Aktenzeichen 13 HK O 19666/15
Leitsatz
Eine Anscheinsvollmacht liegt vor, wenn der Vertretene das Handeln des in seinem Namen Auftretenden zwar nicht kennt und duldet, es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen müssen und verhindern können, und der Geschäftsgegner nach Treu und Glauben annehmen darf, der als Vertreter Handelnde sei bevollmächtigt. Das Handeln des Vertreters muss rechtsgeschäftlichen Charakter haben, um eine objektive Grundlage für den Anschein darstellen zu können. Bloße tatsächliche Handlungen sind von vornherein nicht geeignet, eine Anscheinsvollmacht zu begründen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 22.576,82 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.09.2015 zu zahlen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 40 Prozent, die Beklagte 60 Prozent.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
1. Die Klage ist zulässig.
Das Landgericht München I nach §§ 23 I, 72 GVG, 12, 171 ZPO sachlich und örtlich zuständig. Die funktionelle Zuständigkeit der Handelskammer folgt aus §§ 94, 95 I Nr. 1 GVG. Der geltend gemachte Zahlungsanspruch stammt aus einem Geschäft, das für beide Seiten ein Handelsgeschäft darstellt; beide Parteien sind Formkaufleute.
Die teilweise Klagerücknahme ist nach §§ 264 Nr. 2, 269 I ZPO zulässig.
2. Die Klage ist begründet.
Der Anspruch auf 22.576,82 € steht der Klägerin gegenüber der Beklagten zu.
a) Der Anspruch ist unstreitig entstanden.
b) Der Anspruch ist nicht durch Erfüllung erloschen, § 362 I BGB.
Der Anspruch erlischt nach § 362 I BGB, wenn die geschuldete Leistung bewirkt wird. Dies bedeutet, dass auch gerade an den Gläubiger geleistet werden muss. Dies ergibt sich schon aus dem Umkehrschluss zu § 362 II BGB. Eine Überweisung stellt in diesem Zusammenhang die Erfüllung selbst dar, Leistungsempfänger ist der Gläubiger, nicht seine Bank. Die Erfüllungswirkung hängt somit davon ab, dass auf das vereinbarte Konto überwiesen wird.
Im Vertragsverhältnis der Parteien war die Zahlung auf das Geschäftskonto der Klägerin vereinbart. Auch wenn es kein schriftliches Vertragswerk gab und die Kontodaten erst durch e-mail geklärt wurden, so wurde dieses Konto spätestens dann als taugliches „Leistungsskonto“ konkludent vereinbart, §§ 145, 147 I BGB als die erste Zahlung widerspruchslos akzeptiert wurde.
Das Privatkonto des … wurde vertraglich nicht als taugliches Leistungskonto vereinbart.
Nachträgliche Vertragsänderungen sind zwar nach den § 145 ff. BGB jederzeit möglich, auch können die Modalitäten der Erfüllung jederzeit abgeändert werden. … hat die Klägerin dahingehend jedoch nicht wirksam vertreten, § 164 I BGB.
Einerseits konnte die Beklagte eine Vertretungsmacht nicht nachweisen.
Andererseits liegen, entgegen der Ansicht der Beklagten, auch die Voraussetzungen einer Anscheins- oder Duldungsvollmacht nicht vor.
Eine Anscheinsvollmacht liegt vor, wenn der Vertretene das Handeln des in seinem Namen Auftretenden zwar nicht kennt und duldet, es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen müssen und verhindern können, und der Geschäftsgegner nach Treu und Glauben annehmen darf, der als Vertreter Handelnde sei bevollmächtigt.
Das Handeln des Vertreters muss rechtsgeschäftlichen Charakter haben, um eine objektive Grundlage für den Anschein darstellen zu können. Bloße tatsächliche Handlungen sind von vornherein nicht geeignet, eine Anscheinsvollmacht zu begründen, da der Vertragspartner bei ihnen nicht berechtigt davon ausgehen kann, der Vertreter habe Vollmacht. Tatsächliche Arbeiten verrichtet jeder Arbeitnehmer für seinen Arbeitgeber.
Rechtsgeschäftliches Handeln des … wurde nicht schlüssig vorgetragen. … stellte z. B. lediglich den Kontakt zwischen Klägerin und Beklagter dar, organisierte Abholungen von Leuchtmitteln oder gab Arbeitsanweisungen um eine flüssige Abwicklung zu gewährleisten.
Dies stellt aber nur tatsächliches Handeln dar.
Wenn die Beklagte der Ansicht ist, die Bezeichnung Projektleiter begründe eine Anscheinsvollmacht, so geht dies fehl. Diese Positionsbezeichnung ist kein Fachbegriff, sondern kann vom Arbeitgeber nach eigener Vorstellung vergeben werden. Sie ist nicht zwingend dahingehend auszulegen, dass mit ihr Vollmacht einhergeht. Dies bestätigt sich letztlich in der tatsächlichen Tätigkeit des … der gerade keine Rechtsgeschäfte abschloss.
Auch der Vortrag der Beklagten, … habe auch das ursprüngliche Konto mitgeteilt, ändert an der Beurteilung nichts, da es sich hierbei eben nur um ein Mitteilen, also ebenfalls ein tatsächliches Handeln darstellt.
Eine Duldungsvollmacht liegt vor, wenn der Vertretene es wissentlich geschehen lässt, dass ein anderer wie ein Vertreter für ihn auftritt und der Geschäftspartner diese Duldung dahingehend versteht und auch verstehen darf, dass der Handelnde bevollmächtigt ist.
Auch die Duldungsvollmacht setzt aus den genannten Gründen ein rechtsgeschäftliches Handeln voraus, das „geduldet“ werden kann. Gerade dies liegt nicht vor (vgl. o.).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 I 1, 269 III 2 ZPO.
Die Kosten der teilweisen Klagerücknahme sind der die Klägerin aufzuerlegen.
a) Nach dem Grundsatz des § 269 III 2 ZPO hat der Kläger die Kosten der Klagerücknahme zu tragen.
b) Die Ausnahmeregelungen des § 269 III 2 2.HS und 3 ZPO greifen nicht.
Nach § 269 III 2 2.HS trägt der Beklage die Kosten der Rücknahme, wenn sie ihm „aus anderen Grund aufzuerlegen sind“. Dies bedeutet, dass der Beklagte die Kosten bereits aufgrund einer anderen Norm oder aufgrund eines Vergleichs trägt. Hintergrund der Ausnahmeregelungen waren laut Gesetzesbegründung, die Fälle des § 93 d ZPO auch bei Klagerücknahme erfassen zu können (BTDr 13/7338, S. 33). Auch wenn § 93 d ZPO weggefallen ist, kann § 269 III 2. 2.HS ZPO nicht entgegen des gesetzgeberischen Willens zu einem eigenen prozessualen Kostenerstattungsanspruch gemacht werden.
Nach § 269 III 3 ZPO kann die Kostentragungspflicht nach billigem Ermessen verteilt werden, wenn der Anlass zur Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen ist. Hier ist jedoch kein „Anlass“ ersichtlich, der vor Rechtshängigkeit weggefallen wäre. Vielmehr war die Klage in ihrer ursprünglichen Höhe von vornherein nur teilweise begründet. An der Rechtslage hat sich vor Rechtshängigkeit nichts geändert. Nähme man die ursprüngliche Vorstellung der Klägerin über die vermeintliche zweite Gutschrift als „Anlass“, so ist dieser Anlass jedenfalls nicht vor Rechtshängigkeit entfallen.
Eine analoge Anwendung auf Fälle nach Rechtshängigkeit scheitert an der Planwidrigkeit der Regelungslücke, da das Tatbestandsmerkmal „vor Rechtshängigkeit“ sonst bedeutungslos würde.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, 2 ZPO.