Bankrecht

Rechtsmissbräuchliche Ausübung des Widerspruchsrechts im Policenmodell

Aktenzeichen  25 U 3534/18

Datum:
12.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 48810
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 242
VVG aF § 5a

 

Leitsatz

1. Die Ausübung des Widerspruchsrechts nach Abschluss einer Lebensversicherung im Policenmodell kann auch bei nicht ordnungsgemäßer Widerspruchsbelehrung rechtsmissbräuchlich sein (Anschluss an BGH BeckRS 2016, 6037; BeckRS 2015, 14059). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten liegt vor, wenn der Vertrag über 15 Jahre bis zu einer Kündigung durchgeführt und der Widerspruch erst weitere 3 Jahre später erklärt wurde, der Belehrungsfehler nicht gravierend war, der Versicherungsnehmer mit dem Rückkaufswert mehr erhalten, als er an Prämien eingezahlt hat, während der Vertragslaufzeit eine Beitragsfreistellung erfolgt ist und der Versicherungsnehmer die Beiträge steuerlich geltend gemacht hat. (Rn. 7 – 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

10 O 4327/17 Ver 2018-09-21 Urt LGMUENCHENII LG München II

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 21.09.2018, Az. 10 O 4327/17 Ver, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

Nach einstimmiger Auffassung des Senats hat das Landgericht die Klage zu Recht und mit (im Wesentlichen) zutreffender Begründung abgewiesen.
1. Richtig ist zunächst, dass die streitgegenständliche Widerspruchsbelehrung nicht in drucktechnisch deutlicher Form erfolgt ist, sondern im Text untergeht. Insoweit wird auf die in vollem Umfang zutreffenden Darlegungen des Landgerichts unter I. 2.2., 1. Absatz der Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Der Senat teilt allerdings nicht die Auffassung des Landgerichts, dass die Belehrung auch inhaltlich zu beanstanden ist. Auf den Beginn der Widerspruchsfrist ist in der Belehrung zutreffend hingewiesen. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer kann diesen ohne Schwierigkeiten ermitteln. Dass mit den genannten Unterlagen die unmittelbar zuvor (im selben Satz) bezeichneten Unterlagen (Versicherungsschein, Versicherungsbedingungen und weitere für den Vertragsinhalt maßgebliche Verbraucherinformation) gemeint sind, erschließt sich ohne Weiteres. Die Belehrung ist insoweit ähnlich wie der Gesetzestext aufgebaut, der ebenso eine Bezugnahme herstellt und auch ohne Weiteres verständlich ist.
2. Zutreffend hat das Landgericht vorliegend auch angenommen, dass eine Ausübung des Widerspruchsrechts rechtsmissbräuchlich ist. Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben im Einzelfall obliegt grundsätzlich dem Tatrichter (BGH, Hinweisbeschluss vom 27.9.2017 – Az. IV ZR 506/15, NJW-RR 2018, 161 BGH, Beschluss vom 11.11.2015 – Az. IV ZR 117/15 vgl. auch BGH, Beschluss vom 23.01.2018 – Az. XI ZR 298/17, Rn. 9, juris, zu Verbraucherkreditverträgen). Ob ein schutzwürdiges Vertrauen des Versicherers auf den Bestand des Versicherungsvertrags angenommen werden kann, bleibt der tatrichterlichen Beurteilung vorbehalten (BGH, Urteil vom 26.09.2018 – Az. IV ZR 304/15, Rn. 23; BGH, Urteil vom 01.06.2016 – Az. IV ZR 482/14, NJOZ 2016, 1370; OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.05.2018 – Az. 12 U 14/18). Der Senat teilt vorliegend die Auffassung des Landgerichts.
2.1. Grundsätzlich kann der Versicherer bei nicht ordnungsgemäßer Belehrung kein schutzwürdiges Vertrauen für sich in Anspruch nehmen, da er die Situation selbst herbeigeführt hat (BGH, Urteil vom 26.09.2018 – Az. IV ZR 304/15; BGH, Urteil vom 01.06.2016 – Az. IV ZR 343/15). Darauf, ob der Versicherungsnehmer im Einzelfall trotz nicht ordnungsgemäßer Belehrung von seinem Widerspruchsrecht gleichwohl zutreffend Kenntnis hatte, kommt es nicht an. Die Frage der Ordnungsgemäßheit der Belehrung ist abstrakt zu beurteilen (BGH, Urteil vom 01.06.2016 – Az. IV ZR 343/15, Rn. 19, juris). Die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens kommt allerdings auch bei nicht ordnungsgemäßer Belehrung in Betracht (BGH, Beschluss vom 27.01.2016 – Az. IV ZR 130/15; BGH, Urteil vom 29.07.2015 – Az. IV ZR 384/14, r+s 2015, 435: offengelassen für nur marginale Fehler in der Widerspruchsbelehrung; OLG Hamm, Urteil vom 13.01.2017 – Az. 20 U 159/16 – die Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom BGH am 6.12.2017 unter Az. IV ZR 51/17 zurückgewiesen; Senat, Beschluss vom 23.10.2018 – Az. 25 U 2138/18; Senat, Urteil vom 31.08.2018 -Az. 25 U 607/18; Senat, Beschluss vom 10.07.2018 – Az. 25 U 685/18; Senat, Beschluss vom 17.04.2018 – Az. 25 U 373/18; Senat, Urteil vom 13.04.2018 – Az. 25 U 2581/16; Senat, Beschluss vom 15.01.2018 – Az. 25 U 3770/17; Senat, Urteil vom 21.04.2015 – Az. 25 U 3877/11; OLG Hamm, Beschluss vom 19.09.2018 -Az. I -20 U 102/18; OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.05.2018 – Az. 12 U 14/18 OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.12.2016 – Az. 12 U 137/16; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24.10.2016 – Az. I-4 U 131/16; KG, Urteil vom 12.04.2016 – Az. 6 U 102/15 – rechtskräftig; OLG Köln, Urteil vom 26.02.2016 – Az. 20 U 178/15; OLG Dresden, Urteil vom 26.08.2015 – Az. 7 U 146/15, VersR 2015,1498; OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 19.10.2015 – Az. 3 U 49/15; OLG Stuttgart, Urteil vom 06.11.2014 – Az. 7 U 147/10 – VersR 2015, 878; LG Wiesbaden, Urteil vom 12.02.2015 – Az. 9 O 116/14, bestätigt durch OLG Frankfurt, Urteil vom 19.11.2015 – Az. 3 U 49/15 BGH, Beschlüsse vom 11.11.2015 und 13.01.2016 – Az. IV ZR 117/15, BeckRS 2016, 02174, NJW 2016, 375 für die Belehrung nach § 8 VVG a.F.; BGH, Beschluss vom 23.01.2018 – Az. XI ZR 298/17, Rn. 16, juris, zu Belehrungen in Verbraucherdarlehensverträgen).
2.2. Vorliegend veranlassen folgende besondere Umstände den Senat in ihrer Gesamtheit – ebenso wie das Landgericht -, davon auszugehen, dass sich die Klagepartei rechtsmissbräuchlich auf ihr Widerspruchsrecht beruft:
2.2.1. Der Vertrag wurde hier über einen sehr langen Zeitraum, nämlich über 15 Jahre, durchgeführt; der Widerspruch erfolgte fast 18 Jahre nach Vertragsschluss.
2.2.2. Der Belehrungsfehler ist nicht gravierend. Die Belehrung (vgl. Anlage B 2) ist inhaltlich richtig (s.o.). Die Beklagte sich ersichtlich darum bemüht, die Klagepartei ausreichend zu belehren; sie hat nicht versucht, die Belehrung in einem größeren Text zu verstecken und damit eine Kenntnis des Widerspruchsrechtes zu verhindern; die Belehrung ist überschrieben mit „WICHTIGE HINWEISE FÜR SIE“ und befindet sich auf der 2. Seite des Versicherungsscheins. Sie ist wiederholt in den Allgemeinen Bedingungen (§ 2) und auch im Antragsformular fett gedruckt unmittelbar vor der Unterschrift enthalten (Anlage B 1).
2.2.3. Der Vertrag wurde von der Klägerin im Juli 2014 gekündigt und einvernehmlich abgewickelt; die Klagepartei hat sich den vereinbarten Wert von 12.448,72 € ohne Einwände auszahlen lassen und dann noch bis 2017 gewartet, bis sie den Widerspruch erklärt hat. Zwar schließt eine Kündigung und eine darauf folgende einvernehmliche Auszahlung des Rückkaufswertes einer Lebensversicherung – wenn der Versicherungsnehmer nicht ausreichend belehrt wurde oder auf andere Weise Kenntnis von seinem Widerrufsrecht hatte – den späteren Widerspruch/Widerruf des Vertrages nicht aus (BGH, Urteil vom 13.09.2017 – Az. IV ZR 445/14, zfs 2017, 629; BGH, Entscheidung vom 16.10.2013 – Az. IV ZR 52/12). Das verbietet aber nicht, die einvernehmliche Vertragsabwicklung bei der Würdigung, ob die Ausübung des Widerspruchsrechts im Einzelfall rechtsmissbräuchlich ist, zu berücksichtigen. Der Zeitablauf zwischen Kündigung und Widerspruch ist in die Bewertung miteinzubeziehen. Für Verbraucherdarlehensverträge hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die maßgebliche Frist für das Zeitmoment mit dem Zustandekommen des Verbraucherdarlehensvertrags anläuft, dagegen der Zeitraum zwischen der (einvernehmlichen – im entschiedenen Fall vorzeitigen) Beendigung des Verbraucherdarlehensvertrags und dem Widerruf nicht (nur) das Zeit-, sondern das Umstandsmoment betrifft; hierbei kann gerade bei beendeten Verbraucherdarlehensverträgen das Vertrauen des Unternehmers auf ein Unterbleiben des Widerrufs schutzwürdig sein, auch wenn die von ihm erteilte Widerrufsbelehrung ursprünglich den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprach und er es in der Folgezeit versäumt hat, den Verbraucher nachzubelehren (BGH, Beschluss vom 23.01.2018 – Az. XI ZR 298/17, BeckRS 2018, 3224). Eine solche Konstellation ist vorliegend aufgrund der langjährigen Vertragsdurchführung, der erfolgten einvernehmlichen Abwicklung und des langen Zeitraums zwischen Abwicklung und Widerspruch gegeben.
2.2.4. Wie dargelegt wurde der Vertrag hier über einen sehr langen Zeitraum, nämlich über 15 Jahre, durchgeführt; der Widerspruch erfolgte fast 18 Jahre nach Vertragsschluss. Je länger der Zeitablauf bis zur Ausübung des Widerspruchsrechts ist, umso höher ist das schutzwürdige Vertrauen des Vertragspartners in den Bestand des Vertrages und umso mehr Gewicht erhält dieses Vertrauen, während umgekehrt der gesetzliche Schutzzweck für die Einräumung des Widerspruchsrechts, dem Vertrag (in zeitlichem Zusammenhang mit seinem Abschluss) widersprechen zu können, mit zunehmendem Zeitablauf immer mehr verblasst und in den Hintergrund tritt. Der Bundesgerichtshof hat zur Frage der (einen Unterfall des Rechtsmissbrauchs darstellenden) Verwirkung entschieden: Zwischen diesen Umständen und dem erforderlichen Zeitablauf besteht eine Wechselwirkung insofern, als der Zeitablauf umso kürzer sein kann, je gravierender die sonstigen Umstände sind, und dass umgekehrt an diese Umstände desto geringere Anforderungen gestellt werden, je länger der abgelaufene Zeitraum ist (BGH, Urteil vom 19. 10. 2005 – Az. XII ZR 224/03, NJW 2006, 219).
Sofern – wie im Fall einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung – noch besondere Umstände vorhanden sein müssen, damit sich die Ausübung des Widerspruchsrechts als rechtsmissbräuchlich darstellt, kommt diesen Umständen mit zunehmendem Zeitablauf immer weniger Bedeutung zu. Bei (vorliegend) besonders langer Vertragsdurchführung kommt die Annahme eines Rechtsmissbrauchs deshalb schon dann in Betracht, wenn an sich eher gering zu gewichtende Umstände für eine solche Annahme vorhanden sind.
Hier gibt es – neben den bereits oben dargestellten – noch weitere Umstände, die die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens rechtfertigen:
Die Klagepartei hat mehr (12.448,72 €) als die einbezahlten Beiträge (11.458,01 €) zurückerhalten. Die Schlussfolgerung des Landgerichts, dass die Klägerin mit ihrem Vorgehen offensichtlich auf eine bloße Renditeerhöhung nach langjähriger Vertragsdurchführung abzielt, liegt nahe und ist lebensnah, zumal die Klägerin auch keine andere plausible Erklärung vorgetragen hat; eine solche Zielsetzung unter Berufung auf die auf eine Stärkung der Information des Versicherungsnehmers vor Vertragsschluss ausgerichteten gesetzlichen, insbesondere auch europarechtlichen Vorgaben erreichen zu können, entspricht nicht der Zwecksetzung dieser Vorgaben. Im Rahmen der Prüfung, ob die Berufung auf das Widerspruchsrecht rechtsmissbräuchlich ist, ist u.a. auch zu berücksichtigen, welche Zielsetzung durch den Widerspruch verfolgt wird. Hat der Versicherungsnehmer ohnehin mit dem Rückkaufswert im Ergebnis schon mehr erhalten, als er investiert hat, und zielt sein Vorgehen lediglich auf eine Erhöhung der Rendite ab, so ist dieser Gesichtspunkt in die Gesamtbewertung miteinzubeziehen. Eine trotz der hier gegebenen Umstände und trotz eines Ablaufs wie hier noch eingeräumte Lösungsmöglichkeit würde dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit eröffnen, seine – als Kapitalanlage stets in gewissem Umfang spekulative – Entscheidung für eine bestimmte Lebens- oder Rentenversicherung nachträglich mit dem Wissensvorsprung um die zwischenzeitlichen Entwicklung des Zinsniveaus zu revidieren – wobei er daneben über viele Jahre den vorgesehenen Versicherungsschutz genossen hätte. Eine derartige Zweckbestimmung enthalten die gesetzlichen Regelungen/Richtlinien ganz offensichtlich nicht; eine solche Zielsetzung ist auch nicht schützenswert. So hat der Versicherungsnehmer auch bei (hier nicht vereinbarten) fondsgebundenen Lebensversicherungen nach der ursprünglichen Vereinbarung mit Gewinnchancen, aber auch mit Verlustrisiken zu rechnen; für diese Art der Anlage hat er sich entschieden und muss sich deshalb auch eventuelle Fondsverluste bei der Rückabwicklung nach Widerspruch anrechnen lassen (BGH, Urteil vom 21.03.2018 – Az. IV ZR 353/16). Vorliegend hat die Klagepartei sich für eine sichere Anlage entschieden und für eine sichere, aber geringere Rendite, die sie mit Auszahlung des Rückkaufswertes auch erhalten hat. Mit der jetzigen Ausübung des Widerspruchsrechts versucht die Klagepartei, ihre Entscheidung rückgängig zu machen und mit dem nachträglichen Wissensvorsprung der tatsächlichen Zinsentwicklung ihre Rendite zu erhöhen; die Ausübung des Widerspruchsrechts trägt also hier nicht dem ursprünglichen Zweck der Einräumung des Rechts Rechnung, sondern zielt auf der Basis nachfolgender Erkenntnisse auf eine Erhöhung der Rendite zu Lasten der anderen Versicherungsnehmer ab.
Durch die im Jahr Februar 2014 erfolgte beitragspflichtige Fortführung des Vertrages nach der im Jahr 2012 vereinbarten Beitragsfreistellung durch die Klagepartei brachte sie der Beklagten gegenüber zum Ausdruck, dass der Vertrag durchgeführt werden soll. Zu einem Rücktrittsrecht nach § 8 VVG hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass, wenn der Versicherungsnehmer durch Wiederinkraftsetzen des Vertrages den Eindruck erweckt hat, dass er an diesem unbedingt festhalten will, die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens in Betracht kommt (BGH, Beschlüsse vom 11.11.2015 und 13.01.2016 – Az. IV ZR 117/15, BeckRS 2016, 02174, NJW 2016,375).
Auch die steuerliche Geltendmachung der Beitrage setzt einen wirksamen Vertrag voraus und bringt zum Ausdruck, dass die Klagepartei am Vertrag festhalten will. Andernfalls hätte sie über Jahre hinweg ungerechtfertigte Steuervorteile in Anspruch genommen.
Im Übrigen ist auch die von der Klagepartei erwirkte Beitragsfreistellung (2012) und die Vereinbarungen zur Beitragshöhe (2006, 2010) in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen. Auch diese Umstände sind geeignet, bei der Beklagten den Eindruck zu erwecken, dass die Klagepartei den Vertrag fortführen wollte.
3. Soweit die Berufung darauf hinweist, dass die Klägerin keine Kenntnis von ihrem Widerspruchsrecht gehabt habe, ändert das an der Beurteilung nichts. Dass der Versicherungsnehmer Kenntnis vom Widerspruchsrecht hatte und im Bewusstsein seines Rechts vertragsbestätigende Handlungen durchführt, ist nicht zwingende Voraussetzung für die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Berufung auf das Widerspruchsrecht. Vielmehr sind stets die gesamten Umstände des Einzelfalls maßgebend. Erweckt der Versicherungsnehmer in Kenntnis seines Widerspruchsrechts dem Versicherer gegenüber den Eindruck am Vertrag festhalten zu wollen, so ergibt sich daraus ein starkes Indiz für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs; das war Gegenstand der Prüfung im Verfahren BGH, Urteil vom 17. Mai 2017 – Az. IV ZR 499/14. Der Bundesgerichtshof hat es im dortigen Fall für die Annahme einer Treuwidrigkeit nicht ausreichen lassen, dass der Versicherungsnehmer sich in Unkenntnis seines Widerspruchsrechts nach seinem Versicherungsschutz erkundigt hat und dass er den Vertrag nach 9 Jahren gekündigt und sich den Rückkaufswert hat auszahlen lassen und er den Widerspruch nach weiteren 2 1/2 Jahren erklärt hat. Allerdings ist nicht immer dann, wenn der Versicherungsnehmer – wie in der Regel bei fehlender /nicht ordnungsgemäßer oder nicht zur Kenntnis genommener Belehrung – von seinem Recht keine Kenntnis hat, die Annahme einer Treuwidrigkeit ausgeschlossen. So hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich entschieden, dass auch bei fehlender Rücktrittsbelehrung die Annahme von Rechtsmissbrauch in Betracht kommen kann und insoweit ausgeführt: „Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass ein Bereicherungsanspruch nach § 242 BGB wegen widersprüchlichen Verhaltens d. VN ausgeschlossen ist, selbst wenn eine etwa erforderliche Belehrung über das Rücktrittsrecht nach § 8 Abs. 5 VVG a.F. unterblieb. Allgemein gültige Maßstäbe dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen eine fehlende Belehrung über das Rücktrittsrecht nach § 8 Abs. 5 VVG a.F. einer Anwendung von § 242 BGB entgegensteht, können nicht aufgestellt werden. Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben im Einzelfall obliegt grundsätzlich dem Tatrichter und ist hier aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.“
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).

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