Baurecht

Anspruch auf Belichtung und Belüftung im Nachbarrecht

Aktenzeichen  W 5 K 18.975

Datum:
9.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 14420
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 101 Abs. 2, § 113 Abs. 1 S. 1
BayBO Art. 60, Art. 68 Abs. 1 S. 1
BauGB § 1 Abs. 7, § 30 Abs. 1
BauNVO § 15 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Eine erdrückende Wirkung eines Vorhabens auf das Anwesen eines Nachbarn scheidet sowohl von den Ausmaßen als auch von der baulichen Gestaltung aus, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als das betroffene Gebäude. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Schöpft die in einem Baugebiet vorhandene Bebauung die Festsetzungen eines Bebauungsplanes nicht aus, sondern bleibt sie dahinter zurück, so verstößt ein Bauvorhaben auf dem Nachbargrundstück, welche das im Plan zugelassene und den Planzielen entsprechenden Nutzungsmaß ausnutzt, nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen der Beigeladenen zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Der Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden konnte (vgl. § 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig aber nicht begründet.
Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg, da die angefochtene Baugenehmigung des Landratsamts W. vom 5. Juni 2018 nicht rechtswidrig ist und damit die Klägerin nicht in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Insoweit ist das Landratsamt W. hier zutreffender Weise vom regulären Genehmigungsverfahren des Art. 60 BayBO ausgegangen.
Die Baugenehmigung ist nur dann aufzuheben, wenn sie rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Nachbar eines Vorhabens kann eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, die auch seinem Schutz dienen, oder wenn es das Vorhaben an der gebotenen Rücksichtnahme auf seine Umgebung fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt. Nur daraufhin ist das genehmigte Vorhaben in einem nachbarrechtlichen Anfechtungsprozess zu prüfen (vgl. OVG Münster, B.v. 5.11.2013 – 2 B 1010/13 – DVBl. 2014, 532; BVerwG, B.v. 28.7.1994 – 4 B 94/94; U.v. 19.9.1986 – 4 C 8.84; U.v. 13.6.1980 – IV C 31.77; alle juris).
2. Für eine Verletzung des Bauordnungsrechts (Art. 60 Satz 1 Nr. 2 BayBO) ist von vornherein weder etwas vorgetragen noch sonst wie ersichtlich, insbesondere werden vorliegend unstreitig die Abstandsflächen gemäß der Vorschrift des Art. 6 BayBO zum Grundstück der Klägerin (erforderlich nach Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayBO: 3 m; vorhanden: 5 m) eingehalten. Gleiches gilt für die anderen öffentlich-rechtlichen Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Anforderungen entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird (Art. 60 Satz 1 Nr. 3 BayBO).
3. Dem Vorhaben der Beigeladenen stehen auch keine – nach Art. 60 Satz 1 Nr. 1 BayBO zu prüfenden – bauplanungsrechtlichen Gründe entgegen.
Bauplanungsrechtlich beurteilt sich das streitgegenständliche Vorhaben nach § 30 Abs. 1 BauGB, da es im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans „W. Süd …“ des Marktes R … in der Fassung der 3. Änderung vom 23. Februar 2010, liegt.
Nach diesem qualifizierten Bebauungsplan erweist sich das streitgegenständliche Vorhaben als allgemein zulässig nach § 30 Abs. 1 BauGB, denn es widerspricht nicht den Festsetzungen dieses Bebauungsplans über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen. Das Vorhaben weicht lediglich von der Regelung über die sich westlich an das Baugrundstück anschließende öffentliche Grünfläche und den Schutzstreifen ab, wofür eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB erteilt wurde.
3.1. Eine Rechtsverletzung der Klägerin durch die streitgegenständliche Baugenehmigung ergibt sich nicht aus dem sog. Gebietsbewahrungsanspruch.
Insoweit hat die Kammer im Beschluss vom 2. Oktober 2018 im Verfahren W 5 S 18.1143 bereits Folgendes ausgeführt:
„Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Nachbar im Plangebiet sich gegen die Zulässigkeit einer gebietswidrigen Nutzung im Plangebiet wenden, auch wenn er durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird. Der Nachbar hat also bereits dann einen Abwehranspruch, wenn das baugebietswidrige Vorhaben im jeweiligen Einzelfall noch nicht zu einer tatsächlich spürbaren und nachweisbaren Beeinträchtigung führt. Der Abwehranspruch wird grundsätzlich bereits durch die Zulassung eines mit der Gebietsfestsetzung unvereinbaren Vorhabens ausgelöst. Begründet wird dies damit, dass im Rahmen des nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses jeder Planbetroffene das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets verhindern können soll (vgl. BVerwG, B.v. 2.2.2000 – 4 B 87/99 – NVwZ 2000, 679; U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – BVerwGE 94, 151).
Hier scheitert der Gebietsbewahrungsanspruch aber bereits daran, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Vorhaben auf Errichtung einer Lager- und Logistikhalle nicht um ein baugebietswidriges Vorhaben, sondern um ein nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO (Gewerbebetrieb aller Art) allgemein zulässiges Vorhaben handelt. Anhaltspunkte dafür, dass das geplante Vorhaben nur in einem Industriegebiet nach § 9 BauNVO zulässig wäre, wurden weder vorgetragen noch sind solche sonst wie ersichtlich.“
Im Rahmen des (weiteren) Klageverfahrens hat die Klägerin insoweit nichts Neues vorgebracht, so dass sich weitere Ausführungen erübrigen.
3.2. Die streitgegenständliche Baugenehmigung verstößt – entgegen der Ansicht der Klägerseite, die im Wesentlichen sowohl im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes als auch im hiesigen Hauptsacheverfahren einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme rügt – auch nicht gegen das in § 15 Abs. 1 BauNVO enthaltene Gebot der Rücksichtnahme. Im Einzelnen:
Nach § 15 Abs. 1 BauNVO sind die in den §§ 2-14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang und Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebietes widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.
Insoweit hat die Kammer im Beschluss vom 2. Oktober 2018 im Verfahren W 5 S 18.1143 bereits Folgendes ausgeführt:
„Das Gebot der Rücksichtnahme (grundlegend BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22/75 – juris) soll einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten. Die an das Gebot der Rücksichtnahme zu stellenden Anforderungen hängen im Wesentlichen von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Die vorzunehmende Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dies beurteilt sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmeberechtigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris). Das Gebot der Rücksichtnahme ist demnach nur dann verletzt, wenn die der Antragstellerin aus der Verwirklichung des geplanten Vorhabens resultierenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was ihr als Nachbarin billigerweise noch zumutbar ist (vgl. Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 13. Aufl. 2016, Vorbem. zu §§ 29 – 38 Rn. 49).
Das streitgegenständliche Bauvorhaben verletzt nach diesen Maßstäben das Rücksichtnahmegebot nicht. Die anhand des Rücksichtnahmegebots durchzuführende Interessenabwägung führt im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass die Antragstellerin dem Interesse der Beigeladenen an der Verwirklichung des Vorhabens keine überwiegenden eigenen Interessen entgegenzusetzen hat.
Zu beachten ist zunächst, dass im Rahmen des § 30 BauGB eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme über § 15 Abs. 1 BauNVO nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt. Denn i.d.R. ist eine sachgerechte Umsetzung des Rücksichtnahmegebots bereits in der den einzelnen Festsetzungen zugrunde liegenden Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB) enthalten. Eine Konfliktlösung im Baugenehmigungsverfahren über das Gebot der Rücksichtnahme setzt daher voraus, dass der Bebauungsplan für sie noch offen ist. Je konkreter eine Festsetzung ist, desto geringer ist die Gestaltungsfreiheit für den Betroffenen und damit auch der Spielraum für die Anwendung des § 15 Abs. 1 BauNVO. Nur soweit der Bebauungsplan selbst noch keine abschließende planerische Entscheidung enthält, ermöglicht das Rücksichtnahmegebot eine „Nachsteuerung“ im Baugenehmigungsverfahren. Festsetzungen eines Bebauungsplans können folglich über das Gebot der Rücksichtnahme nur ergänzt, nicht aber korrigiert werden (Decker in Jäde/Dirnberger, BauGB – BauNVO, 9. Aufl. 2018, § 15 BauNVO Rn. 5 m.w.N. insb. zur Rspr. des Bundesverwaltungsgerichts). Insoweit bleibt festzustellen, dass vorliegend der Satzungsgeber hinsichtlich der von der Antragstellerin im Rahmen des Rücksichtnahmegebots als maßgeblich angesehenen Bestimmungsfaktoren „Höhe des Baukörpers“, „Ausdehnung des Baukörpers“ und „Lage des Baukörpers“ über die Gebäudehöhe, die zulässige Grundflächenzahl und die überbaubare Grundstücksfläche im Bebauungsplanverfahren die entsprechenden Festsetzungen in konkreter Weise getroffen hat. Festzuhalten bleibt damit auch, dass für eine Konfliktlösung im nachfolgenden Baugenehmigungsverfahren (allenfalls) ein sehr eingeschränkter Spielraum verbleibt.
Unabhängig davon spricht vorliegend gegen einen Verstoß des Vorhabens gegen das Rücksichtnahmegebot der Umstand, dass das Vorhaben unstreitig die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO einhält. Die Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen, die vor allem den Zielen einer ausreichenden Belichtung, Besonnung und Belüftung der benachbarten Grundstücke dienen, indiziert für das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot in tatsächlicher Hinsicht, dass auch das planungsrechtliche Rücksichtnahmegebot im Regelfall nicht verletzt ist (vgl. BVerwG, B.v. 11.1.1999 – 4 B 128/98 – NVwZ 1999, 879; U.v. 7.12.2000 – 4 C 3/00 – NVwZ 2001, 58; BayVGH, B.v. 6.11.2008 – 14 ZB 08.2327 – juris; B.v. 15.3.2011 – 15 CS 11.9 – juris). Insoweit ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die vom Abstandsflächenrecht geschützten Belange einer ausreichenden Belichtung, Belüftung, Besonnung und Wahrung des Wohnfriedens auch städtebauliche Bedeutung haben (BVerwG, U.v. 16.5.1991 – 4 C 17/90 – NVwZ 1992, 165). Das Bundesverwaltungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot, das selbständig neben den bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften zu prüfen ist, im Hinblick auf die genannten Belange auch dann verletzt sein kann, wenn die Abstandsflächenvorschriften eingehalten sind (BVerwG, B.v. 11.1.1999 – 4 B 128/98 – NVwZ 1999, 879; s.a. BayVGH, B.v. 21.1.2008 – 15 ZB 06.2304 – juris). Mit diesem Grundsatz lässt sich zwar nicht im Umkehrschluss bei jedem Verstoß gegen Abstandsflächenvorschriften ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot herleiten; diesbezüglich kommt es vielmehr stets auf die tatsächlichen Verhältnisse des jeweiligen Einzelfalls an (BayVGH, B.v. 9.10.2006 – 26 ZB 06.1926 – juris). Es ist aber zumindest bei offenkundig nicht eingehaltenen Abstandsflächen zu prüfen, ob hierin nicht zugleich auch eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme gesehen werden kann (Wolf in Simon/Busse, BayBO, 128. EL Dez. 2017, Art. 59 Rn. 44). Von derart offenkundig nicht eingehaltenen Abstandsflächen kann im vorliegenden Fall allerdings keinesfalls die Rede sein. Es ist vielmehr nicht der geringste Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass hier die Anforderungen des Art. 6 BayBO nicht eingehalten wären. Denn zum Grundstück der Antragstellerin beträgt der in den Planzeichnungen angegebene Grenzabstand ca. 5 m; erforderlich ist hier gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayBO eine Abstandsflächentiefe von lediglich 3 m.
Insbesondere kann die Kammer nach summarischer Prüfung eine erdrückende oder einmauernde Wirkung im Hinblick auf die Gebäudehöhe und -länge sowie in Bezug auf die Stellung und Entfernung der Baukörper zueinander zu Lasten der Antragstellerin nicht feststellen.
In der Rechtsprechung zum Rücksichtnahmegebot ist anerkannt, dass eine Verletzung (auch) dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zu 2,5-geschossigem Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85 – juris: drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen; vgl. auch BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris; B.v. 5.7.2011 – 14 CS 11.814 – juris). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung sind u.a. die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung.
Dass das Bauvorhaben der Beigeladenen der Antragstellerin gegenüber erdrückende Wirkung entfalten würde, kann nicht gesehen werden. Es ist nicht erkennbar, dass die Zulassung des abstandsflächenrechtlich zulässigen Gebäudes die Zumutbarkeitsschwelle zu Lasten der Antragstellerin überschreiten würde. Eine erdrückende Wirkung des Vorhabens auf das Anwesen der Antragstellerin scheidet sowohl von den Ausmaßen als auch von der baulichen Gestaltung aus. Für die Annahme einer erdrückenden Wirkung eines Nachbargebäudes ist kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als das betroffene Gebäude (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris). Hier unterschreitet die Höhe der in etwa gleicher Entfernung von der Grundstücksgrenze errichteten baulichen Anlagen auf dem Grundstück der Antragstellerin (Grenzabstand von 7 m bei einer Gebäudehöhe von 6 bzw. 7 m) das geplante Gebäude (Grenzabstand von 5 m bei einer Gebäudehöhe von 10 m) nur um wenige Meter. Damit kann aber nicht von einem deutlichen Überragen bzw. von einem nach der Höhe übergroßen Baukörper gesprochen werden.
Auch sonst kann hier nicht von einer einmauernden Wirkung des streitgegenständlichen Gebäudes oder einer „Gefängnishofsituation“ gesprochen werden. Das streitgegenständliche Gebäude versperrt – wie der Antragsgegner zu Recht vorgetragen hat – der Antragstellerin die Sicht nach Süden entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze auf einer Länge von ca. 50 m. Der Blick nach Norden, Westen und Osten wird hiervon nicht tangiert. Von einer einmauernden Wirkung kann auch dann nicht ausgegangen werden, wenn man die Gesamtlänge des streitgegenständlichen Vorhabens, das sich jenseits der gemeinsamen Grundstücksgrenze in westlicher Richtung in einer Gesamtlänge von 116 m erstreckt, berücksichtigt.
Im Rahmen der Interessenabwägung ist des Weiteren in Bezug auf die Schutzwürdigkeit der Antragstellerin zu berücksichtigen, dass es sich hier nicht um eine Bebauung in einem Wohn- oder Mischgebiet, sondern in einem Gewerbegebiet und vor allem nicht um eine Nutzung der baulichen Anlagen der Antragstellerin zu Wohnzwecken, also um ein Wohnhaus, sondern (nur) zu gewerblichen Zwecken handelt. Das Entstehen einer geschlossen wirkenden Gebäudefront auf bisher unbebauten Grundstücken führt in dem verhältnismäßig dicht und massiv zu bebauenden Gewerbegebiet mit einer zulässigen Grundflächenzahl von 0,8 und einer Baumassenzahl von 10,0 nicht zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung. Gerade in einem Gewerbegebiet hat ein Grundstückseigentümer kein Recht auf Beibehaltung einer ungehinderten oder bislang nur geringfügig beeinträchtigten Sicht von seinem Produktions- oder Bürogebäude aus.
Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots kann die Antragstellerin auch nicht daraus herleiten, dass das genehmigte Vorhaben im Verhältnis zu ihren Gebäuden bzw. zu anderen Gebäuden im Gewerbegebiet deutliche Größenunterschiede aufweist. Schöpft nämlich die in einem Baugebiet vorhandene Bebauung die Festsetzungen eines Bebauungsplanes nicht aus, sondern bleibt sie dahinter zurück, so verstößt ein Bauvorhaben auf dem Nachbargrundstück, welche das im Plan zugelassene und den Planzielen entsprechenden Nutzungsmaß ausnutzt, nicht gegen dieses Gebot. Anderenfalls könnte ein Grundstückseigentümer, der an seiner geringeren Bebauung festhalten möchte, die plangemäße und vom Plangeber gewollte, dichtere Bebauung auf dem Nachbargrundstück verhindern und die Realisierung des Bebauungsplanes damit in Frage stellen (vgl. OVG Hamburg, B.v. 8.1.2007 – 2 Bs 332/06 – BeckRS 2007, 21216 m.w.N.).
Schließlich kann die Antragstellerseite keine Verletzung eigener Rechte aus der Stellungnahme des Bundesamtes für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr vom 30. April 2018 ableiten, wonach bis zu einer Bauhöhe von 9,70 m aus liegenschaftsmäßiger, infrastruktureller und schutzbereichsmäßiger Sicht keine Bedenken bestünden. Ein öffentlich-rechtlich relevanter Vertrauensschutz ergibt sich auch nicht aus der von der Antragstellerin vorgebrachten Erklärung der Marketinggesellschaft im Rahmen des Grundstückskaufs zur zulässigen Gebäudegröße, zumal im fraglichen Zeitpunkt in dem Bebauungsplan „W. Süd …“ insoweit eindeutige und verbindliche Festsetzungen getroffen worden waren.“
Auch unter Würdigung des weiteren, im Hauptsacheverfahren gemachten klägerischen Vortrags und unter Berücksichtigung des auf Antrag der Klägerseite am 7. März 2019 durchgeführten gerichtlichen Augenscheins und der hierbei gewonnenen Erkenntnisse bzw. unter Heranziehung der hierbei gefertigten Lichtbilder kann von einer erdrückenden Wirkung hier keine Rede sein.
Eine solche erdrückende Wirkung ist gegeben, wenn – wie bereits dargelegt – durch das neue Vorhaben eine Abriegelungswirkung oder das Gefühl des „Eingemauertseins“ oder gar eine „Gefängnishof-Situation“ entsteht. Derartige Auswirkungen des Vorhabens der Beigeladenen auf das klägerische Grundstück lassen sich hier aber nicht feststellen. Die Klägerin hat nach wie vor die Möglichkeit, ihr Gewerbegrundstück – wie bisher – zu gewerblichen Zwecken zu nutzen. Zwar gerät nun bei einem Blick aus dem Verwaltungsgebäude Richtung Süden auch die Fassade des streitgegenständlichen Gebäudes der Beigeladenen deutlich ins Blickfeld. Dies ist aber gerade für ein Gewerbegebiet, in dem relativ große Baukörper in relativ geringer Nähe zur Grundstücksgrenze bzw. zu anderen Gebäuden zu stehen kommen, nicht untypisch. Eine Wirkung, die den Eindruck des Eingeengtseins vermitteln könnte, geht bei objektiver Betrachtungsweise aber davon nicht aus, zumal in östlicher Richtung, zur …Straße hin, wie auch Richtung Norden freie Sicht besteht.
Nach allem war die Klage abzuweisen.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da sich die Beigeladene durch eigene Antragstellung am Kostenrisiko des Verfahrens beteiligt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO), entsprach es der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Aufwendungen der Klägerin aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.

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