Aktenzeichen M 8 K 16.4384
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
Leitsatz
1. Nachbarrechte können dann verletzt sein, wenn infolge der Unbestimmtheit einer Baugenehmigung bzw. der Bauvorlagen der Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt werden kann. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Betriebsbeschreibung, die Bestandteil der Baugenehmigung ist und den Umfang der genehmigten Nutzung nicht eindeutig festlegt, ist unbestimmt. (Rn. 28 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid vom 25.8. 2016 (Az.: ……) wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vorläufig vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.
Gründe
1. Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beigeladenen im Termin zur mündlichen Verhandlung (und zum Augenschein) verhandeln und entscheiden, da die Beigeladene ordnungsgemäß zum Termin geladen und auf die Folgen des Ausbleibens hingewiesen wurde (vgl. § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
2. Die zulässige Klage ist begründet und hat daher Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), da die Baugenehmigung – insbesondere die Betriebsbeschreibung – entgegen Art. 37 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) nicht hinreichend bestimmt ist und diese Unbestimmtheit vorliegend den Kläger in seinen drittschützenden Rechten verletzt.
2.1 Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Dabei ist zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung zudem nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und die Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (BayVGH, a.a.O.). Verstößt ein Vorhaben gegen eine drittschützende Vorschrift, die im Baugenehmigungsverfahren aber nicht zu prüfen war, trifft die Baugenehmigung insoweit keine Regelung und der Nachbar ist darauf zu verweisen, Rechtsschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Ausführung des Vorhabens zu suchen (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.1997 – 4 B 244/96 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 14.10.2008 – 2 CS 08/2132 – juris Rn. 3).
Vorliegend sind drittschützende Rechte des Klägers verletzt, da infolge der Unbestimmtheit der Baugenehmigung bzw. der Bauvorlagen der Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und deshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass das genehmigte Vorhaben gegen nachbarschützendes Recht, insbesondere das Rücksichtnahmegebot, verstößt.
2.2 Eine Baugenehmigung muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG). Sie muss Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung eindeutig erkennen lassen, damit die mit dem Bescheid getroffene Regelung für die Beteiligten des Verfahrens nachvollziehbar und eindeutig ist (vgl. BayVGH, B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 30). Dies betrifft insbesondere die mit dem Baugenehmigungsbescheid genehmigten Bauvorlagen.
Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO bestimmt, dass mit dem Bauantrag alle für die Beurteilung des Bauvorhabens und die Bearbeitung des Bauantrags erforderlichen Unterlagen (Bauvorlagen) einzureichen sind. Art, Umfang und Inhalt der vorzulegenden Bauvorlagen ergeben sich dabei aus der Bauvorlagenverordnung (BauVorlV), vgl. Art. 80 Abs. 4 BayBO. Die vorgelegten Bauvorlagen und die in ihnen enthaltenen Angaben müssen dabei vollständig, richtig und eindeutig sein (vgl. Gaßner in Simon/Busse, BayBO, Stand: 128. EL Dezember 2017, Art. 64 Rn. 75). Stellt sich bei der Prüfung durch die Behörde heraus, dass die Bauvorlagen inhaltlich unrichtige Angaben enthalten bzw. widersprüchlich oder sonst als Entscheidungsgrundlage für die Baugenehmigung ungeeignet sind, darf die Baugenehmigung nicht erteilt werden (vgl. Gaßner, a.a.O. Rn. 80; VG München, B.v. 28.11.2017 – M 8 SN 17.4766 – juris Rn. 57). Zu einer Unbestimmtheit gelangt man allerdings nur dann, wenn sich der Aussagegehalt des Verwaltungsakts nicht durch Auslegung ermitteln lässt (vgl. BVerwG, U.v. 29.10.1998 – 4 C 9/97 – juris Rn. 19).
Ein Nachbar hat zwar keinen materiellen Anspruch darauf, dass der Bauantragsteller einwandfreie und vollständige Bauvorlagen einreicht (vgl. Gaßner in Simon/Busse, BayBO, Stand: 128. EL Dezember 2017, Art. 64 Rn. 84 m.w.N.). Nachbarrechte können aber dann verletzt sein, wenn infolge der Unbestimmtheit einer Baugenehmigung bzw. der Bauvorlagen der Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und deshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass das genehmigte Vorhaben gegen nachbarschützendes Recht verstößt (vgl. BayVGH, U.v. 20.05.1996 – 2 B 94.1513, BayVBl. 1997, 405 f.; B.v. 5.12.2001 – 26 ZB 01.1775 – juris Rn. 11 m.w.N.; VGH BW, B.v. 23.11.2017 – 3 S 1933/17 – juris Rn. 8). Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 31.10.2016 – 15 B 16.1001 – juris Rn. 4; B.v. 5.7.2017 – 9 CS 17.603 – juris Rn. 13; jeweils m.w.N.). Wie weit das nachbarrechtliche Bestimmtheitserfordernis im Einzelnen reicht, beurteilt sich dabei nach dem jeweils anzuwendenden materiellen Recht (vgl. OVG NW, U.v. 6.6.2014 – 2 A 2757/12 – juris Rn. 73; NdsOVG, B.v. 26.1.2012 – 1 ME 226/11 – juris Rn. 22).
Wenn die Baugenehmigung selbst oder die der Baugenehmigung zu Grunde liegenden Bauvorlagen wegen Ungenauigkeiten bzw. wegen ihres Fehlens keine Entscheidung zulassen, ob die Anforderungen derjenigen Vorschriften gewährleistet sind, die zum Prüfprogramm des konkreten bauaufsichtlichen Verfahrens gehören und die Nachbarschutz vermitteln, kann eine Nachbarrechtsverletzung zur Aufhebung einer Baugenehmigung führen (vgl. BayVGH, U.v. 28.6.1999 – 1 B 97.3174 – juris Rn. 16). Betrifft die Unbestimmtheit oder Unrichtigkeit der Bauvorlagen solche Vorschriften, deren Verletzung im konkreten Fall subjektiv-öffentliche Abwehrrechte des Klägers begründen können, ist eine mögliche Rechtsverletzung des Klägers hierdurch zu bejahen (vgl. BayVGH, U.v. 28.6.1999 – 1 B 97.3174 – juris Rn. 16; B.v. 5.12.2001 a.a.O. juris Rn. 11 m.w.N.; Lechner in Simon/Busse, BayBO, Stand: 128. EL Dezember 2017, Art. 68 Rn. 472 m.w.N.).
2.3 Unter Zugrundelegung dessen sind die streitgegenständliche Baugenehmigung und insbesondere die Betriebsbeschreibung unbestimmt.
Aus der Betriebsbeschreibung ist zunächst nicht ersichtlich, an welchen Wochentagen das Café/Restaurant geöffnet hat. Diese spricht nur von einer Öffnung an „6 Tage[n] die Woche“ bzw. „5 Tage[n] die Woche“ (S. 4 der Betriebsbeschreibung). Der Umfang der genehmigten Nutzung ist daher nicht eindeutig festgelegt.
Zudem ist die Häufigkeit des Rahmenprogramms nicht eindeutig festgelegt. Auf Seite 4 der Betriebsbeschreibung wird lediglich der Umfang der möglichen einzelnen Veranstaltungen und deren Inhalt erläutert, nicht jedoch wie oft solche Veranstaltungen durchgeführt werden sollen. Der Hinweis auf Seite 5, dass „Veranstaltungen darüber hinaus“ mit der zuständigen Behörde abgeklärt werden, ist lediglich als Hinweis darauf zu verstehen, dass Veranstaltungen mit mehr als 199 Personen gesondert abgeklärt bzw. beantragt werden. Der Umfang der genehmigten Nutzung ist daher auch diesbezüglich nicht eindeutig festgelegt.
Schließlich verhalten sich weder die Baugenehmigung noch die Bauvorlagen bindend zu Belangen der Nachbarschaft im Hinblick auf die Lärmimmissionen, die vom Bauvorhaben ausgelöst werden. Die Baugenehmigung enthält keine Lärmschutzauflagen, obwohl aus der den Bauvorlagen beigefügten Abschätzung zum Immissionsschutz vom 11. August 2016 eindeutig zu entnehmen ist, dass Immissionsrichtwerte bereits im Rahmen der bloßen Abschätzung überschritten worden sind. Angesichts dessen musste es sich dem Bauherrn, aber auch der Beklagten aufdrängen, weitere Immissionsschutzbeurteilungen einzuholen, zumal dies auch in der Abschätzung empfohlen wurde, und jedenfalls durch Auflagen sicherzustellen, dass die Immissionsrichtwerte eingehalten sind. Dies beinhaltet auch die Festlegung auf einen Gebietstyp nach der Baunutzungsverordnung. Der Umfang der genehmigten Nutzung ist also auch insoweit nicht eindeutig festgelegt.
2.4 Diese Unbestimmtheit führt dazu, dass der Kläger – aber auch das die Baugenehmigung überprüfende Gericht – nicht abschließend beurteilen kann, ob das Vorhaben gegen das Rücksichtnahmegebot verstößt.
Inhaltich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1.04 – juris, Rn. 22; U.v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4; B.v. 23.1.2018 – 15 CS 17.2575 – juris Rn. 22 m.w.N.). Das Gebot der Rücksichtnahme gibt den Nachbarn aber nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung der Licht- und Luftverhältnisse oder der Verschlechterung der Sichtachsen von seinem Grundstück aus verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (vgl. BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17).
Ob eine Unzumutbarkeit in diesem Sinne durch das Vorhaben ausgelöst wird, kann anhand der Baugenehmigung und der Bauvorlagen nicht ausgeschlossen werden. Denn für eine derartige Beurteilung kommt es maßgeblich auf den Umfang der Nutzung an und die dadurch ausgelösten Beeinträchtigungen. Wie oft, zu welchen Zeiten und in welcher Intensität der Kläger durch die genehmigte Nutzung in seinen Rechten beeinträchtigt wird, ist aber wie oben dargelegt unklar. Diese Unsicherheit hat der Kläger nicht hinzunehmen, sondern kann seine subjektiv-öffentlichen Abwehrrechte dagegen geltend machen, was vorliegend zur Aufhebung der Baugenehmigung führt.
3. Der Klage war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt hat und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass ihr keine Kosten auferlegt werden und sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (vgl. §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung er-folgt gemäß § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).