Baurecht

Anordnung zum Rückschnitt einer in den Straßenraum hineinragenden Hecke – Rangfolge der Zwangsmittel

Aktenzeichen  M 2 K 16.4386

Datum:
6.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayStrWG BayStrWG Art. 18 Abs. 1 S. 1, Art. 18a Abs. 1 S. 1, Art. 29 Abs. 2 S. 1, S. 2, Art. 66 Nr. 4
LStVG LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 2
BayVwVfG BayVwVfG Art. 37 Abs. 1, Art. 40
VwZVG VwZVG Art. 32 S. 2
GG GG Art. 14 Abs. 1 S. 2
VwGO VwGO § 114 S. 1

 

Leitsatz

1. Eine von einem Privatgrundstück in den öffentlichen Straßenraum hineinragende Anpflanzung stellt eine Sondernutzung im Sinn von Art. 18 Abs. 1 S. 1 BayStrWG dar. Eine “Bagatellgrenze” hinsichtlich der Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs besteht nicht. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Interessenkonflikt zwischen Eigentümerbefugnissen und Schutzzweck des Art. 29 Abs. 2 S. 1 und 2 BayStrWG wird nur dann gerecht und verfassungsrechtlich unbedenklich ausgeglichen, wenn im konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens eine Verletzung der Schutzgüter der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs von Gewicht zu erwarten ist und durch die Regelung abgewehrt werden soll, d.h. notwendig ist das Vorliegen einer konkreten Gefahr. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Dass durch eine Ersatzvornahme der rechtlich gebotene Zustand auf direkterem Wege hergestellt werden kann als durch die nur mittelbar wirksame Androhung und Beitreibung eines Zwangsgelds, ändert nichts an dessen rechtlichem Vorrang als Regelzwangsmittel. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 5. September 2016 in der Fassung vom 6. Dezember 2016 wird in den Nrn. 2 und 3 aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens haben die Kläger ¾, die Beklagte ¼ zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nur zum Teil begründet.
Die Anordnung der Beklagten in Ziffer 1. des Bescheids vom 5. September 2016 in der Fassung der Erklärung vom 6. Dezember 2016 ist rechtlich nicht zu beanstanden (nachfolgend I.). Rechtswidrig ist hingegen die Androhung der Zwangsvollstreckung in den Ziffern 2. und 3. dieses Bescheids (nachfolgend II.). Ziffer 4. des Bescheids (Anordnung des Sofortvollzugs) ist nur Gegenstand des Eilverfahrens, die Kostenentscheidung in Ziffer 5. des Bescheids begegnet keinen Bedenken.
I. Die Beklagte darf die Klagepartei verpflichten, die auf deren Grundstück stehende Thujenhecke soweit zurückzuschneiden, dass keine Äste und Zweige dieser Hecke über die Grundstücksgrenze in das Lichtraumprofil des angrenzenden Gehwegs hineinragen.
1. Als Rechtsgrundlage für die Anordnung kann die Beklagte sich auf Art. 29 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 66 Nr. 4 BayStrWG i.V.m. Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG stützen (nachfolgend a); zu dieser Rechtsgrundlage vgl. Wiget in Zeitler, Bayer. Straßen- und Wegegesetz, Stand Oktober 2015, Art. 29 Rn. 28). Ihr stünde im Übrigen alternativ auch eine weitere Rechtsgrundlage zur Verfügung (nachfolgend b)).
a) Nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG dürfen u.a. Anpflanzungen aller Art nicht angelegt werden, soweit sie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen können. Vom Begriff des „Anlegens“ wird dabei auch das „Wachsenlassen“ von Anpflanzungen erfasst (vgl. Wiget in Zeitler, a.a.O., Art. 29 Rn. 26; BayObLG, B.v. 4.4.1995 – 3 ObOWi 30/95 – BayVBl 1995, 541). Art. 66 Nr. 4 BayStrWG enthält eine Bußgeldvorschrift für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG. Deshalb vermittelt Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG (wonach die Sicherheitsbehörden für den Einzelfall Anordnungen treffen können, um Zustände zu beseitigen, die durch Taten verursacht wurden, die den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen) den Gemeinden (vgl. Art. 6 LStVG) die Befugnis für die erforderlichen Anordnungen zur Beseitigung verbotswidriger Behinderungen (vgl. Wiget in Zeitler, a.a.O., Art. 29 Rn. 28).
b) Angemerkt sei noch, dass die streitige Sachverhaltskonstellation einer von einem Privatgrundstück in den öffentlichen Straßenraum hineinragenden Anpflanzung auch eine Sondernutzung i.S.v. Art. 18 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG darstellt (vgl. OVG NRW, B.v. 21.7.2009 – 11 A 701/70 – juris Rn. 20; Edhofer/Willmitzer, Bayer. Straßen- und Wegegesetz, 13. Aufl. 2010, Art. 29 Erl. 2.2, 2.5). Im Bereich der straßenrechtlichen Sondernutzung ist allgemein anerkannt, dass eine „Bagatellgrenze“ hinsichtlich der Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs nicht besteht und dass – von Extremfällen abgesehen – bereits ein geringfügiges Hineinragen in den Straßenraum auch ohne konkrete Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs die Erlaubnispflicht auslöst (vgl. im Einzelnen: Wiget in Zeitler, a.a.O., Art. 18 Rn. 15). Damit würde auch Art. 18a Abs. 1 Satz 1 BayStrWG (wonach die Gemeinde als Straßenbaubehörde die erforderlichen Anordnungen erlassen kann, wenn eine Straße ohne die nach Art. 18 BayStrWG erforderliche Erlaubnis benutzt wird) eine Anordnung mit dem streitgegenständlichen Inhalt ermöglichen (hinsichtlich eines ebenso möglichen privatrechtlichen Vorgehens vgl. im Übrigen: BayVGH, U.v. 15.12.2004 – 8 B 04.1524 – juris Rn. 40; Edhofer/Willmitzer, a.a.O., Art. 29 Erl. 1, 4; Wiget in Zeitler, a.a.O., Art. 29 Rn. 2, 44).
2. Die Anordnung der Beklagten ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden, insbesondere ist sie inhaltlich hinreichend bestimmt (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG).
Zwar ging die Beklagte bei der Erstellung der Anordnung von einer Breite des Gehwegs von 2,30 m aus (weil sie die Breite des Randsteins nicht berücksichtigte). Die Klagepartei wird deshalb dazu verpflichtet, dass durch den Rückschnitt auf dem Gehweg eine Durchgangsbreite von „min. 2,30 m“ gewährleistet ist. Im gerichtlichen Verfahren ging die Beklagte jedoch – wie die Klagepartei – von einer Gehwegbreite von 2,50 m aus und fordert auch einen Rückschnitt bis an die Grundstücksgrenze zwischen Anliegergrundstück und Gehweg. Dies ist rechtlich unbedenklich, denn die Beklagte hat die streitgegenständliche Anordnung vorrangig vor konkreten Maßangaben vor allem durch den Verweis auf eine dem Bescheid beigefügte Darstellung des von Bewuchs freizuhaltenden Lichtraumprofils konkretisiert. Aus dieser Darstellung ergibt sich das Ziel der Anordnung, nämlich ein Rückschnitt bis an die Grundstücksgrenze über die gesamte Breite des Gehwegs hinweg, zweifelsfrei. Vor diesem Hintergrund und angesichts der konkret gewählten Formulierung der Anordnung („min. 2,30 m“) besteht auch kein rechtlich relevanter Widerspruch zwischen der (textlichen) Anordnung und dieser Darstellung.
3. Der Verbotstatbestand des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG ist erfüllt. Danach dürfen u.a. Anpflanzungen aller Art nicht angelegt (vgl. hierzu bereits oben 1. a)) werden, soweit sie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen können. Die Anordnung ihrer Beseitigung ist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG i.V.m. Art. 66 Nr. 4 BayStrWG i.V.m. Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG grundsätzlich zulässig.
a) Mit der Regelung, dass unter anderem Anpflanzungen aller Art und Zäune nicht errichtet werden dürfen, soweit sie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen können, enthält Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG eine Beschränkung der Nutzung des privaten Grundstückseigentums. Bei derartigen bodenrechtlichen Sachverhalten steht der Gesetzgeber angesichts des Auftrags, Inhalt und Schranken des Eigentums zu regeln (vgl. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 103 Abs. 2, 158 BV), vor einer schwierigen Aufgabe. Einerseits gewährleisten Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 103 Abs. 1 BV das Privateigentum, wie es sich in seinem rechtlichen Gehalt vor allem in der grundsätzlichen Verfügungsbefugnis und in der Privatnützigkeit verwirklicht. Andererseits muss der Gesetzgeber in gleicher Weise dem verfassungsrechtlichen Gebot einer sozial gerechten Eigentumsordnung Rechnung tragen (vgl. Art. 14 Abs. 2 GG, Art. 103 Abs. 2, 158 BV). Dazu muss er die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten ohne einseitige Bevorzugung oder Benachteiligung in einen gerechten Ausgleich bringen. Hierbei hat er seine Bindung an die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu beachten. Das Wohl der Allgemeinheit ist nicht nur Grund, sondern auch Grenze für die dem Eigentum aufzuerlegenden Beschränkungen. Um vor den Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 103, 158 BV Bestand zu haben, müssen (Nutzungs-)Beschränkungen des Eigentums deshalb vom geregelten Sachbereich her geboten und auch in ihrer Ausgestaltung sachgerecht sein. Einschränkungen der Eigentümerbefugnisse dürfen nicht weiter gehen, als der Schutzzweck reicht, dem die Regelung dient. In jedem Fall erfordert die verfassungsrechtliche Gewährleistung die Erhaltung der Substanz des Eigentums und die Beachtung des Gleichheitsgebots der Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV (BayVGH, U.v. 15.12.2004 – 8 B 04.1524 – juris Rn. 23 m.w.N.).
Diesen verfassungsrechtlichen Grundsätzen entspricht die Systematik der gesetzlichen Regelungen in Art. 29 Abs. 2, Abs. 4 BayStrWG, die nach der eigentumsrechtlichen Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit von Anpflanzungen und Gegenständen, welche die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen können, differenziert. Nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG verbotswidrige Anpflanzungen und Gegenstände wie z.B. Hecken, die – wie hier – in den öffentlichen Straßenraum hineinwachsen, erlangen – jedenfalls in der Regel – keinen Eigentumsschutz. Zwar kann auch dieses Verbot durchaus zu fühlbaren Vermögensnachteilen führen. Das als Auswirkung der Sozialpflichtigkeit des Eigentums unmittelbar wirksame Verbot führt jedoch dazu, dass ab dem Zeitpunkt der Wirksamkeit keine entschädigungsfähige Rechtsposition mehr entstehen kann (vgl. Wiget in Zeitler, a.a.O., Rn. 39 m.w.N.). Denn für den Eigentümer des z.B. in den Straßenraum hineinragenden Bewuchses stellt sich das Verbot als zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung i.S. von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG bzw. Art. 103 Abs. 2 BV dar, die seine Rechtsposition und damit den Inhalt seiner Eigentümerbefugnisse schmälert (vgl. BayVGH, U.v. 15.12.2004 – 8 B 04.1524 – juris Rn. 40). Der Gesetzgeber sieht deshalb im Falle eines Verstoßes gegen das Verbot des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG auch keine Ausgleichspflicht vor, anders als im Falle des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG, in dem die Duldung der Beseitigung bereits vorhandener, die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigender Anpflanzungen und Gegenstände durch den Straßenbaulastträger verlangt werden kann. Im letzteren Fall lässt der Gesetzgeber nämlich auch Einwirkungen auf bestandsgeschützte Nutzungen zu, die dem Eigentümer ein ausgleichspflichtiges Sonderopfer abverlangen können (vgl. Wiget in Zeitler, a.a.O., Rn. 39). Eine derartige Fallgestaltung liegt hier jedoch nicht vor, weil von der streitgegenständlichen Beseitigungsanordnung nur i.S.d. Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG verbotswidrig in den öffentlichen Straßenraum ragender Bewuchs betroffen ist und nicht etwa auch bestandsgeschützte Teile der Hecke auf dem Grundstück der Klagepartei.
Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist allerdings auch im Rahmen des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG in jedem konkreten Einzelfall die Prüfung erforderlich, ob die Nutzungsbeschränkung überhaupt und wenn ja, in vollem Umfang notwendig ist, um Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs abzuwehren. Nicht vereinbar mit der verfassungsrechtlichen Stellung des Grundstückseigentümers wäre es deshalb, eine abstrakte Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs als Tatbestandsvoraussetzung ausreichen zu lassen; denn dann würde auf der Grundlage einer nur generell-abstrakten Betrachtung denkbarer Verhaltensweisen oder Zustände ein Schadenseintritt als wahrscheinlich angesehen werden können. Der Interessenkonflikt zwischen Eigentümerbefugnissen und Schutzzweck des Art. 29 Abs. 2 Sätze 1 und 2 BayStrWG wird vielmehr nur dann gerecht und verfassungsrechtlich unbedenklich ausgeglichen, wenn im konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens eine Verletzung der Schutzgüter der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs von Gewicht zu erwarten ist und durch die Regelung abgewehrt werden soll, d.h. notwendig ist das Vorliegen einer so genannten konkreten Gefahr (BayVGH, U.v. 15.12.2004 – 8 B 04.1524 – juris Rn. 24).
b) Gemessen hieran ist im vorliegenden Einzelfall festzustellen: Selbst wenn man nur von einem Überwuchs der Thujenhecke in dem von der Klagepartei einräumten Ausmaß (ca. 45 cm) ausgeht, liegt bereits eine hinreichende und die streitgegenständliche Anordnung rechtfertigende Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs vor.
Die Zweige und Äste der Thujenhecke der Klagepartei ragen entlang der Front des Grundstücks zum Gehweg jedenfalls mehr als 40 cm in den Gehweg hinein (die Klagepartei räumt einen Überwuchs von mindestens 45 cm ein und hat nach eigener Darstellung einen Rückschnitt auf einen Überwuchs von 40 cm angeboten, die Beklagte geht von einem Überwuchs von 60 – 70 cm aus). Nach – inzwischen – unstreitiger Auffassung der Beteiligten weist der Gehweg vor dem Grundstück der Klagepartei eine Breite von 2,50 m auf. Es verbleibt damit günstigstenfalls eine nutzbare Gehwegbreite von 2,10 m (dass der Überwuchs erst ab der Oberkante des Gartenzauns in einer Höhe von 1,30 bis 1,50 m beginnt, spielt keine Rolle, da für einen durchschnittlichen Nutzer des Gehwegs der Luftraum unterhalb dieses Überwuchses keinen praktisch nutzbaren Bewegungsraum darstellt). Schon diese günstigstenfalls nutzbare Breite von 2,10 m lässt nach Überzeugung des Gerichts nicht ansatzweise eine hinreichend sichere und unbeeinträchtigte Nutzung des Gehwegs durch die unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer (Fußgänger, Rollstuhlfahrer, Fußgänger mit Kinderwagen, spielende oder auf dem Gehweg Rad fahrende Kleinkinder, etc.) vor dem Anwesen der Klagepartei zu. Bestätigt wird dies durch entsprechende technische Regelwerke wie die Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 06): Danach ergibt sich als Mindestanforderung für den Verkehrsraum eines Gehwegs eine Breite von 2,50 m (RASt 06, Seite 81, Bild 70). Dementsprechend wird auch für die „typische Entwurfssituation einer Wohn Straße“, die der vorliegenden örtlichen Situation entsprechen dürfte, eine Mindest-Gehwegbreite von 2,50 m empfohlen (RASt 06, Seite 39, Bild 26). Deshalb greift auch die Behauptung der Klägerseite, bei der …straße handle es sich um eine gering genutzte reine Anwohner Straße, nicht durch; auch für Straßen mit einer reinen Funktion zur Erschließung von Wohngebieten und einer geringen Stärke des motorisierten Verkehrs leitet sich nach diesem technischen Regelwerk aus dem typischen Raumbedarf der Gehwegnutzer eine Mindest-Gehwegbreite von 2,50 m ab. Die durch das Unterschreiten dieses Raumbedarfs verursachte Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf dem an sich baulich ausreichend dimensionierten und durch die Widmung vollständig dem Gemeingebrauch zur Verfügung stehenden Gehweg gebietet das Einschreiten der Beklagten.
4. Die Ermessensausübung der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid ist durch das Gericht nicht zu beanstanden (§ 114 Satz 1 VwGO).
Soweit die Klagepartei auf die langjährige, vermeintlich unbeanstandete Existenz der Thujenhecke hinweist, vermag dies keine Zweifel am ermessensfehlerfreien Vorgehen der Beklagten zu begründen. Der Vertreter der Beklagten legte dar, dass in der Vergangenheit im gemeindlichen Mitteilungsblatt regelmäßig auf den erforderlichen Rückschnitt von Hecken hingewiesen worden sei. Dies musste letztlich nicht weiter überprüft werden, denn entscheidend ist, dass durch eine Beschlussfassung vom 23. Juli 2015 im Bau-, Verkehrs- und Grundstücksausschuss der Beklagten aus Gründen der Gleichbehandlung aller Grundstückseigentümer ein konsequentes gemeindeweites Vorgehen zur notfalls zwangsweisen Durchsetzung des Rückschnitts von Hecken auf die Grundstücksgrenzen festgelegt und die Verwaltung mit der entsprechenden Umsetzung beauftragt wurde. Dass diese Umsetzung gemeindeweit erfolgte und weiter erfolgen wird, wurde vom Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung überzeugend erläutert. Es ist deshalb nichts dafür ersichtlich, dass die Beklagte mit ihrem Vorgehen die durch Art. 40 BayVwVfG gezogenen Grenzen überschreiten würde.
5. Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit der Anordnung hat das Gericht nicht. Der geforderte Rückschnitt der Thujenhecke der Klägerseite bis auf die Grundstücksgrenze ist geeignet und erforderlich, eine Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf dem Gehweg vor dem Anwesen der Klagepartei zu verhindern und den Gehweg in seiner vollen und für die Verkehrsteilnehmer erforderlichen Breite wieder zur Verfügung zu stellen. Der gegen die Verhältnismäßigkeit der Anordnung erhobene Einwand der Klagepartei, durch einen Rückschnitt der Thujenhecke bis auf die Grundstücksgrenze werde die Hecke insgesamt in ihrer Existenz gefährdet und es sei davon auszugehen, dass mit hohem finanziellen Aufwand eine Ersatzpflanzung erforderlich werde, verhilft der Klage nicht zum Erfolg:
Für das Gericht ist nicht ersichtlich, dass der geforderte Rückschnitt der Thujenhecke tatsächlich deren Existenz insgesamt gefährden könnte. Nach dem Eindruck des Gerichts aus der Erörterung der Angelegenheit in der mündlichen Verhandlung dürfte auf der Klägerseite wohl eher die – durchaus realistische – Befürchtung vorherrschen, der geforderte Rückschnitt führe dazu, dass die Thujenhecke auf Grund ihrer natürlichen Beschaffenheit mindestens auf Jahre hinaus zur Straßenseite hin ein unansehnlich kahles Erscheinungsbild zeigen werde. Dafür, dass die Hecke insgesamt, also auch soweit sie sich auf dem klägerischen Grundstück befindet, auf Grund des geforderten Rückschnitts bis zur Grundstücksgrenze nicht mehr überlebensfähig wäre, sind dagegen keine hinreichenden Anhaltspunkte ersichtlich. Die bloße optische Beeinträchtigung reicht nicht aus, einen Eigentumseingriff von Gewicht zu begründen. Insoweit kommt – wie oben (I. 3. a)) bereits dargelegt – zum Tragen, dass der in den öffentlichen Straßenraum hineinragende verbotswidrige Bewuchs – jedenfalls im Regelfall – keinen Eigentumsschutz erlangen kann. So liegt der Fall auch hier, zumal die Rechtswidrigkeit des Überwuchses – allein schon auf Grund der öffentlichen Hinweise der Beklagten – für den Kläger offensichtlich sein musste. Es kann daher keine Rede davon sein, dass die Beseitigungsanordnung unangemessen wäre. Auch ist keine praktikable Möglichkeit ersichtlich, die von der Klagepartei befürchteten Auswirkungen auf die Thujenhecke bei Sicherstellung des Ziels einer Gewährleistung der Sicherheit und Leichtigkeit des Fußgängerverkehrs spürbar abzumildern, etwa durch einen sukzessiven, zeitlich gestaffelten Rückschnitt: Wie in der mündlichen Verhandlung ausführlich erörtert wurde, eröffnet das natürliche Wuchsverhalten einer Thujenhecke bei dem vorhandenen massiven Überhang keinen Raum dafür, in einem noch angemessenen Zeitraum einen Rückschnitt bis auf die Grundstücksgrenze unter gleichzeitigem Erhalt von frischen Trieben der Hecke zu erreichen.
II.
Die Androhung der Ersatzvornahme in Ziffer 2. des Bescheids vom 5. September 2016 und dementsprechend auch die Kostenschätzung in Ziffer 3. des Bescheids sind rechtswidrig und verletzen die Klagepartei in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach Art. 32 Satz 2 BayVwZVG ist die Ersatzvornahme nur zulässig, wenn ein Zwangsgeld keinen Erfolg erwarten lässt. Diese Einschränkung ist eine Zulässigkeitsvoraussetzung für das Zwangsmittel der Ersatzvornahme und entspricht der nach bayerischem Vollstreckungsrecht vorgesehenen Rangfolge der Zwangsmittel (vgl. Art. 29 Abs. 2 BayVwZVG), die bei vertretbaren Handlungen – wie hier – grundsätzlich vom Vorrang des Zwangsgeldes gegenüber der Ersatzvornahme ausgeht, weil ersteres als das mildere Zwangsmittel angesehen wird. Art. 32 Satz 2 BayVwZVG schränkt somit die Anwendung des Zwangsmittels der Ersatzvornahme ein (BayVGH, B.v. 14.9.2006 – 15 ZB 06.2079 – juris Rn. 5 m.w.N.).
Vorliegend ist nichts dafür ersichtlich oder von der Beklagten schlüssig vorgetragen, dass im Fall der Klagepartei ein – erstmals – angedrohtes Zwangsgeld von vornherein ungeeignet gewesen wäre, die Klagepartei zur Erfüllung ihrer Pflichten anzuhalten. Dass durch eine Ersatzvornahme der rechtlich gebotene Zustand auf direkterem Weg hergestellt werden kann als durch die nur mittelbar wirksame Androhung und Beitreibung eines Zwangsgelds, ändert nichts an dessen rechtlichem Vorrang als Regelzwangsmittel (BayVGH, B.v. 7.11.2002 – 22 CS 02.2335 – juris Rn. 13 m.w.N.).
Die Klage war deshalb zum überwiegenden Teil mit der Kostenfolge des § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nrn. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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