Baurecht

Abgrenzung von Innen- und Außenbereich

Aktenzeichen  Au 5 K 16.69

Datum:
30.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 34 Abs. 1, § 35

 

Leitsatz

Ein Grundstück nimmt nicht am umliegenden Bebauungszusammenhang teil, wenn die an dieser Stelle unbebaute Fläche eine erhebliche räumliche Ausdehnung aufweist, so dass es nach der Verkehrsanschauung nicht mehr als Baulücke angesehen werden kann. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist in der Sache unbegründet.
1. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Aufhebung des Bescheids vom 14. Dezember 2015 und auf Erteilung des beantragten Bauvorbescheids zu, da das Vorhaben nicht genehmigungsfähig ist. Der ablehnende Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Rechtsgrundlage des beantragten Bauvorbescheids ist Art. 71 Satz 1 Bayerische Bauordnung (BayBO). Danach ist dem Bauherrn auf Antrag, vor Einreichung des Bauantrags, ein Vorbescheid bezüglich einzelner Fragen zu erteilen. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO gilt gemäß Art. 71 Abs. 1 Satz 4 BayBO entsprechend. Das heißt, dem Bauherrn ist der Bauvorbescheid zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Verfahren zu prüfen sind. Der Bauvorbescheid bewirkt keine Baufreigabe, er entfaltet jedoch im Umfang der Fragestellung Bindungswirkungen für das nachfolgende Baugenehmigungsverfahren. Die Geltungsdauer beträgt nach Art. 71 Satz 2 BayBO in der Regel drei Jahre.
2. Das nach Art. 55 Abs. 1 BayBO als bauliche Anlage genehmigungspflichtige Vorhaben ist nicht genehmigungsfähig, da es an der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit fehlt.
a) Nach Auffassung der Kammer ist das Bauvorhaben nach § 35 Baugesetzbuch (BauGB) zu beurteilen, da es sich im bauplanungsrechtlichen Außenbereich befindet. Nach dieser Vorschrift ist das Vorhaben jedoch planungsrechtlich unzulässig.
Die Grundstücke liegen weder im Geltungsbereich eines Bebauungsplans noch innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB.
Ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil ist jeder Bebauungsteil im Gebiet einer Gemeinde, der den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit erweckt, nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist (BVerwG, U.v. 6.11.1968 – IV C 31/66 – BVerwGE 31, 22). Ausschlaggebend ist, inwieweit die aufeinander folgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche noch diesem Zusammenhang angehört (vgl. BVerwG, B.v. 15.9.2005 – 4 BN 37/05 – ZfBR 2006, 54; BVerwG, B.v. 18.6.1997 – 4 B 238.96 – ZfBR 1997, 324). Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um noch als zusammenhängende Bebauung zu erscheinen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Bewertung des konkreten Sachverhalts zu entscheiden (BVerwG, U.v. 15.9.2005 – 4 BN 37/05 – ZfBR 2006, 54). Auf den Verlauf der Grundstücksgrenzen kommt es dabei nicht an (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand: November 2015, § 34 Rn. 25 f.). Grundlage und Ausgangspunkt dieser bewertenden Beurteilung sind dabei die tatsächlichen und örtlichen Gegebenheiten, also insbesondere die vorhandenen baulichen Anlagen, sowie darüber hinaus auch andere topografische Verhältnisse wie z. B. Geländehindernisse, Erhebungen oder Einschnitte (Dämme, Böschungen, Gräben, Flüsse und dergleichen) sowie Straßenzüge. Zu berücksichtigen sind dabei nur äußerlich erkennbare Umstände, d. h. mit dem Auge wahrnehmbare Gegebenheiten der vorhandenen Bebauung und der übrigen Geländeverhältnisse (BVerwG, B.v. 8.10.2015 – 4 BN 28/15 – ZfBR 2016, 67 = juris Rn. 5 u. 6; BVerwG, U.v. 12.12.1990 – 4 C 40/87 – NVwZ 1991, 879).
Ein Bebauungszusammenhang im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB reicht mithin nur so weit, wie die vorhandene Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. Der im Zusammenhang bebaute Ortsteil endet grundsätzlich mit dem letzten Baukörper, die sich hieran anschließenden Freiflächen gehören bereits zum Außenbereich (vgl. BVerwG, U.v. 17.1.2005 – 4 B 3/05 – juris Rn. 7). Dadurch können sich im Einzelfall bei der Beurteilung des Grenzverlaufs zwischen Innen- und Außenbereich auch Vor- und Rücksprünge ergeben (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg a. a. O., § 34 Rn. 25; OVG Saarlouis, B.v. 11. 1. 2007 – 2 Q 35/06). Es muss sich folglich um ein unbebautes Grundstück handeln, das den Bebauungszusammenhang jedoch nicht unterbricht. Die Merkmale Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit sollen dabei eine gewisse bestehende räumliche Verklammerung kennzeichnen. Das unbebaute Grundstück muss gedanklich übersprungen werden können. Dies ist der Fall, wenn das unbebaute Grundstück nach der Verkehrsauffassung als eine sich zur Bebauung anbietende „Lücke“ erscheint (BVerwG, U.v. 19.9.1986 – 4 C 15/84 – juris).
Die unbebaute Fläche ist nur dann als Baulücke Teil des Bebauungszusammenhangs, wenn sie von der angrenzend zusammenhängenden Bebauung so stark geprägt wird, dass die Errichtung eines Gebäudes auf dieser Fläche am vorgesehenen Standort als zwanglose Fortsetzung der bereits vorhandenen Bebauung erscheint. Diese Voraussetzung muss auch bei einer auf mehreren oder allen Seiten von zusammenhängender Bebauung umgebenden unbebauten Fläche erfüllt sein. Soweit eine Prägung durch die benachbarte Bebauung fehlt, handelt es sich bauplanungsrechtlich um Außenbereich. Ein Grundstück oder ein Grundstücksteil sind daher regelmäßig nur dann dem Innenbereich zuzuordnen, wenn sie mindestens an drei Seiten von Bebauung umgeben sind (BayVGH U.v. 16.2.2009 – 1 B 08.340 – juris Rn. 15).
Aufgrund der gesetzlich vorgegebenen Beurteilung der Innen- oder Außenbereichslage nach den konkreten Gegebenheiten vor Ort, ist dabei jeweils insbesondere auf optisch wahrnehmbare Besonderheiten der Topografie zu achten (vgl. BayVGH, U.v. 9.2.2016 – 15 B 14.2139 – juris Rn. 23; BVerwG, B.v. 8.10.2015 – 4 BN 28/15 – ZfBR 2016, 67 = juris Rn. 5 u. 6).
b) Gemessen an diesen Maßstäben liegen die gegenständlichen Baugrundstücke im Außenbereich. Sie stellen keine sich zur Bebauung anbietende Baulücke dar. Zu diesem Ergebnis kommt die Kammer aufgrund der Pläne, der Luftbilder und der Erkenntnisse aus dem durchgeführten Augenschein.
Die Grundstücke mit den Fl.Nrn. … und … der Gemarkung … nehmen nicht am umliegenden Bebauungszusammenhang teil. Die an dieser Stelle unbebaute Fläche weist eine erhebliche räumliche Ausdehnung auf, so dass die gegenständlichen Grundstücke nicht mehr nach der Verkehrsanschauung als Baulücke angesehen werden können.
Die Bebauung im Süden entlang der … und die Bebauung im Norden am … stellen keine geschlossene und zusammengehörige Bebauung dar, die durch die klägerischen Grundstücke verbunden würde. Die Baugrundstücke werden durch diese vorhandene Bebauung, die sich nördlich und südlich der Grundstücke erstreckt, nicht mehr geprägt. Der gegenständliche Bereich befindet sich somit zwischen zwei Ortsteilen, liegt dagegen nicht innerhalb eines solchen. Der Außenbereich ragt an dieser Stelle in den Bebauungszusammenhang der Gemeinde … hinein. Der Verlauf des Bebauungszusammenhangs ergibt sich zum einen entlang der … im Rahmen eines Straßendorfes und zum anderen aus dem Ortsteil, der sich nördlich davon befindet. Diese beiden Ortsteile der Gemeinde werden durch landwirtschaftliche Flächen und Grünflächen getrennt.
Aufgrund des Gewichts der unbebauten Fläche stellen sich die Baugrundstücke nicht als eine sich zur Bebauung anbietende Lücke dar. Die unbebauten klägerischen Grundstücke selbst sind in ihrer Ausdehnung von einigem Umfang. Hinzu kommt das weitläufige, zum größten Teil unbebaute und landwirtschaftlich genutzte Grundstück mit der Fl.Nr. …, die zu mehr als zur Hälfte unbebauten Grundstücke mit den Fl.Nrn. … und … sowie der nördliche Teilbereich des Grundstücks mit der Fl.Nr. …. Westlich davon schließen sich die unbebauten, landwirtschaftlich genutzten Grundstücke Fl.Nrn. … und … an. Diese Flächen vermitteln auch optisch den Eindruck einer Außenbereichslage.
Es ist zudem keine bauliche Umgrenzung an mindestens drei Seiten gegeben. Der Abstand zwischen der vorhandenen Bebauung im Norden auf dem Grundstück Fl.Nr. … und der Bebauung entlang der … beträgt, selbst wenn man das landwirtschaftliche Stallgebäude auf Fl.Nr. … miteinbezieht, ca. 75 m. Der Westen ist von ausgedehnten landwirtschaftlichen Flächen geprägt und nach Osten erstrecken sich ebenfalls unbebaute Flächen.
Im Rahmen des Augenscheins konnten keine topografischen Besonderheiten festgestellt werden, die die gegenständlichen Grundstücke in die vorhandene Bebauung miteinbeziehen könnten. Es handelt sich vielmehr um eine typische Außenbereichslage mit landwirtschaftlichen Flächen und Wiesen. Es liegen in der Umgebung der streitgegenständlichen unbebauten Fläche keine topografisch abgrenzenden Geländeeinschnitte wie eine Böschung, ein Bachverlauf oder ein Straßenzug vor.
Die Zulassung einer Errichtung von zwei Einfamilienhäusern in dieser örtlichen Gegebenheit würde im Übrigen zu einem Planungserfordernis führen. Diese Problematik ergibt sich insbesondere im Hinblick auf das weitläufige Grundstück mit der Fl.Nr. … Dieses Grundstück würde aufgrund des bereits genehmigten Bauvorhabens auf Fl.Nr. … zu einem Außenbereich im Innenbereich und von den übrigen landwirtschaftlichen Flächen im Westen abgeschnitten. Damit kann aber eine Bebauung der Umgebung nicht im Rahmen des § 34 BauGB erfolgen, es bedarf vielmehr planerischer Erwägungen, um bodenrechtliche Spannungen zu bewältigen.
Die Bebauung gemäß dem eingereichten Bauantrag stellt sich damit nicht als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung dar, sondern schafft einen neuen Siedlungsansatz zwischen den bestehenden Ortsteilen.
c) Gemäß § 35 BauGB ist das Vorhaben bauplanungsrechtlich nicht zulässig. Die Beurteilung richtet sich mangels Vorliegens eines nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegierten Vorhabens nach § 35 Abs. 2 BauGB. Nach dieser Vorschrift ist die Errichtung zweier Einfamilienhäuser planungsrechtlich nicht zulässig, da öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 BauGB beeinträchtigt sind.
Das Vorhaben widerspricht zum einen den Darstellungen des Flächennutzungsplans der Beigeladenen (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB). Dieser sieht für den gegenständlichen Bereich Grünflächen vor. Weiterhin beeinträchtigt die Errichtung zweier Wohnhäuser als im Außenbereich wesensfremde Nutzung die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB). Das Vorhaben lässt außerdem die Entstehung einer Splittersiedlung befürchten (§ 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BauGB).
Demnach erfolgte die Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens zu Recht. Eine Ersetzung des Einvernehmens kommt nicht in Betracht. Der ablehnende Bescheid des Landratsamtes erging demzufolge ebenfalls rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht nach § 162 Abs. 3 VwGO erstattungsfähig, da die Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich somit nicht am Prozesskostenrisiko beteiligt hat.
3. Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

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