Aktenzeichen 9 ZB 16.1890
Leitsatz
1 Macht ein Dritter gegenüber der Bauaufsichtsbehörde geltend, durch eine Anlage iSd Art. 76 BayBO in seinen Rechten verletzt zu sein, so hat er einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein bauaufsichtliches Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde sowie auf Art und Weise des Einschreitens. Dabei gelten für die Ermessensausübung der Bauaufsichtsbehörde die allgemeinen Grundsätze. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Frage einer Ermessensreduktion zugunsten eines bauaufsichtlichen Einschreitens ist auch bei einer Verletzung nachbarschützender Normen des Abstandsflächenrechts von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig. Sie ist regelmäßig nur dann anzunehmen, wenn die von der rechtswidrigen baulichen Anlage ausgehende Beeinträchtigung des Nachbarn einen erheblichen Grad erreicht und die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen ergibt (hier verneint für an Grundstücksgrenze von Reihenhäusern herangebaute Terrassenüberdachung). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
AN 9 K 14.1599 2016-07-27 Urt VGANSBACH VG Ansbach
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten bauaufsichtliches Einschreiten gegen eine an die gemeinsame Grundstücksgrenze herangebaute Terrassenüberdachung auf dem westlich ihres Reihenmittelhauses gelegenen Grundstück der Beigeladenen. Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 2. Februar 2016 ab, weil der Anbau zwar formell illegal, bauplanungs- und bauordnungsrechtlich aber rechtmäßig sei. Auf die Klage der Klägerin hob das Verwaltungsgericht Ansbach diesen Bescheid mit Urteil vom 27. Juli 2016 auf und verpflichtete die Beklagte, über den Antrag der Klägerin auf Erlass eines Rückbaubescheides hinsichtlich der Terrassenüberdachung und des Terrassenaufbaus der Beigeladenen an der Grundstücksgrenze zur Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden; im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Klägerin einen Anspruch auf erneute ermessensgerechte Entscheidung habe, weil die Beklagte rechtswidrig von einer bauplanungsrechtlichen Dispensierung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen ausgegangen sei und sich die bauliche Anlage der Beigeladenen sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht als baurechtswidrig darstelle. Darüber hinaus seien die klägerischen Nachbarrechte aber nicht so gravierend beeinträchtigt, dass nur eine Beseitigung in Form eines Rückbaus in Betracht kommen könne. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung macht die Klägerin geltend, dass entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts hinsichtlich des bauaufsichtlichen Einschreitens eine Ermessensreduzierung auf Null vorliege.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. An der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestehen keine ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.
1. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
Die Klägerin beruft sich auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Klägerin innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Hieraus ergeben sich solche Zweifel nicht. Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass der Klägerin hinsichtlich des von ihr beantragten bauaufsichtlichen Einschreitens (nur) ein Anspruch auf erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung zusteht.
Macht ein Dritter – wie hier die Klägerin – gegenüber der Bauaufsichtsbehörde geltend, durch eine Anlage i.S.d. Art. 76 BayBO in seinen Rechten verletzt zu sein, so hat er einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein bauaufsichtliches Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde sowie auf Art und Weise des Einschreitens. Dabei gelten für die Ermessensausübung der Bauaufsichtsbehörde die allgemeinen Grundsätze (vgl. BayVGH, U.v. 4.12.2014 – 15 B 12.1450 – juris Rn. 21). Die Frage einer Ermessensreduktion zugunsten eines bauaufsichtlichen Einschreitens ist hierbei auch bei einer Verletzung nachbarschützender Normen des Abstandsflächenrechts, wie sie das Verwaltungsgericht hier festgestellt hat, von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig. Sie ist regelmäßig nur dann anzunehmen, wenn die von der rechtswidrigen baulichen Anlage ausgehende Beeinträchtigung des Nachbarn einen erheblichen Grad erreicht und die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen ergibt (vgl. BayVGH, B.v. 25.9.2014 – 14 ZB 12.2033 – juris Rn. 16 m.w.N.). Davon ist insbesondere auszugehen, wenn eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie Leben oder Gesundheit droht oder sonstige unzumutbare Belästigungen abzuwehren sind (vgl. VGH, B.v. 9.9.2009 – 15 ZB 08.3355 – juris Rn. 9 m.w.N.). Hiervon ist auch das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen.
a) Soweit die Klägerin vorträgt, das Verwaltungsgericht habe die Frage, ob für den festgestellten Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO eine Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO erteilt werden könne, nicht offen lassen dürfen und eine Abweichung komme hier auch nicht in Betracht, weshalb sich eine Ermessensreduktion auf Null ergebe, trägt dies nicht. Es gibt keinen Automatismus, dass das Ermessen immer schon bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 76 Satz 1 BayBO zugunsten des Nachbarn auf Null reduziert ist. Dies gilt selbst dann, wenn eine Baugenehmigung abgelehnt wurde (vgl. BayVGH, B.v. 4.7.2011 – 15 ZB 09.1237 – juris Rn. 16). Das Zulassungsvorbringen legt nicht dar, dass bei der Entscheidung über eine Abweichung andere Maßstäbe zu gelten haben. Letztlich kann dies aber dahingestellt bleiben, weil es – worauf das Verwaltungsgericht zutreffend abgestellt hat – für den Nachbarschutz nur auf die materielle Beeinträchtigung ankommt (vgl. BayVGH, B.v. 25.9.2013 – 14 ZB 12.2033 – juris Rn. 20).
b) Das Zulassungsvorbringen führt eine Reihe von Aspekten an, aus denen sich nach Ansicht der Klägerin eine Ermessensreduktion ergibt. Diese führen jedoch nicht zum Erfolg des Zulassungsantrags.
Soweit die Klägerin darauf abstellt, dass das Verhalten der Beteiligten zu berücksichtigen wäre, mag im Rahmen der Prüfung einer Verwirkung des Schutzanspruchs eines Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten wegen treuwidrigen Verhaltens zu berücksichtigen sein, ob die Klägerin sich unmittelbar gegen das Bauvorhaben gewandt hat oder eine gewisse Zeit hat verstreichen lassen (vgl. BayVGH, B.v. 10.4.2018 – 15 ZB 17.45 – juris Rn. 10 m.w.N.; B.v. 16.9.2004 – 20 ZB 04.2179 – juris Rn. 5). Unabhängig von der Frage, ob sich bei einem frühzeitigen Geltendmachen der Rechtsposition durch die Klägerin, die hier weder seitens der Beklagten noch seitens des Verwaltungsgerichts – unabhängig von der Aktendokumentation – bestritten wird, eine Ermessensreduktion ergibt, kommt es aber auf die materielle Beeinträchtigung der Klägerin an. Diese hängt jedenfalls nicht vom Verhalten der Klägerin ab.
Der Hinweis der Klägerin auf die enge Reihenhaussituation und das dadurch entstehende Gefühl des „eingemauert seins“ trägt nicht. Eine erdrückende Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Bauvolumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 2012.2016 – 9 CS 16.2088 – juris Rn. 20 m.w.N.). Insoweit ist hier nichts ersichtlich oder dargelegt.
Das Verwaltungsgericht hat ferner darauf abgestellt, dass die bisher bestehende Trennwand zwischen den Terrassen sowie die darüber liegenden Balkone bereits bislang eine Verschattungswirkung für die Klägerin ergeben haben und sich die Verschattungswirkung im Wesentlichen auf den Kellerabgang, der sich auf dem Grundstück der Klägerin unmittelbar an der Grenze zum Grundstück der Beigeladenen befindet, ausgewirkt hat. Hiergegen ist auch unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens nichts einzuwenden. Der Klägerin mag zuzugestehen sein, dass die Verschattung ihres Wohnraumes gegenüber der bisherigen Situation zunimmt. Aus den vorgelegten und in den Akten befindlichen Lichtbildern lässt sich jedoch ersehen, dass die Beeinträchtigung des südlichen Wohnzimmerfensters maßgeblich auch auf einer Verschattung durch den vorhandenen eigenen Balkon sowie durch den Balkon der Beigeladenen beruht. Dass durch die Terrassenüberdachung der Beigeladenen die ausreichende Besonnungsdauer für Wohnräume nicht mehr eingehalten wird, wird im Zulassungsvorbringen, gerade auch im Hinblick darauf, dass sich die Anlage der Beigeladenen im westlichen bis nordwestlichen Bereich der Klägerin befindet, nicht dargelegt. Die Klägerin stellt insoweit lediglich ihre eigene Bewertung der des Verwaltungsgerichts entgegen, ohne zugleich substantiierte Zweifel an den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts aufzuzeigen.
Der pauschale Vortrag unfachmännischer Errichtung der Terrassenüberdachung bzw. der grenzständigen Mauer zeigt ebenfalls keine Ermessensreduktion auf Null auf. Eine konkrete Einsturzgefahr oder ähnliches ist weder ersichtlich noch dargelegt.
Soweit sich die Klägerin im Zulassungsvorbringen auf den von den Beigeladenen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze weiter errichteten blickdichten Zaun beruft, ist eine eventuelle weitere Bautätigkeit auf dem Grundstück der Beigeladenen unerheblich, da allein die Terrassenüberdachung Gegenstand des Verfahrens ist. Im Rahmen des hierbei auszuübenden Ermessens kann keine „Gesamtbereinigung“ der baunachbarlichen Verhältnisse verlangt werden (vgl. BayVGH, B.v. 4.7.2011 – 15 ZB 09.1237 – juris Rn. 15).
Weitere Aspekte, insbesondere eine bauplanungsrechtliche Beeinträchtigung, die zu einer Ermessensreduktion führen könnten, werden durch das Zulassungsvorbringen nicht dargelegt. Der bloße Hinweis auf Besonderheiten der Reihenhaussituation ist hierfür nicht ausreichend.
2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
Die in der Zulassungsbegründung aufgeworfenen Fragen lassen sich nach den obigen Ausführungen, soweit sie entscheidungserheblich sind, ohne weiteres und mit zweifelsfreiem Ergebnis im Zulassungsverfahren klären. Die Klägerin hat hierzu nichts Entscheidungserhebliches über das zu § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO Dargelegte hinaus vorgetragen. Allein aus dem Hinweis auf das Meinungsspektrum zu der Frage, wann ein Anspruch des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten besteht, kann keine besondere Schwierigkeit der Rechtssache hergeleitet werden, da es dem Regelfall entspricht, dass zu einer Rechtsfrage verschiedene Auffassungen vertreten werden (vgl. BayVGH, B.v. 4.7.2011 – 15 ZB 09.1237 – juris Rn. 18). Die entscheidungstragende Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts entspricht jedenfalls der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da die Beigeladenen im Zulassungsverfahren keinen rechtlich die Sache förderlichen Beitrag geleistet haben, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4VwGO).