Baurecht

Aktivlegitimation der Wohnungseigentümergemeinschaft zur Geldtendmachung von Mängelbeseitigungskostenvorschussansprüchen

Aktenzeichen  12 O 768/18

Datum:
27.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 31393
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB  § 633, § 634 Nr. 2, § 637

 

Leitsatz

Die Wohnungseigentümergemeinschaft ist hinsichtlich geltend gemachter Vorschussansprüche aktivlegitimiert, wenn sie nach Einleitung des Beweissicherungsverfahrens im Rahmen einer Eigentümerversammlung die gerichtliche Geltendmachung von „weiteren“ Mängeln beschließt. Soweit die Rede davon ist, die Mängel müssten in einem „zweiten“ Verfahren geltend gemacht werden, begründet dies keinen Zweifel über die Reichweite dieser Beauftragung zur gerichtlichen Geltendmachung, da angesichts des betragsmäßig genau bezifferten Umfangs der noch offenen Mängel und angesichts der durch das selbständige Beweisverfahren bestehenden Aktenlage eindeutig ist, welche Mängel tatsächlich weiterverfolgt werden sollen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 73.523,75 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.03.2018 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten, die durch die Anhörung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 13.5.2019 entstanden sind, trägt die Beklagte alleine. Im Übrigen trägt die Klägerin 17 % der Kosten des Rechtsstreits und der außergerichtlichen Kosten der Streithelferin. Die Beklagte trägt 83 % der Kosten des Rechtsstreits. Von den Kosten selbständigen Beweisverfahrens vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth, Aktenzeichen 1 OH 6060/13, trägt die Klägerin 25 %, die Beklagte 75 %.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 88.656,89 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist im tenorierten Umfang begründet, weil der Klägerin wegen der von ihr behaupteten Mängel Ziffern 1-7 ein Vorschussanspruch aus §§ 637, 634 Nr. 2, 633 BGB in Höhe von brutto 73.523,75 € zusteht. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
I.
1. Die Klägerin ist im Hinblick auf die von ihr streitgegenständlich geltend gemachten Vorschussansprüche aktivlegitimiert, weil die Wohnungseigentümergemeinschaft im Rahmen der Eigentümerversammlung am 27.9.2017 die gerichtliche Geltendmachung von „weiteren“ Mängeln beschlossen hat. Zweifel über die Reichweite dieser Beauftragung zur gerichtlichen Geltendmachung bestehen auch nicht etwa deshalb, weil im Berichtsteil des Tagesordnungspunkts davon die Rede ist, die Mängel müssten in einem „zweiten“ Verfahren geltend gemacht werden, es sich bei den hier gegenständlichen Verfahren aber tatsächlich um das dritte Streitverfahren in dieser Angelegenheit handelte. Angesichts des betragsmäßig genau bezifferten Umfangs der noch offenen Mängel (78.000,00 €) und angesichts der durch das selbständige Beweisverfahren bestehenden Aktenlage kann nämlich kein Zweifel darüber bestehen, welche Mängel tatsächlich weiterverfolgt werden sollen und zwar unabhängig davon, ob dies mit einer oder zwei weiteren Klagen der Fall sein würde. Zweifel kommen auch nicht etwa deshalb auf, weil das selbstständige Beweisverfahren im Zeitpunkt der Beschlussfassung noch nicht beendet war. Denn schon in diesem Zeitpunkt war nach den Ausführungen des Sachverständigen klar, welche Mängelbehauptungen der Klägerin er zu diesem Zeitpunkt für berechtigt hielt, insbesondere die Behauptung der fehlenden Abdichtung im Tiefgaragenbereich. Dass die Beklagte in der Folge durch weitere Ergänzungsfragen diese vorläufige Bewertung des Sachverständigen in Frage stellte, ändert nichts daran, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft unter Bezugnahme auf die bisherigen Feststellungen des Sachverständigen eine Weiterverfolgung der von ihr als berechtigt qualifizierten Mängelbehauptungen unmissverständlich beschließen konnte.
2. Die erfolglose Aufforderung zur Mängelbeseitigung mit Fristsetzung durch Schreiben der Hausverwaltung vom 5.10.2012 ist unstreitig.
3. Dem Vorschussanspruch der Klägerin steht auch der Vortrag der Beklagten nicht entgegen, es sei zu bestreiten, dass die Klägerin überhaupt die Absicht habe, eine Ersatzvornahme vorzunehmen. Es trifft rechtlich zwar zu, dass Kostenvorschuss nicht verlangt werden kann, wenn der Auftraggeber die Menge gar nicht beseitigen will (Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 4. Auflage, 6. Teil, RdNr. 221; BGH NJW 1984, 2456). Die Beklagte hat schon nicht Gründe zu der Annahme dargelegt, dass der Besteller die Mängel gar nicht beseitigen lassen will. Dem dezidierten Gegenvortrag der Klägerin im Schriftsatz vom 30.7.2018, wonach allein eine Mangelbeseitigung als Maßnahme der ordnungsgemäßen Verwaltung geboten sei und die Wohnungseigentümergemeinschaft dies auch in der Versammlung vom 27.9.2017 so abgestimmt habe, ist die Beklagte nicht mehr entgegengetreten. Angesichts des Widerrufs des Vergleichs durch Schriftsatz vom 18.12.2018, in dem zur Begründung des Widerrufs ausgeführt wurde, die festgestellten Mängel sollten vollständig beseitigt werden, liegen Gründe zur Annahme eines fehlenden Willens zur Mangelbeseitigung nicht einmal nahe.
4. Soweit die Beklagte die Mängel-Behauptungen der Klägerin angreift, dringt sie hiermit nicht durch.
a. (Mangel Ziff. 1) Dies gilt Insbesondere für den Angriff gegen die Feststellungen des Sachverständigen, wonach die ausgeführte Beschichtung des Tiefgaragenbodens insofern nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht, als eine ausreichende Abdichtung nicht vorgesehen sei. Denn das Gericht hält schon die schriftlichen Ausführungen des Sachverständigen im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens (im Rahmen eines Hauptgutachtens und vier Ergänzungsgutachten) im Hinblick darauf für vollumfänglich nachvollziehbar und folgerichtig. Die Einwendungen, die die Beklagte im Klageerwiderungsschriftsatz vom 11.6.2018 erhoben hat, sind für das Gericht nach mündlicher Anhörung des Sachverständigen am 13.5.2019 widerlegt. Insbesondere ist eine Abdichtung auch deshalb nicht verzichtbar, weil auf Anschlussbewehrungen verzichtet worden ist. Zwar besteht in der Tat nicht die Gefahr der Korrodierung von Anschlussbewehrungen, wenn es solche Anschlussbewehrungen gar nicht gäbe. Das ändert freilich nichts daran, dass die in der Bodenplatte verlaufende Bewehrung dennoch und in gleichem Umfang ebenso wie die aufgehenden Bauteile selbst gegen Chlorideintrag geschützt werden müssen. Der Sachverständige konnte auch nicht bestätigen, dass die von der Beklagten vorgenommene Ausführung mit den Vorgaben des Merkblatts „Parkhäuser und Tiefgaragen“ in Einklang zu bringen wäre. Vielmehr hat der Sachverständige unmissverständlich zu erkennen gegeben, dass ein Verzicht auf eine Abdichtung bei dem von der Beklagten gewählten Aufbau (Asphaltschicht über armiertem Beton) den allgemein anerkannten Regeln der Technik nicht entspricht. Soweit die Beklagte Probleme mit einer zu besorgenden Behinderung der Diffusion geltend macht, so führt der Sachverständige überzeugend aus, dass diese Probleme in Fachkreisen bekannt sind, aber an der generellen Notwendigkeit einer Abdichtung bzw. eines Oberflächenschutzes nichts ändern und durch geeignete Maßnahmen in den Griff bekommen werden können. Schließlich steht der Feststellung einer nicht vertragsgerechten Ausführung wegen Verstoßes gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik nicht entgegen, dass der Sachverständige bislang einen Chlorideintrag in den Beton oder eine Korrosion der Bewehrung nicht festgestellt hat, er noch nicht einmal entsprechende Untersuchungen vorzunehmen beauftragt war. Denn selbst wenn der vollständige streitgegenständliche Bereich des Tiefgaragenbodens und der aufgehenden Bauteile eine Durchfeuchtung oder einen Chlorideintrag nicht aufweisen würden, kann daraus nicht geschlossen werden, dass ein solcher nicht künftig innerhalb der regelmäßigen Nutzungsdauer des Bauwerks stattfindet.
b. (Mangel Ziff. 2) Soweit die Beklagte Mangelbeseitigung einwendet, ist das Gericht nach Einvernahme des Zeugen … nicht davon überzeugt, dass eine vollumfängliche Mängelbeseitigung stattgefunden hat. Der Zeuge hat selbst angegeben, nicht selbst gesehen zu haben, ob der Handwerker die von dem Sachverständigen geforderten Maßnahmen sofort durchgeführt hat. Der Sachverständige S. ist in seinem Gutachten jedenfalls auf eine vorgenommene Mangelbeseitigung nicht eingegangen. Ihrer Beweislast im Hinblick auf eine nachträgliche Mangelbeseitigung ist die Beklagte daher nicht gerecht geworden (non liquet).
c. (Mangel Ziff. 3) Die Einwendungen der Beklagten im Hinblick auf eine angebliche Reduzierung der Mangelbeseitigungskosten hält das Gericht für nicht ausreichend substantiiert. Die Beklagte genügt ihrer Darlegungslast schon deshalb nicht, weil sie noch nicht einmal präzisiert, welche konkreten Maßnahmen sie konkret an welchen Fenstern vorgenommen haben will. Ein Vortrag dazu, dass zumindest zum Teil Dichtbänder eingesetzt worden seien, ist einer Beweiserhebung nicht zugänglich, zumal jeglicher Beweisantritt fehlt.
d. (Mangel Ziff. 4) Die Beklagte ist der Replik der Klägerin im Schriftsatz vom 30.7.2018, wonach die Bestandteile des Balkons mit Ausnahme des Bodenbelags unter Bezugnahme auf die Gemeinschaftsordnung (Anlage K 2) allesamt notwendiges Gemeinschaftseigentum seien, nicht mehr entgegengetreten, so dass der Einwand der fehlenden Aktivlegitimation nicht durchgreifen kann. Vor diesem Hintergrund haben ohnehin nicht näher konkretisierte Absprachen mit den einzelnen Wohnungseigentümern keine Auswirkungen auf eine mögliche Berechtigung zu einer Abweichung von den allgemein anerkannten Regeln der Technik.
e. (Mangel Ziff. 5) Durch die Einvernahme des Zeugen … ist der Vortrag der Beklagten widerlegt, dass eine Mangelbeseitigung stattgefunden hat. Wie die Klägerin im Übrigen zu Recht ausführt, kann es dahingestellt bleiben, ob hinsichtlich der betreffenden Gartenfläche ein Sondernutzungsrecht eines Sondereigentümers besteht, denn ein solches Recht setzt die Annahme von Gemeinschaftseigentum voraus.
f. (Mangel Ziff. 6) Die Beklagte ist dem neuen Vortrag der Klägerin in der Replik vom 30.7.2018, wonach der Sachverständige im Zeitpunkt der Begutachtung bereits die verschlossenen Risse vorgefunden hat, nicht entgegengetreten. Eine nachträgliche Mangelbeseitigung ist damit widerlegt.
g. (Mangel Ziff. 7) Die Bereitschaft zur Mangelbeseitigung nach Ablauf der Mangelbeseitigungsfrist steht der Geltendmachung eines Vorschussanspruchs nicht entgegen, vielmehr verliert die Unternehmerin mit Ablauf dieser Frist ihr Recht zur Nacherfüllung.
5. Auch in der Höhe erweisen sich die von der Klägerin behaupteten zu erwartenden Mangelbeseitigungskosten im Wesentlichen als berechtigt, weil diese mit Ausnahme des von der Klägerin geltend gemachten Fremdunternehmerzuschlages (und mit Ausnahme des oben erörterten Mangels Ziff. 3) nicht bestritten worden sind. Den von der Klägerin geltend gemachten Fremdunternehmerzuschlag hält das Gericht allerdings für nicht berechtigt. Insofern schließt sich das Gericht den Ausführungen in der zwischen denselben Parteien ergangenen Entscheidung der 1. Zivilkammer (Urteil vom 5.12.2017, Aktenzeichen 1 O 7278/15) an. Auch das hiesige Gericht geht davon aus, dass die von einem Gutachter geschätzten Mangelbeseitigungskosten betreffend die Mängel an einem Bauwerk auf der Basis ermittelt werden, dass die Arbeiten von einem Drittunternehmer durchgeführt werden. Nach der gesetzlichen Konzeption ist der Unternehmer nach Ablauf der Mangelbeseitigungsfrist ohnehin nicht mehr berechtigt, die Mangelbeseitigung selbst durchzuführen. Der Auftraggeber, hier die WEG, ist regelmäßig ohnehin nicht in der Lage, die Mängel selbst zu beseitigen, so dass eine Beauftragung eines dritten Unternehmers in der Regel zwingend sein dürfte. Dem tenorierten Brutto-Betrag liegt daher folgende Addition zu Grunde:
Mangel Nr
Netto-Kosten €
1
52.000,00
2
58,82
3
4.000,00
4
2.000,00
5
2.925,00
6
700,00
7
100,84
Summe
61.784,66 (= 73.523,75 € brutto)
Die Zinsentscheidung basiert auf §§ 291, 288 BGB.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92, 96, 101 Abs. 1 ZPO. Die Auferlegung der Kosten des Sachverständigenbeweises basierte auf § 96 ZPO. Mit ihrem Angriff gegen die schriftlichen sachverständigen Feststellungen ist die Beklagte in vollem Umfang erfolglos geblieben. Im Übrigen waren die Kosten nach Quote zu verteilen, § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Bei der Verteilung der Kosten des selbständigen Beweisverfahrens folgte das Gericht der Einschätzung der Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 13.5.2019.
III.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 2 ZPO.
IV.
Der Streitwert bestimmt sich nach der Höhe des geltend gemachten Zahlbetrages.

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