Aktenzeichen II ZR 67/12
§ 221 Abs 3 AktG
§ 304 AktG
§ 23 UmwG
Leitsatz
Schließt eine Gesellschaft, die Genussscheine begeben hat, als abhängige Gesellschaft einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag ab, sind die Genussscheinbedingungen an die neu geschaffene Lage dergestalt anzupassen, dass jedenfalls in den Fällen, in denen bei Abschluss des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages davon auszugehen ist, dass die abhängige Gesellschaft in der Zukunft bis zum Ende des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages ohne den Vertrag genügend Gewinn ausgewiesen hätte, um die Genussrechte bedienen zu können, sie dies auch nach Abschluss des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages tun muss, ohne dass es auf die dann ausgewiesenen (fiktiven) Gewinne oder Verluste ankommt; sie darf dann auch den Rückzahlungsanspruch nicht kürzen.
Verfahrensgang
vorgehend OLG Frankfurt, 7. Februar 2012, Az: 5 U 92/11, Urteilvorgehend LG Frankfurt, 15. Februar 2011, Az: 3-5 O 100/10, Urteil
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 7. Februar 2012 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Die R. AG (im Folgenden: R. ) begab am 29. Dezember 2000 Genussscheine zu einem Gesamtnennbetrag in Höhe von 200 Mio. € in einer Stückelung zu je 1.000 €. Die Genussscheine hatten eine Laufzeit bis zum 31. Dezember 2012. Sie sind am 1. Juli 2013 zur Rückzahlung fällig. Im Jahr 2002 verschmolz die R. mit der Eu. AG zur Beklagten.
2
Auch die E. AG (im Folgenden: E. ) begab am 30. September 1999 und am 20. November 2003 Genussscheine zu insgesamt 60 Mio. DM und 38,5 Mio. € mit Stückelungen zu je 1.000 DM bzw. 1.000 €. Der eine Genussschein hatte eine Laufzeit bis zum 31. Dezember 2009 und war am 30. November 2010 zur Rückzahlung fällig. Das zweite Genussrecht läuft noch bis zum 31. Dezember 2013 und ist am 1. Juli 2014 zur Rückzahlung fällig. Die E. wurde am 18. August 2008 mit Wirkung vom 1. Januar 2008 auf die Beklagte verschmolzen.
3
Die Beklagte gewährte den Inhabern der Genussscheine im Zuge der Verschmelzungen nach § 23 UmwG “gleichwertige” Genussrechte. Die Klägerin hält Genussrechte aller drei Ausgaben.
4
Die Beklagte schloss mit der C. I. GmbH (im Folgenden: I. ) einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, der am 4. September 2007 im Handelsregister eingetragen wurde. In dem Beschluss ist ein Ausgleich zugunsten der außenstehenden Aktionäre der Beklagten in Höhe von 1,01 € für das Geschäftsjahr 2007 und 1,10 € für die Geschäftsjahre ab 2008 sowie eine Abfindung in Höhe von 24,32 € je Aktie vorgesehen. Über die angemessene Höhe des Ausgleichs und der Abfindung streiten die Beteiligten in einem Spruchverfahren. Zwischen der I. und ihrer 100 %-igen Muttergesellschaft C. AG besteht ein Gewinnabführungsvertrag, der am 26. Mai 2004 im Handelsregister eingetragen worden war.
5
In den Genussscheinbedingungen der R. heißt es:
§ 2
(1) Die Genussscheininhaber erhalten eine dem Gewinnanteil der Aktionäre der R. vorgehende jährliche Ausschüttung aus dem Bilanzgewinn.
(2) Die Berechnung der Ausschüttung erfolgt für jede Zinsperiode auf Basis eines Referenzzinssatzes (EURIBOR Zwölf-Monats-Einlagen) zuzüglich 150 Basispunkte bezogen auf den Nennbetrag der Genussscheine …
(3) 1Reicht der Bilanzgewinn zur Ausschüttung nicht aus, so vermindert sich diese. … 4Die Ausschüttung ist dadurch begrenzt, dass durch sie kein Bilanzverlust entstehen darf. 5Im Falle einer Verminderung der Ausschüttung ist der fehlende Betrag in den folgenden Geschäftsjahren vorbehaltlich Absatz (3) Satz 1 nachzuzahlen. … 8Bei der Nachzahlung sind zunächst die Rückstände, sodann die letztfälligen Ausschüttungsansprüche zu bedienen. 9Ein Nachzahlungsanspruch besteht nur während der Laufzeit der Genussscheine. …
§ 5
Der Bestand der Genussscheine wird vorbehaltlich § 7 weder durch Verschmelzung oder Umwandlung der R. noch durch eine Veränderung ihres Grundkapitals berührt.
§ 7
(1) Die Genussscheininhaber nehmen am laufenden Verlust (Jahresfehlbetrag) in voller Höhe teil. Wird ein Bilanzverlust ausgewiesen oder das Grundkapital der R. zur Deckung von Verlusten herabgesetzt, vermindert sich der Rückzahlungsanspruch jedes Genussscheininhabers. Bei einem Bilanzverlust vermindert sich der Rückzahlungsanspruch um den Anteil am Bilanzverlust, der sich aus dem Verhältnis des Rückzahlungsanspruches zum Eigenkapital (einschließlich Genussscheinkapital, jedoch ohne andere nachrangige Verbindlichkeiten) errechnet. …
(2) Werden nach einer Teilnahme der Genussscheininhaber am Verlust in den folgenden Geschäftsjahren Jahresüberschüsse erzielt, so sind aus diesen … die Rückzahlungsansprüche bis zum Nennbetrag der Genussscheine zu erhöhen, bevor eine anderweitige Verwendung der Jahresüberschüsse vorgenommen wird. …
§ 8
Die Forderungen aus den Genussscheinen gehen den Forderungen aller anderen Gläubiger der R. , die nicht ebenfalls nachrangig sind, im Range nach. …
§ 9
(1) Nachträglich können die Teilnahme am Verlust … zum Nachteil der R. nicht geändert, der Nachrang der Genussscheine … nicht beschränkt sowie die Laufzeit und die Kündigungsfrist nicht verkürzt werden. …
§ 13
Sollte eine der Bestimmungen der Genussscheinbedingungen ganz oder teilweise unwirksam sein oder werden, so bleibt die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen unberührt. Für eine etwa hierdurch entstehende Lücke soll eine dem Sinn und Zweck dieser Bedingungen entsprechende Regelung gelten.
6
Die Genussscheinbedingungen der E. hinsichtlich der am 30. September 1999 begebenen Genussrechte enthalten unter anderem folgende Bestimmungen:
§ 2 – Ausschüttung auf die Genussscheine
Die Ausschüttung auf die Genussscheine ist dadurch begrenzt, dass durch sie kein Bilanzverlust entstehen darf. …
§ 6 – Verlustteilnahme
Wird ein Bilanzverlust ausgewiesen oder das Grundkapital der Bank zur Deckung von Verlusten herabgesetzt, so vermindert sich der Rückzahlungsanspruch jedes Genussscheininhabers. …
§ 7 – Wiederauffüllung der Rückzahlungsansprüche
Während der Laufzeit der Genussscheine ist nach einer Teilnahme der Genussscheininhaber am Bilanzverlust gemäß § 6 in den Folgejahren vorrangig vor der Ausschüttung gemäß § 2 sowie der Dotierung von Rücklagen und vor der Ausschüttung auf das Aktienkapital zunächst das um die Abschreibung verringerte Genussrechtskapital wieder auf den Nennbetrag aufzufüllen.
§ 8 – Nachrangigkeit
Die Genussscheine gehen allen anderen nicht nachrangigen Gläubigern der Bank nach. Im Falle des Konkurses oder der Liquidation der Bank werden die Genussscheine nach allen anderen nicht nachrangigen Gläubigern und vorrangig vor den Aktionären bedient.
§ 9 – Hinweis gemäß § 10 Absatz 5 Satz 4 KWG
Nachträglich können die Teilnahme am Verlust nicht geändert werden, der Nachrang nicht beschränkt sowie die Laufzeit und die Kündigungsfrist nicht verkürzt werden. Eine vorzeitige Rückzahlung ist der E. Aktiengesellschaft ohne Rücksicht auf entgegenstehende Vereinbarungen zurückzugewähren.
7
Die Genussscheinbedingungen für die am 20. November 2003 begebenen Genussscheine enthalten im Wesentlichen gleiche Bestimmungen.
8
Im Geschäftsjahr 2008 erzielte die Beklagte einen fiktiven, ohne Berücksichtigung des Verlustausgleichsanspruchs aus dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag errechneten Jahresfehlbetrag. Dennoch leistete sie Zahlungen auf die Genussscheine. Im Geschäftsjahr 2009 betrug der fiktive Jahresfehlbetrag 169,7 Mio. €. Die Beklagte weigert sich, an die Klägerin weiter Ausschüttungen auf die Genussrechte zu leisten. Ferner setzte sie die jeweiligen Rückzahlungsansprüche der Genussrechte herab.
9
Beide Parteien sind der Auffassung, dass die Genussscheinbedingungen nach Abschluss des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages der Beklagten mit der I. angepasst werden müssten. Die Klägerin meint, diese Anpassung habe dergestalt zu erfolgen, dass die Genussscheinbedingungen nicht hinter der Ausgleichsregelung des § 304 AktG für die außenstehenden Aktionäre zurückblieben. Danach seien die Genussscheine unabhängig von der Ertragslage der Beklagten zu bedienen und die Rückzahlungsansprüche nicht herabzusetzen, wenn die Prognose hinsichtlich der Ertragsentwicklung der Beklagten bei Abschluss des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages positiv gewesen sei. Das sei hier – unstreitig – der Fall. Bei den auf die Genussscheine der E. zurückgehenden Genussscheinen ergebe sich eine Regelung für den Fall des Abschlusses eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages auch schon aus den Genussscheinbedingungen selbst. Die Beklagte meint dagegen, die Genussscheinbedingungen seien so anzupassen, dass sich die Zahlungen an die Genussscheininhaber nach dem fiktiven Bilanzgewinn oder -verlust vor der Gewinnabführung oder dem Verlustausgleich richteten.
10
Mit ihrer Klage hat die Klägerin beantragt, die Beklagte für das Geschäftsjahr 2009 zur Zahlung von Ausschüttungen auf die Genussrechte in Höhe von 1.008,70 €, 12.797,00 € und 7.855,95 € zu verurteilen sowie festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, künftig die Genussscheine unabhängig von der Ertragslage der Beklagten zu bedienen und sie bei Fälligkeit zum vollen Nennbetrag zurückzuzahlen.
11
Das Landgericht (LG Frankfurt am Main, 3-5 O 100/10, juris) hat der Klage überwiegend, das Berufungsgericht (OLG Frankfurt am Main, ZIP 2012, 524) hat ihr in vollem Umfang stattgegeben. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten.