Aktenzeichen 2 ZB 17.388
Leitsatz
1. Allein die optische Wahrnehmung und Nähe einer umliegenden Bebauung lässt keine rechtliche Schlussfolgerung darüber zu, wie diese Bebauung im Rahmen der Festlegung der näheren Umgebung im Sinn von § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilen ist. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung ist dort zu ziehen, wo zwei jeweils einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedenen Bau- und Nutzungsstrukturen aneinanderstoßen. Insoweit ist der Grenzverlauf der näheren Umgebung nicht davon abhängig, dass die unterschiedlichen Bebauungen durch eine künstliche oder natürliche Trennlinie entkoppelt sind. Insbesondere führt das Fehlen eines solchen Umstands nicht dazu, dass benachbarte Bebauungen stets als miteinander verzahnt anzusehen sind und insgesamt die nähere Umgebung ausmachen. (Rn. 7 – 8) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 8 K 15.3895 2016-12-12 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 50.000,– Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung nach §§ 124, 124a Abs. 4 VwGO bleibt ohne Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.
1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts begegnet im Rahmen der dargelegten Zulassungsgründe keinen ernstlichen Zweifel an seiner Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof teilt im Ergebnis die Auffassung des Erstgerichts, dass die Klägerin keinen Anspruch auf positive Verbescheidung ihres Vorbescheidsantrags vom 26. Juni 2015 hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), weil sich das nach § 30 Abs. 3, § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zu beurteilende Bauvorhaben in allen drei Varianten hinsichtlich des abgefragten Maßes der baulichen Nutzung und der Gebäudehöhe nicht in die nähere Umgebung einfügt.
Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB richtet sich die planungsrechtliche Zulässigkeit baulicher Vorhaben im unbeplanten Innenbereich nach dem sich aus der vorhandenen Bebauung ergebenden Maßstab. Als „nähere Umgebung“ ist der umliegende Bereich anzusehen, soweit sich die Ausführung des Vorhabens auf ihn auswirken kann und soweit er seinerseits den bodenrechtlichen Charakter des zur Bebauung vorgesehenen Grundstücks prägt oder beeinflusst (vgl. BVerwG, U.v. 26.5.1978 – IV C 9.77 – BVerwGE 55, 369; B.v. 20.8.1998 – 4 B 79.98 – NVwZ-RR 1999, 105). Die Grenzen sind nicht schematisch, sondern nach der jeweiligen städtebaulichen Situation zu bestimmen (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2003 – 4 B 74.03 – juris).
Die Klägerin rügt die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass die nördlich bzw. nordöstlich von dem Vorhabensgrundstück gelegene Bebauung F… Allee Nr. 132/132a, 134/134a, 136/136a und 138/138a nicht der prägenden Umgebung zuzuordnen sei, weil es sich diesbezüglich um ein nicht zu berücksichtigendes Unikat im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. U.v. 15.2.1990 – 4 C 23.86 – BVerwGE 84, 322) handle. Sie ist der Auffassung, dass diese Gebäude richtigerweise mit herangezogen werden müssten, so dass sich das Vorhaben hinsichtlich des abgefragten Maßes der baulichen Nutzung sowie der Gebäudehöhe einfüge.
a) In diesem Zusammenhang beruft sich die Klägerin auf eine prägende Wirkung dieser Bebauung aufgrund seiner unmittelbaren Nähe und seiner optischen Präsenz auf dem Vorhabensgrundstück von zwei Seiten. Hierzu ist festzustellen, dass das Verwaltungsgericht diese Umstände ausweislich seiner Entscheidungsgründe (UA S. 9) nicht in Frage gestellt hat. Es hat vielmehr eine prägende Wirkung aufgrund seiner Annahme eines „Unikats“ verneint. Ungeachtet dessen, ist hierzu festzustellen, dass allein die optische Wahrnehmung und Nähe einer umliegenden Bebauung keine rechtliche Schlussfolgerung zulässt, wie diese Bebauung im Rahmen der Festlegung der näheren Umgebung im Sinn von § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilen ist.
b) Soweit die Klägerin beanstandet, dass die vom Erstgericht herangezogenen Kriterien der Lage und Situierung der Bebauung F… 132 bis 138a nicht zur Abgrenzung geeignet seien, führt ihr Vortrag nicht zum Erfolg. Denn die Gebäude F… 132 bis 138a sind einer anderen Bebauungsstruktur zugehörig als das Vorhabensgrundstück mit der Folge, dass diese nicht zur „näheren Umgebung“ im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zu zählen sind.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung dort zu ziehen, wo zwei jeweils einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedenen Bau- und Nutzungsstrukturen aneinanderstoßen (vgl. BVerwG, B.v. 28.3.2003 – 4 B 74.03 – juris). So liegt der Fall hier. Wie vom Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt und aus den Lageplänen ersichtlich, stellt sich die Bebauung F… 132 bis 138a als ein drei- bis fünfgeschossiger Gebäudekomplex in überwiegend geschlossener Bauweise und mit zum Teil zueinander versetzten Gebäudeteilen mit einer Gebäudelänge von 90 m (ohne F… 134/134a) dar. Diese Bebauung setzt sich hinsichtlich der Maße und Bauweise in vergleichbarer Form östlich hiervon fort (F… 122a bis 124b und 126 bis 128). Ebenso sind die Gebäude F… 122 und 140 bis 140e dieser Bebauungsstruktur zuzurechnen, weil sie über eine größere Kubatur verfügen, wenn auch schon in geringerem Umfang als die Gebäudekomplexe F… 122a bis 138a und dadurch als Übergangsbebauung zur nach Osten und Süden anschließenden, kleinteiligeren Bebauung wahrnehmbar sind. Diese Gebäudekomplexe bilden eine in sich geschlossene einheitliche Baustruktur auf einem gemeinsamen Grundstück mit einer Fläche von ca. 1,5 ha (FlNr. 608). Hingegen ist der Bereich südlich, südöstlich und westlich von dieser Bebauungsstruktur durch eine kleinteiligere, mit bis zu dreigeschossiger, vorwiegend aber ein – und zweigeschossiger Bebauung gekennzeichnet, die im Wesentlichen aus Ein- und Doppelhäusern auf deutlich geringeren Grundstücksgrößen besteht. Zu diesem Bereich ist auch das Vorhabensgrundstück zu rechnen. Es finden sich in diesem Bereich keine größeren Gebäude, die ansatzweise an die Gebäudemaße sowie die Bauweise der nördlichen bzw. nordöstlichen Bebauung heranreichen. Dies gilt auch für die insoweit im Verhältnis etwas größeren Gebäude F…-Str. 8/10 und 16a/16b, die ebenfalls deutlich hinter den Ausmaßen der nördlichen bzw. nordöstlichen Bebauungsstruktur zurückbleiben.
c) Daher spielt auch der Einwand der Klägerin keine Rolle, dass das Erstgericht unzutreffend eine prägende Wirkung des nördlichen bzw. nordöstlichen Gebäudekomplexes abgelehnt habe, obwohl es an einer trennenden Straße oder sonstigen, trennenden Verkehrsfläche fehle. Denn der Grenzverlauf der näheren Umgebung ist nicht davon abhängig, dass die unterschiedlichen Bebauungen durch eine künstliche oder natürliche Trennlinie entkoppelt sind (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2003 a.a.O.). Insbesondere führt das Fehlen eines solchen Umstands nicht dazu, dass benachbarte Bebauungen stets als miteinander verzahnt anzusehen sind und insgesamt die nähere Umgebung ausmachen (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2003 a.a.O.).
d) Unerheblich ist der Vortrag der Klägerin, dass die hilfsweise vom Verwaltungsgericht angestellten Erwägungen, nach denen allenfalls der südliche Teil des Gebäudekomplexes eine prägende Wirkung haben könne, unzutreffend seien. Nach den obigen Ausführungen scheidet eine Prägung durch die Bebauung F… 132 bis 138a aufgrund der unterschiedlichen Bebauungsstrukturen aus.
2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die Klägerin sieht die besondere Schwierigkeit der Rechtsache unter der Voraussetzung, dass der Senat den Ausgang des Verfahrens als offen beurteilt. Jedoch verursacht das Verfahren in rechtlicher Hinsicht keine größeren, d.h. überdurchschnittlichen, das normale Maß nicht unerheblich übersteigenden Schwierigkeiten und es handelt sich nicht um einen besonders unübersichtlichen oder kontroversen Sachverhalt, bei dem noch nicht abzusehen ist, zu welchem Ergebnis ein künftiges Berufungsverfahren führen wird (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2000 – 23 ZB 00.642 – juris). Insoweit wird auf die Ausführungen unter Ziffer 1. verwiesen.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.