Aktenzeichen 15 C 5458/17
VAG § 10a
BGB § 242, § 812 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
Ansprüche auf Rückzahlung der Prämien und Herausgabe der Nutzungen nach einem Widerspruch gegen den Abschluss einer Lebensversicherung sind verwirkt, wenn der fachlich beratene Versicherungsnehmer den Widerspruch erst 15 Jahre nach Vertragsabschluss und 7 Jahre nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erklärt. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Forderung abwenden, wenn nicht die Beklagte vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 4.316,21 € festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht kein Rückzahlungs- und Nutzungsersatzanspruch nach § 812 ff BGB zu.
Ob die in dem Versicherungsschein enthaltene Widerspruchsbelehrung entsprechend der zum 09.08.2000 gültigen Fassung des VVG wirksam war, kann dahinstehen. Denn der Anspruch ist jedenfalls verwirkt.
Der Lebensversicherungsvertrag wurde mit Versicherungsbeginn 01.09.2000 geschlossen. Mit Schreiben vom 27.10.2008 hat der Kläger diesen gekündigt und der Rückkaufswert wurde an den Kläger zum 01.11.2008 ausbezahlt. Mit E-Mail vom 17.11.2014 der H. Unternehmensgruppe GmbH – Finanzen und Versicherungen – bat der Kläger um Neuberechnung des Rückkaufswertes und forderte Nachzahlung gemäß § 176 VVG a.F. mindestens der Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitales zuzüglich Überschussbeteiligung und fälschlich vorgenommenen Stornoabzuges. Erst danach, nämlich 15 Jahre nach Vertragsschluss und 7 Jahre nach vollständiger Beendigung des streitgegenständlichen Lebensversicherungsvertrages erfolgte am 01.10.2015 die Erklärung des Widerspruches durch den Kläger.
Geht man zu Gunsten des Klägers von einer unwirksamen Widerspruchsbelehrung aus, sind zwar für das für eine Verwirkung erforderliche Umstandsmoment höhere Anforderungen zu stellen, denn der Versicherer hat die Situation durch eine nicht ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung selbst herbeigeführt und kann daher nicht ohne Weiteres ein schutzwürdiges Vertrauen in Anspruch nehmen (vgl. BGH, Urteil vom 07.05.2014, VI ZR 76/11). Eine Verwirkung tritt aber dann ein, wenn besonders gravierende Umstände vorliegen, die dem Versicherungsnehmer die Geltendmachung seines Anspruches verwehren (vgl. BGH, Beschuss vom 27.01.2016, VI ZR 130/15). Grundsätzlich ist ein Recht verwirkt, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Letzteres ist der Fall, wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde (BGH, Urteil vom 07.05.2014, VI ZR 76/11). Zwischen dem Umstandsmoment und dem erforderlichen Zeitablauf besteht eine Wechselwirkung. Der erforderliche Zeitablauf kann um so kürzer sein, je gravierender die Umstände sind und umgekehrt sind an diese Umstände desto geringere Anforderungen zu stellen, je länger der abgelaufene Zeitraum ist (LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 22.11.2017, 11 S 5962/17). Vorliegend wurde der Vertrag nur 8 Jahre durchgeführt. Zwischen Kündigung und Widerspruch liegen 15 Jahre. Insbesondere die Wertungen des Gesetzgebers, die mit der zehnjährigen kenntnisunabhängigen Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 3 Nr. 1 und Abs. 4 BGB und mit der zehnjährigen Anfechtungsfrist bei arglistiger Täuschung (§ 124 Abs. 3 BGB) zum Ausdruck kommen, zeigen das große Gewicht des Zeitmomentes im konkreten Fall. Zwischen Beendigung des Vertrages und Widerspruchserklärung forderte der Kläger zudem noch im Jahr 2014 und damit 6 Jahre nach Vertragsbeendigung eine Neuberechnung und erklärte trotz fachlicher Beratung durch eine mit Finanzen und Versicherung befasste Unternehmensgruppe, die H. GmbH, nicht den Widerspruch des Versicherungsvertrages, sondern eine Nachberechnung und es wurden Nachforderungen geltend gemacht. Gerade im Hinblick darauf konnte die Beklagte darauf vertrauen, dass ein Widerruf oder Widerspruch nicht mehr erklärt werden würde. Der Kläger hat den Vertrag zudem 8 Jahre lang unbeanstandet erfüllt und durchgeführt und es bestand im rahmen der Risikolebensversicherung auch Versicherungsschutz.
Gerade im konkreten Fall ist die Verwirkung auch nicht mangels Schutzwürdigkeit der Beklagten ausgeschlossen. In der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gültigen Fassung des § 5 a VVGa.F. war nicht ausdrücklich geregelt, dass über die Form des Widerspruches zu belehren war. Die Beklagte hat also nicht offensichtlich und ohne Weiteres erkennbar unzureichend belehrt. Dass der Versicherer mit einer Nachbelehrung klare Verhältnisse schaffen hätte können vermindert zwar dessen Schutzwürdigkeit, hebt sie jedoch nicht auf, zumal der Vertrag vorliegend bereits 2008 gekündigt worden war (vgl. LG Nürnberg-Fürth a.a.O.). Auch überzeugt es nicht, den Kläger so zu behandeln, wie wenn er sein Widerspruchsrecht nicht gekannt hätte. Der Kläger hat vorliegend eine drucktechnisch hervorgehobene Widerspruchsbelehrung an hervorgehobener Stelle erhalten. Wäre er in keiner Weise belehrt worden, würde der Verstoß der Beklagten schwerer wiegen, was wiederum die Hürde für Annahme der Verwirkung anheben würde (vgl. LG Nürnberg-Fürth a.a.O.).
Zur Überzeugung des Gerichtes ist daher die Widerspruchserklärung des Beklagten 10 Jahre nach Vertragsschluss und 7 Jahre nach vollständiger Beendigung des streitgegenständlichen Vertrages in der Gesamtschau der Umstände verwirkt.
Die Klage war daher als unbegründet abzuweisen.
Kosten: § 91 ZPO
Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.