Aktenzeichen 23 O 5464/17
BGB § 242, § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1
Leitsatz
Dem nicht ordnungsgemäß belehrten Versicherungsnehmer einer im sog. Policenmodell gem. § 5a VVG aF abgeschlossenen Lebensversicherung kann die Ausübung seines Widerspruchsrechts nach Treu und Glauben wegen widersprüchlichen Verhaltens verwehrt sein, wenn er mit der Vereinbarung eines Verwertungsausschlusses gem. § 165 Abs. 3 VVG aF (= § 168 Abs. 3 VVG nF) zum Ausdruck gebracht hat, dass er an dem Vertrag festhalten und diesen gerade nicht auflösen möchte. (Rn. 17 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 12.716,22 € festgesetzt.
Gründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
I.
Der Kläger kann den Anspruch auf Rückabwicklung des Versicherungsvertrages gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB wegen Verwirkung nicht mehr geltend machen.
1. Der Vertrag ist nicht wirksam zustande gekommen, da eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung nicht erfolgt ist. Insoweit bestand das Widerrufsrecht auch nach Ablauf der 14-tägigen Widerspruchsfrist fort. Die in dem Policenbegleitschreiben enthaltene Widerspruchsbelehrung war nicht geeignet, den Kläger über das Bestehen des Widerspruchsrechts wirksam zu belehren. Zwar ist die Belehrung durch Unterstreichung und Fettdruck drucktechnisch ausreichend hervorgehoben, allerdings gibt die Belehrung den Fristbeginn unzutreffend wieder, indem sie diesen lediglich an den Erhalt des Versicherungsscheins und nicht an den Erhalt auch der übrigen erforderlichen Unterlagen (AVB und Verbraucherinformationen) knüpft (vgl. BGH IV ZR 225/14). Dies allein führt bereits zur Unwirksamkeit der Belehrung. Dabei ist unerheblich, ob dem Kläger die Unterlagen tatsächlich vollständig zugegangen sind.
2. Der Ausübung des Widerspruchs steht der vereinbarte Verwertungsausschluss nicht entgegen, da es sich bei dem Widerspruch nicht um eine Verwertung im Sinne der Vereinbarung handelt. Ausweislich des Wortlaufs der Vereinbarung ist Verwertung jede Nutzung des wirtschaftlichen Wertes der Versicherung. Beispielhaft werden sodann Abtretung, Kündigung, Beleihung und Verpfändung aufgeführt. Durch den Widerspruch wird jedoch nicht der wirtschaftliche Wert des Versicherungsvertrages genutzt, sondern dem Zustandekommen des Vertrages widersprochen und die Rückabwicklung verlangt. Die Verwertung setzt grundsätzlich einen wirksamen Vertrag voraus. Wegen der fehlerhaften Belehrung ist der Vertrag jedoch nicht wirksam zustande gekommen und lediglich schwebend unwirksam.
3. Dem Kläger ist jedoch die Geltendmachung des Anspruchs aufgrund eingetretener Verwirkung gemäß § 242 BGB verwehrt. Es liegen besonders gravierende Umstände vor, die eine Geltendmachung des Anspruchs als treuwidrig erscheinen lassen.
Eine Rechtsausübung kann dabei gemäß § 242 BGB unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick darauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (BGH, Urteil vom 16.07.2014 – IV ZR 73/13).
Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Kläger den Vertrag zunächst jahrelang beanstandungslos durchgeführt hat und die vereinbarten Prämien nebst Dynamikerhöhungen bezahlt hat und im Jahr 2005 einen Verwertungsausschluss vereinbart hat. Dabei ist insbesondere zu sehen, dass der Abschluss des Vertrages durch einen gewerbsmäßigen Makler vermittelt wurde, welcher den Kläger diesbezüglich beraten hat. Mit der Vereinbarung des Verwertungsausschlusses hat der Kläger zum Ausdruck gebracht, dass er an dem Vertrag festhalten und diesen gerade nicht auflösen möchte. Dabei ist gerichtsbekannt, dass ein Verwertungsausschluss zur Sicherung der späteren Ansprüche im Falle des Bezugs von Sozialleistungen dient. Durch die Vereinbarung eines Verwertungsausschlusses kann in einem solchen Fall die Auflösung der Versicherung und der vorrangige Einsatz dieses Vermögens dann nicht verlangt werden. Ein anderer Grund für den Versicherungsnehmer, einen solchen Ausschluss zu vereinbaren ist nicht ersichtlich, insbesondere deshalb, weil die Vereinbarung bis zum Ende der Versicherung geschlossen wird und der Versicherungsnehmer trotz des Verzichts auf die vorzeitige Verwertung, insbesondere die Kündigung, keinen anderen Vorteil erhält. Auf das Bestreiten des Klägers, dass er Sozialleistungen bezogen habe, kommt es daher nicht an. Durch dieses Verhalten des Klägers, wurde bei der Beklagten ein dem Kläger erkennbares, schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand des Versicherungsvertrages hervorgerufen.
Dabei ist die Beklagte auch schutzwürdig. Bei der Würdigung von Treu und Glauben ist nach Ansicht des Gerichts auch zu berücksichtigen, dass es im vorliegenden Fall des Abschlusses eines Lebensversicherungsvertrages gerade nicht wie bei anderen Anlageformen nur auf die Anlage eines bestimmten Geldbetrages ankommt, sondern der Versicherungsnehmer auch eine Absicherung seiner Familie oder sonstiger Dritter für den Todesfall erstrebt. Insoweit handelt es sich nicht um einen typischen Warenlieferungsvertrag, bei dem die einzelnen Leistungen in der Regel einfach zurückzugewähren sind. Die Leistung durch den Versicherer für den Versicherungsnehmer besteht – sofern es zu keinem Leistungsfall kommt – nämlich darin, während der Laufzeit des Vertrages zunächst in dem Versprechen des Versicherers Deckungsschutz zu gewähren. Dem Versicherungsvertrag liegt insoweit eine Risikoübernahme zugrunde, die auf der Grundlage des „Gesetzes der großen Zahl“ nach versicherungsmathematischen Grundsätzen kalkuliert wird. Auch der Lebensversicherer ist deshalb gesetzlich verpflichtet, ausreichend Deckungsrückstellungen zu bilden (§ 11 Abs. 4 VAG). Der Versicherer muss deshalb darauf vertrauen können, dass auch bei einer vorzeitigen Beendigung des Vertrages die Grundsätze der Risikogemeinschaft beachtet werden und ihm die Prämie in vollem Umfang entzogen wird. Der Versicherer ist also gerade in Fällen der Lebensversicherung auch schutzwürdig.
4. Mangels Anspruchs in der Hauptsache besteht auch kein Anspruch auf die geltend gemachten Nebenforderungen, insbesondere den Zinsanspruch und die außergerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.