Aktenzeichen SG 21-3194-3/35
GWB § 97 Abs. 6, § 160 Abs. 2
Leitsatz
1. Trägt der ASt vor, dass er sich durch die geltend gemachten Vergaberechtsverstöße an der Einreichung eines Angebots gehindert bzw. erheblich beeinträchtigt sah, so dokumentiert er in diesem Fall sein Interesse am Auftrag hinreichend durch die vorprozessuale Rüge und den anschließenden Nachprüfungsantrag. (Rn. 61 – 62)
2. Geht ein Auskunftsersuchen (Bieteranfrage) rechtzeitig, aber so kurz vor Fristablauf ein, dass dem Auftraggeber eine sachgerechte Auskunft aus zeitlichen Gründen nicht mehr möglich ist, hat er die Angebotsfrist angemessen zu verlängern. (Rn. 73)
3. Auch Verständnisfragen sind beantragte Auskünfte im Sinne des § 12a EU Abs. 3 VOB/A. Auskünfte in diesem Sinne sind sachdienliche Auskünfte; sachdienliche Auskünfte sind Auskünfte, die bei objektiver Betrachtung in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand oder dem Verfahren stehen. Hierbei ist generell eine großzügige Handhabung geboten. (Rn. 74)
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass die Durchführung des Vergabeverfahrens die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt.
Die Vergabestelle wird verpflichtet unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer, das Verfahren beginnend mit der Bekanntmachung zu wiederholen.
2. Die Vergabestelle trägt die Kosten des Verfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin.
3. Die Beigeladene trägt ihre Aufwendungen selbst.
4. Die Gebühr für dieses Verfahren beträgt x….,– €.
Auslagen sind nicht angefallen.
Die Vergabestelle ist von der Zahlung der Gebühr befreit.
Gründe
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
a) Die Vergabekammer Nordbayern ist für das Nachprüfverfahren nach § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 Satz 2 BayNpV sachlich und örtlich zuständig.
b) Die Vergabestelle ist öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nr. 1 GWB.
c) Bei der ausgeschriebenen Bauleistung handelt es sich um einen öffentlichen Auftrag im Sinne von § 103 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB.
d) Der Auftragswert für das gesamte Bauvorhaben übersteigt den Schwellenwert, §§ 106 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB.
e) Die Antragstellerin ist antragsbefugt. Nach § 160 Abs. 2 GWB ist jedes Unternehmen antragsbefugt, das ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag hat und eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht.
Auch wenn ein Bieter kein Angebot abgegeben hat, kann dieser unter bestimmten Voraussetzungen antragsbefugt sein.
Die Antragstellerin hat vorliegend geltend gemacht, durch die Nichtverfügbarkeit der Vergabeunterlagen zwischen dem 2.10.2018 und 8.10.2018 und die Nichtbeantwortung der Bieteranfragen vom 11.10.2018 in ihren Rechten verletzt zu sein.
Sie trägt vor, dass sie sich durch die Vergaberechtsverstöße an der Einreichung eines Angebots gehindert bzw. erheblich beeinträchtigt sah.
In diesen Fällen dokumentiert die Antragstellerin ihr Interesse am Auftrag hinreichend durch vorprozessuale Rüge und den anschließenden Nachprüfungsantrag (Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht Kommentar, 3. Aufl., § 160 GWB, Rn. 12).
f) Die Antragstellerin ist ihrer Rügeobliegenheit rechtzeitig nachgekommen (§ 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB). Sie hat am 17.10.2018 um 17:06 Uhr über die Vergabeplattform die eingeschränkte Zugänglichkeit zu den Vergabeunterlagen und die fehlende Beantwortung der aus ihrer Sicht rechtzeitigen Bieteranfragen gerügt, nachdem ihr die Vergabestelle am 17.10.2018 um 12:42 Uhr mitgeteilt hatte, dass sie die Bieteranfragen nicht beantworten wird und eine Verlängerung der Angebotsfrist nicht vorgesehen ist.
g) Der Zuschlag wurde noch nicht erteilt.
2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet.
Die Antragstellerin wird durch die Durchführung der Ausschreibung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt. Die Vergabestelle hat die Ausschreibung ab dem Zeitpunkt der Bekanntmachung zu wiederholen.
a) Die Vergabestelle hat durch die Nichtbeantwortung der Bieterfragen vom 11.10.2018 bis Ende der Angebotsfrist gegen Vergaberecht verstoßen. Die Bieteranfragen erfolgten rechtzeitig.
Gemäß § 12 a EU Abs. 3 VOB/A hat die Vergabestelle rechtzeitig beantragte Auskünfte über die Vergabeunterlagen bis spätestens sechs Kalendertage vor Ablauf der Angebotsfrist allen Unternehmen in gleicher Weise zu erteilen.
Der Vortrag der Vergabestelle, die Bieteranfragen seien nicht rechtzeitig erfolgt, überzeugt nicht. Die Vergabestelle hat auf der von ihr genutzten Vergabeplattform vorab bekannt gemacht:
Bieteranfragen bis 12.10.2018 9:00 Uhr
Die Antragstellerin beruft sich darauf, dass ihre Bieteranfragen vom 11.10.2018 16:51 Uhr und 16:59 Uhr innerhalb der bekannt gemachten Frist rechtzeitig gestellt wurden.
Mit der veröffentlichten Frist hat die Vergabestelle von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, einen Termin für Bieteranfragen vorzugeben. An diesen Termin ist sie schließlich gebunden. Die Antragstellerin hat ihre Bieteranfragen innerhalb dieser Frist gestellt.
Dies gilt unabhängig davon, dass es der Vergabestelle somit kaum mehr möglich war die Bieteranfragen bis spätestens sechs Kalendertage vor Ablauf der Angebotsfrist am 18.10.2018 9:00 Uhr zu beantworten, bzw. allen Unternehmern die Auskünfte in gleicher Weise zu erteilen.
Zum einen hat die Vergabestelle den Termin für die Bieteranfragen selbst festgelegt. Zum anderen hat die Vergabestelle die Obliegenheit die Angebotsfrist entsprechend zu verlängern. Geht ein Auskunftsersuchen rechtzeitig, aber so kurz vor Fristablauf ein, dass dem Auftraggeber eine sachgerechte Auskunft aus zeitlichen Gründen nicht mehr möglich ist, hat er die Angebotsfrist angemessen zu verlängern, § 10a EU Abs. 6 VOB/A (Lausen in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl. 2016, § 12a EU VOB/A 2016, Rn 18).
Auch das Argument der Vergabestelle, die Bieteranfragen seien für die Angebotserstellung ohne Relevanz, ändert hieran nichts. Auch Verständnisfragen sind beantragte Auskünfte im Sinne des § 12a EU Abs. 3 VOB/A. Auskünfte in diesem Sinne sind sachdienliche Auskünfte. Sachdienliche Auskünfte sind Auskünfte, die bei objektiver Betrachtung in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand oder dem Verfahren stehen. Hierbei ist generell eine großzügige Handhabung geboten (Völlink in Ziekow/ Völlink, Vergaberecht Kommentar, 3. Aufl., §§ 12 a EU VOB/A, Rn 3, 20 VgV, Rn 12, 12a VOB/A Rn 11).
Die Bieteranfragen der Antragstellerin vom 11.10.2018 stehen in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand. So beziehen sich einige der Fragen auf den Leistungsumfang der ausgeschriebenen Leistungen. Die Nichtbeantwortung der Bieterfragen vor Ende der Angebotsfrist stellt einen Vergaberechtsverstoß dar, der durch Wiederholung des Vergabeverfahrens zu beheben ist.
b) Die Vergabestelle hat durch den fehlenden Zugang zu den Vergabeunterlagen vom 28.9.2018 bis 8.10.2018 gegen Vergaberecht verstoßen. Sie hätte die Angebotsfrist infolge des fehlenden Zugangs entsprechend verlängern müssen.
Gemäß § 12 a EU Abs. 1 VOB/A sind die Vergabeunterlagen ab dem Tag der Veröffentlichung einer Auftragsbekanntmachung unentgeltlich mit uneingeschränktem und vollständigem direkten Zugang anhand elektronischer Mittel anzubieten.
Die Vergabestelle hat in der Bekanntmachung veröffentlicht, dass die Vergabeunterlagen nur bis 27.9.2018 zugänglich sind. Es war der Antragstellerin ab dem 28.9.2018 somit nicht mehr möglich die Vergabeunterlagen herunterzuladen. Erst am 8.10.2018 hat die Vergabestelle die Unterlagen auf Anfrage der Antragstellerin erneut zum Download bereitgestellt. Da der Zugriff auf die Vergabeunterlagen bis zum Ende der Angebotsfrist somit für die Bieter nur eingeschränkt bestanden hat, ist das Vergabeverfahren ab den Zeitpunkt der Bekanntmachung zu wiederholen
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB.
a) Die VSt trägt die Kosten des Verfahrens, weil sie mit ihren Anträgen unterlegen ist (§ 182 Abs. 3 Satz 1 GWB).
b) Die Kostenerstattungspflicht gegenüber der ASt ergibt sich aus § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB.
c) Die Beigeladene trägt ihre Aufwendungen selbst. Sie hat keine Anträge gestellt. Sie ist kein Kostenrisiko eingegangen und bekommt daher auch keine Aufwendungen erstattet.
d) Die Gebühr war nach § 182 Abs. 2 und 3 GWB festzusetzen. Im Hinblick auf den Auftragswert und unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen personellen und sachlichen Aufwands der Vergabekammer errechnet sich entsprechend der Tabelle des Bundeskartellamtes eine Gebühr in Höhe von x….,- €.
Der geleistete Kostenvorschuss von 2.500,- € wird nach Bestandskraft dieses Beschlusses zurücküberwiesen.
Die VSt ist gem. § 182 Abs. 1 GWB i.V.m § 8 Abs. 1 Nr. 2 VwKostG in der Fassung vom 14.8.2013 von der Zahlung der Gebühr befreit.
Auslagen sind nicht angefallen.