Bankrecht

Keine Tilgungswirkung der Leistungszahlung bei Überweisung auf das Bankkonto eines Dritten

Aktenzeichen  L 9 AL 9/16

Datum:
9.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BGB BGB § 270
BGB BGB § 362
SGB I SGB I § 47
SGB III SGB III § 337 Abs. 1 S. 1
SGB X SGB X § 50 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Bei einer Überweisung von Sozialleistungen auf ein Bankkonto des Leistungsempfängers, welches nicht von diesem, sondern – in strafbarer Absicht von einem Dritten als Empfangskonto bestimmt worden ist, tritt keine Tilgungswirkung der Leistungszahlung durch den Leistungsträger ein. (Rn. 80)
2. Daher besteht – auch wenn die Leistungszahlung in objektiver Hinsicht ohne Rechtsgrund erbracht worden ist – insoweit kein Erstattungsanspruch des Leistungsträgers gegenüber dem Leistungsempfänger nach § 50 Abs. 1 SGB X. (Fortführung von Bundessozialgericht, Urteil vom 14.08.2003, B 13 JR 11/03 R). (Rn. 97)

Verfahrensgang

S 57 AL 507/08 2013-02-01 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 01. Februar 2013 abgeändert und der Bescheid der Beklagten vom 07. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2008 bezüglich der Anordnung der Erstattung von Überbrückungsgeld aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Klageverfahren S 57 AL 507/08 und im Berufungsverfahren L 9 AL 9/16 zu vier Fünftel zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG München vom 01.02.2013 ist zulässig und im Sinne des zuletzt im Berufungsverfahren gestellten Antrags der Klägerin auch begründet.
Nachdem die Klägerin die Berufung insoweit zurückgenommen hat, als sie gegen die im Bescheid vom 07.12.2007 angeordnete Rücknahme der Leistungsbewilligung ab 24.08.2004 gerichtet war, war noch über den verbliebenen Streitgegenstand der Anordnung der Erstattung des von der Klägerin im Zeitraum 24.08.2004 bis 23.02.2005 bezogenen Überbrückungsgeldes in Höhe von insgesamt 18.701,04 EUR im Bescheid vom 07.12.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2008 zu entscheiden.
Gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit – wie hier – ein Verwaltungsakt (zu Recht) aufgehoben worden ist.
Die genannte hier maßgebliche Befugnisnorm verlangt daher als Voraussetzung für einen Anspruch der Beklagten auf Erstattung der auf das Konto der Klägerin bei der …bank erfolgten Zahlungen, dass diese an die Klägerin als Adressatin des Bewilligungsbescheides vom 07.09.2004 „erbracht“ worden sind.
Dies ist nach den Feststellungen des Senats mangels Erfüllungswirkung der von der Beklagten auf das Konto der Klägerin bei der …bank erfolgten Zahlungen jedoch zu verneinen.
Eine Befugnis der Beklagten zur Rückabwicklung gezahlter Leistungen nach § 50 Abs. 1 SGB X ist als Kehrseite des sozialrechtlichen Leistungsverhältnisses anzusehen. Ein Rückabwicklungsverhältnis nach § 50 Abs. 1 SGB X setzt daher voraus, dass die zuvor erbrachten Leistungen dem Leistungsberechtigten zur Erfüllung seines Leistungsanspruchs aus einem öffentlich-rechtlichen Sozialleistungsverhältnis (auch tatsächlich) zugewandt wurden (vgl. Schütze in: von Wulffen, SGB X, 7. Auflage, § 50, Rdnr. 6).
Gemäß § 47 Sozialgesetzbuch I (SGB I) sollen Geldleistungen vom Leistungsträger kostenfrei auf ein Konto des Empfängers bei einem Geldinstitut überwiesen werden.
Die Regelung des § 47 SGB I steht unter dem Vorbehalt, dass in den besonderen Teilen des SGB hierzu keine Regelung enthalten ist.
§ 337 Abs. 1 Satz 1 SGB III bestimmt (als lex specialis), dass Geldleistungen auf das von dem Leistungsberechtigten angegebene inländische Konto bei einem Geldinstitut überwiesen werden (Hervorhebung – auch im nachfolgenden Text – durch den Senat).
Bereits nach dem Wortlaut des § 337 Abs. 1 Satz 1 SGB III ergibt sich daher, dass eine Erfüllungswirkung von unbaren Leistungszahlungen der Beklagten nur dann eintritt, wenn diese auf das vom Leistungsberechtigten angegebene Konto erfolgen.
Dies entspricht auch der einhelligen Auffassung der einschlägigen Kommentarliteratur zur insoweit subsidiär geltenden Grundnorm des § 47 SGB I.
Hierzu kommentiert Seewald (in: Kasseler Kommentar, § 47 SGB I, Rdnr. 9), dass ein Konto im Sinne dieser Vorschrift dann vorliege, wenn der Berechtigte hierüber verfügen könne, wobei eine sofortige und uneingeschränkte Zugriffsmöglichkeit nicht erforderlich sei. Die Zahlung des Leistungsträgers auf ein anderes als das vom Leistungsempfänger bestimmte Konto habe grundsätzlich keine Tilgungswirkung. Das Konto eines Dritten komme also dann nicht infrage, wenn anzunehmen sei, dass der Leistungsberechtigte bei dieser Zahlungsweise das Geld nicht erhalten werde oder nicht dem Leistungszweck entsprechend verwenden könne.
Dieser Auffassung ist auch M. (Kommentar zum SGB I, 5. Auflage, § 47, Rdnr. 3ff). Habe der Berechtigte in seinem Antrag ein bestimmtes Konto angegeben und erfolge die Überweisung grundlos auf ein anderes Konto, so habe dies nur Erfüllungswirkung, wenn sich der Berechtigte damit einverstanden erkläre.
Der Gesetzgeber habe in § 47 SGB I dem Leistungsträger einen begrenzten Entscheidungsspielraum über den Zahlungs Weg eingeräumt. Die Überweisung solle auf ein Konto des Berechtigten erfolgen, in atypischen Fällen sei jedoch von der Sollvorschrift abzuweichen.
K./M. stellen (in LPK-SGB I, 3. Auflage, § 47, Rdnr. 7) dar, dass ergänzend zu § 47 SGB I analog die Regelung des § 270 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) heranzuziehen sei, so dass der Leistungsträger nur mit der Buchung der Zahlung auf dem vom Empfänger angegebenen Konto befreit sei.
Grüneberg führt zu § 362 BGB (in Palandt, BGB, 76. Auflage, § 362, Rdnr. 9) aus, dass die geschuldete Leistung nur dann an den Gläubiger bewirkt werde, wenn die Zahlung auf das vom Gläubiger angegebene Konto erfolge. Teile der Gläubiger dem Schuldner eine neue Bankverbindung mit, habe die Überweisung auf das frühere Konto keine Tilgungswirkung.
Zur Problematik der für den hier streitigen Erstattungsanspruch der Beklagten nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X erforderlichen Erfüllungswirkung der vorausgegangenen Leistungszahlungen hat das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 14.08.2003 (Az. B 13 RJ 11/03 R) folgende Leitsätze festgestellt:
1. Der Leistungsträger ist im Regelfall verpflichtet, dem Wunsch des Leistungsberechtigten zu folgen und die Überweisung einer Geldleistung auf das vom Berechtigten ausdrücklich genannte Bankkonto vorzunehmen.
2. Hat der Leistungsberechtigte diesen Wunsch ausreichend klar und rechtzeitig an den Leistungsträger herangetragen, kann dieser den Zahlungsanspruch nicht durch Zahlung auf ein anderes (früher genanntes) Bankkonto des Leistungsempfängers erfüllen.
Zur Begründung seiner Entscheidung vom 14.08.2003 hat das BSG ausgeführt, dass bei einer Kontoänderungsmitteilung durch den Leistungsberechtigten der Leistungsträger als Schuldner der Zahlung dieser Mitteilung im Regelfall Folge zu leisten habe, auch wenn das ursprünglich angegebene Konto noch übergangsweise weitergeführt werde. Liege kein Ausnahmetatbestand vor, komme der Überweisung der Zahlung auf das ursprünglich genannte Konto keine Tilgungswirkung zu. Hierfür spreche auch die Vorschrift des § 33 SGB I. Hieraus ergebe sich, dass den Wünschen des Leistungsberechtigten entsprochen werden solle, soweit diese angemessen seien.
Der Senat schließt sich der dargelegten Rechtsauffassung des BSG ausdrücklich an. Zur Überzeugung des Senats ergibt sich hiernach für den vorliegenden Fall, dass auch bei einer – in Abweichung von den ursprünglichen Kontodaten – nicht vom Leistungsempfänger (sondern in strafbarer Absicht durch einen Dritten) mitgeteilten Kontoänderungsmitteilung, welche die Beklagte ohne weitere Überprüfung ausführt, den Leistungszahlungen keine Tilgungswirkung zukommt.
Nach den umfangreichen Sachverhaltsermittlungen im Berufungsverfahren ist zur Überzeugung des Senats festzustellen, dass nicht die Klägerin, sondern A.S. das Schreiben vom 01.09.2004 über die Kontoänderung an die Beklagte unter Vortäuschung der Unterschriftsleistung durch die Klägerin unterschrieben und versandt hat.
Entgegen den Vermutungen des gerichtlich bestellten Gutachters ist kein vernünftiger Grund dafür zu erkennen, dass die Klägerin selbst eine plumpe „Scheinfälschung“ hinsichtlich der Unterschriftsleistung unter der Kontoänderungsmitteilung vom 01.09.2004 vorgenommen haben könnte.
Die Klägerin hatte bei Ihrer Antragstellung am 16.08.2004 ihr Konto bei der Stadtsparkasse B-Stadt angegeben. Die Beklagte hatte demzufolge zunächst auch die Auszahlung des Überbrückungsgeldes auf dieses Konto der Klägerin verfügt (Daueranordnung vom 07.09.2004).
Die monatlichen Zahlungen der Beklagten erfolgten jedoch auf das am 10.08.2004 eröffnete Konto der Klägerin bei der C., nachdem bei der Agentur für … B-Stadt am 06.09.2004 ein Schreiben vom 01.09.2004 über die Mitteilung der neuen Bankverbindung einging.
Die Klägerin befand sich jedoch nachweislich vom 31.08. bis 06.11.2004 und vom 27.11.2004 bis 27.04.2005 in der Mongolei und war daher sowohl zum Zeitpunkt der Mitteilung der Kontoänderung als auch zum ganz überwiegenden Teil der Kontonutzung im Ausland.
Die C. sandte mit Schreiben vom 05.04.2005 die (vorläufig) eingezogene EC-Karte wieder an Herrn (!) S. A. zurück.
Mit Schreiben vom 05.04.2005 kündigte die Bank das Konto mit Wirkung zum 23.05.2005 wegen wiederholter negativer Kontosalden, die in der Regel aus Rückbuchungen wegen falsch eingegangener Gutschriften zu Gunsten anderer Personen entstanden.
Soweit dies aus den dem Senat vorliegenden Kontoauszügen nachvollziehbar ist, beruhten sämtliche Buchungen auf dem Konto der Klägerin bei der …bank aus Handelsgeschäften des A.S. (z.T. unter seinem früheren Namen „A.“), aus Zahlungen an dessen ehemalige Lebensgefährtin (und Mutter von zwei gemeinsamen Kindern) Frau B., sowie aus betrügerisch erlangten Gutschriften der LVA Schwaben für W. M. (s. Strafurteil gegen den Kläger vom 23.04.2009).
Der damalige Ehemann der Klägerin A.S. hat das Konto der Klägerin bei der …bank wie ein eigenes Konto genutzt, und hierbei offensichtlich in betrügerischer Absicht die Leistungszahlungen der Beklagten für eigene Zwecke verbraucht.
A. S. hatte bereits im Jahr 2002 eine eidesstattliche Versicherung abgegeben und stand bei mehreren Banken im Soll.
Ein eigenes Konto hätte A.S. daher nicht eröffnen können.
A. S. ist mit Urteil des Amtsgerichts B-Stadt vom 10.05.2005 (Az. …) wegen Betrugs und Urkundenfälschung zulasten der … Vereinsbank und mit Urteil des Amtsgerichts B-Stadt vom 23.04.2009 (Az. …) wegen Betrugs zulasten der Deutschen Rentenversicherung zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden. Insgesamt ergeben sich aus der beigezogenen Strafakte 10 Strafaussprüche gegen A.S.
Die Angaben des A.S. in seiner Zeugeneinvernahme vor dem SG Dresden vom 22.06.2016 sind durchweg nachweislich falsch, insbesondere seine Aussage, ihm sei das Konto der Klägerin bei der …bank nicht bekannt und er habe von diesem Konto keine Verfügungen vorgenommen. Entgegen seiner Aussage waren dem Zeugen auch sowohl Herr H. L. als auch Herr S. (ehemaliger Name des Zeugen) und Frau A. B. (frühere Lebensgefährtin des Klägers) bekannt.
Der Zeugenaussage des A.S. kommt daher keinerlei Beweiswert zu.
Zum Zeitpunkt der Kontolöschung durch die C. befand sich auf dem Konto kein Guthaben. Die Klägerin hat daher in tatsächlicher Hinsicht von den auf das Konto bei der C. geflossenen Überbrückungsgeld-Zahlungen der Beklagten zu keinem Zeitpunkt Verfügungen vorgenommen oder einen anderweitigen Vermögensvorteil erlangt.
Aus den o.g. vielfachen – dem Gutachter E. nicht bekannten – Indizien und dem daraus folgenden fehlenden Motiv der Klägerin für eine Änderung der Bankverbindung von dem nach wie vor bestehenden Konto bei der Stadtsparkasse B-Stadt auf das Konto bei der C. steht für den Senat fest, dass die Unterschrift auf der Kontoänderungsmitteilung vom 01.09.2004 nicht von der Klägerin sondern – ohne Wissen und Wollen der Klägerin – von A.S. stammt.
Daraus folgt unter Berücksichtigung der oben dargelegten Rechtslage, dass die Beklagte das Überbrückungsgeld nicht auf das von der leistungsberechtigten Klägerin bestimmte Konto überwiesen hat.
Mangels Erfüllungswirkung der von der Beklagten auf das Konto bei der C. geleisteten Zahlungen besteht daher kein Erstattungsanspruch nach § 50 SGB X.
Die Berufung der Klägerin ist daher bezüglich der Anordnung der Erstattung des Überbrückungsgeldes begründet, der Berufung ist im Sinne des zuletzt gestellten Antrags der Klägerin stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat insoweit die überwiegende Veranlassung des sozialgerichtlichen Verfahrens S 57 AL 507/08 sowie des sich daran anschließenden Berufungsverfahrens durch die Beklagte angemessen berücksichtigt.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (vgl. § 160 Abs. 2 SGG).

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