Baurecht

Auslegung der Reichweite der Grunddienstbarkeit

Aktenzeichen  24 U 276/17

Datum:
5.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 159261
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 891, § 892, § 1018

 

Leitsatz

1. Bei der Auslegung einer Grunddienstbarkeit ist vorrangig auf die Grundbucheintragung sowie Eintragungsbewilligung abzustellen. Umstände außerhalb dieser Urkunden können nur mit herangezogen werden, wenn sie für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (so BGH BeckRS 9998, 166737). (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Grunddienstbarkeit für die Versorgung eines Grundstücks mit Heizenergie bezieht sich nach der Bewilligung für den “auf dem nördlichen Grundstücksteil befindlichen Heizungskessel” nur auf diesen und nicht jede sich aktuell auf den Grundstück befindliche Heizungsanlage. (Rn. 5 – 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

21 O 822/16 2016-12-20 Endurteil LGMEMMINGEN LG Memmingen

Tenor

(abgekürzt nach § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 ZPO)
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 20.12.2016, Az. 21 O 822/16, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass sich aus der auf dem Grundstück der Klägerin G.weg 1a in B. lastenden Grunddienstbarkeit gemäß Bewilligung vom 11.02.1980, dort Ziffer II. d), kein Recht der Beklagten als Eigentümer des herrschenden Grundstücks G.weg 1 in B. ergibt, Heizkraft von einem anderen als dem im Zeitpunkt der Grunddienstbarkeitsbestellung auf dem dienenden Grundstück befindlichen Heizkessel zu beziehen.
2. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die von der Klägerin form- und fristgerecht eingelegte Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 20.12.2016 erweist sich als zulässig und begründet.
1. Das für die negative Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO) ist gegeben. Die Beklagten haben sich im Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 29.04.2016 (Anlage K3) auf der Grundlage der Grunddienstbarkeit eines Anspruchs auf Bezug von Heizenergie auch nach einem Austausch des Heizungskessels berühmt und insoweit mit Klage gedroht.
2. Die Auffassung des Landgerichts, die streitgegenständliche Grunddienstbarkeit verpflichte die Kläger, das derzeit im Eigentum der Beklagten stehende Grundstück von jedem aktuell auf dem verpflichteten Grundstück befindlichen Heizungskessel aus mit Heizkraft zu versorgen, hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Zutreffend ist der Ausgangspunkt der angegriffenen Entscheidung, dass bei der Auslegung der Reichweite der Grunddienstbarkeit vorrangig auf den Wortlaut und den Sinn der Grundbucheintragung sowie der darin in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung abzustellen ist, wie sie sich für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung des Eingetragenen ergeben, während Umstände außerhalb dieser Urkunden zur Ermittlung von Inhalt und Umfang eines Grundstücksrechts nur insoweit mit herangezogen werden, als sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls für jedermann ohne weiteres erkennbar sind. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 30. Juni 1995 – V ZR 118/94, BGHZ 130, 159, 166).
b) Die Auslegung der Grundbucheintragung nach Sinn und Wortlaut ergibt im vorliegenden Fall jedoch gerade nicht, dass die Eigentümer des berechtigten Grundstücks befugt sein sollen, Heizenergie aus „jedem aktuell auf dem verpflichteten Grundstück befindlichen Heizungskessel“ zu beziehen. Die Auslegung ergibt vielmehr, dass sich die Befugnis lediglich auf einen bestimmten Heizungskessel bezieht, nämlich den bei Eintragung der Grunddienstbarkeit vorhandenen. Ausschlaggebend sind insoweit folgende Erwägungen: 1) Die in der Grundbucheintragung in Bezug genommene Bewilligung vom 11. Februar 1980 (Anlage K 1) spricht im Wortlaut von „dem auf dem nördlichen Grundstücksteil befindlichen Heizungskessel“ (Nr. II. 1. Buchst. d der Bewilligung), also von einem konkreten Heizungskessel, nicht von „jedem“ dort befindlichen Heizungskessel, „dem jeweiligen“ dort befindlichen Heizungskessel oder „dem befindlichen und künftigen dort befindlichen“ Heizungskesseln. Der reine Wortlaut der Regelung legt für den unbefangenen Betrachter das Verständnis nahe, dass es um einen bestimmten im Zeitpunkt der Eintragung vorhandenen Heizungskessel geht.
2) Die Sachverhaltsdarstellung in Nr. I. der Dienstbarkeitsbestellung vom 11.02.1980 (Anlage K1) beschreibt diesen bestimmten bei Grundstücksteilung vorhandenen Heizungskessel.
3) Außerdem ist in Nr. II. 1. Buchst. d der in der Eintragung in Bezug genommenen Bewilligung von dem „auf dem nördlichen Grundstücksteil“ befindlichen Heizungskessel die Rede. Die Eintragung bezieht sich somit auf einen bestimmten Heizungskessel, der bereits vor der Teilung des Ursprungsgrundstücks vorhanden war, als es noch einen nördlichen und einen südlichen Grundstücksteil gab. Dies spricht gegen eine Auslegung, wonach jeder Heizungskessel erfasst sein soll, der sich später einmal auf dem geteilten (nunmehr selbständigen) Grundstück der Kläger befindet.
4) Der Sinn der Eintragung spricht dafür, dass die Befugnis zum Wärmebezug aus einem bestimmten Heizungskessel, nämlich aus dem bei Eintragung vorhandenen Heizungskessel, geregelt werden sollte. Die Einschätzung des Landgerichts, Sinn und Zweck der Grunddienstbarkeit sei es, die Heizungsversorgung des Grundstücks der Beklagten zu sichern, geht fehl. Für eine Sicherung der Heizungsversorgung des Grundstücks der Beklagten, hätte es einer Grunddienstbarkeit bedurft, die den Eigentümer des dienenden Grundstücks zum Betrieb einer Heizungsanlage verpflichtet und den Eigentümer des berechtigten Grundstücks zur Mitnutzung dieser Heizungsanlage berechtigt. Davon kann vorliegend keine Rede sein. Weder ist der eingetragenen Grunddienstbarkeit eine Verpflichtung des Eigentümers des dienenden Grundstücks zum Betrieb einer Heizungsanlage zu entnehmen, noch ergibt sich aus der Eintragung, dass der Eigentümer des berechtigten Grundstücks befugt wäre, jede auf dem dienenden Grundstück betriebene Heizungsanlage, wie immer diese technisch beschaffen sein mag, mitzunutzen. Die Nutzungsbefugnis des Eigentümers ist vielmehr darauf beschränkt, Heizkraft aus einem „Heizungskessel“ zu beziehen. Diese enge Eingrenzung belegt, dass die Grunddienstbarkeit nicht dazu diente, die technisch wie auch immer zu bewerkstelligende Heizungsversorgung des berechtigten Grundstücks auf Dauer zu sichern, sondern vielmehr nur die Nutzung einer zum Zeitpunkt der Eintragung auf dem nördlichen Grundstücksteil befindlichen Einrichtung geregelt werden sollte, solange diese (noch) vorhanden ist.
5) Dass die Grunddienstbarkeit lediglich die Befugnis zur Nutzung der bei Grundstücksteilung vorhandenen Einrichtungen betreffen sollte, wird ferner belegt durch die Reparaturkostenregelung unter Nr. II. 1. Buchst. e der Bewilligung. Wäre beabsichtigt gewesen, dass der Eigentümer des berechtigten Grundstücks auch einen neu beschafften Heizungskessel mitbenutzen darf, wäre insoweit eine Regelung zur Kostenbeteiligung aufgenommen worden. Eine Auslegung der Eintragung in der Weise, dass der Eigentümer des berechtigten Grundstücks an Reparaturkosten des vorhandenen Heizungskessels beteiligt wird, während er einen neu angeschafften Heizungskessel ohne Beteiligung an den Anschaffungskosten mitnutzen darf, erscheint aus Sicht des unbefangenen Betrachters keineswegs naheliegend. Das gilt umso mehr, als nach diesem Verständnis der Eigentümer des dienenden Grundstücks mit Blick auf eine Versorgung des herrschenden Grundstücks mit Heizkraft die neue Anlage womöglich größer dimensionieren müsste, als es für das nördliche Grundstück allein erforderlich wäre.
c) Gegen die oben dargestellte Auslegung der Eintragung kann nicht eingewandt werden, sie führe zu Rechtsunsicherheit, weil ein Erwerber des berechtigten Grundstücks aus der Eintragung nicht ersehen könne, ob ein im Zeitpunkt des Erwerbs vorhandener Heizungskessel von der Dienstbarkeit erfasst sei. Insoweit handelt es sich nicht um eine rechtliche, sondern um eine tatsächliche Unsicherheit, die der Erwerber des Grundstücks mit dem Veräußerer ebenso abklären muss wie die Frage, ob auf dem dienenden Grundstück überhaupt ein Heizungskessel vorhanden ist und ob dieser funktioniert. Die Rechtsvermutung des § 891 BGB und der öffentliche Glaube des Grundbuchs nach § 892 BGB erstrecken sich nicht auf die rein tatsächlichen Angaben des Bestandsverzeichnisses (OLG München, Beschluss vom 22.07.2011 – 34 Wx 148/11 – juris Rn. 10 m. w. N.).
Gegen die oben dargestellte Auslegung der Eintragung kann auch nicht eingewandt werden, eine Grunddienstbarkeit beziehe sich stets auf das dienende Grundstück, nicht auf eine bestimmte auf dem Grundstück (vorübergehend) vorhandene Einrichtung. Nach § 1018 BGB kann durch die Bestellung einer Grunddienstbarkeit das Recht eingeräumt werden, „ein Grundstück in einzelnen Beziehungen“ zu nutzen. Die Nutzung des Grundstücks „in einzelnen Beziehungen“ kann sich auf eine bestimmte auf dem Grundstück vorhandene Anlage (hier den bei Grundstücksteilung vorhandenen Heizungskessel) beschränken und bei Wegfall dieser Anlage gegenstandslos werden.
Auch die Erwägung, es widerspreche dem „sachenrechtlichen Gehalt der Grunddienstbarkeitsbestellung“, wenn sie im Wege eines Austauschs des Heizungskessels entwertet werden könnte, spricht schließlich nicht gegen das gefundene Auslegungsergebnis. Aus dem Umstand, dass eine Grunddienstbarkeit im Grundbuch eingetragen ist, folgt nicht, dass sie von dauerhaftem Bestand sein muss. Eine Grunddienstbarkeit erlischt vielmehr unter anderem dann, wenn ihre Ausübung infolge der Veränderung eines der Grundstücke dauerhaft ausgeschlossen ist (vgl. Herrler in Palandt, BGB, 76. Aufl. 2017, § 1018 Rn. 35).
Die Ausführungen im nicht nachgelassenen Schriftsatz der Beklagten vom 27.09.2017 greifen schließlich ebenfalls nicht durch. Insbesondere betraf das darin zitierte Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 19.07.2010 – 4 U 408/10 – juris – eine vollkommen andere Fallkonstellation (dort: Umfang des Rechts zur Verlegung von [im Zeitpunkt der Dienstbarkeitsbestellung noch nicht in das dienende Grundstück eingebrachten] Kanalrohren; hier: Bezugnahme [jedenfalls auch] auf einen im Zeitpunkt der Dienstbarkeitsbestellung bereits auf dem dienenden Grundstück befindlichen Heizkessel), sodass aus dieser Entscheidung nichts hergeleitet werden kann.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 11, § 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da ein Zulassungsgrund im Sinn des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorlag. Seiner Auslegung der Grunddienstbarkeit hat der Senat die durch die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vorgegebenen und geklärten Maßstäbe zugrunde gelegt. Dass er in Anwendung dieser Maßstäbe im vorliegenden Einzelfall zu einem anderen als dem von den Beklagten für richtig gehaltenen Auslegungsergebnis gekommen ist, begründet weder eine grundsätzliche Bedeutung der Sache noch macht es eine Entscheidung des Revisionsgerichts erforderlich, um das Recht fortzubilden oder eine einheitliche Rechtsprechung zu sichern.
Verkündet am 05.10.2017

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