Aktenzeichen 9 ZB 15.2458
Leitsatz
Bei den Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO kommt die Erteilung einer Abweichung insofern in der Regel dann ohne Weiteres in Betracht, wenn die Schutzgüter des Abstandsflächenrechts trotz des Verstoßes nicht oder allenfalls geringfügig berührt werden, weil zB eine Einbuße an Belichtung und Belüftung der benachbarten Grundstücke wegen der geringen Höhe der Grenzbebauung zu vernachlässigen ist (hier bejaht bei geringfügig über den Erdboden hinausragender Außenwand einer Tiefgarage). (Rn. 7 – 8) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
AN 3 K 15.00088 2015-10-01 Urt VGANSBACH VG Ansbach
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich als Eigentümerin des Grundstücks FlNr. … Gemarkung H* … gegen den (Tektur-)Bescheid des Landratsamts Erlangen-Höchstadt vom 16. Dezember 2014, mit dem der Beigeladenen bauliche Änderungen der Tiefgarage auf den östlich angrenzenden Grundstücken FlNrn. … und … Gemarkung H* … (Baugrundstück) genehmigt wurden und eine Abweichung für die Nichteinhaltung der Abstandsfläche im Bereich der Tiefgarage nach Westen zugelassen wurde.
Mit bestandskräftigem Bescheid des Landratsamts vom 9. Juli 2014 war der Beigeladenen der Neubau eines Mehrfamilienwohnhauses (10 Wohneinheiten) mit Tiefgarage genehmigt worden. Hinsichtlich dieser Tiefgarage wurde auch eine Abweichung von der Einhaltung der notwendigen Abstandsfläche zum Grundstück der Klägerin erteilt. Bei der Bauausführung wurde die Außenwand der errichteten Tiefgarage höher errichtet, als im Bescheid vom 9. Juli 2014 genehmigt worden war.
Nach den vorgelegten Bauunterlagen zum Tekturantrag liegt die Oberkante Attika der Tiefgarage nach einer Kürzung der Wandelemente der Tiefgarage nunmehr um 58 cm bis 73 cm über dem Grundstücksniveau der Klägerin. Weiterhin ist in den Bauvorlagen entgegen der ursprünglichen Baugenehmigung an der westlichen Grenze des Baugrundstücks nunmehr ein 3 m breiter Schutzstreifen zur Pflege mit Errichtung einer Zaunanlage und Bepflanzung in Richtung der Wohnungen SN 2, SN 3 und SN 4 eingezeichnet.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 1. Oktober 2015 abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Klägerin mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Die Klägerin beruft sich allein – zumindest sinngemäß – auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Klägerin innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel nicht.
Entgegen dem Zulassungsvorbringen ist das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die mit dem angefochtenen (Tektur-)Bescheid erteilte Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO keinen rechtlichen Bedenken unterliegt. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von Anforderungen dieses Gesetzes und aufgrund dieses Gesetzes erlassener Vorschriften zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderungen und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 BayBO vereinbar sind. Eine Abweichung kann auch von der Pflicht erteilt werden, Abstandsflächen vor den Außenwänden von Gebäuden auf eigenem Grund einzuhalten (vgl. Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 BayBO). Da bei den Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO dem Schutzzweck der Norm nicht auf andere Weise entsprochen werden kann, kommt die Erteilung einer Abweichung hierbei in der Regel auch dann ohne weiteres in Betracht, wenn die Schutzgüter des Abstandsflächenrechts trotz des Verstoßes nicht oder allenfalls geringfügig berührt werden, weil z.B. eine Einbuße an Belichtung und Belüftung der benachbarten Grundstücke wegen der geringen Höhe der Grenzbebauung zu vernachlässigen ist (vgl. BayVGH, U.v. 7.8.2009 – 15 B 09.1239 – juris Rn. 19, 20; B.v. 15.02.1996 – 2 CS 96.91 – BA S. 8,9; B.v. 14.7.1995 – 2 CS 95.518 – BA. S. 7,8). In einem solchen Fall würde das Abstandsflächenrecht um seiner selbst Willen ohne erkennbaren inneren Sinn vollzogen werden (vgl. Happ, BayVBl 2014, 65/66, Anm. 20). Das ist hier der Fall.
Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts ragt die Oberkante Attika der Tiefgarage auf dem Baugrundstück an der Grenze zum Grundstück der Klägerin nach den genehmigten Bauvorlagen zum angefochtenen (Tektur-)Bescheid nunmehr zwischen 45 cm (Punkt 3 im Schnitt M 1:100) bis 51 cm (Punkt 1 im Schnitt M 1:100) über die natürliche Geländeoberfläche auf dem Baugrundstück hinaus. Bei diesem über den Erdboden hinausragenden Wandteil handelt es sich auch ungeachtet seiner geringen Höhe um die Außenwand eines Gebäudes, die mit ihrem oberirdischen Teil die gesetzliche Abstandsflächentiefe einzuhalten hat (vgl. BayVGH, U.v. 7.7.1998 – 2 B 95.3824 – juris Rn. 22; Dhom in Simon/Busse, BayBO, Stand Dezember 2017, Art. 6 Rn. 7).
Soweit sich die Klägerin auf eine Einschränkung der Besonnung, Belichtung und Belüftung ihres Grundstücks beruft, ist aufgrund der geringen Höhe der zwischen 58 cm (Punkt 3 in Schnitt M 1:100) und höchstens 73 cm (Punkt 1 in Schnitt M 1:100) über das Gelände des Grundstücks der Klägerin hinausragenden Tiefgaragenwand aber nicht ersichtlich, dass dieser nur geringfügig oberirdisch in Erscheinung tretende Baukörper die typischen, abstandsflächenrelevanten Gebäudewirkungen entfaltet (vgl. auch Jäde in Jäde/Dirnberger/Bauer, Die neue bayerische Bauordnung, Stand Mai 2014, Art. 63 Rn. 56). Diese Einschätzung wird durch die vom Beklagten im Zulassungsverfahren vorgelegte Bilddokumentation des Landratsamts vom 27. Januar 2015 bestätigt. Zudem befindet sich das bestehende Gebäude auf dem Grundstück der Klägerin in einem Abstand von mindestens 18 m zur Grundstücksgrenze. Gleiches gilt hinsichtlich des Brandschutzes.
Soweit sich die Klägerin auf eine Beeinträchtigung des Wohnfriedens durch die auf dem Tiefgaragendach befindlichen Gärten beruft, kann dies ihrem Zulassungsantrag ebenfalls nicht zum Erfolg verhelfen. Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass der sogenannte Wohnfrieden (Sozialabstand) als Zweck des Abstandsflächenrechts anzusehen ist (so BayVGH, U.v. 3.12.2014 – 1 B 14.819 – juris Rn. 17), lässt sich den Darlegungen im Zulassungsantrag eine solche Beeinträchtigung jedenfalls nicht entnehmen. Entgegen dem Zulassungsvorbringen kann bei einer bloßen Zunahme des Höhenniveaus dieser Gärten durch den angefochtenen (Tektur-)Bescheid von ca. 20 bis 30 cm gegenüber der ursprünglichen Baugenehmigung vom 9. Juli 2014 nicht von einer deutlichen Erhöhung ausgegangen werden. Auch bei einer Berücksichtigung der absoluten Höhe der Wand von 58 cm bis 73 cm über dem Niveau des Grundstücks der Klägerin kann von einem nachbarschaftlichen Nebeneinander „von oben herab“ oder „von unten nach oben“ keine Rede sein. Was die gerügte Schaffung von unerwünschten Einblicksmöglichkeiten in das Grundstück der Klägerin angeht, hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf verwiesen, dass nach den genehmigten Bauvorlagen zum angefochtenen (Tektur-)Bescheid an der westlichen Grenze des Baugrundstücks ein 3 m breiter Schutzstreifen zur Pflege durch Errichtung einer Zaunanlage auf dem Baugrundstück sichergestellt ist, der von den Eigentümern der angrenzenden Wohnungen SN 2, SN 3 und SN 4 nicht betreten werden darf, wodurch die Einblicksmöglichkeiten deutlich reduziert werden. Diese Regelungen können bei Bedarf auch mit bauaufsichtlichen Maßnahmen der Bauaufsichtsbehörde durchgesetzt werden. Dem Zulassungsvorbringen lässt sich nicht entnehmen, warum die Klägerin daneben zivilrechtlicher Möglichkeiten zum Vorgehen gegen Zuwiderhandlungen der Eigentümer dieser Wohnungen auf der Grundlage entsprechender Grunddienstbarkeiten bedarf.
Soweit sich die Klägerin schließlich im Zulassungsverfahren erstmals auf den Ablauf von Niederschlagswasser von der Tiefgarage des Baugrundstücks auf ihr Grundstück beruft, ist diese Thematik nicht Gegenstand des angefochtenen (Tektur-) Bescheids und gehört auch nicht zum Schutzzweck des Abstandsflächenrechts.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 147 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichtes rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).