Aktenzeichen Au 6 K 17.631
BV BV Art. 118
GG GG Art. 3 Abs. 1
VwGO VwGO § 161 Abs. 3
Leitsatz
1 Die angemessene Erschließung und Erreichbarkeit eines Grundstücks erfordern den Zugang und die Zufahrt zu einem Anliegergrundstück mit einen Fahrzeug nur soweit, als dies die angemessene Nutzung des Grundstückseigentums unter Berücksichtigung der Rechtslage und der tatsächlichen Gegebenheiten erfordert. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es besteht kein straßenrechtlicher Anspruch auf Schaffung von Gemeingebrauch. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3 Der Anliegergebrauch umfasst keinen Anspruch auf Bequemlichkeit oder Leichtigkeit des Zu- und Abgangs von einem Grundstück. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
4 § 161 Abs. 3 VwGO ist unanwendbar, wenn das Gericht zur Sache entscheidet, bevor eine Bescheidung durch die Behörde erfolgt. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage ist jedenfalls unbegründet.
A.
Klagegegenstand ist vorliegend der Antrag der Klägerin, dass ihr Grundstück auch mit Baufahrzeugen zu erreichen ist und damit die straßen- und wegerechtliche Grundstückssituation. Im Wesentlichen begehrt die Klägerin zuletzt, dass in der Straße „*“ die für die Renovierung ihres Hauses benötigten Baufahrzeuge parken dürfen. Weitere Konfliktpunkte zwischen den Beteiligten, insbesondere eine etwaige Verpflichtung der Klägerin zum Rückschnitt einer Hecke und die baurechtliche Zulässigkeit der Stellplätze des Nachbarn, die in den Zuständigkeitsbereich der Bauaufsichtsbehörde fällt, sind nicht Gegenstand des hiesigen Klageverfahrens. Auch etwaige Bußgeldverfahren und etwaige zivilrechtliche Verfahren in Bezug auf die Parksituation sind nicht Gegenstand des hiesigen Verfahrens.
B.
Die Klageänderung vom ursprünglichen Antrag der Klägerin auf Bescheiderlass der Beklagten gegen den Nachbarn nun auf Erreichbarkeit ihres Grundstücks mit Baufahrzeugen ist sachdienlich und damit zulässig, § 91 Abs. 1 VwGO. Der Beklagte hat sich hierauf auch rügelos eingelassen.
C.
Die Klage ist jedenfalls unbegründet.
I. Die angemessene Erschließung und Erreichbarkeit des Grundstücks der Klägerin ist gesichert.
Zugang und Zufahrt zu einem Anliegergrundstück mit einem Fahrzeug sind nur geschützt, soweit es die angemessene Nutzung des Grundeigentums unter Berücksichtigung der Rechtslage und der tatsächlichen Gegebenheiten erfordert. Angemessen ist nicht schon jede Nutzung, zu der das Grundstück Gelegenheit bietet (Sauthoff, Öffentliche Straßen, 2. Aufl. 2010, Rn. 466, 469). Der Anliegergebrauch sichert nach ständiger Rechtsprechung die Erreichbarkeit eines (Innerorts-)Grundstücks nicht uneingeschränkt, sondern nur in seinem Kern. Der gegenüber dem schlichten Gemeingebrauch gesteigerte Anliegergebrauch reicht nur so weit, wie eine angemessene Nutzung des Grundeigentums die Benutzung der Straße erfordert und der Anlieger auf das Vorhandensein der Straße in spezifischer Weise angewiesen ist. Beispielsweise gehört die uneingeschränkte Anfahrmöglichkeit mit Kraftfahrzeugen bei einem innerörtlichen Wohngrundstück selbst mit potenziellen Garagen oder Stellplätzen nicht zum geschützten Kernbereich des Anliegergebrauchs. Der Schutz, den der Anliegergebrauch vermittelt, erstreckt sich daher in aller Regel nur auf den notwendigen Zugang. Vor Einschränkungen oder Erschwernissen bei den Zufahrtsmöglichkeiten etwa auf Grund der besonderen örtlichen Lage des Grundstücks vermag er deshalb keinen Schutz zu gewähren, solange die Straße als Verkehrsmittler erhalten bleibt. Danach kann mithin aus dem Rechtsinstitut des Anliegergebrauchs kein Anspruch auf eine optimale Zufahrt zu einem Stellplatz- oder Garagengrundstück oder auf die Bequemlichkeit oder Leichtigkeit des Zugangs zu einem solchen Grundstück hergeleitet werden (BayVGH, U.v. 15.3.2006 – 8 B 05.1356 – BayVBl. 2007, 45 – juris Rn. 38 m.w.N.). Selbst die Notwendigkeit eines mehrmaligen Vor- und Zurücksetzens („Rangierens“) auf Grund der Straßenverhältnisse bei der Ein- und Ausfahrt von einem Grundstück kann nicht als ernsthafte Störung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs angesehen werden. Bloße Unbequemlichkeiten sind insofern rechtlich ohne Belang (VG Bayreuth, U.v. 18.9.2001 – B 1 K 00.1235 – juris Rn. 17 m.w.N.). Ein Anspruch auf eine optimale Zufahrt besteht nicht (BayVGH, B.v. 1.12.2009 – 8 B 09.1980 – juris Rn. 19 m.w.N.). Gewährleistet wird grundsätzlich nur die Verbindung mit dem öffentlichen Straßennetz überhaupt, nicht dagegen notwendig auch die Erreichbarkeit des eigenen Grundstücks mit Kraftfahrzeugen des Eigentümers oder gar jeder Anliegerverkehr (BVerwG, U.v. 8.9.1993 – 11 C 38.92 – BVerwGE 94, 136 – juris Rn. 12; vgl. zum Ganzen auch Wiget in: Zeitler, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Stand: Mai 2017, Art. 17 BayStrWG, Rn. 32 ff.).
Das Grundstück der Klägerin hat den erforderlichen Zugang: Es kann über die asphaltierte und in beide Richtungen befahrbare Straße „*“ von Kraftfahrzeugen angefahren werden; die Straße grenzt unmittelbar an das Grundstück der Klägerin. Dabei ist eine Anfahrt ausweislich der vorgelegten Lichtbilder und des Vortrags der Klägerin, dass zwei PKW in der Straße problemlos aneinander vorbeifahren könnten, auch mit größeren Fahrzeugen möglich. Des Weiteren ist das Grundstück über einen Gartenzugang erreichbar. Nach all dem ist das Grundstück damit sowohl zu Fuß, mit dem Fahrrad als auch mit Kraftfahrzeugen erreichbar und damit sogar deutlich besser erschlossen, als erforderlich.
Dass ein Baustellenfahrzeug oder ein LKW nicht auf das Grundstück der Klägerin fahren können, liegt nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung nicht an der vorhandenen Orts Straße „*“ und damit an einer etwaigen unzureichenden Erschließung, sondern vielmehr an den baulichen Gegebenheiten des klägerischen Grundstücks selbst. Es liegt im Verantwortungsbereich der Klägerin und nicht des Beklagten, wie diese auf ihrem Grundstück eine (enge) Toreinfahrt nutzt und Stellflächen sowie eine Garage nur für PKW angelegt hat. Wie sich die Parksituation auf dem Grundstück der Klägerin darstellt, ist mithin keine Frage der hier vorliegenden Erschließung des Grundstücks. Die erforderliche Erreichbarkeit des Grundstücks ist zur Überzeugung des Gerichts gegeben.
II. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch darauf, dass direkt vor ihrer Hauptzufahrt auf der Straße „*“ Parkmöglichkeiten, insbesondere für LKW und Baufahrzeuge, bestehen oder geschaffen werden.
Nach Art. 14 Abs. 3 BayStrWG besteht kein Anspruch auf Aufrechterhaltung von Gemeingebrauch; erst recht besteht damit kein Anspruch auf Schaffung von Gemeingebrauch.
Auch aus dem Anspruch auf Anliegergebrauch in Verbindung mit dem Gleichheitsgrundsatz der Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 BV (zur Herleitung BayVGH, U.v. 15.3.2006 – 8 B 05.1356 – BayVBl. 2007, 45 – juris Rn. 25 ff.) folgt keine Pflicht des Beklagten, direkt vor der Haustür der Klägerin Parkmöglichkeiten, insbesondere für Baustellenfahrzeuge, zu schaffen. Es besteht noch nicht einmal ein Anspruch darauf, dass Parkmöglichkeiten auf öffentlichen Straßen oder Plätzen in angemessener Nähe errichtet werden oder erhalten bleiben (BVerwG, U.v. 6.8.1982 – 4 C 58/80 – NJW 1983, 770 – juris Rn. 12 ff.). Die Bequemlichkeit oder Leichtigkeit des Zu- und Abgangs vom Grundstück wird nicht geschützt (BVerwG, a.a.O. Rn. 12). Ein Anspruch auf Parkmöglichkeiten unmittelbar vor ihrer Haustür auf der Straße „*“ besteht damit nicht.
Die Klägerin, die keinen Anspruch auf Parkmöglichkeiten auf öffentlichen Flächen hat, ist im vorliegenden Fall in Bezug auf die vorhandenen Parkmöglichkeiten sogar deutlich besser gestellt, als es die Rechtsprechung fordert: Zum einen verfügt sie auf ihrem Grundstück über eine Stellfläche und eine Garage, zum anderen grenzt direkt an das Grundstück der Klägerin ein hinreichend großer öffentlicher Parkplatz an. Es steht der Klägerin frei, neben ihrer eigenen Stellfläche und ihrer Garage auch diesen Parkplatz mit ihren Fahrzeugen zum vorübergehenden und gemeingebräuchlichen Parken zu nutzten. Der von der Klägerin geltend gemachte Mehraufwand für die Handwerker, die bei Nutzung des öffentlichen Parkplatzes einmal um die Ecke zum Haupteingang laufen müssten, was mit höheren Kosten für die Klägerin verbunden sei, ist nur geringfügig. Des Weiteren ist das Grundstück über den Gartenzugang auch direkt vom öffentlichen Parkplatz aus erreichbar. Sollte die Klägerin den öffentlichen Straßenraum oder den Parkplatz zur Baustelleneinrichtung nutzten wollen, kommt auf Antrag möglicherweise die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis in Betracht.
III. In Bezug auf die von der Klägerin gerügte Ungleichbehandlung gegenüber anderen Anwohnern hat die Klägerin schon nicht substantiiert dargelegt, dass der Beklagte in vergleichbaren Fällen Parkmöglichkeiten vor den Grundstücken anderer Einwohner schaffen oder unterhalten würde. Vielmehr hat der Beklagte sogar direkt neben dem Grundstück der Klägerin einen öffentlichen Parkplatz geschaffen und stellt ihr und den anderen Nachbarn damit für ein Wohngebiet besonders gute Parkmöglichkeiten unmittelbar neben ihrem Grundstück zur Verfügung.
D. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterliegender Teil hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Entgegen dem Vorbringen der Klägerin ist § 161 Abs. 3 VwGO nicht anwendbar. Zum einen hat die Klägerin ihren zunächst gegenüber dem Beklagten gestellten Antrag in der mündlichen Verhandlung dahingehend abgeändert, dass sich ihre Klage nun nicht mehr gegen die Zufahrten des Nachbarn, sondern auf die Erreichbarkeit ihres Grundstücks mit Baufahrzeugen richtet. Folglich hatte der Beklagte zuvor keine Gelegenheit, über diesen neuen Antrag zu entscheiden. Zudem ist § 161 Abs. 3 VwGO nach seinem Sinn und Zweck nicht anwendbar, wenn das Gericht zur Sache entscheidet, bevor eine Bescheidung durch die Behörde erfolgt. In Fällen, in denen das Gericht erstmals über den behaupteten Anspruch entscheidet, folgt die Kostenfolge aus dem jeweiligen Obsiegen und Unterliegen (OVG LSA, B.v. 28.4.2006 – 4 L 365/05 – juris Rn. 10 m.w.N.; Zimmermann-Kreher in: BeckOK VwGO, 43. Ed., § 161 VwGO, Rn. 21). Das Verhalten der Behörde kann nach einer erstmaligen Entscheidung durch das Gericht lediglich über § 155 Abs. 4 VwGO im Rahmen der Kostenentscheidung berücksichtigt werden (OVG LSA, a.a.O.). Wegen der offensichtlichen Unbegründetheit der Klage ist es im vorliegenden Fall jedoch nicht ermessensgerecht, dem Beklagten allein wegen der Nichtverbescheidung des ursprünglichen Antrags der Klägerin Kosten aufzuerlegen.
E. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.