Baurecht

Anforderungen an ein Rügeschreiben gegen Bebauungsplan

Aktenzeichen  2 B 18.2506

Datum:
25.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 6045
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 1 Abs. 7, § 215 Abs. 1 Nr. 2
ZPO § 531

 

Leitsatz

1 Ein geltend gemachter Mangel eines Bebauungsplans muss konkretisiert und substantiiert schriftlich gegenüber der Gemeinde vorgetragen werden. Dem genügt ein Schreiben nicht, mit dem „Einspruch“ gegen den Bebauungsplan erhoben und an die Gemeinde „appelliert“ und diese gebeten wird, den Bebauungsplan aufzuheben. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2 Aus der Tatsache, dass die vollständigen Bebauungsplanakten bei der Gemeinde nicht mehr auffindbar sind, obwohl die regelmäßige Aufbewahrungspflicht von 30 Jahren noch nicht abgelaufen ist, folgt keine Beweislastumkehr zulasten der Gemeinde hinsichtlich des Umstands, ob ein Rügeschreiben bei der Gemeinde eingegangen ist. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 8 K 14.2086 2016-05-03 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 3. Mai 2016 wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung (§ 124 Abs. 1 VwGO) der Beklagten ist begründet.
1. Die negative Beantwortung der Vorbescheidsfrage 1 durch die Beklagte mit Bescheid vom 28. April 2014 war rechtmäßig, da das beantragte Bauvorhaben den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 1653 widerspricht und eine Befreiung die Grundzüge der Planung berühren würde (§ 30 Abs. 1, § 31 Abs. 2 BauGB). Der Kläger hat daher keinen Anspruch auf Erteilung des beantragten Vorbescheids und ist durch den ablehnenden Bescheid nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der Bebauungsplan Nr. 1653 leidet entgegen der Rechtsauffassung des Klägers nicht an einem noch rügbaren Abwägungsmangel und war daher nicht inzident als unwirksam zu betrachten.
a) Der inzidenten Prüfung des Bebauungsplans Nr. 1653 steht vorliegend die Vorschrift des § 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB (in der Fassung vom 8. Dezember 1986 – BauGB 1987) entgegen, da die geltend gemachten Abwägungsmängel nicht innerhalb der damals geltenden Frist von sieben Jahren gegenüber der Beklagten gerügt worden sind.
aa) Das vom Kläger mit Schriftsatz vom 7. Februar 2019 in Kopie als Anlage K 6 vorgelegte Schreiben vom 3. Februar 1995 stellt kein ordnungsgemäßes Rügeschreiben im Sinn von § 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB 1987 dar.
Das Schreiben vom 3. Februar 1995 ist nicht – entsprechend der Auffassung der Beklagten – bereits nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO nicht zuzulassen, weil der Kläger dieses nicht bereits im ersten Rechtszug geltend gemacht hat, ohne dass dies nicht auf seiner Nachlässigkeit beruht. Die entsprechende Anwendung von Vorschriften der Zivilprozessordnung steht nach § 173 Satz 1 VwGO unter dem Vorbehalt, dass sich eine entsprechende Anwendung wegen der Unterschiede der beiden Verfahrensarten nicht ausschließt. Der Anwendung des § 531 ZPO steht bereits der im Verwaltungsprozessrecht geltende Untersuchungsgrundsatz nach § 86 Abs. 1 VwGO entgegen. Zudem enthält § 128a VwGO eine Spezialregelung, die dem § 531 ZPO vorgeht und dessen Voraussetzungen hier nicht vorliegen (Meissner/Steinbeiß-Winkelmann in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: September 2018, § 173 Rn. 267).
Das Schreiben dürfte zwar noch fristgerecht gewesen sein, da der Bebauungsplan Nr. 1653 am 10. Juli 1990 bekannt gemacht wurde und das Schreiben vom 3. Februar 1995 noch innerhalb der Frist von sieben Jahren bei der Beklagten eingegangen sein muss. Ein Nachweis des Zugangs ist aufgrund der nicht auffindbaren Planaufstellungsakte nicht möglich.
Das Schreiben vom 3. Februar 1995 erfüllt jedoch inhaltlich nicht die Anforderungen des § 215 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz BauGB 1987. Danach ist der Sachverhalt, der die Verletzung oder den Mangel begründen soll, darzulegen. Der Sinn dieses Darlegungsgebots besteht darin, der Gemeinde eine Prüfung und gegebenenfalls eine Entscheidung über ihr weiteres Vorgehen – etwa einer Fehlerbehebung – zu ermöglichen. Beachtlich ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. B.v. 2.1.2001 – 4 BN 13.00 – BauR 2001, 1888) deshalb nur derjenige Sachverhalt, der schriftlich geltend gemacht worden ist. Es kommt allein auf den konkreten Mangel der Abwägung an, der sich möglicherweise aus dem dargelegten Sachverhalt ergibt. Ist ein solcher Mangel hinreichend deutlich und fristgerecht geltend gemacht worden, so bleibt er auch nach Ablauf der Frist beachtlich. Der Kläger hat in seinem sehr knappen Schreiben vom 3. Februar 1995 „Einspruch“ gegen den Bebauungsplan erhoben und an die Beklagte „appelliert“ und diese gebeten, den Bebauungsplan aufzuheben, „da es sich nur um ein Wohngebiet handelt“. Nach der Rechtsprechung (vgl. BVerwG, B.v. 19.1.2012 – 4 BN 35.11 – BauR 2013, 55) muss der Mangel jedoch konkretisiert und substantiiert schriftlich gegenüber der Gemeinde vorgetragen werden. Der Gemeinde soll durch die Darstellung des Sachverhalts gerade ermöglicht werden, auf dieser Grundlage begründeten Anlass zu haben, in die Prüfung einer Fehlerbehebung einzutreten. Dies schließt eine nur pauschale Rüge aus. Die Pflicht zur Konkretisierung der Rüge stellt auch keinen reinen Formalismus dar. Durch die Schriftlichkeit der Rüge wird gerade der Kreis der präkludierten Rügen bestimmt. Dies entspricht dem Bestreben des Gesetzgebers, für eine „Bestandskraft“ des Bebauungsplans Sorge zu tragen. Das Schreiben des Klägers vom 3. Februar 1995 lässt eine Darstellung eines konkretisierten Sachverhalts gerade vermissen. Insoweit kann gerade nicht auf die Vorgeschichte des Bebauungsplans rekurriert werden, denn die Rechtsprechung verlangt gerade eine Wiederholung der Rügen, um den Kreis der präkludierten Rügen zu bestimmen. Dies gilt erst recht im vorliegenden Fall, wo der Kläger zum Zeitpunkt der Aufstellung des Bebauungsplans noch nicht Eigentümer des Baugrundstücks war und entsprechend selbst keine Vorgeschichte hinsichtlich des Bebauungsplans aufweisen kann. Der Eigentümerwechsel fand erst ausweislich des Grundbuchs am 6. April 1993 (mit Auflassungsvormerkung vom 2. Dezember 1992) statt und damit nach Inkrafttreten des Bebauungsplans. Gerade im Fall eines Eigentümerwechsels muss der Gemeinde deutlich gemacht werden, welche Rügen der neue Eigentümer aufrechterhält oder neu vorbringt.
bb) Entgegen der Rechtsauffassung des Erstgerichts spricht vorliegend nach den konkreten Umständen des Falls und nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht Überwiegendes dafür, dass sich die Rechtsvorgänger des Klägers nach Inkrafttreten des Bebauungsplans mit einem Rügeschreiben im Sinn von § 215 Abs. 1 BauGB 1987 an die Beklagte gewandt hätten.
Dabei übersieht das Erstgericht, dass es nicht nur einen Rechtsvorgänger des Klägers gab sondern mehrere. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplans waren die Geschwister F.S. und O.F. Miteigentümer des Baugrundstücks. Insbesondere Herr F.S. hat im Rahmen des Aufstellungsverfahrens Einwendungen gegen den Bebauungsplan erhoben. Herr F.S. verstarb jedoch Ende November 1990 und seine Schwester Ende Januar 1991 und damit wenige Monate nach Inkrafttreten des Bebauungsplans. Die Erbin, Frau A.S., von welcher der Kläger das Grundstück mit notariellem Kaufvertrag im Dezember 1992 erwarb, war unmittelbar nach Inkrafttreten des Bebauungsplans noch nicht Eigentümerin und hat daher auch zu diesem Zeitpunkt als Unbeteiligte wohl keine Einwendungen gegenüber der Beklagten geltend gemacht – entgegen der Darstellung des Klägers im Klageschriftsatz vom 14. Mai 2014 (vgl. Bl. 9 der erstinstanzlichen Gerichtsakte). Angesichts des zeitlichen Ablaufs erscheint es auch eher unwahrscheinlich, dass der Ehemann noch Einwendungen erhoben hat. Die Erbin selbst hat erst gut zwei Jahre später mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 15. Juni 1992, der auch im Bebauungsplanaufstellungsverfahren ihren verstorbenen Ehemann vertreten hatte, einen Entschädigungsanspruch nach § 42 BauGB 1987 gegenüber der Beklagten geltend gemacht, welcher von der Beklagten mit Schreiben vom 4. September 1992 abgelehnt wurde. Der Kläger trägt selbst vor, dass der Erbin aufgrund ihres eigenen hohen Alters davon abgeraten worden sei, gegen den Bebauungsplan, die Verordnung zum Schutz des Landschaftsbestandteils und gegen die Versagung einer Entschädigung im Klageweg vorzugehen (vgl. Klageschriftsatz vom 14. Mai 2014, Bl. 5 der erstinstanzlichen Gerichtsakte). Die Erbin verfügte offensichtlich sowohl über das Schreiben vom 15. Juni 1992 an die Beklagte als auch deren Antwort vom 4. September 1992, welche sie dem Kläger im Rahmen des Verkaufs zur Verfügung stellte. Sie konnte diesem aber kein Rügeschreiben von ihr selbst oder ihrem verstorbenen Ehemann vorlegen oder dazu gegenüber dem Kläger konkretere Angaben machen. Es entspräche eher allgemeiner Lebenserfahrung, dass die Erbin auch die Schreiben des Bevollmächtigten, die dieser zu Lebzeiten ihres Ehemanns oder in ihrem Auftrag an die Beklagte gerichtet hatte, noch aufgehoben hätte. Eine allgemeine Lebenserfahrung dahingehend, dass jemand, der Einwendungen im Planaufstellungsverfahren erhebt, diese auch nach Inkrafttreten eines Bebauungsplans in Form eines Rügeschreibens nach § 215 Abs. 1 BauGB nochmals gegenüber einer Gemeinde geltend macht, vermag der Senat hingegen nicht zu erkennen. Vielmehr scheitern immer wieder Normenkontrollanträge wegen des Versäumens einer rechtzeitigen Rüge nach § 215 Abs. 1 BauGB. Hier kommt noch dazu, dass dem Kläger zum Zeitpunkt des Erwerbs der Bebauungsplan Nr. 1653 und dessen Vorgeschichte bekannt und zudem die damalige Frist des § 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB von sieben Jahren noch nicht abgelaufen war. Es wäre daher dem Kläger jederzeit möglich gewesen, ein ordnungsgemäßes Rügeschreiben auch mit Hilfe eines Rechtsanwaltes an die Beklagte zu richten.
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Tatsache, dass die vollständigen Bebauungsplanakten bei der Beklagten nicht mehr auffindbar sind, obwohl die regelmäßige Aufbewahrungspflicht von 30 Jahren noch nicht abgelaufen ist, nichts anderes. Das Erstgericht konstruiert hier eine Beweislastumkehr zulasten der Beklagten. Dem ist jedoch nicht zu folgen. Die Beweislast trägt grundsätzlich derjenige, welcher eine für ihn positive Tatsache behauptet. Im Fall des Rügeschreibens nach § 215 Abs. 1 BauGB trifft die Beweislast daher grundsätzlich denjenigen, welcher Mängel eines Bebauungsplans geltend machen möchte und der sich darauf beruft, dass die Geltendmachung dieser Mängel nicht nach § 215 Abs. 1 BauGB ausgeschlossen ist. Vorliegend ist daher der Kläger grundsätzlich beweispflichtig. Zwar kann auch ohne Verschulden ein Beweismittel, auf das der eine zum Nachweis angewiesen ist, in der Handlungs- und Verantwortungssphäre des anderen verloren gehen. Auch mögen hier die Mitwirkungspflichten eine Behörde regelmäßig strenger zu beurteilen sein als solche eines Bürgers, was insbesondere für Nachweis-, Aufbewahrungs- und Protokollierungspflichten gelten dürfte (vgl. BVerwG, B.v. 1.4.1997 – 4 B 206.96 – NVwZ 1997, 890). Außer einer Beachtung bei der Beweiswürdigung kann eine Missachtung naheliegender organisatorischer Vorsorge und Beweissicherung im Einzelfall auch zur Umkehr der Beweislast führen. Maßgebend ist aber auch hier, welche Folgen sich aus der Beweislosigkeit oder der Beweislastumkehr ergeben und wie diese materiell-rechtlich zu bewerten sind. Dabei ist im Einzelfall auf den Schutzzweck der verletzten Pflicht abzustellen, was dazu führen kann, einem Berechtigten die auftretende Beweisnot vollständig abzunehmen (Beweislastumkehr). Mit diesen Anforderungen setzt sich das Erstgericht in seiner Entscheidung nicht auseinander, sondern nimmt eine Beweiserleichterung allein aufgrund der Tatsache der Nichtauffindbarkeit der Planaufstellungsakten an. Wie unter 1. a) aa) dargestellt, wird durch die Schriftlichkeit der Rüge nach § 215 Abs. 1 BauGB gerade der Kreis der nicht präkludierten und der präkludierten Rügen bestimmt. Schutzzweck der Norm ist die „Bestandskraft“ eines Bebauungsplans. Dazu kommt, dass selbst bei Vorliegen der Planaufstellungsakten der Nachweis des Nichtvorliegens eines Rügeschreibens nicht abschließend geführt werden kann, denn auch insoweit könnte es im Fall einer nicht ordnungsgemäßen Aktenführung oder eines reinen Versehens ein entsprechendes Rügeschreiben nicht zur Planaufstellungsakte genommen worden sein (so könnte z.B. das Rügeschreiben auch im Postweg verloren gegangen sein). Der Behörde ist es schlicht nicht möglich, das Nichtvorhandensein eines Rügeschreibens in irgendeiner Weise sicher zu beweisen. Lediglich das Vorliegen eines Rügeschreibens kann sicher bewiesen werden, wenn das Schreiben zu den Planaufstellungsakten gelangt ist. Zwar kann der Einwender die Existenz eines Rügeschreibens nachweisen, indem er eine Kopie des Schreibens vorlegt. Sollte dieses aber nicht in den Planaufstellungsakten zu finden sein, käme allenfalls eine Beweiserleichterung in Betracht, indem die Kopie als Indiz herangezogen wird, dass ein Rügeschreiben tatsächlich an die Gemeinde gesandt wurde. So liegt der Fall hier aber nicht.
b) Im Übrigen würde auch kein Abwägungsmangel nach § 1 Abs. 7 BauGB vorliegen.
aa) Das Erstgericht geht hier zunächst von einem Ermittlungsdefizit aus. Dieser Fehler im Abwägungsvorgang sei nach § 214 Abs. 3 Satz 3 BauGB 1987 beachtlich, da er offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sei.
Zwar kommt im Zusammenhang mit einem Bebauungsplan, welcher eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Grundrechts auf Eigentum darstellt (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG), der normativen Entziehung vorhandenen Baurechts ein erhebliches Gewicht zu, das sich im Rahmen der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB auswirken muss (vgl. BVerfG, B.v. 19.12.2001 – 1 BvR 1402/01 – NVwZ 2003, 727). Beim Erlass eines Bebauungsplans muss daher im Rahmen der planerischen Abwägung das private Interesse am Erhalt bestehender baulicher Nutzungsrechte mit dem öffentlichen Interesse an einer städtebaulichen Neuordnung des Plangebiets abgewogen werden. Dabei ist in die Abwägung einzustellen, dass sich der Entzug der baulichen Nutzungsmöglichkeiten für den Betroffenen wie eine (Teil-) Enteignung auswirken kann (vgl. BVerfG, B.v. 9.1.1991 – 1 BvR 929/89 – BVerfGE 83, 201). Die Bestandsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG erfordert, dass in erster Linie Vorkehrungen getroffen werden, die eine unverhältnismäßige Belastung des Eigentümers real vermeiden und die Privatnützigkeit des Eigentums so weit wie möglich erhalten (vgl. BVerfG, B.v. 2.3.1999 – 1 BvL 7/91 – BVerfGE100, 226).
Vorliegend war die Beklagte davon ausgegangen, dass das gesamte Grundstück mit einer Fläche von 2.987 m² planungsrechtlich dem Innenbereich nach § 34 BauGB zuzuordnen sei (im Gegensatz zum gegenüberliegenden Grundstück). Durch den Bebauungsplan wurden ca. 79% der Gesamtfläche (ca. 2.090 m²) als „Fläche mit zu erhaltender Vegetation“ festgesetzt. Diese Fläche war bereits mit Verordnung vom 13. Juli 1987 als Biotop MUC-Bio Nr. M-223 Feldgehölze an der J.-straße vorläufig unter Schutz gestellt. Parallel zum Bebauungsplanverfahren erfolgte die endgültige Unterschutzstellung mit Verordnung vom 6. Juli 1990 über den Schutz des Landschaftsbestandteils „Feldgehölze an der J.-straße“ in M. (Biotop Nr. M-223 – Teilfläche b). Im östlichen Teil des Grundstücks ist auf einer Fläche von ca. 896 m² ein Reines Wohngebiet (WR) samt einem Baufenster von ca. 210 m² festgesetzt.
Das Erstgericht stellt richtig fest, dass bei der hier getroffenen Festsetzung einer Fläche mit zu erhaltender Vegetation, welche eine Bebaubarkeit des Grundstücks im fraglichen Bereich ausschließt, die Beklagte die damit verfolgten Belange des Naturschutzes und die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Gleichheitssatzes im Rahmen der Abwägung in ein ausgewogenes Verhältnis bringen muss (vgl. BVerfG, B.v. 19.12.2002 – 1 BvR 1402/01 – NVwZ 2003, 727). Dabei muss für die Abwägungsentscheidung nach § 1 Abs. 7 BauGB der erhebliche Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt werden und anhand dieses Sachverhalts alle sachlichen Belange und Interessen der Entscheidung zu Grunde gelegt sowie umfassend und in nachvollziehbarer Weise abgewogen werden. Dies ist vorliegend aber hinreichend erfolgt. Der Beklagten war die Größe des Grundstückes bekannt und auch die Größe des verbleibenden bebaubaren Bereichs. Zutreffend wurde das Grundstück als solches dem planungsrechtlichen Innenbereich zugeordnet. Ebenfalls wurde der Wert des möglicherweise entzogenen Baurechts ermittelt und eine Entschädigungspflicht von 1,9 Millionen DM dem Grunde nach festgestellt. Zwar mag die Beklagte nicht auf den Quadratmeter genau berechnet haben, inwieweit das Restgrundstück bebaubar gewesen wäre. Dies ist aber auch nicht erforderlich (vgl. BayVGH, U.v. 27.10.2014 – 1 N 13.586, 1 N 13.604 – juris Rn. 31). Auch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 27.10.2014 – 1 N 13.586, 1 N 13.604 – juris Rn. 31; U.v. 25.10.2010 – 1 N 06.2609 – BayVBl 2011, 764) verlangt lediglich, dass die Gemeinde eine auf einer zutreffenden überschlägigen Ermittlung beruhende Vorstellung davon haben muss, in welchem Umfang die beabsichtigte Planung bestehendes Baurecht beschränkt. Es ist nach Auffassung des Senats durchaus ausreichend, dass der Wert des insoweit entzogenen Eigentums beziffert wird. Die Erbin hat selbst gegenüber der Beklagten eine Entschädigung in Höhe von 2.080.000,- DM geltend gemacht, so dass die Schätzung der Beklagten im Rahmen des Planaufstellungsverfahrens realistisch erscheint. Bei der Bestimmung des entzogenen Baurechts hätte die Beklagte aber auch die bereits erfolgte Unterschutzstellung des westlichen Grundstücksteils berücksichtigen können, was im Ergebnis dazu geführt hätte, dass zwar dieser Grundstücksteil grundsätzlich dem planungsrechtlichen Innenbereich zuzurechnen wäre, eine Bebaubarkeit aber auch ohne den Bebauungsplan bereits wohl ausgeschlossen gewesen wäre. Vielmehr hat die Beklagte das Gesamtgrundstück zugunsten der damaligen Eigentümer bei ihrer Schätzung als Bauland betrachtet. Dies wird bei der Betrachtung seitens des Erstgerichts übersehen. Im Übrigen kann der Senat – bei unterstelltem Ermittlungsdefizit – vorliegend keine Offensichtlichkeit erkennen, denn entgegen der Auffassung des Erstgerichts ist nicht zwingend eine flächenbezogene Ermittlung des entzogenen Baurechts erforderlich.
bb) Weiterhin nimmt das Erstgericht eine Fehlgewichtung der Belange an, da die mit der Festsetzung der Fläche mit zu erhaltender Vegetation verbundene Einschränkung des Grundeigentums unverhältnismäßig und daher auch insoweit abwägungsfehlerhaft sei.
Zu Recht führt das Erstgericht an, dass, wenn privates Grundeigentum einer baulichen Nutzung entzogen wird, das Gewicht der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 und 2 GG zu beachten ist (vgl. BVerfG, B.v. 19.12.2002 – 1 BvR 1402/01 – NVwZ 2003, 727; BayVGH, U.v. 30.11.2006 – 26 N 06.2289 – juris). Dieser private Eigentumsbelang ist in hervorgehobener Weise zu berücksichtigen und kann nur durch gewichtige öffentliche Belange überwunden werden. Im Hinblick auf die einschneidenen Folgen einer den Ausschluss der Bebauung auslösenden Festsetzung ist eine solche daher nur dann verhältnismäßig, wenn für den Ausschluss jeglicher Bebauung gewichtige Belange sprechen und diese die entgegenstehenden Eigentumsbelange überwiegen (vgl. BayVGH, U.v. 16.6.2006 – 1 N 03.2347 – BayVBl 2007, 371). Bei der Festsetzung freizuhaltender Flächen muss die Gemeinde daher die damit verfolgten Belange des Gemeinwohls und die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Gleichheitssatzes im Rahmen der Abwägung in ein ausgewogenes Verhältnis bringen (vgl. BayVGH, U.v. 4.4.2006 – 1 N 04.1661 – juris). Besteht auf dem betroffenen Grundstück ein Recht zur Bebauung, kommt der normativen Entziehung desselben erhebliche Bedeutung im Rahmen der Abwägung zu. In die Abwägung ist insbesondere einzustellen, dass sich der Entzug der baulichen Nutzungsmöglichkeiten für den Betroffenen wie eine (Teil-) Enteignung auswirken kann (vgl. BayVGH, U.v. 4.4.2006 – 1 N 04.1661 – juris). Dabei müssen die städtebaulich beachtlichen Allgemeinbelange umso gewichtiger sein, je stärker Festsetzungen eines Bebauungsplans die Befugnisse des Eigentümers einschränken oder Grundstücke von der Privatnützigkeit gänzlich ausschließen. Das durch Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistete privatnützige Eigentum gehört in hervorgehobener Weise zu den von der Bauleitplanung zu berücksichtigenden Belangen (vgl. BayVGH, U.v. 12.3.2007 – 26 N 05. 2317 – juris; U.v. 17.3.2000 – 2 N 93.3028 – juris; U.v. 16.6.2006 – 1 N 03.2347 – BayVBl 2007, 371; U.v. 14.7.2006 – 1 N 04.582 – juris).
Unstreitig schließt die Festsetzung “Fläche mit zu erhaltender Vegetation” eine bauliche und auch eine sonstige – wie beispielsweise eine gärtnerische – Nutzung dieses Grundstücksbereichs aus. Auch zu Freizeitzwecken kann der Grundstücksbereich aufgrund seiner dichten Vegetation kaum genutzt werden. Dem Kläger obliegen die Unterhaltungslasten und die Verkehrssicherungspflichten. Dem steht – entgegen der Auffassung des Erstgerichts – eine besondere Schutzwürdigkeit der naturschutzrechtlichen Belange gegenüber. Das Erstgericht sieht in den in der Bebauungsplanbegründung angeführten Gründen keine Rechtfertigung für einen vollständigen Ausschluss einer privatnützigen Nutzungsmöglichkeit. Dabei bezieht sich das Erstgericht auf die Seiten 13 und 14 unter Ziffer 2. der Begründung. Diese Ziffer trägt den Titel „Städtebauliche und natürliche Grundlagen und ihre Bewertung, Größe des Planungsgebiets, Umgebungsbebauung“. Dabei handelt es sich primär um die Beschreibung des Gebiets. Es finden sich hier auch Ausführungen zu Vegetation und Fauna. So handelt es sich um einen gut geschichteten und artenreichen Gehölzbestand mit kleinflächigen Wiesenbereichen mit einer Krautschicht aus Waldsaum- und Magerrasenarten. An Gehölzen ist die Stieleiche dominant, aber auch Bergahorn, Winterlinde, Esche, Feldahorn und Birke sind zu finden. Die Strauchschicht besteht aus Holunder, Hasel, Liguster, Hartriegel, Vogelbeere, Weißdorn, Pfaffenhütchen und Schlehe. Die abgestufte Höhenschichtung des Bestands bietet gute Lebensraumbedingungen für Vögel, wobei 14 Brutvogelarten registriert wurden. Auch die Insektenfauna wird als insgesamt deutlich über dem Hausgarten- und Stadtparkniveau bewertet, darunter der seltene Langhorn-Plattenkäfer. Unter Ziffer 5. der Begründung werden die Auswirkungen der Planung beleuchtet. Hier wird ausdrücklich festgestellt, dass Baurecht vermindert wird und in Anbetracht der hohen Qualität des Biotops und der städtebaulichen wie ökologischen Bedeutung des Grünbestands das öffentliche Interesse am Schutz des Biotops höherrangiger einzustufen sei als das private Interesse des Grundstückseigentümers an einer baulichen Nutzung. Diesen Teil der Begründung berücksichtigt das Erstgericht nicht. Vielmehr scheint es mehr unter dem Eindruck des Augenscheins zu argumentieren und stellt eine naturschutzfachlich eher geringere Bedeutung der Fläche fest. Dabei übersieht das Erstgericht, dass nicht der jetzige Zustand der Freifläche für die Abwägungsentscheidung von Bedeutung ist sondern der Zustand zum Zeitpunkt der Abwägung. Die Fläche wurde auch nicht erstmals durch die Festsetzung im Bebauungsplan unter Schutz gestellt, sondern stand bereits seit 1987 unter vorläufigem Schutz als Biotop. Die dauerhafte Unterschutzstellung erfolgte parallel zur Aufstellung des Bebauungsplans. Das Biotop wird in der Begründung des Bebauungsplans genannt und beschrieben. Im Verfahren zur Verordnung des Landschaftsbestandteils haben die damaligen Eigentümer ebenfalls Einwendungen erhoben, die von der Beklagten in der Sitzung des Ausschusses für Stadtplanung und Bauordnung vom 20. Juni 1990 ausführlich behandelt wurden. Dieser Ausschuss war auch für das Bebauungsplanverfahren zuständig. In der Niederschrift über die Sitzung vom 20. Juni 1990 finden sich auf mehr als einer Seite (S. 7 und S. 8) Ausführungen zur Wertigkeit und zur besonderen Schutzwürdigkeit des Biotops auf dem klägerischen Grundstück. Das Erstgericht setzt sich mit der Tatsache, dass bereits bei Aufstellung des Bebauungsplans ein vorläufig geschütztes und dann dauerhaft geschütztes Biotop vorhanden ist, nicht auseinander. Es stellt sich die Frage, ob dieser Bereich auch ohne Erlass des Bebauungsplans trotz seiner Lage im planungsrechtlichen Innenbereich überhaupt bebaubar gewesen wäre. Der Beklagten war im Rahmen der Abwägung bewusst, dass das Grundeigentum sehr stark eingeschränkt wird. Gleichzeitig bewertete sie den Schutz des hier vorhandenen Biotops höher als den Schutz des privaten Grundeigentums. Dies ist aus der Sicht des Senats im vorliegenden Einzelfall nicht zu beanstanden. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die oben genannten Entscheidungen sich überwiegend mit der Festsetzung von privaten Grünflächen aus rein städtebaulichen Gründen beschäftigten nicht aber mit geschützten Biotopflächen auf privatem Grund.
cc) Auch hinsichtlich einer möglichen Entschädigungspflicht liegt kein Abwägungsfehler vor. Die Beklagte ging ausweislich der Begründung gerade nicht von einer Entschädigungspflicht aus. Unter Ziffer 5. der Begründung des Bebauungsplans heißt es, dass die Verringerung des Baurechts nach gegenwärtiger Einschätzung gemäß § 42 Abs. 3 BauGB 1987 beurteilt wird. Unter dem Stichwort „Kosten“ wird nochmals betont, dass nach Auffassung des Kommunalreferats die Vorschrift des § 42 Abs. 3 BauGB 1987 greift. Nur für den Fall einer doch bestehenden Entschädigungspflicht werde diese mit ca. 1,9 Millionen DM berechnet (Entschädigungsrisiko). Es ist nicht erkennbar, dass die Beklagte die nach ihrer Auffassung nicht bestehende Entschädigungspflicht dahingehend in die Abwägung eingestellt hat, dass von einer geringeren Wertigkeit des Eigentumsgrundrechts auszugehen wäre. Vielmehr wurde lediglich das Kostenrisiko einer – nach Auffassung der Beklagten aber nicht bestehenden – Entschädigungspflicht dargestellt.
2. Ebenfalls nicht in seinen Rechten verletzt wird der Kläger durch die Ablehnung der Vorbescheidsfragen 2 und 3, da er auf deren positive Verbescheidung keinen Anspruch hat (§ 113 Abs. 5 Satz VwGO). Die Beantwortung beider Fragen ist isoliert ohne positive Beantwortung der Vorbescheidsfrage 1 nicht möglich und sinnvoll. Entsprechend hat die Beklagte die positive Beantwortung dieser Fragen mit kurzer Begründung auch wegen des fehlenden Sachbescheidungsinteresses abgelehnt. Da entgegen der Rechtsauffassung des Erstgerichts die Vorbescheidsfrage 1 negativ zu beantworten war, ist auch insoweit die Verpflichtung zur Neuverbescheidung nach der Rechtsauffassung des Gerichts aufzuheben, da keine weitere Ermessensausübung erforderlich ist. Eine Befreiung von der Landschaftsbestandteilverordnung wäre nur nötig, wenn die Bebauung als solche zulässig wäre. Eine Genehmigung zur Fällung von Bäumen nach der Baumschutzverordnung wäre auch nur bei Zulässigkeit der Bebauung erforderlich.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

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