Aktenzeichen 1 CS 19.611
Leitsatz
Die Erteilung des Einvernehmens oder das als erteilt geltende Einvernehmen nach § 36 BauGB steht der Klagebefugnis entgegen, soweit es sich um Ausformungen oder Aspekte der Planungshoheit handelt, die spätestens zum Zeitpunkt des Eintritts der Fiktionswirkung bereits eine rechtliche Bedeutung hatten. Etwas anderes gilt, wenn die Gemeinde außer Stande war, von ihrer Mitwirkungsbefugnis im Baugenehmigungsverfahren Gebrauch zu machen und ihr Einvernehmen rechtmäßig zu versagen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 9 SN 18.6251 2019-02-28 Bes VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Unter Abänderung von Nummern I und II des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 28. Februar 2019 wird der Antrag abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
III. Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 28. Februar 2018 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf je 10.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz hinsichtlich einer dem Beigeladenen erteilten Baugenehmigung. In dem Bescheid des Landratsamts vom 11. Juni 2018 wurde das von dem Antragsteller verweigerte gemeindliche Einvernehmen ersetzt.
Der Beigeladene ist u.a. Eigentümer des Grundstücks FlNr. 1455 der Gemarkung M* … …, auf dem sich mehrere Gebäude, die zu einem vor vielen Jahrzehnten als Sägewerk genutzten, mittlerweile stillgelegten, Anwesen gehören. Mit der streitgegenständlichen Baugenehmigung wurde ein Ersatz- bzw. Neubau für ein Bestandsgebäude (sog. grünes Wohnhaus) genehmigt. Bereits mit Bescheid des Landratsamts vom 16. April 2015, ergänzt mit Bescheid vom 20. Dezember 2016, war dem Beigeladenen ein Vorbescheid für einen Ersatzbau des Bestandsgebäudes erteilt worden. Rechtsgrundlage für den Vorbescheid war auch ein einfacher Bebauungsplan des Antragstellers, der mit Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 30. Juni 2016 (2 N 15.713) für unwirksam erklärt wurde. Den im weiteren Verlauf erteilten Vorbescheid vom 10. Februar 2017, ebenfalls für einen Ersatzbau für das Bestandsgebäude, hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 25. Oktober 2017 aufgehoben. Der Beigeladene hat dagegen einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, über den noch nicht entschieden wurde.
Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die gegen die erteilte Baugenehmigung erhobene Klage des Antragstellers steht noch aus. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 28. Februar 2019 wurde die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Landratsamts wieder hergestellt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache offen seien. Zwar spreche einiges dafür, dass die Anfechtungsklage des Antragstellers gegen die Baugenehmigung wegen der Bindungswirkung des bestandskräftigen Vorbescheids vom 16. April 2015 und mangels Entgegenstehens anderer Vorschriften keine großen Erfolgsaussichten habe. Allerdings sei der der Baugenehmigung zugrunde liegende Vorbescheid vom 16. April 2015 rechtswidrig, das Landratsamt nehme ihn aber nicht – auch für die Vergangenheit – nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 BayVwVfG zurück und der Antragsteller könne die Rücknahme nur beanspruchen, wenn das Landratsamt den Bescheid aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null zurücknehmen müsse. Das Landratsamt hätte den hier streitgegenständlichen Vorbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zurücknehmen sollen nach Erlass der Normenkontrollentscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 30. Juni 2016 und dem Urteil des Verwaltungsgerichts vom 25. Oktober 2017 (Anmerkung: zu dem weiteren, dem Beigeladenen erteilten Vorbescheid), wonach feststehe, dass der Bebauungsplan die einzige Rechtsgrundlage für den Vorbescheid gewesen wäre. Gründe, hiervon abzuweichen, habe das Landratsamt weder dargetan noch seien solche ersichtlich. Für die Beurteilung der Rechtslage komme es vor allem darauf an, ob der Antragsteller einen Anspruch auf Rücknahme des Vorbescheids habe und damit darauf, ob das Ermessen des Landratsamts insofern auf Null reduziert sei. Ob das der Fall sei, könne noch nicht gesagt werden. Die somit vorzunehmende Interessenabwägung gehe wegen der Gefahr der Entstehung vollendeter, aber nur schwer wieder rückgängig zu machender Tatsachen daher zu Gunsten des Antragstellers aus.
Der Beigeladene beantragt als Rechtsmittelführer im Beschwerdeverfahren:
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 28. Februar 2019 –
M 11 S 18. 909 – wird aufgehoben. Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller beantragt,
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner, der auf die Einlegung eines eigenen Rechtsmittels verzichtet hat, schließt sich der Rechtsauffassung des Beigeladenen an, ohne einen Antrag zu stellen.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde des Beigeladenen hat Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu Unrecht stattgegeben. Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage unter Zugrundelegung des nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO für die Beschwerdeentscheidung in erster Linie maßgebenden Beschwerdevorbringens wird die Anfechtungsklage aller Voraussicht keinen Erfolg haben, sodass das Interesse des Beigeladenen bzw. des Antragsgegners an der sofortigen Vollziehbarkeit der Baugenehmigung das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung überwiegt.
Das Verwaltungsgericht hat zu den Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage des Antragstellers zunächst zu Recht darauf abgestellt, dass die Klage des Antragstellers gegen die Baugenehmigung keine großen Erfolgsaussichten hat. Denn die planungsrechtliche Zulässigkeit des genehmigten Vorhabens ist wegen der Bindungswirkung des bestandskräftigen Vorbescheids vom 16. April 2015 gegeben, andere Vorschriften im Prüfprogramm des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens stehen dem Vorhaben nicht erkennbar entgegen.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts müsste die Klage des Antragstellers auf Rücknahme des (rechtswidrigen) Vorbescheids jedoch als unzulässig abgewiesen werden, weil die antragstellende Gemeinde keine Klagebefugnis besitzt. Da es sich bei dem im damaligen Vorbescheidsverfahren zugrundliegenden (und später vom Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 30. Juni 2016 – 2 N 15.713 – für unwirksam erklärten) Bebauungsplan um einen einfachen Bebauungsplan handelte, weil die dafür notwendigen Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung im Bebauungsplan fehlten, war die Erteilung des Einvernehmens der Gemeinde zum Vorhaben des Beigeladenen in jedem Fall erforderlich. Dabei kann dahinstehen, ob der Antragsteller gegenüber dem Landratsamt ausdrücklich erklärt hat, dass das gemeindliche Einvernehmen erteilt werde (§ 36 Abs. 1 BauGB), oder aber das Einvernehmen mit Eintritt der Fiktionswirkung erfolgte (§ 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB). Die vorgelegten Unterlagen (vgl. Stellungnahme der Gemeinde vom 2. Juni 2014 in der Akte des Landratsamts V-2014-1290 Bl. 10 f.) sind insoweit nicht eindeutig, da sowohl das Vorliegen eines qualifizierten Bebauungsplans als auch die Erteilung des Einvernehmens (als Angelegenheit der laufenden Verwaltung) angekreuzt sind. Für die vom Beigeladenen geltend gemachten Zweifel an der Klagebefugnis des Antragstellers im Klageverfahren auf Rücknahme des Vorbescheids spielt das jedoch keine Rolle.
Erteilt die Gemeinde ihr Einvernehmen oder lässt sie die in § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB normierte Frist verstreichen, sodass ihr Einvernehmen als erteilt gilt, entspricht es ihrer Stellung im Baugenehmigungsverfahren, insbesondere ihrer Verantwortung zur eigenständigen Prüfung der planungsrechtlichen Voraussetzungen des Vorhabens, sie ähnlich zu behandeln, als habe sie die Baugenehmigung im Zeitpunkt des Eintritts der Fiktionswirkung selbst erteilt. So wie die Gemeinde keinen Anspruch auf gerichtliche Aufhebung einer von ihr selbst erteilten Baugenehmigung hat, steht ihr auch im Falle der Mitwirkung nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB kein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Aufhebung einer von ihr gleichsam miterteilten Baugenehmigung zu. Insoweit ist in der Rechtsprechung geklärt, dass die Erteilung des Einvernehmens oder das als erteilt geltende Einvernehmen nicht „widerrufen“ oder „zurückgenommen“ werden kann, da dieses den Sinn der Vorschrift, innerhalb der Frist klare Verhältnisse über die Einvernehmenserklärung der Gemeinde zu schaffen, leerlaufen ließe (vgl. BVerwG, U.v. 12.12.1996 – 4 C 24.95 – BayVBl 1997, 376; U.v. 19.2.2004 – 4 CN 16.03 – BVerwGE 120, 138; BayVGH, U.v. 30.7.2013 – 15 B 12.147 – BayVBl 2014, 110; B.v. 26.3.1999 – 26 ZS 99.507 – juris Rn.18).
Das Einvernehmen steht der Klagebefugnis aber nur entgegen, soweit es sich um Ausformungen oder Aspekte der Planungshoheit der Antragstellerin handelt, die spätestens zum Zeitpunkt des Eintritts der Fiktionswirkung bereits eine rechtliche Bedeutung hatten. Mit anderen Worten müsste die bauplanungsrechtliche Unzulässigkeit des Vorhabens auf Umständen beruhen, die zur Zeit ihrer planungsrechtlichen Prüfung noch nicht existierten. Denn insoweit war die Gemeinde außer Stande, von ihrer Mitwirkungsbefugnis im Baugenehmigungsverfahren Gebrauch zu machen und ihr Einvernehmen rechtmäßig zu versagen (vgl. BayVGH, U.v. 30.7.2013 – 15 B 12.147 – BayVBl 2014, 110; OVG NW, U.v. 28.11.2007 – 8 A 2325.06 – juris Rn. 84). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Denn anders als die nachträglich festgestellte Rechtswidrigkeit des Bebauungsplans, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Einvernehmen (noch) keinen Einfluss auf die planungsrechtliche Bewertung des Vorhabens des Beigeladenen haben konnte, musste der Antragsteller im Vorbescheidsverfahren aufgrund des Vorliegens eines einfachen Bebauungsplans auch über die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens des Beigeladenen nach § 35 Abs. 2 BauGB entscheiden, nachdem eine Privilegierung nicht im Raum gestanden hatte. Diese, vom Antragsteller zur Begründung der planungsrechtlichen Unzulässigkeit herangezogenen Umstände, die nach seinen Ausführungen in der Beschwerdeerwiderung (erst) nach dem Erlass des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 25. Oktober 2017 – M 9 K 17.1099 – festgestanden hätten, waren bereits zum Zeitpunkt des Eintritts der Einvernehmensfiktion existent. Es handelt sich dabei entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht um eine neue Rechtslage. Die planungsrechtliche Prüfung der Zulässigkeit des Vorhabens des Beigeladenen durch den Antragsteller ist abgeschlossen, der Antragsteller zielt insoweit lediglich auf eine (nachträgliche) Korrektur seiner ursprünglichen Rechtsauffassung aufgrund einer abweichenden Bewertung durch das Verwaltungsgericht. Im Übrigen erleidet eine Gemeinde, deren Einvernehmen nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB als erteilt gilt, keine schweren Nachteile, wenn sie erst nach Ablauf der Zweimonatsfrist zu der Erkenntnis kommt, dass das Vorhaben gegen § 35 BauGB verstößt. Denn jedenfalls solange noch keine Entscheidung über die Genehmigung ergangen ist, bleibt es ihr unbenommen, der Genehmigungsbehörde gegenüber ihre Bedenken vorzubringen (vgl. BVerwG, U.v. 12.12.1991 – 4 C 31.89 – NVwZ 1992, 878).
Die Klage des Antragstellers auf Rücknahme des Vorbescheids wird nach der gebotenen summarischen Prüfung im Beschwerdeverfahren daher keinen Erfolg haben.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen, weil er unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, dem Beigeladenen seine außergerichtlichen Kosten nach § 162 Abs. 3 VwGO zu erstatten, weil er Rechtsmittelführer im Beschwerdeverfahren ist und in erster Instanz einen Antrag gestellt und sich damit dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1‚ § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG und orientiert sich an Nummer 9.1.1.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. Beilage 2/2013 zu NVwZ Heft 23/2013). Die Abänderung des Streitwerts erster Instanz beruht auf § 63 Abs. 3 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).