Baurecht

Anspruch auf Erlass einer Beseitigungsanordnung wegen formeller und materieller Baurechtswidrigkeit

Aktenzeichen  15 B 20.679

Datum:
18.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32711
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 6, Art. 55, Art. 76
BayVwVfG Art. 38, Art. 40
VwGO § 113 Abs. 5, § 114 S. 1

 

Leitsatz

1. Eine sogenannten aktiven Duldung ist, im Gegensatz zu einer faktischen Duldung, in der Sache eine schriftliche Zusicherung, eine Beseitigungsanordnung auch in Zukunft nicht zu erlassen. Generell kann dabei nur eine Zusicherung rechtmäßig sein, die einen (objektiv) rechtmäßigen Verwaltungsakt verspricht.  (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der unbefristete Duldungsbescheid ist rechtswidrig, da er das negativ entschiedene Baugenehmigungsverfahren umgeht und auch kein Vertrauenstatbestand dahingehend besteht, dass gegen den formell und materiell baurechtswidrigen Neubau der Nebengebäude nicht eingeschritten wird. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 6 K 16.1226 2017-03-28 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Gründe

Über die Berufung konnte entschieden werden, obwohl kein Vertreter der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung erschienen ist, da die Beklagte nach § 102 Abs. 2 VwGO in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
Die zulässige Berufung der Kläger hat teilweise Erfolg. Die Kläger sind trotz Übertragung des Grundstücks auf die E. … & Söhne Vermögensverwaltungs KG im Dezember 2016 weiterhin aktiv prozessführungsbefugt, da ihnen jeweils ein dingliches Nießbrauchsrecht bezüglich eines hälftigen Miteigentumsanteils eingeräumt worden ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 42 Rn. 82 f.).
I.
Die Berufung ist in Bezug auf die Duldung des streitgegenständlichen Nebengebäudes (Ziffer II Satz 1 des Bescheids der Beklagten vom 1.7.2016) begründet, denn die unbefristete Duldung ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Bei einer sogenannten aktiven Duldung handelt es sich, im Gegensatz zu einer faktischen Duldung, in der Sache um eine schriftliche Zusicherung nach Art. 38 BayVwVfG, eine Beseitigungsanordnung auch in Zukunft nicht zu erlassen (Decker in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Stand September 2020, Art. 76 Rn. 227; Jäde in Schwerpunkt-Kommentar für die kommunale Praxis, Bayerische Bauordnung, 6. Fassung 2017, Art. 76 Nr. 1.2.2). Generell kann dabei nur eine Zusicherung rechtmäßig sein, die einen (objektiv) rechtmäßigen Verwaltungsakt verspricht (vgl. Stelkens, in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 38 Rn. 85). Eine förmliche Duldung verschafft dem Betroffenen dabei auch gegenüber dem Nachbarn eine geschützte baurechtliche Rechtsposition (Decker a.a.O. Rn. 28). Deshalb kann im Falle einer Verletzung nachbarschützender Rechte durch das zu duldende Vorhaben eine unbefristete Duldung nur dann ausgesprochen werden, wenn das Beseitigungsverlangen des Nachbarn verwirkt ist und die Behörde eine Vertrauensgrundlage geschaffen hat, dass nicht mehr eingeschritten wird, auf die der Betroffene vertraut hat (vgl. Decker a.a.O. Rn. 227). Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben, kommt der Erlass eines unbefristeten Duldungsbescheids hier nicht in Betracht. Zum einen wird dadurch das – hier gleichzeitig mit Erteilung der Duldung negativ entschiedene und mittlerweile durch Beschluss des Senats bestandskräftig abgeschlossene (BayVGH, B.v. 27.3.2020 – 15 ZB 17.1005 – juris) – Baugenehmigungsverfahren umgangen. Zum anderen hat die Beklagte auch keinen Vertrauenstatbestand dahingehend gesetzt, dass sie gegen den Neubau nicht einschreiten wird, sondern hat eine Baueinstellung verfügt. Darüber hinaus ist der Anspruch der Kläger auf bauaufsichtliches Einschreiten bezüglich des neu errichteten Gebäudes nicht verwirkt (s.u. II.2.).
Ob eine unbegrenzte Duldung ungenehmigter und nicht genehmigungsfähiger Bauvorhaben überhaupt in Betracht kommt (verneinend Decker in Simon/Busse, BayBO, Art. 76 Rn. 229), kann daher dahinstehen.
II.
Hinsichtlich ihres Antrags auf Erlass einer Beseitigungsanordnung bezüglich des neu errichteten Nebengebäudes (Ziffer II Satz 2 des Bescheids vom 1.7.2016) steht den Klägern ein Anspruch auf Neuverbescheidung zu (§ 113 Abs. 5, § 114 Satz 1 VwGO). Im Übrigen war die Klage ab- und die Berufung zurückzuweisen.
1. Das gem. Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtige Nebengebäude und seine Nutzung sind formell und materiell baurechtswidrig, sodass die Eingriffsvoraussetzungen des Art. 76 Satz 1 und Satz 2 BayBO für eine Rückbauanordnung sowie eine Nutzungsuntersagung vorliegen.
Das Nebengebäude verstößt materiell gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO, wonach vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten sind, deren Tiefe sich nach der Wandhöhe bemisst (Art. 6 Abs. 4 bis 6 BayBO), jedoch mindestens 3 m beträgt (Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO). Weder kann das Nebengebäude gemäß Art. 6 Abs. 8 BayBO außer Betracht bleiben noch ist ein Privilegierungstatbestand gemäß Art. 6 Abs. 9 BayBO einschlägig oder ist eine Abstandsfläche nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO nicht erforderlich, weil nach den planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder darf. Eine Baugenehmigung konnte deshalb auch nicht erteilt werden (vgl. BayVGH, B.v. 27.3.2020 – 15 ZB 17.1005 – juris).
Die für einen Schutzanspruch auf bauordnungsrechtliches Eingreifen aus Art. 76 BayBO zudem erforderliche Schutznormverletzung zulasten der Kläger (vgl. BayVGH, U.v. 31.7.2020 – 15 B 19.832 – juris Rn. 22 m.w.N.) liegt vor. Die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenregelungen sind jedenfalls zugunsten des Eigentümers des unmittelbar angrenzenden Nachbargrundstückes drittschützend, ohne dass es dabei auf eine einzelfallbezogene Unzumutbarkeit bzw. auf eine tatsächliche oder spürbare Betroffenheit des Nachbarn ankommt (Hahn/Kraus in Simon/Busse, BayBO, Art. 6 Rn. 604 ff.).
2. Der mögliche Anspruch der Kläger auf Anordnung des Rückbaus ist auch nicht verwirkt (vgl. zur Verwirkung ausführlich BayVGH, U.v. 31.7.2020 – 15 B 19.832 – juris Rn. 23 ff. m.w.N.), denn die Kläger konnten davon ausgehen, dass sie bei baugenehmigungspflichtigen Maßnahmen von den Beigeladenen beteiligt werden und haben ihre Rechte geltend gemacht, sobald sie die Beeinträchtigung erkannt haben.
Es kann dabei dahinstehen, ob der Beseitigungsanspruch der Kläger bezüglich des ursprünglichen Gebäudes verwirkt war, da dieses jahrzehntelang bestanden hat und weder durch die Rechtsvorgänger der Kläger noch durch die Bauaufsichtsbehörde beanstandet worden ist. Bei dem jetzigen Gebäude handelt es sich um ein neues Gebäude, das mit dem früheren Gebäude nicht identisch ist (vgl. BayVGH, B.v. 27.3.2020 – 15 ZB 17.1005 – juris Rn. 3) und deshalb erneut mögliche Beseitigungsansprüche ausgelöst hat (vgl. BayVGH, U.v. 31.7.2020 a.a.O. Rn. 30). Zudem wird durch die nunmehr bis zum Dach gemauerten Wände und fast vollständige Erneuerung der Bausubstanz einschließlich der Ertüchtigung des Kamins die Betroffenheit der Kläger in den durch Art. 6 BayBO geschützten Belangen und Interessen gegenüber dem früheren Gebäude auch verstärkt.
Mögliche Beseitigungsansprüche sind auch nicht dadurch untergegangen, dass die Kläger die im Jahr 2013 durch die Beigeladenen begonnenen Arbeiten erst im Jahr 2015 bemerkt und der Beklagten zur Kenntnis gebracht haben. Jeder Nachbar kann sich grundsätzlich darauf verlassen, dass ihm baugenehmigungspflichtige Vorhaben durch Vorlage der Baupläne (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BayBO) und ggf. durch Zustellung der Baugenehmigung (Art. 66 Abs. 1 Satz 6 BayBO) bekannt gegeben werden. Niemand ist verpflichtet, die Nachbargrundstücke regelmäßig auf die Durchführung genehmigungspflichtiger baulicher Veränderungen zu kontrollieren. Eine Verwirkung kommt daher nur dann in Betracht, wenn ein Nachbar Baumaßnahmen auf dem Nachbargrundstück tatsächlich zur Kenntnis nimmt. Beruft sich der Bauherr darauf, der Nachbar habe die Maßnahmen schon vor längerer Zeit zur Kenntnis genommen aber nichts unternommen und der Beseitigungsanspruch sei deshalb verwirkt, dann obliegt es ihm, den Nachweis dafür zu erbringen. Dies ist hier nicht geschehen. Unstreitig wohnen die Kläger beide nicht im Nachbaranwesen des Baugrundstücks. Die Beigeladenen haben aber nicht dargelegt, zu welchem Zeitpunkt vor dem Jahr 2015 die Kläger positive Kenntnis von den Baumaßnahmen erlangt haben sollen, sondern haben nur behauptet, der Kläger zu 1 kümmere sich um das Anwesen und hätte die Baumaßnahmen schon vor 2015 erkennen können. Damit ist nicht hinreichend substantiiert dargetan, dass die Kläger die Baumaßnahmen tatsächlich zur Kenntnis genommen haben. Dass die Mieter der Kläger diese nicht informiert haben, ist nicht den Klägern anzulasten. Es obliegt den Bauherren, die Nachbarn zu informieren und es ist nicht die Sache Dritter, Bautätigkeiten an die Grundstückseigentümer zu melden, selbst wenn die Kläger diese darum gebeten hatten.
3. Das Ermessen der Beklagten aus Art. 76 BayBO zum Erlass einer Beseitigungsanordnung ist jedoch nicht auf Null reduziert. Von einer Ermessensreduzierung auf Null wird dann gesprochen, wenn nach Lage der Dinge alle denkbaren Alternativen nur unter pflichtwidriger Vernachlässigung eines eindeutig vorrangigen Sachgesichtspunktes gewählt werden könnten (Decker in Simon/Busse, BayBO, Art. 76 Rn. 225), d.h. wenn sich die Wahlmöglichkeiten der Behörde auf eine Alternative dergestalt reduzieren, dass nur noch diese eine Entscheidung ermessensfehlerfrei ist, alle anderen dagegen ermessensfehlerhaft sein würden. Dabei kann hier dahinstehen, ob im Rahmen des Anspruchs eines Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten eine Reduzierung des Ermessens auf Null nur dann in Betracht kommt, wenn eine besondere Intensität der Störung oder der Gefährdung nachbargeschützter Rechtsgüter gegeben ist (vgl. Decker a.a.O. Rn. 490 ff. m.w.N.) oder ob auch ein geringfügiger Verstoß ausreichen kann (vgl. Decker a.a.O. Rn. 493 ff. m.w.N.), denn hier kommt eine Ermessensreduzierung auf Null angesichts der Umstände des Einzelfalls nicht in Betracht. Zwar trifft es zu, dass das Abstandsflächenrecht mittlerweile wieder zum Prüfprogramm im vereinfachten Genehmigungsverfahren des Art. 59 BayBO gehört und das Bauvorhaben gemessen daran nicht genehmigungsfähig ist (s.o. Nr. 1). Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass an der Stelle des streitgegenständlichen Nebengebäudes mindestens seit 1973, wahrscheinlich aber seit mehr als 50 Jahren, ein Gebäude mit entsprechender Kubatur gestanden hat, das die Rechtsvorgänger der Kläger und die Bauaufsichtsbehörde beanstandungslos hingenommen haben. Das streitgegenständliche Gebäude verletzt also nicht erstmals die Abstandsflächenvorschriften und rückt auch nicht noch näher an das klägerische Grundstück heran als das ursprüngliche Gebäude, sondern es setzt nur den seit Jahrzehnten bestehenden Zustand fort. Darüber hinaus war an der Stelle des Nebengebäudes im Jahr 1932 ein kleineres Nebengebäude genehmigt worden und auf dem Grundstück der Kläger befindet sich im Abstand von 0,3 m zur Grundstücksgrenze ebenfalls eine (kleineres) Nebengebäude. Das ursprüngliche Nebengebäude war zwar nicht mehr „gut in Schuss“, gemäß den bei den Akten befindlichen Lichtbildern ist jedoch nicht ersichtlich, dass eine Renovierung überhaupt nicht mehr möglich gewesen wäre. Die Kläger konnten daher nicht damit rechnen, dass das ursprüngliche Nebengebäude alsbald abgerissen wird. Unter Berücksichtigung dieser Umstände erscheint es daher nicht ermessensfehlerhaft, das streitgegenständliche Gebäude noch für einen befristeten Zeitraum hinzunehmen und z.B. eine Beseitigungsanordnung mit einer angemessenen Übergangsfrist für ihre Durchführung zu erlassen (vgl. Decker in Simon/Busse, BayBO, Art. 76 Rn. 230).
4. Die Beklagte hat aber ihr Ermessen gemäß Art. 76 BayBO fehlerhaft ausgeübt. Nach Art. 40 BayVwVfG ist das Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens sind einzuhalten. Art. 76 BayBO dient dabei dem Zweck, illegal geschaffene Bausubstanz zu beseitigen und das betroffene Grundstück in den Zustand materieller Legalität zurückzuführen (vgl. Decker a.a.O. Rn. 12). Ermessensfehler können dabei in Form eines Ermessensausfalls, einer Ermessensüberschreitung, eines Ermessensdefizits oder eines Ermessensfehlgebrauchs vorliegen (vgl. Decker a.a.O. Rn. 258). Ein Ermessensdefizit liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den zur Entscheidung stehenden Sachverhalt nicht zutreffend ermittelt hat oder zwar alle wesentlichen Belange herangezogen, diese aber falsch gewichtet hat (vgl. Decker a.a.O. Rn. 262 ff.).
Ein solcher Fall liegt hier vor, da die Beklagte in ihren Erwägungen zu Unrecht davon ausgegangen ist, dem ursprünglichen Gebäude habe Bestandsschutz zugestanden. Vom Bestandsschutz erfasst ist eine rechtmäßig errichtete Anlage, die später materiell illegal geworden ist (vgl. Decker a.a.O. Rn. 119). Unabhängig davon, ob für die Rechtmäßigkeit der Errichtung einer baugenehmigungsbedürftigen Anlage das Vorhandensein einer Baugenehmigung für erforderlich gehalten wird oder ob die materielle Rechtmäßigkeit als ausreichend angesehen wird (vgl. Decker a.a.O. Rn. 79 ff.), kann hier nicht von einem Bestandsschutz für das ursprüngliche Gebäude ausgegangen werden. Weder die Beklagte noch die Beigeladenen konnten für das frühere Gebäude eine entsprechende Baugenehmigung vorweisen. Es sind auch keine Vorschriften ersichtlich, aus denen sich eine materielle Rechtmäßigkeit des ursprünglichen Gebäudes ergibt. Die fehlende Nachweisbarkeit eines etwaigen Bestandsschutzes geht dabei zu Lasten des von der Beseitigungsanordnung Betroffenen (vgl. Decker a.a.O. Rn. 130). Soweit die Beigeladenen vortragen, in der näheren Umgebung bestünden zahlreiche Bauwerke, die den Mindestgrenzabstand nicht einhalten und deshalb könne bezüglich des ursprünglichen Nebengebäudes von Bestandsschutz ausgegangen werden, kann dem nicht gefolgt werden. Dass in der näheren Umgebung auf den rückwärtigen Grundstücksteilen nach den planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder darf (Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO) ist nicht ersichtlich und das Gebäude befindet sich auch nicht auf der Grenze.
Darüber hinaus hat die Beklagte zugunsten der Beigeladenen zu Unrecht berücksichtigt, dass diese das Gebäude in dem Glauben, es handele sich bei den Baumaßnahmen nur um eine Renovierung, erneuert hätten und dabei erhebliche Aufwendungen getätigt haben. Unabhängig davon, ob diese Annahme zutrifft, kann ein solcher Irrtum des Bauherrn nur im Ausnahmefall zu seinen Gunsten berücksichtigt werden. Es ist Sache des Bauherrn, sich entweder bei der Baugenehmigungsbehörde, bei einem Architekten oder einem Rechtsanwalt unter Darlegung der konkret geplanten Maßnahmen zu erkundigen, ob für sein Vorhaben eine Genehmigung erforderlich ist. Hat er dies versäumt und stellt sich hinterher heraus, dass die Maßnahmen entgegen seiner Auffassung genehmigungspflichtig waren, kann ihm sein Irrtum regelmäßig nicht zugutegehalten werden, denn dadurch würden die Bauherren ermuntert, notwendige Erkundigungen möglichst zu unterlassen. Die Beigeladenen haben aber nicht dargelegt, dass sie die konkreten Pläne zur Erneuerung des Nebengebäudes mit der Beklagten, einem Architekten oder ihrem Rechtsanwalt besprochen haben und dabei die Auskunft bekommen hätten, ihr Vorhaben sei genehmigungsfrei möglich. Dass der Prozessvertreter im Jahr 2012 bei einem Ortstermin festgestellt hat, das alte Gebäude sei zwar sanierungsbedürftig, aber weder unbenutzbar noch schäbig und marode gewesen, führt nicht dazu, dass die Beigeladenen darauf vertrauen durften, dass ein fast vollständiger Austausch der Bausubstanz ohne Baugenehmigung zulässig ist.
5. Das Beseitigungsverlangen ist auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil das streitgegenständliche Gebäude das zulässige Maß für Gebäude ohne eigene Abstandsflächen gemäß Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO nur geringfügig übersteigt. Das Gebäude fällt nicht unter diese Vorschrift, weil es einen Kamin enthält, der als unselbständiger Bestandteil einer Feuerungsanlage, der jederzeit die Errichtung einer Feuerstätte zulässt, die Privilegierung nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO ausschließt (vgl. Hahn in Simon/Busse, BayBO, Art. 6 Rn. 542).
6. Bei ihrer erneuten Entscheidung über den Antrag der Kläger auf Erlass einer Beseitigungsanordnung hat die Beklagte daher zu berücksichtigen, dass das ursprüngliche Gebäude keinen Bestandsschutz genossen hat, da es weder genehmigt noch genehmigungsfähig war und ein vermeintlich guter Glaube der Beigeladenen unter den vorliegenden Umständen keinen Schutz beanspruchen kann.
Zugunsten der Beigeladenen kann nur berücksichtigt werden, dass lange Zeit ein Nebengebäude bestanden hat, das in der Kubatur dem jetzigen Gebäude entsprach und von den Nachbarn hingenommen worden ist. Darüber hinaus wurde an der Stelle des Nebengebäudes im Jahr 1932 ein kleineres Nebengebäude genehmigt, und auch auf dem klägerischen Grundstück befindet sich ein kleineres Nebengebäude im Abstand von 0,3 m zur Grundstücksgrenze. Des Weiteren war das ursprüngliche Nebengebäude nicht in einem derart desolaten Zustand, dass eine genehmigungsfreie Renovierung überhaupt nicht mehr möglich gewesen wäre, und die Kläger konnten nicht mit einer baldigen Beseitigung des Gebäudes rechnen. Im Übrigen wohnen die Kläger nicht selbst in dem Anwesen, und der langjährige Mieter stört sich offensichtlich nicht an dem Nebengebäude. Nicht zu Gute gehalten werden kann den Beigeladenen, dass sie das Grundstück mit dem ungenehmigten Baubestand gekauft haben und das frühere Nebengebäude im Exposé enthalten war. Es obliegt regelmäßig dem Käufer eines Grundstücks, sich über die Genehmigungssituation zu informieren. Spätestens im Jahr 2006 war den Beigeladenen auch bewusst, dass für das Nebengebäude keine Baugenehmigung existiert.
Zugunsten der Kläger ist demgegenüber zu berücksichtigen, dass die Abstandsflächen erheblich unterschritten werden und das neue Gebäude durch den gemauerten Giebel im Vergleich zu dem ursprünglichen Gebäude einen wesentlich massiveren Eindruck vermittelt. Angesichts der schlechten Bausubstanz des ursprünglichen Gebäudes konnten die Kläger auch durchaus berechtigte Hoffnungen haben, dass das Gebäude irgendwann abgerissen wird. Darüber hinaus bietet das neue Nebengebäude durch die massiven Wände, das neue, isolierte Dach, die neuen Fenster und den vorhandenen und mittels eines eingezogenen Rohrs ertüchtigten Kamin, wesentlich bessere Nutzungsmöglichkeiten als das ursprüngliche Gebäude und kann auch wesentlich intensiver genutzt werden als gewöhnliche unbeheizte Lagerschuppen, selbst wenn ein Durchgang zum Hauptgebäude nicht möglich ist. Im Übrigen befindet sich das Grundstück der Beigeladenen westlich des klägerischen Grundstücks, und das streitgegenständliche Nebengebäude nimmt dem klägerischen Grundstück Licht und Sonne (zur Darstellung orts- und datumsbezogener Sonnenverläufe vgl. z.B. https://www.sonnenverlauf.de).
Nicht berücksichtigt werden kann in den Ermessenserwägungen, dass die Beklagte möglicherweise in der gesamten Siedlung gegen bestehende baurechtswidrige Zustände nicht einschreitet. Unabhängig davon, ob dies tatsächlich zutrifft, handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Nebengebäude durch die Erneuerung gerade nicht um einen schon lange vorhandenen ungenehmigten Baubestand, sondern um einen Neubau. Zum anderen ist hier die Frage zu beurteilen, ob die Nachbarn einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten haben, da das Gebäude die nachbarschützenden Abstandsflächenvorschriften nicht einhält und nicht die Frage, ob die Beklagte von Amts wegen ermessensfehlerfrei einschreiten kann. Nur wenn die Beklagte von sich aus gegen ungenehmigte Anlagen vorgeht, muss sie ihr Ermessen dem Gleichheitsgrundsatz entsprechend ausüben. Verlangt demgegenüber ein Nachbar bauaufsichtliches Einschreiten, muss er nicht hinnehmen, dass seine Rechte verkürzt werden, weil die Baugenehmigungsbehörde gegen zahlreiche vergleichbare Schwarzbauten nicht einschreitet.
Darüber hinaus hat die Beklagte bei ihrer erneuten Entscheidung über den Antrag der Kläger auf Erlass einer Beseitigungsanordnung auch zu berücksichtigen, dass Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids durch den Wegfall der Duldung gegenstandslos geworden ist und es einer erneuten Entscheidung darüber bedarf, wie das Gebäude den Vorschriften des Art. 28 BayBO angepasst werden muss.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1, § 154 Abs. 3, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Es ist sachgerecht, die Kläger zu einem Drittel an den Verfahrenskosten zu beteiligen, da sie mit ihrem Hauptantrag keinen Erfolg hatten (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 155 Rn. 3). Es entspricht der Billigkeit, dass die Kläger auch die in erster Instanz angefallenen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen anteilig tragen, weil diese in erster Instanz einen Sachantrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt haben (vgl. § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO). In der zweiten Instanz tragen die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten demgegenüber selbst, da sie keinen Sachantrag gestellt haben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).

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