Aktenzeichen 20 N 16.1422, 20 N 18.1975
BayKAG Art. 8
FStrG § 15 Abs. 2
AGVwGO Art. 5 S. 1
RDGEG § 3, § 5
Leitsatz
Zwischen dem Wasserverbrauch und der Menge des in die Kanalisation eingeleiteten Niederschlagswassers besteht kein direkter Zusammenhang. Daher können die Gebühren für die Beseitigung des Niederschlagswassers im Wesentlichen nur dann wie die Schmutzwassergebühren nach dem Wasserverbrauch bemessen werden, wenn der Anteil der Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung an den gesamten Entwässerungskosten geringfügig ist, d.h. nicht mehr als 12% beträgt (Anschluss an BVerwG BeckRS 9998, 45382). (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung des Marktes Wachenroth vom 23. März 2015 ist im Gebührenteil nichtig.
II. Die 1. Änderungssatzung der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung des Marktes Wachenroth vom 17. Juli 2015 ist nichtig.
III. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Antragsgegner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Antragstellerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Normenkontrollanträge haben Erfolg.
Die Anträge sind zulässig. Die angefochtenen Satzungen stellen Rechtsvorschriften dar, die einer Überprüfung im Rahmen einer Normenkontrolle gemäß § 47 VwGO, Art. 5 Satz 1 AGVwGO zugänglich sind. Die Antragstellerin ist auch antragsbefugt im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, weil auf diese Satzungen laufend Abwassergebührenbescheide gestützt wurden, die gegen die Antragstellerin gerichtet waren.
Die Normenkontrollanträge sind auch begründet, weil in Ansehung der Höhe der vermutlichen Kosten für die Beseitigung des Oberflächenwassers zu Unrecht von der Erhebung einer Einleitungsgebühr für Niederschlagswasser abgesehen wurde.
Gemäß Art. 8 Abs. 1 Satz 1 des Kommunalabgabengesetzes (KAG) in der hier maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 4. April 1993 (BayRS 2024-I-1) können die Gemeinden für die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen Benutzungsgebühren erheben. Zu diesen Einrichtungen gehören auch öffentlich betriebene Entwässerungsanlagen.
Der Antragsgegner hat von der in Art. 8 Abs. 1 Satz 1 KAG enthaltenen Ermächtigung durch den Erlass seiner Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 23. März 2015 und der ersten Satzung zur Änderung der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 17. Juli 2015 Gebrauch gemacht.
Nach Art. 8 Abs. 4 KAG sind die Gebühren nach dem Ausmaß zu bemessen, in dem die Gebührenschuldner die öffentliche Einrichtung benutzen; sonstige Merkmale können zusätzlich berücksichtigt werden, wenn öffentliche Belange das rechtfertigen. Um dem in Art. 8 Abs. 4 KAG verankerten Äquivalenzprinzip Rechnung zu tragen, hat der Antragsgegner in § 10 Abs. 1 BGS-EWS 2015 bestimmt, dass sich die Einleitungsgebühr nach der Menge der Abwässer berechnet, die der Entwässerungseinrichtung von den angeschlossenen Grundstücken zugeführt werden. Als Abwassermenge gelten die dem Grundstück aus der Wasserversorgungsanlage und aus der Eigengewinnungsanlage zugeführten Wassermengen abzüglich der nachweislich auf dem Grundstück verbrauchten oder zurückgehaltenen Wassermengen (§ 10 Abs. 2 BGS-EWS).
Das Bundesverwaltungsgericht hat eingehend zu den bundesrechtlichen Vorgaben zur Zulässigkeit eines Frischwassermaßstabs bei der Bemessung von Abwassergebühren Stellung genommen, die sich aus dem Äquivalenzprinzip und dem Gleichheitssatz für die Ausgestaltung des Maßstabes von Entwässerungsgebühren ergeben. Beide Grundsätze fordern danach in Verbindung miteinander, dass die Benutzungsgebühr nach dem Umfang der Benutzung bemessen wird, also nicht in einem groben Missverhältnis zu der Leistung der Verwaltung steht. In Anbetracht des Gestaltungsspielraums des Normgebers kann nicht verlangt werden, dass der zweckmäßigste, vernünftigste, gerechteste oder wahrscheinlichste Maßstab angewendet wird. Vielmehr sind Durchbrechungen des Gleichheitssatzes durch Typisierungen und Pauschalierungen zulässig, solange die dadurch entstehende Ungleichbehandlung noch in einem angemessenen Verhältnis zu den erhebungstechnischen Vorteilen der Typisierung steht (s. etwa BVerwG, B.v. 25.3.1985 – 8 B 11.84 – Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 53 S. 39, v. 19.9.2005 – 10 BN 2.05 – juris Rn. 8 und vom 20.9.2007 – 9 BN 2.07 – Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 105 Rn. 5, jeweils m.w.N.).
Auf der anderen Seite ist allerdings auch geklärt, dass der Grundsatz der Typengerechtigkeit nur auf solche Sachbereiche Anwendung findet, in denen eine ausgeprägt an der Benutzungsintensität ausgerichtete Gebührengestaltung unproblematisch möglich ist und die Zahl der Ausnahmen, bei denen eine Differenzierung nach der Benutzungsintensität entfällt, ohne unangemessenen erhebungstechnischen Aufwand gering gehalten werden kann (BVerwG, B.v. 11.11.2011 – 9 B 41.11 – juris Rn. 2 und vom 2.4.2013 – 9 BN 4.12 – juris Rn. 2). Um eine solche Gebührengestaltung geht es bei der Anwendung des Frischwassermaßstabes auf eine Niederschlagswassergebühr nicht, denn zwischen dem Wasserverbrauch und der Menge des in die Kanalisation eingeleiteten Niederschlagswassers besteht kein direkter Zusammenhang. Daher können die Gebühren für die Beseitigung des Niederschlagswassers im Wesentlichen nur dann wie die Schmutzwassergebühren nach dem Wasserverbrauch bemessen werden, wenn der Anteil der Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung an den gesamten Entwässerungskosten geringfügig ist, d.h. nicht mehr als 12% beträgt (BVerwG, B.v. 25.3.1985 – 8 B 11.84 – Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 53 S. 39, B.v. 2.4.2013 – 9 BN 4.12 – juris Rn. 2; B.v. 28.7.2015 – 9 B 17.15 – juris).
Dieser Rechtsprechung hat sich der ehemalige 23. Senat des Verwaltungsgerichtshofs und der erkennende 20. Senat in ständiger Rechtsprechung angeschlossen (vgl. nur BayVGH, U.v. 29.4.1999 – 23 B 97.1628 – juris; zuletzt BayVGH, B.v. 16.11.2017 – 20 ZB 17.126 – juris). Der Verwaltungsgerichtshof hält daran fest, dass die bezogene Frischwassermenge auch bei zusätzlicher Einleitung von Niederschlagswasser ein grundsätzlich geeigneter Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner als Normgeber bei der Wahl des Gebührenmaßstabs unter Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes, des Äquivalenzprinzips und des Grundsatzes des sachgerechten Vorteilsausgleichs (vgl. Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 BV) einen weiten Gestaltungsspielraum hat und sich nicht für den zweckmäßigsten, vernünftigsten, wahrscheinlichsten oder gerechtesten Maßstab entscheiden muss (vgl. BayVGH U.v. 26.10.2000 – 23 B 00.1146 – BayVBl 2001, 498). Die Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung des Antragsgegners sieht für die Einleitung des Niederschlagswassers im Entsorgungsgebiet keine gesonderte Erhebung von Gebühren vor. Dies führt zur Nichtigkeit des Gebührenteiles der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung (BGS-EWS) vom 23. März 2015 und damit auch der ersten Satzung zur Änderung der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 17. Juli 2015. Nach den Angaben des Antragsgegners liegt der Gesamtaufwand der Entwässerungseinrichtung bei 9.474.959 Euro. Hiervon entfallen auf die Straßenentwässerung 2.028.651 Euro, auf die Niederschlagswasserbeseitigung 2.166.674 Euro, auf die Schmutzwasserbeseitigung 5.279.634 Euro. Grundstückseigentümer dürfen allerdings nur mit den Kosten belastet werden, die für die Oberflächenwasserbeseitigung auf ihren Grundstücken anfallen (BayVGH, B.v. 16.11.2017 – 20 ZB 17.126 – juris), so dass von umlegbaren Grundstücksentwässerungskosten in Höhe von 7.446.308,- Euro auszugehen ist, was zu einem Kostenanteil für die Oberflächenentwässerung von ca. 29% führt. Eine Niederschlagswassergebühr ist damit zwingend erforderlich, was zur Nichtigkeit des gesamten Gebührenteils der gegenständlichen Satzungen führt. Auf die Frage der Rechtmäßigkeit des sog. Schmutzwassergebührenzuschlags und die von der Antragstellerin gestellten Beweisanträge kam es deswegen nicht mehr streitentscheidend an.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).