Baurecht

Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Einstellung von Bauarbeiten – nachbarschützende Funktion von Baugrenzen und Wandhöhen

Aktenzeichen  15 CE 20.1631

Datum:
7.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24668
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 6 Abs. 5 S. 3 Hs. 1
VwGO § 123, § 146
BauNVO § 18 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Sofern nicht ausdrücklich die Geltung der regulären Abstandsflächentiefen angeordnet ist, treten die in der Gemeindesatzung – mittelbar oder unmittelbar – abweichend von der Bauordnung festgelegten Abstandsflächentiefen an die Stelle der in der Bauordnung vorgeschriebenen Abstandsflächentiefen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Nachbar kann sich bei einer gegenüber den gesetzlichen Vorschriften verkürzten Abstandsfläche regelmäßig darauf berufen, dass er in seinen Rechten verletzt ist, wenn nicht zumindest die nach Art. 6 Abs. 5 Satz 3 Hs. 1 BayBO sich ergebende Abstandsfläche an seiner Grundstücksgrenze eingehalten wird. Daneben kann er eine seiner Ansicht nach unzulässige Verkürzung der Abstandsfläche durch die Festsetzungen im Bebauungsplan im Wege eines Normenkontrollantrags überprüfen lassen.  (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 6 E 20.636 2020-06-18 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Beigeladenen zu 2 und 3 tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens gesamtschuldnerisch. Die Beigeladene zu 1 trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beigeladenen zu 2 und 3 wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen die vom Verwaltungsgericht auf Antrag der Antragstellerin ausgesprochene Verpflichtung des Antragsgegners, die Bauarbeiten auf ihrem Grundstück FlNr. … Gemarkung B* … … … (Baugrundstück) vorläufig einzustellen.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des nördlich an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücks FlNr. … Gemarkung B* … … …, das mit einem Mehrfamilienhaus, einer Tiefgarage und Carports bebaut ist.
Beide Grundstücke sind hängig und fallen sowohl von Süd nach Nord als auch von West nach Ost ab. Im Westen grenzen sie an die Straße „D* …“ an. Die Grundstücke befinden sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans „G* … Straße“ der Beigeladenen zu 1, in Kraft getreten am 27. August 2015, der ein allgemeines Wohngebiet, Baugrenzen in Form von Baufenstern, verschiedene Haustypen und für alle Parzellen Höchstmaße für die Wandhöhen (WH) und untere Bezugspunkte festsetzt. Abgrabungen und Aufschüttungen sind in begrenztem Umfang zulässig. Für das Grundstück der Antragstellerin (Parzelle 61) gelten folgende Festsetzungen: Einzelhaus-Geschosswohnungsbau mit max. 3 Vollgeschossen, Sattel-/Walmdach 10° bis 35 °, Pultdach 5° bis 12 °, WH Bergseite 6,80 m und WH Talseite 8,30 m, als untere Bezugspunkte jeweils die Höhe des nächstgelegenen öffentlichen Fahrbahnrandes in Verlängerung der privaten Garagenzufahrt gemessen in Zufahrtsmitte bzw. Garagenzufahrtsachse, bergseitig -0,50 m und talseitig -2,00 m. Für das Baugrundstück (Parzelle 60) galten ursprünglich folgende Festsetzungen: Einzelhaus mit max. zwei Wohneinheiten, zwei Vollgeschossen und einem an der Grenze zum Grundstück der Antragstellerin angeordneten Baufenster für eine Garage, Sattel-/Walmdach 10° bis 25°, Pultdach 5° bis 10°, WH Bergseite 6,20 m, WH Talseite 7,70 m und als untere Bezugspunkte jeweils die Höhe des nächstgelegenen öffentlichen Fahrbahnrandes in Verlängerung der privaten Garagenzufahrt gemessen in Zufahrtsmitte bzw. Garagenzufahrtsachse, bergseitig -0,20 m und talseitig -1,70 m. In der Begründung des Bebauungsplans ist ausgeführt, durch die möglichst geringen Eingriffe ins Gelände dürften die Gebäude an der Talseite jeweils 1,50 m höher sein als bergseitig. Der Wechsel der Firstrichtung und der Versatz bei benachbarten Gebäuden solle sicherstellen, dass auch für die tiefer gelegenen Gebäude gut nutzbare Freiräume entstehen.
Mit dem 2. Deckblatt, bekannt gemacht am 20. Januar 2020, änderte die Beigeladene zu 1 die Festsetzungen des Bebauungsplans für die Parzellen 59 (FlNr. … Gemarkung B* … … …*) und 60 (Baugrundstück) dahingehend, dass ein größeres Baufenster in U-Form für zwei Gebäude unter Wegfall der Baufenster für die Garagen festgesetzt wurde und auf beiden Grundstücken jeweils sieben Stellplätze zwischen dem Baufenster und der Straße vorgesehen sind. Zudem wurde eine größere Dachneigung zugelassen und die Wandhöhe WH Bergseite mit 8,25 m und WH Talseite mit 7,25 m sowie die unteren Bezugspunkte jeweils in Höhe des nächstgelegenen öffentlichen Fahrbahnrandes in Verlängerung der privaten Garagenzufahrt gemessen in Zufahrtsmitte bzw. Garagenzufahrtsachse bergseitig -1,25 m und talseitig -2,20 m festgesetzt. Weiterhin sind drei Vollgeschosse und jeweils fünf Wohneinheiten zulässig. Gemäß der Begründung zur Änderung des Bebauungsplans soll damit ermöglicht werden, dass auf den beiden Parzellen zwei baugleiche Mehrfamilienhäuser mit jeweils fünf Wohnungen und sieben Stellplätzen errichtet werden können.
Nach den bei der Beigeladenen zu 1 am 3. Februar 2020 von den Beigeladenen zu 2 und 3 im Genehmigungsfreistellungsverfahren vorgelegten Bauplänen soll das Gebäude auf dem Baugrundstück (Haus 1, Fußbodenoberkante (FOK) EG 0,00 m) talseitig eine Traufhöhe von +7,17 m und damit von der Oberkante des modellierten Geländes (-1,08 m) eine Wandhöhe von 8,25 m und vom Bezugspunkt -2,20 m, der fast an der Grundstücksgrenze zur Antragstellerin liegt, eine Wandhöhe von ca. 9,40 m aufweisen.
Mit Schriftsatz vom 15. Januar 2020 erhob die Antragstellerin Einwendungen gegen die zweite Änderung des Bebauungsplans. Mit Schriftsatz vom 2. März 2020 beantragte sie beim Landratsamt Landshut (im Folgenden: Landratsamt) bauaufsichtlich gegen die Errichtung der Gebäude auf den FlNrn. … und … Gemarkung B* … … … einzuschreiten. Bei der Änderung des Bebauungsplans handele es sich um eine Gefälligkeitsplanung zu ihrem Nachteil. Ihre privaten Belange seien in die Abwägung nicht eingestellt oder ihnen sei kein hinreichendes Gewicht beigemessen worden. Die zulässige Zahl der Vollgeschosse und die Wandhöhen auf den Parzellen 59 und 60 seien erhöht worden, was die Verschattung der Terrassen ihres Anwesens zur Folge habe. Das Landratsamt lehnte mit Schreiben vom 9. März 2020 ein bauaufsichtliches Einschreiten ab, da die vorgebrachten Einwendungen sich ausschließlich gegen den Bebauungsplan richten würden.
Über die Klage der Antragstellerin auf bauaufsichtliches Einschreiten hat das Verwaltungsgericht Regensburg noch nicht entschieden (RN 6 K 20.637). Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat das Verwaltungsgericht teilweise stattgegeben und den Antragsgegner verpflichtet, die Bauarbeiten auf dem Grundstück FlNr. … vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache einzustellen. Hinsichtlich der FlNr. … lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag ab. Zur Begründung führt das Verwaltungsgericht aus, es liege ein Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund vor. Die Bauarbeiten hätten begonnen und es bestünden gewichtige Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Vorhabens auf dem Baugrundstück. Es sei davon auszugehen, dass die Gemeinde mit dem Bebauungsplan von ihrer Befugnis nach Art. 6 Abs. 5 Satz 3 Hs. 1 BayBO Gebrauch gemacht habe, von den gesetzlichen Abstandsflächenvorschriften abzuweichen. Die Voraussetzungen einer solchen Regelung seien erfüllt und nach den Planaufstellungsunterlagen habe es auch dem Willen der Beigeladenen zu 1 entsprochen, von den gesetzlichen Abstandsflächenvorschriften abweichende Regelungen zu erlassen. Das Vorhaben weiche von den Festsetzungen des Bebauungsplans in der Fassung des Deckblatts Nr. 2 ab, da nach dessen Vorgaben talseitig eine Wandhöhe von 7,25 m vom unteren Bezugspunkt gemessen zugelassen sei. Nach den Plänen ergebe sich aber eine Wandhöhe vom maßgeblichen Geländeniveau (-2,20 m) von ca. 9,40 m. Selbst wenn man entgegen der Auffassung der Kammer annehme, es handele sich um bloße Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung, spreche viel dafür, diesen Maßfestsetzungen ausnahmsweise ebenfalls nachbarschützende Wirkung zuzusprechen. Neben der individuellen Abstandsregelung könne das 16 m-Privileg nicht in Anspruch genommen werden, da es sich dabei um eine nicht hinnehmbare Verkürzung nachbarlicher Rechte handele. Ob das Deckblatt Nr. 2 aufgrund eines Abwägungsausfalls bereits unwirksam sei, könne daher dahinstehen. Das Gebäude auf FlNr. … befinde sich im Abstand von über 20 m vom Grundstück der Antragstellerin und könne ihre Rechte daher nicht verletzen. Mit Bescheid vom 25. Juni 2020 stellte das Landratsamt die weitere Bautätigkeit auf dem Baugrundstück ein.
Die Beigeladenen zu 2 und 3 wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen die Baueinstellung. Sie machen geltend, die Annahme des Ausgangsgerichts, die Festsetzungen im Bebauungsplan zur Wandhöhe hätten ausnahmsweise nachbarschützende Funktion, sei unzutreffend. Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche oder zum Maß der baulichen Nutzung hätten grundsätzlich keine nachbarschützende Funktion. Dies sei nur ausnahmsweise der Fall. Eine solche Ausnahme ergebe sich nicht hinreichend deutlich aus dem Bebauungsplan, seiner Begründung oder aus sonstigen Unterlagen. Es erscheine auch lebensfremd, dass mit der Festsetzung von Baugrenzen auf einem Baugrundstück sämtliche Grundstückseigentümer in einem Baugebiet geschützt werden sollten. Der Begründung des Bebauungsplans sei eine solche Intention nicht zu entnehmen. Die zitierte Textstelle befinde sich im „Planungskonzept“. Dort werde lediglich die gestalterische Herangehensweise zur Beplanung des Bauquartiers beschrieben. Aus dem Gestaltungswillen lasse sich aber keine drittschützende Zielrichtung entnehmen. Auch wenn der Begründung eine drittschützende Zielrichtung zu entnehmen wäre, betreffe diese lediglich den Versatz der Baufenster aber nicht die Wandhöhe. Selbst wenn die Wandhöhen nachbarschützend sein sollten, wären die Vorgaben des Bebauungsplans mit einer talseitig zulässigen Gesamtwandhöhe von 9,39 m eingehalten. Die Beigeladene zu 1 berechne die Gesamtwandhöhe durch Addition des festgesetzten Negativums zu der festgesetzten Wandhöhe. Dies ergebe hier talseitig eine Wandhöhe von 7,25 m zuzüglich 2,20 m, also 9,45 m. Die Auslegung des Ausgangsgerichts, nach den Festsetzungen des Bebauungsplans sei nur eine Wandhöhe von 7,25 m zulässig, entspreche nicht der Praxis des Bauquartiers. Die Antragstellerin selbst habe einen Antrag auf Befreiung von den Festsetzungen zur Wandhöhe gestellt und auf ihrem Grundstück ein Gebäude mit einer Höhe von 11,87 m errichtet, das die zulässige Wandhöhe von 8,30 m nach Lesart des Ausgangsgerichts erheblich überschreite. Das Gebäude der Antragstellerin verstoße damit auch gegen die gesetzlichen Abstandsvorschriften und sie könne keine rechtskonforme Position verteidigen. Die Belange der Antragstellerin seien auch deshalb nicht verletzt, da das Vorhaben der Beigeladenen die Vorgaben des gesetzlichen Abstandsflächenrechts einhalte. Sie könnten sich auf das 16 m-Privileg berufen, da auf zwei Seiten (West und Ost) ein volles H Abstand eingehalten werde. Auf die vierte Seite (Nord) komme es nicht an. Hier sei aber auch ein Abstand von zumindest 4,30 m eingehalten, also das gesetzliche Mindestmaß von 3 m erfüllt.
Die Antragstellerin macht demgegenüber geltend, das Verwaltungsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass die Gemeinde zur Bebauung im Hanggelände im Bebauungsplan nach Art. 6 Abs. 5 Satz 3 Hs. 1 BayBO Außenwände zugelassen oder vorgeschrieben habe, vor denen Abstandsflächen größerer oder geringerer Tiefe als nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 und 2 BayBO liegen müssen, so dass die gesetzlichen Abstandsflächenregelungen nicht gelten würden. Diese Feststellungen seien mit der Beschwerdebegründung nicht angegriffen worden. Auf die Ausführungen der Beschwerdebegründung zu den hilfsweise angestellten Erwägungen des Verwaltungsgerichts zum Drittschutz der Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung komme es deshalb nicht an. Zu Recht habe das Verwaltungsgericht auch festgestellt, dass das Vorhaben der Beigeladenen gegen die Festsetzungen des Bebauungsplans in der Fassung des 2. Deckblatts verstoße, da sich eine Wandhöhe von 9,37 m ergebe. Unabhängig davon, wo man den Bezugspunkt festlege, sei die zulässige talseitige Wandhöhe von 7,25 m überschritten. Das Mehrfamilienhaus der Antragstellerin entspreche demgegenüber den Festsetzungen des Bebauungsplans. Eine Abweichung von den festgesetzten Wandhöhen sei nicht erteilt worden, da das Landratsamt darauf hingewiesen habe, dadurch würden nachbarschützende Festlegungen des Bebauungsplans verletzt. Die Antragstellerin habe deshalb ihren Plan geändert und gemäß den Vorgaben des Bebauungsplans für ihre Parzelle an der Bergseite 0,50 m und an der Talseite 2,00 m von dem straßenseitigen Bezugspunkt abgezogen und von dort aus die Wandhöhe berechnet. Dies ergebe sich auch aus dem beigefügten Ergebnis der Vermessung. Das gesetzliche Abstandsflächenrecht sei auf das Vorhaben der Beigeladenen nicht anwendbar. Darüber hinaus würden auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des 16 m-Privilegs nicht vorliegen, denn an der ihrer Grenze gegenüberliegenden Wand sei 0,5 H nicht eingehalten, da der ostseitige Balkon hinzugerechnet werden müsse, so dass die nördliche Wand 16,49 m lang sei. Darüber hinaus sei die 2. Änderung des Bebauungsplans ohnehin unwirksam.
Die Beigeladene zu 1 hat sich mit Schriftsatz vom 31. Juli 2020 den Ausführungen der Beigeladenen zu 2 und 3 angeschlossen und ist der Auffassung, der Beschwerde müsse stattgegeben werden. Es liege kein Verstoß gegen die Festsetzungen des Bebauungsplans zur Wandhöhe vor. Dies ergebe sich aus dem Schriftsatz des Landratsamts vom 14. Juli 2020. Dort werde ausgeführt, dass auf dem Vorhabensgrundstück (Parzellen 59 und 60) keine Garagenzufahrt geplant sei und deshalb auf die Mitte der theoretisch insgesamt möglichen Stellplatzzufahrt abgestellt werden müsse. Diese befinde sich auf Parzelle 59 bei +1,17 m. Werde von diesem Punkt ausgegangen, seien die festgesetzten Wandhöhen von 7,70 m talseitig und 6,20 m bergseitig bei Abzug von 1,70 m bzw. 0,20 m eingehalten.
Der Antragsgegner hat von einer Stellungnahme abgesehen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Aus den im Beschwerdeverfahren innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben oder abzuändern wäre. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage hat das Verwaltungsgericht den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu Recht dazu verpflichtet, bezüglich des Baugrundstücks eine vorläufige Baueinstellung zu verfügen, da es nicht ausgeschlossen erscheint, dass das nördliche Mehrfamilienhaus der Beigeladenen zu 2 und 3 die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt.
Das Verwaltungsgericht ist dabei davon ausgegangen, dass die Beigeladene zu 1 mit der Festsetzung von Baugrenzen und Wandhöhen einschließlich der notwendigen unteren Bezugspunkte im Bebauungsplan „G* … Straße“ gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 3 Hs. 1 BayBO die Anwendung der Abstandsflächenberechnungsvorschriften nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 und 2 BayBO ausschließen wollte. Diesen Feststellungen ist die Beschwerdebegründung nicht entgegengetreten, sondern sie befasst sich ausschließlich mit den hilfsweisen Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu der nachbarschützenden Funktion von Baugrenzen und Wandhöhen. Damit ist dem Darlegungsgebot des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht hinreichend Genüge getan, denn die Beschwerde setzt sich mit den entscheidungstragenden Argumenten des Verwaltungsgerichts hinsichtlich der Frage, wie die Abstandsflächen im vorliegenden Fall zu berechnen sind, nicht auseinander. Sofern nicht ausdrücklich die Geltung der regulären Abstandsflächentiefen angeordnet ist (Art. 6 Abs. 5 Satz 3 Hs. 2 BayBO), treten die in der Gemeindesatzung nach Art. 6 Abs. 5 Satz 3 Hs. 1 BayBO – mittelbar oder unmittelbar – abweichend von der Bauordnung festgelegten Abstandsflächentiefen an die Stelle der in der Bauordnung vorgeschriebenen Abstandsflächentiefen (vgl. Hahn in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Stand Januar 2020, Art. 6 Rn. 273). Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass die Planungsentscheidung der Gemeinde Vorrang gegenüber der Bauordnung hat (Hahn a.a.O. Rn. 273), denn es soll vermieden werden, dass die Festsetzungen in Bebauungsplänen nicht voll ausgenutzt werden können (Hahn a.a.O. Rn. 272). Deshalb kann sich ein Nachbar jedenfalls bei einer gegenüber den gesetzlichen Vorschriften verkürzten Abstandsfläche regelmäßig darauf berufen, dass er in seinen Rechten aus Art. 6 BayBO verletzt ist, wenn nicht zumindest die nach Art. 6 Abs. 5 Satz 3 Hs. 1 BayBO sich ergebende Abstandsfläche an seiner Grundstücksgrenze eingehalten wird. Daneben kann er eine seiner Ansicht nach unzulässige Verkürzung der Abstandsfläche durch die Festsetzungen im Bebauungsplan im Wege eines Normenkontrollantrags überprüfen lassen.
Unter der Annahme, dass die Änderung des Bebauungsplans mit dem 2. Deckblatt überhaupt wirksam ist, wurde hier in der Kombination der nördlichen Baugrenze mit einer Länge von 16,5 m im Abstand von (überwiegend) 5 m zur Grundstücksgrenze und einer talseitigen maximalen Wandhöhe von 7,25 m unabhängig davon, wo der untere Bezugspunkt für die Wandhöhe zu setzen ist (gemäß Landratsamt bei -1,03 m => absolute Wandhöhe = 6,22 m, bei Bezugnahme auf das Straßenniveau in der Mitte der Einfahrt zu den Stellplätzen auf der Parzelle 60 bei -2,2 m => absolute Wandhöhe bezogen auf Straßenniveau 0,00 m = 5,05 m), eine von 1 H abweichende Abstandsfläche zugelassen. Die Antragstellerin kann sich daher unter Berücksichtigung der vom Verwaltungsgericht angenommenen Auslegung des Bebauungsplans, dass durch die Festsetzung von Baugrenzen und Wandhöhen eine abweichende Berechnung der Abstandsfläche nach Art. 6 Abs. 5 Satz 3 Hs. 1 BayBO angeordnet worden ist, darauf berufen, dass zumindest diese Abstandsfläche eingehalten wird.
Mit der Frage, ob sich die Beigeladenen zu 2 und 3 trotz einer von den Regelabstandsflächentiefen des Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO abweichenden Festlegung im Bebauungsplan nach Art. 6 Abs. 5 Satz 3 Hs. 1 BayBO gleichwohl auf das 16 m-Privileg nach Art. 6 Abs. 6 BayBO berufen können, da Art. 6 Abs. 6 BayBO nur allgemein auf Absatz 5 verweist und die bauordnungsrechtlichen Regelungen des Art. 6 BayBO bei einer Regelung nach Art. 6 Abs. 5 Satz 3 Hs. 1 BayBO im Übrigen wohl unberührt bleiben (vgl. Hahn a.a.O. Rn. 273), setzt sich die Antragsbegründung nicht auseinander, sondern behauptet nur, die Vorgaben des gesetzlichen Abstandsrechts der Bayerischen Bauordnung seien eingehalten. Da das Verwaltungsgericht aber gerade nicht davon ausgeht, dass die gesetzliche Tiefe der Abstandsflächen nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO Anwendung findet, hätte es einer substantiierten Auseinandersetzung damit bedurft, ob die Beigeladenen zu 2 und 3 gleichwohl das 16 m-Privileg in Anspruch nehmen können.
Soweit die Beigeladenen zu 2 und 3 darüber hinaus bemängeln, die von ihnen zugestandene tatsächliche talseitige Wandhöhe vom unteren Bezugspunkt bei -2,20 m von 9,39 m entspreche den Festsetzungen des Bebauungsplans, da das festgesetzte Negativum zur festgesetzten Wandhöhe zu addieren sei, kann dem nicht gefolgt werden. Nach § 18 Abs. 1 BauNVO sind bei der Festsetzung der Höhe baulicher Anlagen die erforderlichen Bezugspunkte zu bestimmen. Wird ein unterer Bezugspunkt bestimmt, wird auf diesen bezogen ein auf einen bestimmten Teil der baulichen Anlage bezogenes Höhenmaß festgesetzt (vgl. König/Petz in König/Roeser/Stock, Baunutzungsverordnung, 4. Auflage 2019, § 18 Rn. 5). Unterer Bezugspunkt ist im vorliegenden Fall durchgängig für alle Parzellen des Bebauungsplans die Höhe des nächstgelegenen öffentlichen Fahrbahnrandes in Verlängerung der privaten Garagenzufahrt gemessen in Zufahrtsmitte bzw. Garagenzufahrtsachse teilweise unmittelbar (Parzelle 65 bis 69), teilweise zuzüglich bestimmter Werte (Parzellen 2 bis 5, 10 bis 15, 21 bis 27, 33 bis 41 und 46 bis 51) oder abzüglich (übrige Parzellen) bestimmter Werte, um die Hängigkeit des Geländes abzubilden. Damit wird sichergestellt, dass die talseitigen Außenwände 1,50 m höher sein dürfen als die bergseitigen, so wie die Beigeladene zu 1 dies ursprünglich durchgängig vorgesehen hatte (s. S. 7 der Begründung zum Bebauungsplan, sowie die Festsetzungen zu den Wandhöhen und unteren Bezugspunkten). Es erscheint nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen ein negativer Betrag zur Wandhöhe hinzuzurechnen sein sollte. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht daher davon ausgegangen, dass die festgesetzte talseitige Wandhöhe von 7,25 m vom unteren Bezugspunkt (Höhe des Fahrbahnrands minus 2,2 m) zu bemessen ist. Ebenso geht das Landratsamt in seinem Schreiben vom 14. Juli 2020 von einer solchen Berechnungsmethode hinsichtlich des unteren Bezugspunkts aus. Dass die Festsetzungen möglicherweise bei anderen Bauvorhaben im Geltungsbereich des Bebauungsplans falsch angewendet worden sind, führt nicht dazu, dass die Antragstellerin, unter der Annahme eines durch die Festsetzungen vermittelten Nachbarschutzes, eine solche Praxis an ihrer Grundstücksgrenze dulden müsste.
Selbst wenn man, wie das Landratsamt in seinem Schreiben vom 14. Juli 2020, für die Parzellen 59 und 60 bei +1,17 m einen einheitlichen Bezugspunkt am Fahrbahnrand annimmt, würde das Vorhaben dem aktuellen Bebauungsplan nicht entsprechen. Unter Berücksichtigung der geänderten Festsetzungen aus dem 2. Deckblatt wäre die dort festgesetzte Wandhöhe von 7,25 m talseitig unter Abzug von 2,20 m (unterer Bezugspunkt dann bei -1,03 m) nicht eingehalten (7,17 m + 1,03 m = 8,20 m). Aus welchen Gründen das Landratsamt im Schreiben vom 14. Juli 2020 zwar das einheitliche Baufenster, aber nicht die übrigen Änderungen aus dem 2. Deckblatt berücksichtigt hat, lässt sich diesem Schreiben nicht entnehmen.
Auch unter der Prämisse, dass die Änderungen des Bebauungsplans durch das 2. Deckblatt z.B. mangels Bestimmbarkeit des unteren Bezugspunkts für die Wandhöhe oder wegen mangelhafter Abwägung der Belange der Antragstellerin nicht wirksam sind und deshalb weiterhin die ursprünglichen Festsetzungen für die Parzelle 60 gelten (Entfernung der Baugrenze von der Grundstückgrenze 6 m; WH talseitig 7,70 m; unterer Bezugspunkt -1,70 m vom Fahrbahnrand in der Mitte der Garagenzufahrt), wäre die danach notwendige Abstandsfläche nicht eingehalten. Würde man als Bezugspunkt am Fahrbahnrand die Fußbodenoberkante (FOK) EG bei 0,00 m ansetzen, die auch ungefähr der Mitte der Zufahrt zu den Stellplätzen auf dieser Parzelle entspricht, dürfte die Wand im Abstand von 6 m zur Grundstücksgrenze bis +6,00 m über FOK EG reichen. Da die nördliche Außenwand sich nach den vorliegenden Bauplänen aber nicht im Abstand von 6 m sondern im Abstand von 5 m zur Grundstücksgrenze befindet, wäre dieser Wert noch zu reduzieren und damit bei Weitem nicht eingehalten.
Die Beigeladenen zu 2 und 3 können sich bei summarischer Prüfung auch nicht darauf berufen, dass die Antragstellerin selbst die Vorgaben des Bebauungsplans nicht eingehalten habe. Nach den unwidersprochen gebliebenen Ausführungen der Antragstellerin, die durch die Vorlage von Kopien von Teilen der Baugenehmigung und einem Vermessungsprotokoll untermauert worden sind, hält das Gebäude der Antragstellerin die Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich der Wandhöhe ein. Davon ist wohl auch das Landratsamt bei Erteilung der Baugenehmigung an die Antragstellerin ausgegangen. Als Bezugspunkt am Fahrbahnrand ist offensichtlich die Mitte der Zufahrt zu den Carports am D* … bei +2,45 m oder 457,24 m ü. NN angesetzt worden. Zieht man davon an der Talseite 2,00 m (455,24 m ü. NN) und an der Bergseite 0,50 m (456,74 m ü. NN) ab und bemisst von diesen unteren Bezugspunkten die Wandhöhen (talseitig 8,30 m, bergseitig 6,80 m), so dürften die Wände an allen Seiten bis 463,54 m ü. NN reichen. Nach den Messergebnissen erreichen die Wände des Gebäudes der Antragstellerin maximal aber nur 463,35 m ü. NN. Aus den von den Beigeladenen vorgelegten Vermessungsprotokollen (Anlage BGL2-1) ergibt sich nichts Anderes. Der Frage, ob der Bezugspunkt am Fahrbahnrand bei der Zufahrt zu den Carports zutreffend gewählt worden ist und sich für die Parzelle 61 überhaupt hinreichend eindeutig bestimmen lässt, da sowohl eine Tiefgarage mit einer wesentlich tiefer liegenden Zufahrt als auch Carports vorgesehen sind (zum Bestimmtheitsgebot vgl. z.B. König/Petz in König/Roeser/Stock, Baunutzungsverordnung, § 18 Rn. 3 ff.), ist ggf. im Hauptsacheverfahren weiter nachzugehen.
Im Hauptsacheverfahren wird auch zu prüfen sein, ob die Festsetzungen des 2. Deckblatts überhaupt eine rechtssichere Bestimmung der unteren Bezugspunkte auf den Parzellen 59 und 60 ermöglichen. Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass durch die Bebauungsplanänderung auf diesen Parzellen keine Garagenzufahrten mehr vorgesehen sind, die ursprünglich an den nördlichen Grundstückgrenzen, also etwas tieferliegend als die Hauptgebäude, situiert waren. Zum anderen ist zwar nunmehr nur noch ein Baufenster auf den beiden Parzellen gebildet worden. Mit einem einheitlichen Bezugspunkt in der Mitte der Stellplätze auf beiden Parzellen, wovon das Landratsamt wohl ausgeht, könnte aber die Struktur des Bebauungsplans, dass die Gebäude entsprechend der Hängigkeit der Grundstücke der Höhe nach gestaffelt werden, nicht erreicht werden, sondern die beiden Gebäude dürften dann gleich hoch sein. Dies erscheint so eher nicht gewollt. Im Übrigen fällt auf, dass mit dem 2. Deckblatt entgegen den früheren Festsetzungen auf den Parzellen 59 und 60 und auch auf allen anderen Parzellen, die Wandhöhe an der Talseite niedriger als an der Bergseite festgesetzt worden ist. Dies erscheint angesichts der Konzeption des Bebauungsplans, dass die talseitigen Wände 1,50 m höher als die bergseitigen Wände sein dürfen, eher unstimmig. Darüber hinaus wurde mit dem 2. Deckblatt für die Parzellen 59 und 60 die Baugrenze zwar näher an die Grundstücksgrenze herangerückt, die Wandhöhe an der Talseite wurde aber von 7,70 m auf 7,25 m reduziert und der untere Bezugspunkt von -1,70 m auf -2,20 m weiter nach unten versetzt. Ob für die Antragstellerin durch diese Änderungen überhaupt Nachteile gegenüber den ursprünglichen Festsetzungen entstehen, hängt wohl insbesondere davon ab, wo der Bezugspunkt am Fahrbahnrand angenommen wird.
Die Beschwerde ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO zurückzuweisen. Da die Beigeladene zu 1 keinen eigenen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3, § 154 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, Anh. § 164 Rn. 14). Die Bedeutung der Sache für einen Kläger bzw. für einen Antragsteller im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bei einem Nachbaranspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten ist ähnlich zu bewerten wie bei der Anfechtung einer Baugenehmigung (BayVGH, B.v. 11.4.2018 – 15 C 18.750 – juris Rn. 7 m.w.N.).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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