Aktenzeichen 1 ZB 17.1763
Leitsatz
1 Eine Abweichung von den genehmigten Plänen (hier: statt dem genehmigten Um- und Anbau an ein bestehendes Wohngebäude im Außenbereich wurde das Bestandsgebäude vollständig beseitigt und begonnen, einen Neubau zu errichten) macht ein Bauvorhaben in der Regel insgesamt formell illegal. Denn eine Baugenehmigung wird grundsätzlich für ein einheitliches Bauvorhaben erteilt und ist in ihrer Regelungswirkung nicht teilbar. (Rn. 3) (red. LS Alexander Tauchert)
2 Das Vorhaben, das an einer landschaftlich exponierten Stelle errichtet werden soll, beeinträchtigt die natürliche Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB). (Rn. 4) (red. LS Alexander Tauchert)
3 Eine mündliche Zusage entfaltet keine Bindungswirkung. Aus einer solchen Äußerung kann auch kein Vertrauensschutz im Hinblick auf eine spätere bauaufsichtliche Maßnahme hergeleitet werden. Dieser Umstand musste daher auch nicht im Rahmen der Ermessensausübung berücksichtigt werden. (Rn. 8) (red. LS Alexander Tauchert)
Verfahrensgang
M 11 K 16.3189 2017-05-18 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
Der Kläger wendet sich als Eigentümer eines im Außenbereich gelegenen Grundstücks gegen die Anordnung der Beseitigung des noch nicht fertiggestellten Rohbaus eines Wohnhauses und der Garagen sowie der Rückgängigmachung der Bodenversiegelung. Das Grundstück war seit 1907 mit einem kleineren Einfamilienhaus bebaut. Nachdem mit Bescheid des Landratsamts vom 2. Mai 2013 sowie mit (Tektur-)Bescheid vom 2. September 2013 die Baugenehmigung zum Um- und Anbau eines bestehenden Wohnhauses mit Errichtung von zwei Garagen sowie Erweiterung der Garage um einen weiteren Stellplatz für ein Schneeräumgerät erteilt wurde, wurde bei einer Ortsbesichtigung im August 2014 festgestellt, dass im Zuge der Bauarbeiten das Bestandsgebäude vollständig beseitigt worden war und der Kläger begonnen hatte, einen Neubau zu errichten. Am 28. August 2014 beantragte der Kläger erneut die Erteilung einer Baugenehmigung und reichte am 25. September 2014 eine weitere Eingabeplanung, die von ihm als maßgeblich bezeichnet wurde, ein. Das von der Behörde eingeleitete Beseitigungsverfahren wurde mit Bescheid vom 27. Juni 2016 abgeschlossen. Die gegen die Beseitigungsanordnung erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 18. Mai 2017 abgewiesen. Die Anordnung sei rechtmäßig ergangen. Eine Genehmigung für das Vorhaben in der jetzigen Form liege nicht vor, da den Genehmigungen aus dem Jahr 2013 keine vollständige Neuerrichtung zugrunde gelegen habe. Das nach der vollständigen Beseitigung des Bestandsgebäudes nach § 35 Abs. 2 BauGB zu beurteilende Vorhaben sei bauplanungsrechtlich unzulässig. Ein Ermessensfehlgebrauch liege nicht vor.
Die mit der Zulassungsbegründung allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor bzw. werden nicht dargelegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Aufgrund des Vorbringens des Klägers ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass die Beseitigungsanordnung rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass eine Genehmigung für das Vorhaben in der jetzigen Form nicht vorliegt. Der Kläger hat bei der Bauausführung entgegen der Baugenehmigung (einschließlich der Tekturgenehmigung) und den genehmigten Bauvorlagen aus dem Jahr 2013 nicht nur den Anbau zum (bestehenden) Wohngebäude und die Garagen als Neubau errichtet, sondern (auch) das Bestandsgebäude vollständig beseitigt. Eine solche Abweichung von den genehmigten Plänen macht ein Bauvorhaben in der Regel insgesamt formell illegal. Denn eine Baugenehmigung wird grundsätzlich für ein einheitliches Bauvorhaben erteilt und ist in ihrer Regelungswirkung nicht teilbar. Die Teilbarkeit einer Baugenehmigung setzt voraus, dass eine Teilung der baulichen Anlage bautechnisch möglich ist und mit ihrer vom Bauherrn bestimmten Funktion zu vereinbaren ist, also der abtrennbare Teil räumlich-gegenständlich klar abgrenzbar ist und für den verbleibenden Teil der Baugenehmigung ein sinnvoll nutzbares Vorhaben zurückbleibt, das keine größeren Umplanungen notwendig macht (vgl. Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand Oktober 2018, Art. 76 Rn. 82). Das ist hier nach den vorliegenden Unterlagen nicht der Fall. Bei dem Bauvorhaben, das nur über eine Haustüre verfügt, handelt es sich bei objektiver Betrachtungsweise um ein einheitliches (Gesamt-)Vorhaben, nämlich ein Einfamilienhaus. Da der Altbestand und der Neubau baulich miteinander verbunden, insbesondere auf den Altbestand ein einheitliches Dachgeschoß aufgesetzt wird und die Räume aufeinander abgestimmt sind, handelt es sich nicht um abtrennbare Baukörper. Dem hat der Kläger nichts von Substanz entgegengesetzt. Soweit er unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 17. Februar 1997 (7 B 209.97) behauptet, dass zumindest der Neubaumaßnahme ein sogenannter formeller Bestandsschutz zukomme, legt er bereits nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO genügenden Weise dar, warum es sich bei dem Bestandsgebäude und dem Anbau ungeachtet der vorliegenden Unterlagen um (technisch und rechtlich) getrennte Teile der Genehmigung handeln soll. Darauf, ob die Genehmigungen aus dem Jahr 2013 nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB hätten erteilt werden können bzw. darauf, dass sie nicht widerrufen bzw. zurückgenommen worden sind, kommt es daher nicht entscheidend an. Im Übrigen scheidet ein etwaiger formeller Bestandsschutz schon deshalb aus, weil das Vorhaben sich noch im Rohbau befindet und damit nicht fertiggestellt und errichtet ist (vgl. BayVGH, U.v. 30.1.2014 – 15 B 11.750 – juris Rn. 19; HessVGH, U.v. 5.9.1991 – 4 UE 940.85 – juris Rn. 37).
Das Urteil des Verwaltungsgerichts begegnet auch nicht insoweit ernstlichen Zweifeln an seiner Richtigkeit, als es eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange durch das als sonstiges Vorhaben im Sinn von § 35 Abs. 2 und 3 BauGB anzusehende Bauvorhaben feststellt. Das Vorhaben, das an einer landschaftlich exponierten Stelle errichtet werden soll, beeinträchtigt die natürliche Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB). Dieser öffentliche Belang dient dem Schutz der naturgegebenen Bodennutzung und der Erholungsfunktion des Außenbereichs vor dem Eindringen einer der freien Landschaft wesensfremden Bebauung. Der öffentliche Belang wird beeinträchtigt, wenn das Vorhaben der naturgegebenen (land- und forstwirtschaftlichen) Bodennutzung des Außenbereichs oder seiner Funktion als Erholungsraum für die Allgemeinheit widerspricht und deshalb einen Fremdkörper in der Landschaft bildet. Eine Beeinträchtigung durch ein nichtprivilegiertes Bauvorhaben im Außenbereich scheidet nur dann aus, wenn das Baugrundstück sich wegen seiner natürlichen Beschaffenheit weder für die Bodennutzung eignet noch einen Erholungswert hat oder wenn es seine Schutzwürdigkeit bereits durch andere Eingriffe eingebüßt hat (vgl. BVerwG, U.v. 11.4.2002 – 4 C 4.01 – BVerwGE 116, 169; U.v. 15.5.1997 – 4 C 23.95 – BauR 1997, 988; BayVGH, B.v. 25.4.2006 – 1 ZB 05.1014 – juris Rn. 13). Anhaltspunkte dafür, dass die Umgebung in einer den Belang der Bewahrung der natürlichen Eigenart der Landschaft mindernden Weise vorbelastet ist, bestehen nicht. Soweit der Kläger demgegenüber einwendet, der Anbau als Neubau stelle nur den Ersatz für einen bestehenden Anbau dar, im Bestand sei bereits ein Baukörper mit einer Länge von 15 m und einer Breite von 8,4 m bzw. 5,5 m vorhanden gewesen, der bereits in der Vergangenheit das Landschaftsbild geprägt habe, kann dies ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht begründen. Der Kläger übersieht dabei, dass er sich im Zusammenhang mit § 35 Abs. 2 BauGB aufgrund des vollständigen Verlusts der alten Bausubstanz so behandeln lassen muss, als wenn er an der vorgesehenen Stelle erstmalig ein Gebäude errichten wollte (vgl. BayVGH, U.v. 22.5.2014 – 1 B 14.196 – juris Rn. 26 m.w.N.).
Aus den vorstehend aufgeführten Gründen lässt das geplante Vorhaben ferner befürchten, dass weitere Bauwünsche im näheren Umfeld des Baugrundstücks oder auf dem Baugrundstück selbst aufkommen und damit die Entstehung bzw. die Erweiterung einer Splittersiedlung droht (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB). Derart zu befürchten ist die Entstehung oder Verfestigung einer Splittersiedlung immer dann, wenn das Vorhaben zu einer „unerwünschten Splittersiedlung“ führt und in ihm ein Vorgang der Zersiedelung gesehen werden muss. Eine unerwünschte Zersiedelung geht regelmäßig von Wohngebäuden aus (vgl. BVerwG, U.v. 14.4.2000 – 4 C 5.99 – NVwZ 2000, 1048). Soweit der Kläger vorträgt, dass es auch nach der Durchführung des Neubaus (an die Stelle des bisherigen Bestands) bei einem Einfamilienhaus verbleibe, verkennt er, dass bei einem Verlust der alten Bausubstanz im Zusammenhang mit § 35 Abs. 2 BauGB wegen des einheitlichen Regelungssystems zwischen den Absätzen 2, 3 und 4 nichts anderes gelten kann, da ansonsten der Ausnahmetatbestand des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB insoweit überflüssig würde (vgl. BayVGH, U.v. 22.5.2014 a.a.O.). Aus diesem Grund überzeugt auch der Einwand des Klägers, bei den in der Rechtsprechung entschiedenen Fällen habe es sich nicht um Ersatzbauten, sondern um Neubauvorhaben ohne jegliche vorausgegangene wohnwirtschaftliche Nutzung bzw. Wohngebäude gehandelt, nicht. Die Unvereinbarkeit mit einer geordneten Siedlungsstruktur kann sich auch aus einer weitreichenden oder doch nicht genau übersehbaren Vorbildwirkung ergeben mit der Folge, dass in nicht verlässlich eingrenzbarer Weise noch weitere Bauten hinzutreten werden (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2012 – 4 C 10.11 – NVwZ 2012, 1631; U.v. 3.6.1977 – IV C 37.75 – BVerwGE 54, 73). So liegt der Fall hier, ohne dass es darauf ankommt, ob ein weiteres „Ersatzgebäude“ vorhanden ist.
Da bei der Frage, ob ein Vorhaben nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB planungsrechtlich unzulässig ist, schon der Verstoß gegen einen der in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB beispielhaft genannten öffentlichen Belange ausreicht (vgl. BVerwG, B.v. 8.11.1999 – 4 B 85.99 – BauR 2000, 1171), kommt es auch nicht darauf an, ob das Vorhaben auch noch im Widerspruch zu den Darstellungen des Flächennutzungsplans (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB) steht.
Die Richtigkeit des angefochtenen Urteils kann schließlich auch nicht dadurch in Zweifel gezogen werden, dass das Verwaltungsgericht einen Ermessensfehler des Landratsamts im Hinblick auf eine mögliche Zugrundelegung des (hinfälligen) Bauantrags des Klägers vom 28. August 2014 mit der Begründung verneint hat, dass das Vorhaben in der Form, wie es momentan ausgeführt sei (als Rohbau), und wie es zu Ende geführt werden solle, bauplanungsrechtlich unzulässig sei. Denn entgegen der Auffassung des Klägers ist das Vorhaben im Hinblick auf die vollständige Beseitigung des Bestandsgebäudes in jeder der von ihm beantragten Varianten planungsrechtlich unzulässig.
Soweit gerügt wird, dass nicht berücksichtigt worden sei, dass das Vorhaben aus Sicht des Klägers im Vorfeld besprochen und „genehmigt“ worden sei, hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass eine mündliche Zusage keine Bindungswirkung entfalte. Aus einer solchen Äußerung kann auch kein Vertrauensschutz im Hinblick auf eine spätere bauaufsichtliche Maßnahme hergeleitet werden. Dieser Umstand musste daher auch nicht im Rahmen der Ermessensausübung berücksichtigt werden.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, da sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG und trägt dem eingeschränkten Umfang des Zulassungsverfahrens Rechnung.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).