Baurecht

Antragsfrist im Normenkontrollverfahren bei Neuerlass und Neubekanntmachung einer Sanierungssatzung

Aktenzeichen  15 N 15.2769

Datum:
16.6.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2018, 26
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 14 Abs. 1
VwGO VwGO § 47 Abs. 2 Satz 1
ZPO ZPO § 266 Abs. 1 Satz 1
BVerfGG BVerfGG § 93 Abs. 3
BauGB BauGB § 143 Abs. 2 Satz 2, § 144 Abs. 1 und 2, § 145 Abs. 1 und 2

 

Leitsatz

Der Neuerlass sowie die Neubekanntmachung einer Satzung mit identischem Regelungsinhalt setzen außer in Fällen, in denen der Rechtsnorm (etwa über eine Behebung eines vorherigen formellen Mangels) überhaupt erst Geltung verschafft werden soll, die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nur dann erneut in Lauf, wenn hiermit eine neue oder zusätzliche Beschwer verbunden ist.
2 Durch die Änderung einer Satzung wird eine abgelaufene Antragsfrist nach § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO nur dann erneut in Gang gesetzt, wenn und soweit die Änderungssatzung neue Rechtsvorschriften enthält, die nun angegriffen werden und die eine zusätzliche Beschwer bewirken, etwa weil sie deren Anwendungsbereich oder materiellen Gehalt ändern. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Antragstellerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Antragsgegner zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Normenkontrollantrag ist unzulässig.
1. Zwar stellen die angegriffenen Satzungsregelungen Rechtsvorschriften dar, die gem. § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof im Rahmen einer Normenkontrolle grundsätzlich zugänglich sind. Auch eine Antragsbefugnis der Antragstellerin im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist zu bejahen, weil es zumindest als möglich erscheint, dass sie durch die Anwendung der Sanierungssatzung in ihren eigenen subjektiven Rechten verletzt wird oder in absehbarer Zeit verletzt wird. Denn durch die Sanierungssatzung unterliegen die im Geltungsbereich gelegenen Grundstücke grundsätzlich – so auch hier – den Genehmigungstatbeständen gem. § 144 Abs. 1 und 2 BauGB, sodass Inhalt und Schranken des Grundeigentums einer einschränkenden Regelung unterzogen werden (SächsOVG, U.v. 16.11.2015 – 1 C 15/14 – juris Rn. 24; OVG NRW, U.v. 12.11.2015 – 7 D 66/14.NE – juris Rn. 24 ff. m.w.N.; OVG Berlin-Bbg., U.v. 14.6.2012 – OVG 10 A 7.09 – juris Rn. 34). Der Normenkontrollantrag wahrt jedoch nicht die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO in der hier maßgeblichen Fassung.
a) Die Verfristung des Normenkontrollantrags ergibt sich allerdings nicht in Anwendung von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO in der aktuellen Fassung daraus, dass die Antragstellerin das Verfahren erst durch prozessuale Erklärung vom 11. November 2016 – und damit über ein Jahr nach der Bekanntmachung des neuen Satzungsbeschlusses (4. März 2015) – übernommen hat. Nach § 266 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist im Falle der Veräußerung des Grundstücks der Rechtsnachfolger berechtigt und auf Antrag des Gegners verpflichtet, den Rechtsstreit in der Lage, in der er sich befindet, als Hauptpartei zu übernehmen, wenn über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechts, das für ein Grundstück in Anspruch genommen wird, zwischen dem Besitzer und einem Dritten ein Rechtsstreit anhängig ist. Wie im Fall eines Normenkontrollverfahrens gegen einen Bebauungsplan (vgl. BayVGH, U.v. 20.5.2014 – 15 N 12.1517 – juris Rn. 24 m.w.N.) findet die Bestimmung auch bei einem Normenkontrollverfahren gegen eine Sanierungssatzung entsprechende Anwendung. Solche Verfahren sind den in § 266 Abs. 1 Satz 1 ZPO genannten Rechtsstreitigkeiten über Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechts an einem Grundstück aufgrund der grundstückbezogenen Komponente der Antragsbefugnis gleichzustellen; das gilt jedenfalls dann, wenn sich – wie hier – der Anspruch auf gerichtliche Prüfung aus dem Grundeigentum oder aus einer sonstigen dinglichen Berechtigung an einem im Geltungsbereich der angefochtenen Satzung gelegenen Grundstück ergibt. Die Antragstellerin hat mithin als Rechtsnachfolgerin der früheren Grundstückseigentümerin den Rechtsstreit gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 266 Abs. 1 Satz 1 ZPO als Hauptpartei in der Lage übernommen, in der er sich befunden hat.
b) Der Normenkontrollantrag ist aber unzulässig, weil bereits im Zeitpunkt seines Eingangs bei Gericht am 23. Dezember 2015 Verfristung vorlag.
Vorliegend ist für den Fristbeginn nicht auf die Bekanntmachung des neuen Satzungsbeschlusses am 4. März 2015 abzustellen, sondern auf die Bekanntmachung der im Jahr 2003 beschlossenen Sanierungssatzung am 17. Dezember 2003. Zum damaligen Zeitpunkt regelte § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO in der einschlägigen Fassung des Art. 1 Nr. 2 Buchst. a des Sechsten Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 1. November 1996 (6. VwGOÄndG, BGBl I S. 1626 ff.), dass der Antragsbefugte den Normenkontrollantrag innerhalb von zwei Jahren nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift zu stellen hatte. Die Verkürzung der Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO auf ein Jahr durch Art. 3 Nr. 1 Buchst. a des Gesetzes zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte vom 21. Dezember 2006 (BGBl I S. 3316 ff.) wirkte sich nicht mehr auf die bereits vorher abgelaufene Antragsfrist aus (vgl. § 195 Abs. 7 VwGO). Die mithin geltende Zweijahresfrist war im Zeitpunkt des Eingangs des Normenkontrollantrags beim Verwaltungsgerichtshof (23. Dezember 2015) schon zehn Jahre abgelaufen.
Im vorliegenden Fall liegt zwar keine bloße Neubekanntmachung einer Satzung vor, die als solche im Regelfall keine erneute Antragsfrist in Gang setzt (vgl. SächsOVG, U.v. 20.3.2014 – 1 C 11/10 – BauR 2014, 1767 = juris Rn. 29 m.w.N.), sondern ein erneuter Satzungsbeschluss. Allerdings ist in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Fristbindung nach § 93 Abs. 3 BVerfGG anerkannt, dass bei Normänderungen die Frist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO grundsätzlich nur für geänderte Bestimmungen neu läuft, nicht jedoch für die unverändert gebliebenen Regelungen, auch wenn sie vom Satzungsgeber erneut in seinen Willen aufgenommen worden sind. Durch die Änderung einer Satzung wird eine abgelaufene Antragsfrist nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nur dann erneut in Gang gesetzt, wenn und soweit die Änderungssatzung neue Rechtsvorschriften enthält, die nun angegriffen werden und die eine zusätzliche Beschwer bewirken, etwa weil sie deren Anwendungsbereich oder materiellen Gehalt ändern (BVerwG, U.v. 21.1.2004 – 8 CN 1.02 – BVerwGE 120, 82 = juris Rn. 28; BayVGH, U.v. 2.10.2001 – 23 N 01.723 – BayVBl. 2002, 531 = juris Rn. 34; VGH BW, B.v. 12.12.2012 – 9 S 2933/11 – juris Rn. 63; Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 47 Rn. 74; zu § 93 Abs. 3 BVerfGG vgl. BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 2054/09 – NVwZ 2010, 38 = juris Rn. 11; B.v. 12.10.2011 – 2 BvR 236/08 u.a. – BVerfGE 129, 208 = juris Rn. 168). Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung des materiellen Rechts zu entscheiden (BayVGH, U.v. 2.10.2001 a.a.O.). Dagegen läuft im Fall des Neuerlasses einer Satzung oder einzelner Regelungen mit identischem Inhalt keine neue Antragsfrist, wenn der Normgeber nach dem Ergebnis der Auslegung die bisherige Rechtslage lediglich bestätigt, ohne dass damit andere oder weitergehende Regelungswirkungen im Vergleich zur Altsatzung verbunden sind. Der Neuerlass sowie die Neubekanntmachung einer Satzung setzen außer in den Fällen, in denen der Rechtsnorm überhaupt erst Geltung verschafft werden soll (im Zusammenhang mit der Behebung eines Ausfertigungsmangels vgl. BVerwG, U.v. 18.8.2015 – 4 CN 10.14 – BVerwGE 152, 379 = juris Rn. 6 ff.; ähnlich vgl. BVerwG, U.v. 21.1.2004 – 8 CN 1.02 – BVerwGE 120, 82 = juris Rn. 28), die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nur dann erneut in Lauf, wenn hiermit eine neue oder zusätzliche Beschwer verbunden ist (ähnlich vgl. OVG MV, B.v. 13.2.2013 – 4 K 16/10 – juris Rn. 18; B.v. 27.11.2013 – 4 M 167/13 – juris Rn. 34; vgl. auch BVerfG, B.v. 12.10.2011 – 2 BvR 236/08 u.a. – BVerfGE 129, 208 = juris Rn. 168: „Die Ausschlussfrist wird nicht neu eröffnet, wenn eine unverändert gebliebene oder nur redaktionell veränderte Norm lediglich vom Gesetzgeber neu in seinen Willen aufgenommen wird und keinen neuen oder erweiterten Inhalt erlangt.“).
Dass der Antragsgegner mit dem Neuerlass und der Neubekanntmachung der Sanierungssatzung einen formellen Fehler der Altsatzung „heilen“ wollte und damit der ursprünglichen Satzungsregelung aus dem Jahr 2003 überhaupt und erstmals Geltung verschaffen wollte, steht vorliegend nicht zur Debatte. Mit dem am 24. Februar 2015 beschlossenen und am 4. März 2015 bekannt gemachten Neuerlass der Satzung war für die Normunterworfenen und damit für die Antragstellerin auch keine neue belastende Wirkung verbunden.
aa) Die Satzungen sind inhaltlich identisch. In § 2 der Sanierungssatzung wird der Geltungsbereich durch flurnummernbezogene Grundstücksauflistung aufgeführt, wobei einzelne Flurnummern nur zum Teil zum Bestandteil der Sanierungssatzung erklärt werden. Ein weiterer § 2 der Satzung (offensichtlich als § 3 gewollt) sieht vor, dass die Sanierung nach § 142 Abs. 4 BauGB im vereinfachten Verfahren durchgeführt werden soll (Satz 1), dass die Anwendung der besonderen sanierungsrechtlichen Vorschriften der §§ 152 bis 156 BauGB ausgeschlossen sind (Satz 2), dass aber § 144 Abs. 1 und 2 BauGB grundsätzlich gelten sollen. Der Normtext der in der Ratssitzung vom 24. Februar 2015 beschlossenen Satzung ist exakt derselbe wie in der Satzung aus dem Jahr 2003. Es wurde lediglich die Paragrafennummerierung korrigiert, sodass sich die Regelungen über das vereinfachte Verfahren nicht in einem zweiten § 2, sondern nunmehr in § 3 des Satzungstextes finden. Es trifft daher entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin nicht zu, dass der Normtext der mit dem Normenkontrollantrag angegriffenen neuen Satzung aus dem Jahr 2015 inhaltlich über den Regelungsinhalt der Altsatzung aus dem Jahr 2003 hinausgeht. Das gilt auch und gerade in Bezug auf die von der Antragstellerin thematisierte Regelung des § 144 Abs. 1 und 2 BauGB. Da bereits nach der Satzung aus dem Jahr 2003 die Genehmigungspflicht gem. § 144 Abs. 1 und Abs. 2 BauGB Anwendung fand, hat sich durch den Neuerlass auch in Bezug auf die Möglichkeit der Eintragung des sog. Sanierungsvermerks im Grundbuch nichts Neues ergeben (vgl. § 143 Abs. 2 Satz 2 und 3 BauGB).
bb) Die Antragsfrist gem. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO hätte mit der Bekanntmachung des Neuerlasses im Amtsblatt vom 4. März 2015 nur dann neu zu laufen begonnen, wenn trotz identischen Normtextes eine neue Beschwer zu Lasten der Normunterworfenen eingetreten wäre. Das wäre der Fall, wenn die Altsatzung aufgrund Zeitablaufs ihre Eingriffswirkung gegenüber den Normunterworfenen (ganz oder teilweise) eingebüßt hätte oder sogar funktionslos (obsolet) geworden wäre und wenn mit der Neuregelung ein Rechtszustand geschaffen werden sollte, der belastende behördliche Entscheidungen gegenüber normunterworfenen Bürgern, die auf Basis der „Altsatzung“ so nicht mehr zulässig waren, wieder ermöglichen sollte.
Dies ist vorliegend zu verneinen. Der Senat legt die im Jahr 2015 beschlossene Sanierungssatzung vielmehr dahin gehend aus, das mit ihr lediglich nach außen bestätigt werden sollte, dass die Marktgemeinde an der im Jahr 2003 beschlossenen Rechtslage weiter festhält.
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass eine Sanierungssatzung mit zunehmendem Zeitablauf ihre belastende Regelungswirkung gegenüber den Normunterworfenen und insbesondere gegenüber den Eigentümern von Grundstücken im Sanierungsgebiet einbüßen kann. Zwar führt allein ein längerer Zeitablauf seit Erlass einer Sanierungssatzung oder eine unzureichend zügige Förderung der Sanierung grundsätzlich nicht automatisch dazu, dass eine Sanierungssatzung funktionslos wird bzw. außer Kraft tritt (BVerwG, U.v. 20.10.1978 – IV C 48.76 – NJW 1979, 2577 = juris Rn. 21; B.v. 12.4.2011 – 4 B 52.10 – ZfBR 2011, 477 = juris Rn. 6; U.v. 20.3.2014 – 4 C 11.13 – BVerwGE 149, 211 = juris Rn. 14). Es kann sich aber in Fällen, in denen eine Sanierungssatzung vor längerer Zeit erlassen wurde, ohne dass seither das Sanierungsverfahren vorangetrieben worden ist und ohne dass die Sanierungsziele zunehmend konkreter geworden sind, dies unter Berücksichtigung der Bedeutung und Tragweite des Art. 14 Abs. 1 GG dahin auswirken, dass eine Genehmigung gem. § 144 Abs. 1, § 145 BauGB ggf. erteilt werden muss: Die sanierungsrechtliche Genehmigungspflicht erfüllt u.a. die Aufgabe, die im allgemeinen Städtebaurecht eine Veränderungssperre erfüllt. Dem entspricht es, dass nach § 145 Abs. 2 BauGB die Genehmigung nur versagt werden darf, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass das Vorhaben, der Rechtsvorgang oder die mit ihm erkennbar bezweckte Nutzung die Durchführung der Sanierung unmöglich machen oder wesentlich erschweren oder dem Sanierungszweck zuwiderlaufen würde. Das ist der Fall, wenn das Vorhaben dem Sanierungskonzept nicht entspricht; hierfür muss sich die Behinderung der Sanierung konkret abzeichnen. Die Regelungen gem. §§ 144, 145 BauGB dienen u.a. dazu, den Gemeinden einen angemessenen Zeitraum für eine Verwirklichung ihrer Sanierungsziele bis hin zur Aufstellung eines Sanierungsbebauungsplans einzuräumen. Dem verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des Eigentums wird dabei dadurch Rechnung getragen, dass der Zeitraum, der dem Satzungsgeber für die Realisierung der Ziele der Sanierungssatzung zur Verfügung steht, nicht unbeschränkt ist. Liegt etwa der Erlass der Sanierungssatzung verhältnismäßig weit zurück und sind die Sanierungsziele nicht konkretisiert, ist insbesondere ein Sanierungsbebauungsplan noch nicht aufgestellt, so kann dies bei der Prüfung eines konkreten Genehmigungsantrags ein Grund sein, der im Rahmen des § 145 Abs. 2 BauGB zu berücksichtigen ist und dessen Berücksichtigung je nach Lage der Dinge dazu führen kann, dass die Genehmigung nicht (mehr) versagt werden darf (vgl. BVerwG, U.v. 20.10.1978 – IV C 48.76 – NJW 1979, 2577 = juris Rn. 21; U.v. 6.7.1984 – 4 C 14.81 – NVwZ 1985, 184 = juris Rn. 21; U.v. 7.9.1984 – 4 C 20.81 – BVerwGE 70, 83 = juris Rn. 31; B.v. 12.4.2011 – 4 B 52.10 – ZfBR 2011, 477 = juris Rn. 6).
Insofern erscheint es zumindest denkbar, dass durch eine neue Sanierungssatzung, die eine Altsatzung ersetzt, Belastungswirkungen am Maßstab von § 144 Abs. 1, § 145 BauGB, die zwischenzeitlich wegen Zeitablaufs nicht mehr gegeben oder jedenfalls abgeschwächt waren, aktualisiert bzw. „neubelebt“ werden. Im Falle des Neuerlasses einer inhaltsgleichen Sanierungssatzung ist daher im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob der Satzungsgeber das Satzungsrecht auf gänzlich „neue Füße gestellt“, also eine Satzung mit „erneuerter“ Beschwer erlassen hat, welche bisheriges, in seinen Eingriffswirkungen gegenüber dem Bürger abgeschwächtes Recht durch neue Regelungen vollständig ersetzt, um als sanierende Gemeinde (wieder) eine Rechtsstellung zu erhalten, wie wenn das Sanierungsgebiet erstmalig festgesetzt worden wäre. Hierfür ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich.
Zwar sah sich der Antragsgegner nach eigenem Bekunden zum erneuten Erlass der Satzung im Jahr 2015 veranlasst, weil zwei Behörden dies erwartet hätten: zum einen das Grundbuchamt, das ohne einen erneuten Satzungsbeschluss die Eintragung von Sanierungsvermerken im Grundbuch verweigert habe, und zum anderen die Regierung von Schwaben, die für die Wiederaufnahme in das staatliche Förderprogramm einen neuen Satzungsbeschluss als Signal für weitere Fördermaßnahmen erwartet habe. Hieraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, mit dem Neuerlass habe nicht nur die Rechtslage nach Maßgabe der bisherigen Satzung aus dem Jahr 2003 bestätigt werden, sondern eine Neuregelung getroffen werden sollen mit dem Zweck, eine aufgrund Zeitablauf verminderte belastende Regelungswirkung gegenüber den Normunterworfenen „aufzufrischen“. Auch aufgrund der dem Satzungserlassverfahren 2015 zugrundeliegenden Materialien kann nicht angenommen werden, der Antragsgegner habe mit dem Neuerlass der Satzung neues Recht mit neuem Regelungsinhalt und neuer Beschwer gesetzt.
In dem beglaubigten Auszug aus der Sitzungsniederschrift des Marktgemeinderates vom 24. Februar 2015 heißt es zum entsprechenden Tagesordnungspunkt des öffentlichen Sitzungsteils „4. Erneuerung der Sanierungssatzung“ lediglich:
„Die Ratsmitglieder wurden über die vom früheren Gemeinderat im Jahr 2003 beschlossene Sanierungssatzung informiert. Die Marktgemeinde A… beabsichtigt weiterhin Maßnahmen im Zuge der Städtebauförderung durchzuführen, wieder in das staatliche Förderprogramm aufgenommen zu werden und Zuwendungen für die Maßnahmen zu beantragen. Als wichtige Voraussetzung ist der Erlass der Sanierungssatzung notwendig.
Der Gemeinderat beschließt den Erlass der Sanierungssatzung nach dem in der Sitzung vorgelegten und erläuterten Entwurf, der als Bestandteil dieses Beschlusses der Niederschrift als Anlage beigefügt ist.“
In den Originalakten ist neben dem vorgenannten Auszug aus der Sitzungsniederschrift nur die vom Ersten Bürgermeister am 2. März 2015 ausgefertigte Original-Satzung enthalten. Weitere Unterlagen, etwa eine neue bzw. ergänzende Satzungsbegründung, eine vorbereitende Untersuchung bzw. sonstige Ermittlungsunterlagen, Abwägungsvorlagen o.ä., lagen dem Beschluss nach Maßgabe des in den Akten befindlichen Auszugs aus der Niederschrift des Marktgemeinderats vom 24. Februar 2015 nicht zu Grunde. Hätte der Marktgemeinderat eine neue Regelung mit erneuerten Eingriffswirkungen (insbesondere mit Blick auf §§ 144, 145 BauGB) schaffen wollen, wäre er, um nicht gegen das auch bei Sanierungssatzungen geltende Abwägungsgebot (vgl. BVerwG, U.v. 4.3.1999 – 4 C 8.98 – NVwZ 1999, 1336 = juris Rn. 19; B.v. 24.3.2010 – 4 BN 60.09 – NVwZ 2010, 1490 = juris Rn. 3; VGH BW, U.v. 8.7.2010 – 5 S 3092/08 – juris Rn. 58 ff.) zu verstoßen, gehalten gewesen, auf Basis einer vorbereitenden Untersuchungen (§ 141 Abs. 1 BauGB) oder ggf. sonstiger hinreichender Beurteilungsgrundlagen (§ 141 Abs. 2 BauGB) weitere Ermittlungen anzustrengen (vgl. OVG NRW, U.v. 16.10.2006 – 7 D 69/05.NE – BauR 2007, 687 = juris Rn. 43; vgl. auch OVG Saarl., B.v. 31.3.1993 – 2 N 1/91 – juris Rn. 42). Insofern hätte für eine gänzlich neue Satzung mit „runderneuerter“ Beschwer der Rekurs auf die heute 14 Jahre alte bzw. im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses 12 Jahre alte Voruntersuchung aus dem Jahr 2003 nicht mehr ausgereicht, zumal in den ersten Jahren nach Erlass der ursprünglichen Sanierungssatzung bereits umfangreiche Sanierungsmaßnahmen hinsichtlich der Hauptstraße, der Graf-von-Werdenberg Straße sowie in Teilbereichen des Marktplatzes durchgeführt worden sind. Für ein bloßes Festhalten an der bisherigen Rechtslage ohne Schaffung erneuerter Eingriffswirkungen spricht insbesondere auch, dass es nach den vorliegenden Unterlagen an jeglicher vertiefter inhaltlicher Auseinandersetzung des Marktgemeinderats zu den Fragen fehlt, ob und wo im Vergleich zum Jahr 2003 städtebauliche Missstände fortbestehen, ob und warum gerade das vom Geltungsbereich betroffene Gebiet weiterhin als sanierungsbedürftig eingestuft wird und warum genau dieses Gebiet als Sanierungsgebiet abgesteckt wurde. Gerade weil der Antragsgegner vor Erlass der aktuellen Satzung keine erneuten Untersuchungen durchgeführt und konkretere Planungen anvisiert hat und weil unter Verzicht auf eine aktualisierte Abwägung die „vom früheren Gemeinderat im Jahr 2003 beschlossene Sanierungssatzung“ (Niederschrift vom 24. Februar 2015) berücksichtigt wurde, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Marktgemeinderat eine gänzlich neue Satzungsregelung schaffen wollte. Vielmehr sollte lediglich – als Signal gegenüber anderen Behörden – klargestellt werden, dass an der im Jahr 2003 beschlossenen Sanierungssatzung mit identischem Regelungsinhalt festgehalten wird.
Unter Berücksichtigung des (im Vergleich zur Altregelung identischen) Satzungswortlauts und den zugrundeliegenden Materialien kann daher nicht angenommen werden, der Gemeinderat habe mit dem Satzungserlass 2015 mehr als nur eine die bisherige Rechtslage bestätigende Regelung erlassen. Das hat zur Konsequenz, dass auch im Anwendungsbereich der §§ 144, 145 BauGB weiterhin von einer nunmehr bald 14 Jahre alten, nur teilweise umgesetzten Satzungsnorm auszugehen ist. Weder der Antragsgegner noch die ansonsten für die Genehmigungserteilung bzw. – versagung zuständige Behörde (vgl. die differenzierte Regelung in § 145 Abs. 1 BauGB) könnte sich deshalb gegenüber den Eigentümern von Grundstücken im Sanierungsgebiet darauf berufen, es handele sich bei der im Jahr 2015 neu erlassenen Satzungsregelung um neu gesetztes Satzungsrecht und damit um ein in der Sache „neues“ Sanierungsgebiet.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung auf § 167 VwGO i.V. mit §§ 708 ff. ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).

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