Aktenzeichen Au 4 K 17.708
Leitsatz
1 Zur Gestaltung des Ortsbildes kann eine Gemeinde für die Dacheindeckung in einem Neubaugebiet eine einheitliche Farbgebung vorschreiben, selbst wenn eine außerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans gelegene benachbarte Bebauung teilweise eine andersfarbige Dacheindeckung aufweist (im Anschluss an BayVGH BeckRS 2005, 16577). (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Möglichkeit, eine in Teilen dunkle Dacheindeckung durch die Installation einer Solaranlage zu realisieren, bleibt einem Antragsteller unbenommen, zwingt allerdings eine Gemeinde nicht, gleichsam vorauseilend eine dunkle Dacheindeckung zuzulassen. Eine Gemeinde ist wegen der Möglichkeit von Ausnahmen nicht gezwungen, von einer regelmäßigen Dachfarbgebung abzuweichen (vgl. VG München BeckRS 2016, 115751). (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 18. April 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Anordnung der Beseitigung der anthrazitfarbenen Dacheindeckung ist Art. 76 Satz 1 BayBO. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen anordnen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert wurden, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können.
Die formell rechtmäßige Anordnung erweist sich als materiell rechtmäßig.
1. Der Kläger hat abweichend von der Baugenehmigung und der ihr zugrunde liegenden Antragsunterlagen („Betonformsteine nach Bebauungsplan“) eine anthrazitfarbene Dacheindeckung an seinem Einfamilienhaus statt einer ziegelroten Bedachung angebracht. Damit hat er formell rechtswidrig gebaut.
2. Die Wahl einer solchen anthrazitfarbenen Dacheindeckung erweist sich auch als materiell rechtswidrig, da die Anordnung einer ziegelroten Dacheindeckung im Bebauungsplan auf einer wirksamen Rechtsgrundlage beruht (a)) und rechtmäßige Zustände auch nicht auf andere Weise als durch Beseitigung herstellbar sind (b)). Ermessensfehler der Behörde sind ebenso wenig erkennbar wie ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (c)).
a) (1) Grundlage der materiellen Rechtswidrigkeit der anthrazitfarbenen Dacheindeckung ist die Vorgabe in § 5 Abs. 6 des Bebauungsplans Nr. 15 mit Grünordnungsplan „Bereich” … (…)“. Demnach sind als Dachdeckungsmaterial nur Dachziegel oder Dachsteine in ziegelroter Farbe zulässig. Eine derartige Anordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 9 Abs. 4 BauGB i.V.m. Art. 81 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BayBO. Danach können Gemeinden besondere Anforderungen an die äußere Gestaltung baulicher Anlagen zur Erhaltung und Gestaltung von Ortsbildern als Festsetzung in den Bebauungsplan aufnehmen. Solche Vorschriften können und sollen über die Abwehr von Verunstaltungen hinaus eine positive Gestaltungspflege ermöglichen (vgl. Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand Mai 2017, Art. 81 Rn. 90). Dabei kommt den Gemeinden im Rahmen dieser generellen Zweckvorgabe des Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO ein beträchtlicher Spielraum zu, die gestalterischen Zwecksetzungen für die verschiedenen Teile des Gemeindegebietes zu konkretisieren und auszugestalten. Diese planerische Gestaltungsfreiheit wird aber durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip sowie das durch Art. 14 GG geschützte Eigentum begrenzt, wobei diese Grenzen nicht überschritten werden, wenn die gestalterischen Anforderungen auf einer fehlerfreien Abwägung aller im Einzelfall erheblichen Belange beruhen (Decker a.a.O. Rn. 91 m.w.N.).
Sollen gestalterische Anforderungen – wie hier – an ein Neubaugebiet gestellt werden, so ist der Gemeinde in der Regel dabei ein größerer Gestaltungsspielraum eingeräumt, als wenn es um Regelungen für ein bereits bebautes Gebiet geht (vgl. BayVGH, U.v. 12.9.1988 – 1 N 84 A.94, 1 N 84 A.555, 1 N 84 A.1657 – juris). Zur Gestaltung des Ortsbildes kann eine Gemeinde daher für die Dacheindeckung in einem Neubaugebiet eine einheitliche Farbgebung vorschreiben, selbst wenn eine außerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans gelegene benachbarte Bebauung – wie hier – teilweise eine andersfarbige Dacheindeckung aufweist (BayVGH U.v. 12.5.2005 – 26 B 03.2545 – juris Rn. 21).
Vorliegend soll laut Begründung des Bebauungsplanes (Punkt 2.1 „Städtebauliches Konzept“) Grundidee der Wohnbebauung die Schaffung einer dem dörflichen Baustil angepassten lockeren Siedlungsstruktur sein, welche dem vorherrschenden Ortsbild und der damit einhergehenden dörflichen Charakteristik Rechnung trägt. Vorherrschend – gleichwohl nicht ausschließlich – ist im Ortsteil … der Beigeladenen hier rote Dachdeckung vorhanden (vgl. Luftbilder Bl. 57 f. Gerichtsakte). Dabei spielt es keine Rolle, dass nördlich und nordwestlich des Plangebiets noch andersfarbige Dachdeckung vorhanden ist, da immer nur auf den Geltungsbereich des Bebauungsplans zu blicken ist. Die Gemeinde kann nämlich, auch wenn im Ortsteil bereits eine größere Zahl von Gebäuden mit dunkler Dacheindeckung vorhanden ist, im Rahmen ihres Gestaltungsspielraums auch auf eine positive Gestaltung durch eine sukzessive Herstellung der Einheitlichkeit der Dachlandschaft hinwirken (vgl. VG München, U.v. 27.4.2016 – M 9 K 15.5779 – juris Rn. 19 unter Verweis auf BayVGH, B.v. 10.11.2014 – 2 ZB 13-.2429 – juris Rn. 3). Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung verwehrt eine weitere Entwicklung zu einer einheitlichen Dachlandschaft auch bei einem geringen Anteil andersfarbiger Dacheindeckung nicht (VG München a.a.O.).
(2) Entgegen der Ansicht des Bevollmächtigten des Klägers sind die Vorschriften im Bebauungsplan bestimmt und nicht widersprüchlich. Dabei bleiben Abwägungsfehler außer Betracht, da diese nicht in der Frist des § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB gerügt wurden. Im Hinblick auf die auf Dauer prüfbaren Fragen zur Bestimmtheit (vgl. Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Stand Mai 2015, § 215 Rn. 5) kann die Kammer – im Hinblick auf die Möglichkeit, Sonnenkollektoren und Photovoltaikanlagen auf ziegelrotem Dach anzubringen – keine Unbestimmtheit erkennen. Der Bebauungsplan muss im Hinblick auf eine dort aufgenommene örtliche Bauvorschrift auch dem sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden Bestimmtheitsgebot genügen. Dieses Gebot schließt jedoch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe nicht aus, sofern sich ihr näherer Inhalt unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und des erkennbaren Willens des Normgebers erschließen lässt (VGH Mannheim, U.v. 5.10.2006 – 8 S 2417/05 – juris Rn. 20). Zunächst ist im Grundsatz nach § 5 Abs. 6 Halbsatz 1 der Satzung des Bebauungsplans Nr. 15 eine ziegelrote Dacheindeckung angeordnet. Derselbe Absatz, zweiter Halbsatz besagt nur, dass Sonnenkollektoren bündig an der Dachhaut anzubringen sind. In § 5 Abs. 10 der Satzung werden Solarkollektoren und Photovoltaikanlagen für zulässig erklärt. Die Wortlautauslegung und die systematische Auslegung kommen daher zu dem Ergebnis, dass das Dach selbst rot zu bleiben hat. Der Wille der Gemeinde und damit Sinn und Zweck der Norm ist im Hinblick auf das vorherrschende Ortsbild eine Vereinheitlichung des Erscheinungsbildes, die aber Solarkollektoren zulässt, solange das Dach selbst noch wahrnehmbar rot bleibt (Bl. 98 Verfahrensakte). Damit liegt eine Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB vom Grundsatz eines roten Erscheinungsbildes des Daches durch die Möglichkeit der Anbringung von Sonnenkollektoren vor. Rechtsgrundlage hierfür ist § 31 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 12 BauGB („Flächen für Anlagen und Einrichtungen zur dezentralen und zentralen Erzeugung von Strom“). Somit könnte im Zweifel also im Hinblick auf die Solarmodule, nicht im Hinblick auf die Dachfarbe, eine Ausnahme gewährt werden, eine größere Fläche des Daches mit Solarmodulen zu bestücken. Dass jedoch damit die Beigeladene eine unbestimmte Regelung erschaffen hat, ist nicht anzunehmen. Die Möglichkeit, eine in Teilen dunkle Dacheindeckung durch die Installation einer Solaranlage zu realisieren, bleibt einem Antragsteller unbenommen, zwingt allerdings eine Gemeinde nicht, gleichsam vorauseilend eine dunkle Dacheindeckung zuzulassen. Eine Gemeinde ist wegen der Möglichkeit von Ausnahmen nicht gezwungen, von einer regelmäßigen Dachfarbgebung abzuweichen (vgl. VG München, U.v. 27.4.2016 – M 9 K 15.5779 –juris Rn. 29).
Soweit der Bevollmächtigte des Klägers die entgegenstehende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Mannheim, des Verwaltungsgerichts Kassel und des Verwaltungsgerichts Würzburg ins Feld führt, ergibt sich daraus nichts anderes.
In der Entscheidung des VGH Mannheim (U.v. 5.10.2006 – 8 S 2417/05 – juris) lag eine völlig anders ausgestaltete Norm zu Grunde, nämlich § 56 LBO Baden-Württemberg. Diese ist zum einen – anders als Art. 63 BayBO – als gebundene Vorschrift und nicht als Ermessensnorm ausgestattet. Überdies sieht § 56 Abs. 2 Nr. 3 LBO Baden-Württemberg einen Vorrang von Vorhaben zur Nutzung erneuerbarer Energien, sprich Solaranlagen vor. In der Folge wendete der VGH Mannheim § 56 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 LBO an (VGH Mannheim a.a.O. – juris Rn. 27). Danach würden Gründe des allgemeinen Wohls die Zulassung einer der Farbe der Solarmodule entsprechenden Farbe der übrigen Dacheindeckung erfordern, wenn die Anbringung solcher Module zwangsläufig dazu führe, dass etwa 99% der Dachfläche optisch schwarz in Erscheinung trete und wenn zugleich das Ziel verfolgt werde, eine weitgehende Einheitlichkeit der farblichen Gestaltung der Dacheindeckung zu erreichen. Der VGH Mannheim berief sich dabei jedoch in derselben Randnummer der Entscheidung für die Farbe der „eigentlichen“ Dachhaut auf die Grundlage des eben benannten § 56 Abs. 2 Nr. 3 LBO Baden-Württemberg, der so allerdings in Bayern nicht existiert. Damit ist diese Rechtsprechung nicht übertragbar.
Auch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Kassel (U.v. 16.12.2010 – 2 K 1191/09.KS – juris) kann nicht übertragen werden. Einerseits liegt im maßgeblichen Bebauungsplangebiet keine andersfarbige Dacheindeckung als ziegelrot vor – mit Ausnahme des Dachs des Klägers. Zum anderen ist es nach obergerichtlicher bayerischer Rechtsprechung nicht zu beanstanden, wenn eine Gemeinde in einem Neubaugebiet eine andersfarbige Dacheindeckung als teilweise in der näheren Umgebung vorhanden anordnen und damit eine sukzessive Vereinheitlichung schaffen möchte (vgl. BayVGH, U.v. 12.5.2005 – 26 B 03.2454 – juris Rn. 21). Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO stellt vom Wortlaut her gerade nicht auf eine „Erhaltung“ des Ortsbildes, sondern auf eine „Gestaltung“ ab. Eine teilweise in anderen Bereichen des Ortsteils vorhandene andersartige Bebauung – die, wie die mündliche Verhandlung ergeben hat, teils auf über jahrzehntealten Bebauungsplänen beruht – steht einer neuen Gestaltung durch Satzung also nicht entgegen. Dieses Verständnis legt auch die Beigeladene ihrer Begründung zum Bebauungsplan zugrunde, wenn dort auf das „vorherrschende“ und nicht etwa „ausschließliche“ Ortsbild Bezug genommen wird.
Auch im Hinblick auf die vorgebrachte Entscheidung des Verwaltungsgerichts Würzburg (U.v. 2.5.2002 – W 5 K 01.956 – juris) folgt nichts anderes. Anders als dort liegt hier kein Gesamtbebauungsplan mit verschiedenen Farbgebungen der Dächer vor, sondern nur ein einheitlicher Bebauungsplan.
b) Es ist nicht erkennbar, dass rechtmäßige Zustände auf andere Weise herstellbar wären, Art. 76 Satz 1 BayBO. Selbst eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB über einen Tekturplan mit Befreiungsantrag würde – wie auch die Beigeladene mehrfach vorgetragen hat – die Grundzüge der Planung berühren. Ob Grundzüge der Planung berührt werden, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwiderläuft (BayVGH, U.v. 24.3.2011 – 2 B 11.59 – juris Rn. 30). Die Festsetzung der Dachfarbe wurde getroffen, um eine Einheitlichkeit des Gebietes anhand des vorherrschenden Ortsbildes zu erreichen. Auf die konkretisierenden Angaben des Ersten Bürgermeister der Beigeladenen in seinem Schreiben vom 28. Februar 2017 wird Bezug genommen (Bl. 98 Verfahrensakte). Die Farbe der Dächer ist auch angesichts der Ortsrandlage raumwirksam sichtbar, wie der gerichtliche Augenschein ergeben hat. Die städtebauliche Außenwirkung muss hier angenommen werden. Eine Bezugsfallwirkung ist somit nicht von der Hand zu weisen. Für eine Ermessensreduktion auf Null im Hinblick auf § 31 Abs. 2 BauGB sprechen – auch im Hinblick auf das eigenmächtige Handeln des Klägers – keine Gründe.
c) Ermessensfehler im Übrigen sind nicht ersichtlich. Auch ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 GG liegt nicht vor. Es kommt nicht darauf an, dass in verschiedenen Baugebieten vereinzelt Verstöße gegen die in den Bebauungsplänen angeordnete Dachfarbbestimmung gegeben sein könnten, sondern nur auf den streitgegenständlichen Bebauungsplan Nr. 15. Hier liegt keine Ungleichbehandlung des Klägers vor, weil sich alle anderen Bauherren an die ziegelrote Dacheindeckung gehalten haben (vgl. Lichtbilder des Augenscheins). Auf eine Gleichheit im Unrecht kann sich der Kläger ohnehin nicht berufen. Selbst wenn es darauf ankäme, hat das Landratsamt angekündigt, etwaige Verstöße gegen die Dachfarbgebung an anderen Orten im Gemeindegebiet zu ahnden. Damit kann keine willkürliche Ungleichbehandlung des Klägers angenommen werden.
Die Zwangsgeldandrohung in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheides beruht auf Art. 29, 30, 31 und 36 VwZVG und hält sich in seiner Höhe im angemessenen (unteren) Bereich des gegebenen Rahmens.
Damit war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da die Beigeladene einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit gemäß § 162 Abs. 3 VwGO, dem Kläger auch deren außergerichtliche Kosten aufzuerlegen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.