Aktenzeichen Au 5 K 16.1120
Leitsatz
1 Beruft sich die Baugenehmigungsbehörde im vereinfachten Verfahren nach Art. 59 BayBO auf eine außerhalb des Prüfprogramms liegende Vorschrift, um die Baugenehmigung zu versagen, ist auch diese Vorschrift im gerichtlichen Verfahren Prüfungsgegenstand (Art. 68 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BayBO). (Rn. 22) (red. LS Andreas Decker)
2 Im Rahmen des Art. 68 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BayBO ist es grundsätzlich zulässig, den Verstoß gegen außerhalb des Prüfprogramms liegende Vorschriften lediglich zur Kenntnis zu nehmen und untätig zu bleiben. Eine Bindung für zukünftige Bauanträge lässt sich hieraus nicht folgern. (Rn. 32) (red. LS Andreas Decker)
3 Zusammenfassung der Rechtsprechung des BayVGH zum Verunstaltungsverbot nach Art. 8 S. 2 BayBO. (Rn. 27 – 29) (red. LS Andreas Decker)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Verpflichtungsklage, über die aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO), bleibt in der Sache ohne Erfolg.
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung. Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 30. Juni 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin deshalb nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Dem beantragten Bauvorhaben stehen öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO). Prüfungsmaßstab sind nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO im vereinfachten Genehmigungsverfahren die Vorschriften über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit (§ 29 bis 38 BauGB) sowie die Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO. Da sich die Beklagte als Ablehnungsgrund zusätzlich auf das Verunstaltungsverbot des Art. 8 BayBO berufen hat, ist auch diese Vorschrift im gerichtlichen Verfahren Prüfungsgegenstand (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO).
Die beantragte beleuchtete Werbeanlage ist nach Art. 55 Abs. 1 i.V.m. Art. 57 Abs. 1 Nr. 12 BayBO genehmigungspflichtig. Die Anlage ist jedoch im Hinblick auf den von der Beklagten zulässigerweise erweiterten Prüfungsmaßstab gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO nicht genehmigungsfähig, so dass die Klage keinen Erfolg hat.
2. Zutreffend hat die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid vom 14. Juli 2016 festgestellt, dass die beleuchtete Werbeanlage nicht gegen Bauplanungsrecht (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO) verstößt. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen werden. Im vorliegend festgesetzten Mischgebiet begegnet die zur Genehmigung gestellte Wechselwerbeanlage nach § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO 1962 als nicht wesentlich störender sonstiger Gewerbebetrieb keinen bauplanungsrechtlichen Bedenken. Ob die geplante Werbeanlage – wie von der Beklagten angenommen -, gegen das in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO 1962 normierte Rücksichtnahmegebot verstößt, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung. Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO 1962 sind die in den §§ 2 bis 4 BauNVO 1962 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen insbesondere unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die für die Umgebung nach der Eigenart des Gebietes unzumutbar sind. Hierfür spricht nach den beim Ortsaugenschein am 14. März 2017 gewonnen Erkenntnissen, dass die beabsichtigte Wechselwerbeanlage in lediglich geringem Abstand zum gegenüberliegenden Gebäude (…) in einer Höhe angebracht werden soll, in der sich Fensteröffnungen für Wohnräume befinden. Insoweit führt gerade die von der Klägerin beabsichtigte Beleuchtung der Werbeanlage in den Abend- bzw. Nachtstunden zu einer erheblichen Beeinträchtigung der gegenüber liegenden Wohnnutzung. Dies umso mehr, als mit der geplanten Werbeanlage die nach Landesrecht maßgeblichen Abstandsflächenvorschriften unterschritten werden. Dies legt für das Gericht eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme nahe. Letztlich bedarf dies jedoch keiner abschließenden Entscheidung, da die geplante Werbeanlage gegen in das Prüfprogramm des Art. 59 BayBO zulässigerweise erweiterte bauordnungsrechtliche Vorschriften verstößt.
3. Die geplante Werbeanlage widerspricht dem bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbot des Art. 8 BayBO.
Das Vorhaben verstößt gegen das umgebungsbezogene Verunstaltungsverbot des Art. 8 Satz 2 BayBO, wonach bauliche Anlagen das Straßen- und Ordnungsbild nicht verunstalten dürfen. Eine Verunstaltung im Sinne dieser Vorschrift ist anzunehmen, wenn ein für ästhetische Eindrücke offener Durchschnittsbetrachter die betreffende Werbeanlage an ihrer Anbringungsstelle als belastend oder Unlust erregend empfinden würde. Aufgabe des Art. 8 Satz 2 BayBO ist es in erster Linie, Auswüchse zu unterbinden, nicht aber bestimmte ästhetische Wertvorstellungen zur Stadtbildgestaltung durchzusetzen.
Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. U.v. 18.7.2002 – B 01.1198 – juris; U.v. 16.9.2005 – 26 B 04.3258 – juris) ist für die Beurteilung von Werbeanlagen an freien Giebelwänden zur Beurteilung einer Verunstaltung im Sinne von Art. 8 Satz 2 BayBO von folgenden Überlegungen auszugehen:
Werbeanlagen sind von ihrer Natur aus dazu bestimmt, aufzufallen und erfüllen ihren Zweck nur dann, wenn sie sich deutlich von der Umgebung abheben. Dieser naturgemäße Kontrast muss maßvoll sein, um das vorhandene Gesamtbild nicht zu stören. Dieses wird beeinträchtigt, wenn eine Werbeanlage so aufdringlich wirkt, dass sie als wesensfremdes Gebilde zu ihrer Umgebung in keiner Beziehung mehr steht. Werbung an bislang freigehaltenen Giebeln, die als „architektonische Beruhigungsflächen“ wirken, ist in aller Regel verunstaltend. Gebäudeabschlussmauern dürfen nur nach sorgfältiger Prüfung im Einzelfall mit Werbeschriften oder zeichnerischen Werbedarstellungen versehen werden und dann nur in einer Form, welche die ästhetischen mit den technischen Anforderungen in einen ausgewogenen Ausgleich bringt.
Die Umgebung, die hierbei zur gestalterischen Beurteilung heranzuziehen ist, bestimmt sich nach dem Umfang der gestalterischen Auswirkungen der jeweiligen baulichen Anlage (vgl. BayVGH, U.v. 16.2.2016 – 2 ZB 15.2503 – juris Rn. 5; BayVBl 2016 597 f.). Dabei kann das Straßenbild in Einzelfällen bereits dann verunstaltet sein, wenn ein prägendes Gebäude – wie es hier nach den Erkenntnissen des Augenscheins vom 14. März 2017 vorliegt – Bestandteil des Straßenbilds ist.
Nach dem Ergebnis des gerichtlichen Augenscheins vom 14. März 2017 ist das Gericht davon überzeugt, dass durch die Anbringung der beantragten Werbeanlage bereits die betroffene Giebelwand des zur Anbringung vorgesehen Gebäudes verunstaltet wird. Durch ihre beleuchtete und großflächige Ausführung in der vorgesehenen Anbringungshöhe hat die Werbeanlage auf die streitgegenständliche Giebelwand eine beherrschende Wirkung. Die Beklagte hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die einheitlich gestaltete Fassade insoweit zum bloßen Werbeträger umfunktioniert und herabgewürdigt wird. Die betroffene Gebäudeseite ist einheitlich gegliedert und durch vier Fensterreihen einheitlich gegliedert und geprägt. Die Anbringung des Werbeträgers in der linken unteren Ecke würde diese bislang harmonische und durchaus noch symmetrisch wirkende Struktur auflösen und die ruhige Fassade auffallend stören. Die Werbetafel wirkt auch nach der von der Klägerin im Verfahren vorgelegten Fotomontage als deutlich wahrnehmbarer Fremdkörper. Die vorgesehene Beleuchtung unterstreicht diesen Effekt nochmals. Für den für ästhetische Eindrücke offenen Durchschnittsbetrachter wird dies als massive Belastung empfunden. Gerade die geplante Anbringung der Plakatwerbetafel an den äußersten Kanten der im Erdgeschoss bzw. ersten Obergeschoss sich befindlichen Fensteröffnungen wird das Gesamtbild der Giebelfassade in Unruhe gebracht und wirkt der Werbeträger aufgrund dessen singulären Charakters als aufgesetzter Fremdkörper. Die durch die Fensteröffnungen der Giebelfassade gewahrte Symmetrie der Außenwand wird auffallend durchbrochen, was für den Durchschnittsbetrachter als erheblich störend empfunden wird. Insgesamt würde die streitgegenständliche Werbeanlage aufgrund ihrer Gestaltung, Größe sowie Anbringungshöhe aufgesetzt wirken und einen Fremdkörper darstellen.
Nichts anderes ergibt sich aufgrund der am Gebäude Fl.Nr. * (* Str. *) auf der Westseite angebrachten großflächigen Plakatwerbetafel in etwa gleicher Anbringungshöhe. Nach den im Verfahren vorgelegten Unterlagen der Beklagten und deren Erklärungen im Ortsaugenschein vom 14. März 2017 handelt es sich insoweit um eine nicht genehmigte Plakatwerbetafel, für die ein bauordnungsrechtliches Beseitigungsverfahren in die Wege geleitet werden soll.
Ebenfalls nicht geeignet ein abweichendes Ergebnis zu rechtfertigen, ist der von der Beklagten unter dem 18. November 2009 (Gz: *) der Fa. * GmbH erteilte bestandskräftige Bescheid zur Anbringung einer Plakatwerbetafel am streitgegenständlichen Gebäude. Soweit ersichtlich, wurde im damaligen bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren die Verletzung des Verunstaltungsverbots aus Art. 8 BayBO nicht geprüft. Eine Selbstbindung der Beklagten im Hinblick auf den Prüfungsmaßstab des Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO vermag das Gericht nicht zu erkennen. Zwar ist die Prüfungsbefugnis der Beklagten erweiternde Kompetenz aus Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 BayBO bereits zum 1. August 2009 in Kraft getreten. Auch wenn die Beklagte demnach nicht daran gehindert gewesen wäre, Art. 8 BayBO auch im ursprünglichen Genehmigungsverfahren heranzuziehen, ist sie nicht daran gehindert, ihre Verwaltungspraxis ab einem bestimmten Zeitpunkt zu ändern (vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 06.07.2001 – 8 S 716/01 -, juris). Das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Gleichbehandlungsgebot schließt nicht die Befugnis der Verwaltung aus, sich jederzeit aus willkürfreien Erwägungen – etwa auf Grundlage neuer Erfahrungen oder einer geänderten Konzeption – von einer bisherigen Verwaltungspraxis zu lösen und die Befugnis des Art. 68 Abs. 1 Satz1 Hs. 2 BayBO zukünftig allgemein, nicht nur für den Einzelfall, in anderer Weise auszuüben; die Selbstbindung der Verwaltung wird vielmehr gerade durch ihre Änderungsbefugnis begrenzt (OVG NRW, Urteil vom 23.08.2011 – 8 A 2247/10 -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.08.1990 – 10 S 1389/89 -, juris; BVerwG, Beschluss vom 08.04.1997 – 3 C 6/95 -, NVwZ 1998, 273; VG Aachen, Urteil vom 08.06.2015 – 1 K 2856/13 -, juris; VG Köln, Urteil vom 15.11.2013 – 9 K 1009/13 -, juris; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 20.05.2008 – 14 K 1550/06 -, juris; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl.2016, § 40 Rn. 50; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 40 Rn. 124). So ist es im Rahmen des Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 BayBO grundsätzlich auch zulässig, den jeweiligen Verstoß lediglich zur Kenntnis zu nehmen und untätig zu bleiben (vgl. Lechner in Simon/Busse, BayBO, Stand: August 2016, Art. 68 Rn. 175). Eine Bindung für zukünftige Bauanträge lässt sich hieraus nicht folgern.
Darüber hinaus geht von dem Bauvorhaben eine ausgeprägte Bezugsfallwirkung aus. Die negative Wirkung auf das Orts- und Straßenbild wird vorliegend noch dadurch verstärkt, dass die Werbeanlage hinterleuchtet ausgeführt werden soll (im Gegensatz zur bislang am streitgegenständlichen Gebäude errichteten Plakatwerbetafel) und damit auch bei Nacht und in Zeiten mit verkürzter Taghelligkeit am Abend bzw. in den früheren Morgenstunden beherrschend hervorgehoben werden soll.
4. Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 1678 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).