Baurecht

Änderungsbebauung – Gebietserhaltungsanspruch – Kein Anspruch auf einstweilige Anordnung im Normenkontrollverfahren

Aktenzeichen  1 NE 18.358

Datum:
16.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 6877
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 6
BauNVO § 15
BauGB § 1, § 2 Abs. 3, § 8 Abs. 2, § 13a Abs. 2, § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 2

 

Leitsatz

1 Die Anforderungen an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung gelten gleichermaßen für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO (BayVGH BeckRS 2011, 30340). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2 Grundsätzlich sind auch dann keine höheren Anforderungen an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung zu stellen, wenn es um das Recht auf gerechte Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB geht (BVerwG BeckRS 1998 30025190). Auch insoweit reicht es aus, dass der Antragsteller Tatsachen vorträgt, die eine fehlerhafte Behandlung seiner Belange als möglich erscheinen lassen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3 Wegen der weitreichenden Folgen, welche die Aussetzung des Vollzugs von Rechtsvorschriften hat, ist beim Erlass einer einstweiligen Anordnung in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen an die Frage, ob die Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen geboten ist (vgl. BVerfG BeckRS 9998, 166849; BayVGH BeckRS 2013, 46135).  (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
4 Grundsätzlich kann das Interesse am Fortbestand bestehender Festsetzungen in einem Bebauungsplan abwägungsrelevant sein, insbesondere dann, wenn Festsetzungen drittschützenden Charakters geändert werden (vgl. BVerwG BeckRS 2008, 31082) und die bau- und bodenrechtliche Schicksalsgemeinschaft auflösen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
5 Ortsrechtliche Festsetzungen begründen allerdings regelmäßig (nur) ein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass Veränderungen, die sich für die Nachbarn nachteilig auswirken können, nur unter Berücksichtigung deren Interessen vorgenommen werden.  (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die 2. Änderung des Bebauungsplans “A…straße“, den die Antragsgegnerin am 12. September 2017 beschlossen und am 8. Dezember 2017 bekanntgemacht hat (im Folgenden: Bebauungsplan). Er ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung A… Das Grundstück befindet sich im Geltungsbereich des Ursprungsbebauungsplans „A…straße“ aus dem Jahr 1999, der für diesen Bereich ein Dorfgebiet ausweist. Für das Grundstück des Antragstellers sind darin mehrere Bauräume für Bestandsgebäude sowie ein Bauraum für ein zweigeschossiges Gebäude festgesetzt.
Der im beschleunigten Verfahren gemäß § 13a BauGB erlassene Bebauungsplan, der die östlich des Grundstücks des Antragstellers gelegene FlNr. … der Gemarkung A… sowie (für die Erschließung des Grundstücks) einen Teilbereich der FlNr. … der Gemarkung A… umfasst, weist nunmehr für diesen Bereich ein allgemeines Wohngebiet aus. Ausweislich der Begründung des Bebauungsplans verfolgt die Änderung das Ziel, aufgrund der Veräußerung des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung A… und dem daraus resultierenden Abriss der (ehemaligen) landwirtschaftlichen Gebäude die geplante Errichtung einer Wohnanlage (voraussichtlich für ältere Mitbürger) mit 41 Wohnungen, Tiefgarage und Stellplätzen durch die Beigeladene zu ermöglichen.
Mit dem am 12. Februar 2018 eingereichten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz macht der Antragsteller geltend, der Antrag sei dringend geboten, um schwere Nachteile abzuwehren, die ihm durch den Vollzug des Bebauungsplans entstünden. Die Erteilung der Baugenehmigung für den gemäß § 33 BauGB gestellten Bauantrag stünde unmittelbar bevor. Er sei antragsbefugt, weil er in abwägungserheblichen Rechten, insbesondere in dem vom gewohnheitsrechtlich anerkannten Gebietserhaltungsanspruch geschützten Bewahrungs- und Erhaltungsinteresse, verletzt werde. Zudem seien die Folgen, welche das durch die Änderungsplanung ermöglichte Bauvorhaben wegen der Größe der Anlage und der dadurch bedingten Baumasse sowie der verkehrlichen Auswirkungen insbesondere auf sein Grundstück haben werde, nicht ausreichend berücksichtigt worden. Der Bebauungsplan sei formell und materiell rechtswidrig, da er nicht erforderlich im Sinn des § 1 Abs. 3 BauGB sei, gegen Belange des Wasserrechts, des Naturschutzrechts sowie des landesrechtlichen Abstandrechts verstoße, ohne Änderung des Flächennutzungplans, der insoweit eine Dorfgebietsfläche ausweise, erlassen worden sei und darüber hinaus an erheblichen Abwägungsfehlern leide. Unter anderem sei gegen das sog. Bewahrungsinteresse des Antragstellers verstoßen worden. Da erst mit der Änderungsplanung die letzte verbleibende Fläche für eine landwirtschaftliche Nutzung überplant werde, entfalle der Dorfgebietscharakter des Restbebauungsplans „A…straße“, es bestehe die Gefahr der Funktionslosigkeit der umgebenden Dorfgebietsfestsetzung und die bisher bestehende bau- und bodenrechtliche Schicksalsgemeinschaft werde aufgelöst. Darüber hinaus sei das Gebot der Konfliktbewältigung nicht hinreichend beachtet, da die Erschließung, vor allem hinsichtlich der Feuerwehr, nach den Vorgaben des Bebauungsplans nicht möglich und auch nicht sichergestellt sei.
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene treten dem Antrag entgegen. Der Antrag sei bereits unzulässig, da dem Antragsteller die Antragsbefugnis fehle. Er könne sich vorliegend nicht auf einen Verstoß gegen den Gebietserhaltungsanspruch berufen, weil es in dem Bereich des festgesetzten Dorfgebiets keine landwirtschaftliche Nutzung mehr gebe und sich durch die Ausweisung eines allgemeinen Wohngebiets die Situation für das Grundstück des Antragstellers verbessere. Eine Wohnnutzung sei auch im Dorfgebiet zulässig. Auch könne er keine Antragsbefugnis aus der heranrückenden Bebauung ableiten, zumal er sein Grundstück ebenfalls als Wohngrundstück nutze. Das geplante Vorhaben halte die festgesetzten Abstandsflächen ein. Eine Antragsbefugnis ergebe sich auch nicht aus der konkreten planungsbedingten Lärmsteigerung, da die Tiefgarage dem Wohngebäude zugeordnet sei und gravierende Verschlechterungen hinsichtlich des Lärms nach den Feststellungen der fachlichen Stellungnahmen und der schalltechnischen Untersuchung vom 17. Dezember 2015, überarbeitet am 2. Mai 2017, ausgeschlossen seien. Das Interesse des Antragstellers am Fortbestand der Situation im Rahmen der bisherigen Bebauung sei kein berücksichtigenswerter Belang. Jedenfalls aber sei die Aussetzung des Vollzugs des Bebauungsplans nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen Gründen geboten. Allein der Vollzug des Bebauungsplans reiche dafür nicht aus. Auch könne die Dorfgebietseigenschaft nicht verloren gehen, da schon heute keine landwirtschaftliche Nutzung im Bereich des Dorfgebiets mehr vorhanden sei. Der Bebauungsplan sei auch nicht offensichtlich rechtsfehlerhaft, insbesondere sei er aufgrund der erheblichen Nachfrage im Bereich barrierefreien und seniorengerechten Wohnens erforderlich und nicht abwägungsfehlerhaft. Mit der Änderungsplanung sei den geänderten Verhältnissen und städtebaulichen Bedürfnissen Rechnung getragen worden. Da bezüglich der weiteren Grundstücke im noch festgesetzten Dorfgebiet kein konkreter Regelungsbedarf bestanden habe, hätte die Überplanung auf das Grundstück der Beigeladenen beschränkt werden können. Auch ein Verstoß gegen das Gebot der Konfliktbewältigung sei nicht erkennbar, insbesondere sei die Erschließung in Bezug auf Rettungsfahrzeuge durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Privatgrundstücken sichergestellt.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Normaufstellungsakten sowie auf die Gerichtsakte im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes verwiesen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig.
Der Antragsteller ist antragsbefugt. Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren jede natürliche oder juristische Person antragsbefugt, die hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass sie durch Festsetzungen des Bebauungsplans in einem subjektiven Recht verletzt wird (stRspr vgl. BVerwG, B.v. 14.9.2015 – 4 BN 4.15 – ZfBR 2016, 154). An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung sind grundsätzlich auch dann keine höheren Anforderungen zu stellen, wenn es um das Recht auf gerechte Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB geht (vgl. BVerwG, U.v. 24.9.1998 – 4 CN 2.98 – BVerwGE 107, 215). Auch insoweit reicht es aus, dass der Antragsteller Tatsachen vorträgt, die eine fehlerhafte Behandlung seiner Belange als möglich erscheinen lassen. Die Antragsbefugnis ist jedoch dann nicht gegeben, wenn eine Rechtsverletzung offensichtlich ausscheidet (vgl. BVerwG, U.v. 24.9.1998 a.a.O.). Diese Anforderungen gelten gleichermaßen für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO (vgl. BayVGH, B.v. 16.5.2011 – 1 NE 10.2657 – juris Rn. 20).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist es nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem seiner Rechte verletzt wird. Unter Zugrundelegung seines tatsächlichen Vorbringens erscheint jedenfalls der vom Antragsteller gerügte Verstoß gegen den abwägungserheblichen Belang des Gebots der Rücksichtnahme im Hinblick auf die Größe der Anlage und der dadurch bedingten großen Baumasse zumindest als möglich. Daher kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, ob der Antragsteller auch durch einen möglichen Eingriff der Änderungsbebauung in das planungsrechtliche Austauschverhältnis oder die Zunahme von Verkehrsgeräuschen in einem rechtlich geschützten Gewicht verletzt sein könnte.
2. Der Antrag ist abzulehnen, weil der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung weder zur Abwehr schwerer Nachteile noch aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Wegen der weitreichenden Folgen, welche die Aussetzung des Vollzugs von Rechtsvorschriften hat, ist dabei in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfG, B.v. 5.7.1995 – 1 BvR 2226/94 – BVerfGE 93, 181; BayVGH, B.v. 3.1.2013 – 1 NE 12.2151 – BayVBl 2013, 406; BayVGH, B.v. 16.5.2011 a.a.O. juris Rn. 29). Bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung spricht viel dafür, dass der Normenkontrollantrag im Hauptsacheverfahren voraussichtlich nicht erfolgreich sein wird.
Durchgreifende inhaltliche Fehler des streitgegenständlichen Bebauungsplans lassen sich bei überschlägiger Prüfung nicht feststellen.
2.1 Der Bebauungsplan entspricht dem Gebot der städtebaulichen Erforderlichkeit (§ 1 Abs. 3 BauGB). Was im Sinn des § 1 Abs. 3 BauGB erforderlich ist, bestimmt sich nach der planerischen Konzeption der Gemeinde (vgl. BVerwG, U.v. 7.5.1971 – 4 C 76.68 – DVBl 1971, 759). Welche städtebaulichen Ziele sich eine Gemeinde hierbei setzt, liegt grundsätzlich in ihrem planerischen Ermessen. Der Gesetzgeber ermächtigt sie, diejenige „Städtebaupolitik“ zu betreiben, die ihren städtebaulichen Ordnungsvorstellungen entspricht (vgl. BVerwG, B.v. 14.8.1995 – 4 NB 21.95 – Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 86). Bauleitplanung erschöpft sich dabei nicht darin, bereits eingeleitete Entwicklungen zu steuern. Sie ist auch ein Mittel, um städtebauliche Ziele für die Zukunft zu formulieren und aktiv auf eine Änderung des städtebaulichen Status Quo hinzuwirken (vgl. BVerwG, U.v. 26.3.2009 – 4 C 21.07 – BVerwGE 133, 310). Die Antragsgegnerin verfolgt mit ihrem Konzept, dem Bedarf nach Wohnraum, insbesondere nach barrierefreiem und seniorengerechtem Wohnen, nachzukommen und durch die verdichtete Bebauung auch dem Siedlungsdruck des Großraum Münchens entgegen zu wirken, ein legitimes städtebauliches Anliegen von Gewicht. Die Tatsache, dass die Bauleitplanung ihren Ausgang in dem Bauantrag der Beigeladenen genommen hat, steht dem nicht entgegen. Denn die Gemeinden können solche Vorgänge zum Anlass nehmen, um ihre städtebaulichen und gestalterischen Vorstellungen in Bebauungsplänen festzuschreiben (vgl. BVerwG, U.v. 19.2.2004 – 4 CN 16.03 – BVerwGE 120, 138).
2.2 Der Bebauungsplan ist nicht deshalb unwirksam, weil er nicht aus dem Flächennutzungsplan entwickelt wurde (§ 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB). § 13a Abs. 2 Nr. 2 BauGB bestimmt, dass ein von den Darstellungen des Flächennutzungsplans abweichender Bebauungsplan im beschleunigten Verfahren auch aufgestellt werden kann, bevor der Flächennutzungsplan geändert oder ergänzt ist, wenn dabei die geordnete städtebauliche Entwicklung nicht beeinträchtigt wird. Soweit der Antragsteller rügt, die Festsetzung eines allgemeinen Wohngebiets sei entgegen der Aussage der Planbegründung nicht von der Variationsbreite des im Flächennutzungsplans festgesetzten Dorfgebiets umfasst, sodass eine Anpassung des Flächennutzungsplans erforderlich sei, ist die Anwendung des § 13a Abs. 2 Nr. 2 BauGB nicht ausgeschlossen. Denn zum einen ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass das Vorgehen der Antragsgegnerin missbräuchlich sein könnte (vgl. auch die vorstehenden Ausführungen unter Nummer 2.1), noch sieht das Gesetz eine konkrete Zeitvorgabe für die Anpassung im Wege der Berichtigung vor (vgl. Jäde/Dirnberger, BauGB/BauNVO, 8. Aufl., § 13a Rn. 17), sodass eine Berichtigung weiterhin erfolgen kann.
2.3 Es sind auch keine Abwägungsfehler nach § 2 Abs. 3, § 1 Abs. 7 BauGB erkennbar. Nach § 1 Abs. 7 BauGB sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und die privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Das setzt eine zutreffende Ermittlung und Bewertung der für die Abwägung erheblichen Belange voraus (§ 2 Abs. 3 BauGB). Von der Planung berührte schutzwürdige Eigentümerinteressen und die mit den Festsetzungen verfolgten Belange müssen im Rahmen der Abwägung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Gleichheitssatzes in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden (vgl. BVerfG, B.v. 19.12.2002 – 1 BvR 1402/01 – NVwZ 2003, 727). Dabei muss das der Planung zugrundeliegende Konzept im Bebauungsplan möglichst widerspruchsfrei umgesetzt werden. Mängel bei der Ermittlung, der Bewertung oder der Gewichtung der abwägungserheblichen Belange sind beachtlich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind (§ 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BauGB).
Der Einwand des Antragstellers als dem Plangebiet unmittelbar benachbarter Grundstückseigentümer, mit der Änderungsplanung werde zu seinen Lasten in das planungsrechtliche Austauschverhältnis eingegriffen, trifft nicht zu. Wird ein Bebauungsplan geändert, so ist das Interesse des Planbetroffenen an der Beibehaltung des bisherigen Zustands nicht nur dann abwägungserheblich, wenn durch die Planänderung ein subjektives öffentliches Recht berührt oder beseitigt wird. Abwägungsrelevant ist vielmehr insoweit jedes mehr als geringfügige private Interesse am Fortbestand des Bebauungsplans in seiner früheren Fassung, auch wenn es lediglich auf einer einen Nachbarn nur tatsächlich begünstigenden Festsetzung beruht (vgl. BVerwG, B.v. 7.1.2010 – 4 BN 36.09 – juris Rn. 9; B.v. 20.8.1992 – 4 NB 3.92 – juris Rn. 12). Zwar gewährt das Baugesetzbuch keinen Anspruch auf den Fortbestand eines Bebauungsplans und schließt auch Änderungen des Plans nicht aus. Das bedeutet aber nur, dass die Aufhebung oder Änderung eines Bebauungsplans, auch wenn sie für die Planbetroffenen nachteilig sind, rechtmäßig sein können. Das bloße Interesse am Erhalt des Status Quo stellt für sich genommen keinen solchen Belang dar, da es einen solchen voraussetzungslosen Planerhaltungsanspruch nicht gibt (vgl. BVerwG, B.v. 9.10.1996 – 4 B 180.96 – BayVBl 1997, 154).
Gemessen an diesen Grundsätzen wird damit ein in der Abwägung beachtlicher Belang des Antragstellers nicht aufgezeigt. Zwar kann grundsätzlich das Interesse am Fortbestand bestehender Festsetzungen abwägungsrelevant sein, insbesondere dann, wenn Festsetzungen drittschützenden Charakters – wie hier zur Art der baulichen Nutzung – geändert werden (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.2007 – 4 B 55.07 – BayVBl 2008, 765; U.v. 16.9.1993 – 4 C 28.91 – BVerwGE 94, 151) und die bau- und bodenrechtliche Schicksalsgemeinschaft auflösen, die bisher unter anderem zwischen dem Antragsteller und dem Eigentümer des Vorhabengrundstücks bestand, weil diese Eigentümer von Grundstücken innerhalb eines einheitlich baulich nutzbaren Baugebiets waren und dem Antragsteller lediglich das allgemeine Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme nach § 15 BauNVO zugute kommt. Allerdings beruht dieser bauplanungsrechtliche Nachbarschutz auf dem Gedanken, dass und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen kann (vgl. BVerwG, U.v. 11.5.1989 – 4 C 1.88 – BVerwGE 82, 61) und im Rahmen dieses nachbarlichen Gemeinschaftsver-hältnisses das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung im Baugebiet und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung verhindern kann. Der Anspruch ist daher auf die Abwehr eines Vorhabens gerichtet. Die ortsrechtlichen Festsetzungen begründen damit regelmäßig (nur) ein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass Veränderungen, die sich für die Nachbarn nachteilig auswirken können, nur unter Berücksichtigung ihrer Interessen vorgenommen werden. Eine gebietsfremde Nutzung durch das geplante Wohngebäude liegt hier nicht vor. Denn ein Wohngebäude ist auch in einem Dorfgebiet zulässig. Zudem wurde das ehemalige landwirtschaftliche Gebäude auf dem Grundstück der Beigeladenen schon bisher als Wohngebäude genutzt. Der Antragsteller wird daher nicht aufgrund einer unzureichenden Berücksichtigung des rechtlich erheblichen Bewahrungsinteresses in dem Recht auf fehlerfreie Abwägung seiner privaten Belange verletzt. Im Übrigen bezieht der Gebietserhaltungsanspruch sich nicht auf das Maß der baulichen Nutzung (vgl. BVerwG, B.v. 23.6.1995 – 4 B 52.95 – NVwZ 1996, 170). Auch die Frage, ob eine mögliche Funktionslosigkeit des Ursprungsbebauungsplans durch die Änderungsplanung oder bereits zu einem früheren Zeitpunkt eingetreten sein könnte (vgl. BVerwG, B.v. 29.5.2001 – 4 B 33.01 – NVwZ 2001, 1055 – zur Unwirksamkeit der Festsetzung eines Dorfgebietes), muss vorliegend nicht entschieden werden.
Eine mögliche Verletzung des bei der Abwägung zu wahrenden Rücksichtnahmegebots – mithin der Verpflichtung der planenden Gemeinde, unzumutbare Beeinträchtigungen benachbarter Grundstücke zu vermeiden (vgl. BVerwG, U.v. 24.9.1998 – 4 C 2.98 – BVerwGE 107, 215) – wie die geltend gemachte erdrückende Wirkung als Folge der durch die Änderungsplanung ermöglichten Bebauung im Hinblick auf die Größe der Anlage und der dadurch bedingten großen Baumasse für die Bebauung auf dem Grundstück des Antragstellers, scheidet vorliegend aus. Eine unzumutbare erdrückende oder abriegelnde Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohnhäusern in Betracht (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – DVBl 1981, 928: zwölfgeschossiges Gebäude in Entfernung von 15 m zum Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – DVBl 1986, 1271: drei 11,50 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem Wohnanwesen). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer solchen Wirkung sind demnach die Höhe und Ausdehnung des Bauvorhabens sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung. Für die Annahme einer erdrückenden Wirkung eines Nachbargebäudes besteht grundsätzlich dann kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes oder wenn die Gebäude so weit voneinander entfernt liegen, dass eine solche Wirkung ausgeschlossen ist (vgl. BayVGH, B.v. 5.9.2015 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 30). So liegt der Fall hier. Das Grundstück des Antragstellers wird von dem in West-Ostrichtung entlang der Straße ausgerichteten geplanten Baukörper mit einer Länge von mehr als 50 m nicht (übermäßig) betroffen. Denn bereits jetzt befindet sich an der Grenze zum Grundstück des Antragstellers ein Wohngebäude in Nord-Südausrichtung. Zwar weist das geplante Wohngebäude vier Geschosse auf, nach der Begründung des Bebauungsplans werden durch die Festsetzungen aber insoweit Abstandsflächen von ½ H eingehalten. Angesichts dieser Verhältnisse erscheint eine erdrückende Wirkung des durch die Planung zugelassenen Gebäudes sowie eine dadurch befürchtete erhöhte Einsehbarkeit auf das Grundstück des Antragstellers nicht nachvollziehbar.
Auch der pauschale Verweis auf die durch die Änderungsplanung entstehenden verkehrlichen Auswirkungen sowie die Ausführungen unter Buchst. A (Sachverhalt) im Schriftsatz vom 12. Februar 2018 ohne Auseinandersetzung mit der von der Antragsgegnerin in Auftrag gegebenen schalltechnischen Untersuchung der Verkehrszunahme können dem Eilantrag nicht zum Erfolg verhelfen. Zu den abwägungserheblichen Belangen zählt auch das Interesse, vor planbedingten zusätzlichen Lärmimmissionen durch erhöhtes Verkehrsaufkommen verschont zu bleiben (vgl. BVerwG, U.v. 17.9.1998 – 4 CN 1.97 – juris Rn. 15). Das gilt auch für Lärmeinwirkungen unterhalb der Schwelle, bei deren Überschreiten nach den jeweils einschlägigen technischen Regelwerken zwingend Lärmschutzmaßnahmen erforderlich sind (vgl. BVerwG, B.v. 8.6.2004 – 4 BN 19.04 – juris Rn. 6). Dies hat die Antragsgegnerin nicht verkannt. Die auf dem Baugrundstück und in der Tiefgarage vorgesehenen Stellplätze sind dem Wohngebäude zugeordnet. Für eine wohnunverträgliche Frequentierung der Tiefgarage und damit einer zu erwartenden unzumutbaren Beeinträchtigung des Antragstellers bestehen im Hinblick auf die geplante Nutzung des Wohngebäudes keine Anhaltspunkte. Die Einfahrt der Tiefgarage befindet sich vielmehr straßennah in einem Bereich, in dem ohne Weiteres mit einer Stellplatznutzung zu rechnen war.
Soweit der Antragsteller schließlich als weiteren Mangel der Bauleitplanung anführt, die gewählte Erschließungslösung funktioniere auch unter Brandschutzgesichtspunkten nicht, da die rückwärtigen Bereiche des Grundstücks durch die Feuerwehr nicht erreicht werden könnten, ergibt sich kein hinreichend konkreter Anhaltspunkt dafür, dass die Antragsgegnerin die rechtlich erheblichen Auswirkungen der durch den Bebauungsplan ermöglichten Bebauung auf seinem Anwesen nicht oder nicht ausreichend bedacht hat. Denn die notwendigen Rettungswege können nicht nur auf öffentlicher Fläche, sondern auch auf den Privatgrundstücken nachgewiesen werden. Daher besteht insoweit auch kein Ermittlungsdefizit hinsichtlich der Zusammenstellung des notwendigen Abwägungsmaterials.
Die Antragsgegnerin hat ausweislich der vorliegenden Akten auch die Belange des Wasserrechts und des Naturschutzrechts im Rahmen der Abwägung ausreichend bedacht und Festsetzungen zum Abstandflächenrecht getroffen, die die Einhaltung der gesetzlichen Abstandsflächen (1/2 H) ermöglichen.
Nach allem sind beim Vollzug des Bebauungsplans keine Auswirkungen auf das Grundstück des Antragstellers zu erwarten, die es rechtfertigen würden, die Verwirklichung der von ihm beanstandeten bauplanerischen Festsetzungen für die Neubebauung vorläufig zu verhindern. Der bloße Vollzug eines Bebauungsplans stellt grundsätzlich keinen schweren Nachteil im Sinn des § 47 Abs. 6 VwGO dar (vgl. BayVGH, B.v. 21.4.2015 – 9 NE 15.377 – juris Rn. 26). Im Rahmen der Interessenabwägung des Senats sind mithin keine überwiegenden Interessen des Antragstellers an der Außervollzugsetzung des Bebauungsplans zu erkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da die Beigeladene einen eigenen Antrag gestellt hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten erstattet erhält (§ 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 8 GKG. Sie orientiert sich an Nummern 1.5 und 9.8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. Beilage 2/2013 zu NVwZ Heft 23/2013).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen