Baurecht

Anordnung der Beseitigung von Anpflanzungen im Überschwemmungsgebiet

Aktenzeichen  AN 9 K 19.02284

Datum:
20.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 10439
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayWG Art. 58 Abs. 1 S. 2
WHG § 78a, § 100 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Den amtlichen Auskünften und Gutachten des Wasserwirtschaftsamtes kommt eine besondere Bedeutung zu, weil sie auf jahrelanger Bearbeitung eines bestimmten Gebietes und nicht nur auf der Auswertung von Aktenvorgängen im Einzelfall beruhen und deshalb grundsätzlich ein weit größeres Gewicht besitzen als Expertisen von privaten Fachinstituten. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist der Hochwasserabfluss in ausreichendem Maße gewährleistet, tritt die Untersagungswirkung des § 78a Abs. 1 S. 1 Nr. 6 WHG nicht ein, weshalb eine Zulassung nach § 78a Abs. 2 S. 1 WHG nicht nötig sein dürfte, jedenfalls aber zu erteilen ist. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Zulassung von Maßnahmen in festgesetzten Überschwemmungsgebieten gem. § 78a Abs. 2 S. 1 WHG ist zwar als Ermessensvorschrift ausgestaltet, kommt aber unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Interessen der Betroffenen einer Ermessensreduzierung auf Null nahe. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid wird aufgehoben, soweit auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, hinsichtlich der parallel zur Fließrichtung der Fränkischen Rezat verlaufenden Buchenhecke die Beseitigung angeordnet wurde, soweit hinsichtlich der quer zur Fließrichtung der Fränkischen Rezat verlaufenden Buchenhecke mehr als die Beseitigung jeder fünften Heckenpflanze angeordnet wurde und soweit diesbezüglich jeweils Zwangsgelder angedroht wurden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger trägt 1/10 und der Beklagte 9/10 der Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar, der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Streitgegenstand der vorliegenden Klage ist die die Aufhebung des Bescheides vom 23. Oktober 2019, der den Kläger zur Beseitigung der Anpflanzungen von Buchenhecken auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, verpflichtet.
2. Die zulässige Klage, über die auf Grund des Einverständnisses der Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist nur teilweise begründet. Die Beseitigungsanordnung erweist sich als zum Teil rechtswidrig und verletzt insoweit den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
2.1 Als Rechtsgrundlagen für die Beseitigungsanordnung sind Art. 58 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 100 Abs. 1 Satz 1 WHG heranzuziehen. Gem. § 100 Abs. 1 Satz 1 WHG ist es Aufgabe der Gewässeraufsicht, die Gewässer sowie die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen zu überwachen, die nach oder aufgrund von Vorschriften dieses Gesetzes, nach auf dieses Gesetz gestützten Rechtsverordnungen oder nach landesrechtlichen Vorschriften bestehen. Nach Art. 58 Abs. 1 Satz 1 BayWG obliegt diese Gewässeraufsicht den Kreisverwaltungsbehörden, welche gem. Art. 58 Abs. 1 Satz 2 BayWG i.V.m. § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen anordnen, die im Einzelfall notwendig sind, um Beeinträchtigungen des Wasserhaushalts zu vermeiden oder zu beseitigen oder die Erfüllung von Verpflichtungen nach § 100 Abs. 1 Satz 1 WHG sicherzustellen.
2.2 Hinsichtlich der formellen Rechtmäßigkeit bestehen keine Bedenken, insbesondere fand eine Anhörung statt.
2.3 Die Tatbestandsvoraussetzungen der Rechtsgrundlagen sind allerdings nur hinsichtlich eines Teils der quer zur Fließrichtung errichteten Hecke zu bejahen.
2.3.1 Eine Anordnung für den Einzelfall gem. Art. 58 Abs. 1 Satz 2 BayWG ist möglich, wenn eine Beeinträchtigung des Wasserhaushaltes vermieden oder beseitigt werden soll oder die Erfüllung einer nach dem WHG und dem BayWG bestehenden öffentlich-rechtlichen Verpflichtung sicherzustellen ist (vgl. Gößl in Sieder/Zeitler BayWG, Stand Februar 2017, Art. 58 Rn. 52). Eine Beeinträchtigung des Wasserhaushaltes ist nur durch die quer zur Fließrichtung errichtete Hecke denkbar.
2.3.2 Gem. § 78a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 WHG ist in einem – wie hier gegebenen – festgesetzten Überschwemmungsgebiet das Anlegen von Baum- und Strauchpflanzungen untersagt, soweit diese den Zielen des vorsorgenden Hochwasserschutzes gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und § 75 Abs. 2 WHG entgegenstehen. Zur Durchsetzung dieser Untersagungswirkung ist dann eine Einzelfallanordnung gem. Art. 58 Abs. 1 Satz 2 BayWG i.V.m. § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG möglich, um die nach dem WHG bestehenden Verpflichtungen durchzusetzen und eine Beeinträchtigung des Wasserhaushaltes zu vermeiden.
Die Beschränkung dieser Untersagung auf solche Pflanzungen, die den Zielen des vorsorgenden Hochwasserschutzes zuwiderlaufen und somit den Hochwasserabfluss oder die Rückhaltung beeinträchtigen, ist vor allem damit zu begründen, dass Bäume und Sträucher durchaus auch zur Hochwasserrückhaltung beitragen und damit das Abflussverhalten sogar positiv beeinflussen können. Derartig wirkende Anpflanzungen sollen vom Verbot des § 78a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 WHG schon gar nicht erfasst werden; dieser soll eben nur eingreifen, wenn eine Beeinträchtigung droht. Für die Fälle einer Beeinträchtigung bleibt es dann grundsätzlich bei der Untersagung (vgl. Rossi in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp WHG, Stand August 2019, § 78 a Rn. 18). Allerdings kann die zuständige Behörde gem. § 78a Abs. 2 Satz 1 WHG bei unwesentlichen Beeinträchtigungen im Einzelfall Maßnahmen nach § 78a Abs. 1 Satz 1 WHG zulassen. Voraussetzung hierfür ist, dass Belange des Wohls der Allgemeinheit dem nicht entgegenstehen, der Hochwasserabfluss und die Hochwasserrückhaltung nicht wesentlich beeinträchtigt werden und eine Gefährdung von Leben oder Gesundheit oder erhebliche Sachschäden nicht zu befürchten sind.
2.3.3 Unter Anwendung dieser Grundsätze ist für die im nördlichen Bereich des Grundstückes FlNr. …, Gemarkung …, quer zur Fließrichtung der Fränkischen Rezat angebrachte Heckenanpflanzung das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 58 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 100 Abs. 1 Satz 1 WHG nur teilweise zu bejahen.
Nach den überzeugenden und in sich schlüssigen Darlegungen des Wasserwirtschaftsamtes wird die sich nördlich des streitgegenständlichen Grundstückes befindliche Straße im Bemessungshochwasserfall auf einer Breite von ca. 70 Metern überströmt; es fließen 18% der Gesamtabflussmenge über den Straßendamm. Aufgrund der Höhendifferenz von bis zu 1,5 Meter zwischen Straßendamm und Gelände südlich der Straße erhöht sich die Fließgeschwindigkeit deutlich. Berücksichtigt man dies, wird deutlich, dass der Abfluss durch die quer zur Fließrichtung errichtete Hecke, insbesondere wenn sich Treibgut zwischen den einzelnen Heckenpflanzen ansammelt und die Stauwirkung dadurch verstärkt, behindert werden kann.
Dieser plausiblen Einschätzung des Wasserwirtschaftsamtes kommt auch für das gerichtliche Verfahren besonderes Gewicht zu. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat vielfach entschieden, dass den amtlichen Auskünften und Gutachten des Wasserwirtschaftsamtes eine besondere Bedeutung zukommt, weil sie auf jahrelanger Bearbeitung eines bestimmten Gebiets und nicht nur auf der Auswertung von Aktenvorgängen im Einzelfall beruhen und deshalb grundsätzlich ein weit größeres Gewicht besitzen als Expertisen von privaten Fachinstituten (vgl. BayVGH, B.v. 2.5.2011 – 8 ZB 10.2312 – juris; B.v. 31.8.2011 – 8 ZB 10.1961 – juris; B.v 17.7.2012 – 8 ZB 11.1285 – juris).
Das Gericht folgt der nachvollziehbaren Darlegung des Wasserwirtschaftsamtes und kommt zu dem Ergebnis, dass der quer angelegten Hecke grundsätzlich die Eignung zur Beeinträchtigung des Hochwasserabflusses zuzusprechen ist, wonach eigentlich die Untersagungswirkung des § 78a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 WHG eintritt.
Die angeordnete vollständige Beseitigung der quer zur Fließrichtung verlaufenden Hecke erweist sich aber indes als unverhältnismäßig und damit ermessensfehlerhaft (§ 114 VwGO), da nach dem Vortrag des Beklagten die Entfernung nur jeder fünften Pflanze nach Einschätzung des Wasserwirtschaftsamtes genügt, um den Hochwasserabfluss in ausreichendem Maße zu gewährleisten. Das Gericht verweist auch hinsichtlich dieser Einschätzung auf die besondere Bedeutung der Stellungnahmen des Wasserwirtschaftsamtes.
Ist aber der Hochwasserabfluss in ausreichendem Maße gewährleistet und somit gerade nicht von einer Beeinträchtigung auszugehen, so tritt bereits die Untersagungswirkung des § 78a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 WHG nicht ein, weshalb die Erteilung einer Zulassung nach § 78a Abs. 2 Satz 1 WHG schon gar nicht nötig sein dürfte, diese jedenfalls aber zu erteilen gewesen wäre. Die Zulassung gem. § 78a Abs. 2 Satz 1 WHG ist ihrerseits zwar als Ermessensvorschrift ausgestaltet, kommt aber unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Interessen der Betroffenen einer Ermessensreduzierung auf Null nahe (vgl. hierzu Rossi in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG AbwG, Stand August 2019, § 78a WHG Rn. 30).
Eine Beseitigung der quer zur Fließrichtung verlaufenden Hecke in Gänze wäre vor diesem Hintergrund unverhältnismäßig, da ein milderes Mittel zur Verfügung steht.
Es handelt sich auch gerade nicht um eine Änderung der Sach- und Rechtslage seit dem Erlass des Verwaltungsaktes, wobei im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG auch Änderungen im Laufe des gerichtlichen Verfahrens grundsätzlich zu beachten wären. Die Möglichkeit der nur teilweisen Beseitigung der Hecke bestand vielmehr von Anfang an, lediglich die fachliche Einschätzung des Wasserwirtschaftsamtes erging erst im späteren Verfahrensverlauf.
Soweit hinsichtlich der quer zur Fließrichtung der Fränkischen Rezat verlaufenden Hecke die Beseitigung von mehr als jeder fünften Pflanze angeordnet wurde, erweist sich der Verwaltungsakt jedenfalls als rechtswidrig.
2.3.4 Hinsichtlich der angeordneten Beseitigung der Hecke parallel zur Fließrichtung der Fränkischen Rezat sind die Tatbestandsvoraussetzungen der Rechtsgrundlage in Gänze nicht gegeben. Aufgrund der Anordnung parallel zur Fließrichtung steht dieser Teil der Hecke wohl bereits den Zielen des vorsorgenden Hochwasserschutzes nicht entgegen, womit schon keine Durchsetzung einer nach dem WHG bestehenden Verpflichtung bzw. keine Beeinträchtigung des Wasserhaushaltes gegeben ist. Eine Beeinträchtigung des Hochwasserabflusses ist diesbezüglich seitens der Behörde nicht dargelegt, das Wasserwirtschaftsamt selbst schätzt mögliche nachteilige Veränderungen von Wasserstand und Abfluss sowie eine potentielle Verklausungsgefahr als vertretbar ein. Abermals tritt somit wohl bereits die Untersagungswirkung des § 78a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 WHG nicht ein, weshalb auch hier die Erteilung einer Zulassung nach § 78a Abs. 2 Satz 1 WHG schon gar nicht nötig sein dürfte, jedenfalls aber zu erteilen gewesen wäre.
2.4 Soweit die Beseitigungsanordnung rechtswidrig ist, verletzt sie den Kläger auch in seinem Recht aus Art. 14 Abs. 1 GG.
2.5 Soweit sich die Grundverfügung als rechtswidrig erweist, liegen auch die Voraussetzungen für ihre Durchsetzung im Wege des Verwaltungszwangs (Zwangsgeldandrohung gem. Art. 29 Abs. 2 Nr. 1, Art. 33 und 36 BayVwZVG) nicht vor. Die Zwangsgeldandrohung ist damit ebenso wie die Kostenentscheidung (Art. 16 Abs. 5 KG) teilweise aufzuheben.
3. Nach alledem war der Klage teilweise stattzugeben.
Die Kostentragung richtet sich nach § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.

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