Rechtsanwälten Vollmacht zur Kündigung der Vermögensanlage, von der diese im Folgenden Gebrauch machten.
4
Anfang März 2012 ließ die Schweizer Finanzmarktaufsicht die Geschäftsräume der S. AG in der Schweiz durchsuchen. Kurze Zeit später wurde die in Deutschland ansässige L. O. I. GmbH (nachfolgend nur L. O. ) – unter Mitwirkung des Beklagten, der an der Gesellschaft zumindest anfänglich beteiligt war – gegründet, die den Anlegern die Übernahme der Verträge unter der Überschrift “aus den Unternehmen der S. AG wird L. O. ” anbot. Der Kläger unterzeichnete Ende April 2012 einen entsprechenden Übernahmevertrag. Im August 2012 untersagte die Schweizer Finanzmarktaufsicht der S. AG den Vertrieb ihrer Produkte. Anfang 2013 wurde der Konkurs über das Vermögen der S. AG eröffnet. Mitte 2013 wurde auch die T. C. GmbH, in die die L. O. rund ein halbes Jahr nach ihrer Gründung umbenannt worden war, insolvent.
5
Der Beklagte ist mittlerweile im Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit der S. AG rechtskräftig wegen Betrugs in Tatmehrheit mit drei Fällen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges im Tatzeitraum 2009/2010 zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden.
6
Der Kläger, der keine Auszahlungen erhalten hat, verlangt unter anderem die Erstattung des der S. AG zur Verfügung gestellten Rückkaufswerts seiner Versicherung, den er mit 60.186,18 € beziffert. Er hat insbesondere unter Hinweis auf das gegen den Beklagten ergangene Strafurteil behauptet, das Anlagemodell habe – zumindest bis zur der gedachten Gewinnverzinsung, zu der es nicht mehr gekommen sei – auf einem sogenannten “Schneeballsystem” beruht, nach dem ältere Verträge mit dem Geld aus neueren Verträgen bedient worden seien. Der weitere Vorwurf, es habe ein verbotenes Einlagengeschäft vorgelegen, ist nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens.
7
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen.
8
Mit der vom Senat – beschränkt auf den Vorwurf, ein Schneeballsystem betrieben zu haben – zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren gegen den Beklagten weiter.
Es wurde noch kein Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen. Seien Sie der Erste und regen Sie eine Diskussion an.
Kommentar verfassen