Aktenzeichen M 2 S 16.363
Leitsatz
Eine vorhandene (historische) Straße iSd § 242 Abs. 1 BauGB (bzw. Art. 5a Abs. 7 S. 1 KAG nF) liegt vor, wenn sie zu irgendeinem Zeitpunkt vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. 6. 1961 Erschließungsfunktion besessen hat und für diesen Zweck endgültig hergestellt war. Erforderlich ist hierfür, dass an ihr eine gehäufte Bebauung vorhanden ist, also zumindest für eine Straßenseite bauplanungsrechtlich eine Innenbereichslage iSv § 34 Abs. 1 BBauG/BauGB zu bejahen ist (vgl. VGH München BeckRS 2015, 42578). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Das Verfahren wird hinsichtlich des Antrags des Antragstellers zu 2) eingestellt. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II.
Von den Gerichtskosten haben die Antragstellerin zu 1) und die Antragsgegnerin jeweils die Hälfte zu tragen. Von den außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin hat die Antragstellerin zu 1) die Hälfte zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu 2) hat die Antragsgegnerin zu tragen. Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.
III.
Der Streitwert wird auf 1.618,04 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsteller wenden sich im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag für die erstmalige Herstellung des im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin gelegenen „… Wegs“ für das Grundstück Fl.Nr. … Gemarkung …. Hinsichtlich des weiteren Grundstücks Fl.Nr. … Gemarkung … ist unter dem Aktenzeichen M 2 S 16.364 ein Parallelverfahren anhängig.
Die Antragstellerin zu 1) ist Eigentümerin des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks Fl.Nr. … Gemarkung …, das am … Weg anliegt. Dieses Grundstück stand ursprünglich im hälftigen Miteigentum der Antragstellerin zu 1) und des Antragstellers zu 2), seit 24. März 2014 ist die Antragstellerin zu 1) Alleineigentümerin (vgl. den vorgelegten Grundbuchauszug).
Mit Bescheid vom 21. Juli 2015 setzte die Antragsgegnerin hinsichtlich des Grundstück Fl.Nr. … für die erstmalige Herstellung des … Wegs einen Erschließungsbeitrag in Höhe von 6.472,16 € fest. Der Bescheid war an die Antragstellerin zu 1) und den Antragsteller zu 2) adressiert.
Gegen diesen Bescheid erhoben die Antragsteller am 20. August 2015 Widerspruch und beantragten die Aussetzung der Vollziehung. Es liege keine erstmalige Herstellung vor, da bereits vor Einführung des Bundesbaugesetzes 1961 eine Schotterstraße mit Bebauung vorhanden gewesen sei.
Mit Schreiben vom 4. November 2015 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Ein Lageplan mit Kartenstand 1962 ergebe, dass von einer gehäuften Bebauung entlang des … Wegs keine Rede sein könne. Hinzu komme, dass die Straße damals lediglich geschottert gewesen sei und über keine Straßenentwässerung und -beleuchtung verfügt habe.
Am 27. Januar 2016 ließen die Antragsteller durch ihre Bevollmächtigte beim Bayerischen Verwaltungsgericht München sinngemäß beantragen,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid vom 21. Juli 2015 anzuordnen.
Zur Begründung ließen sie u. a. Folgendes vortragen: Der Bescheid richte sich an den falschen Adressaten. Der Antragsteller zu 2) sei nicht Eigentümer der Fl.Nr. … Da den Antragstellern bislang keine Einsicht in die Rechnungsbelege gewährt worden sei, sei es nicht möglich gewesen, die Rechtmäßigkeit der Abrechnung zu überprüfen. Den Antragstellern sei es nicht möglich gewesen zu überprüfen, ob es sich bei den Baumaßnahmen um eine beitragspflichtige Ersterschließung handele. Das Schreiben vom 4. November 2015 lasse darüber hinaus nicht erkennen, welche Gründe die Antragsgegnerin dazu bewogen hätten, die Aussetzung der Vollziehung nicht zu gewähren.
Mit Schreiben vom 16. Februar 2016 legte die Antragsgegnerin ihre Akten vor.
Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 16. Februar 2016 ließ die Antragsgegnerin sinngemäß beantragen,
den Antrag abzulehnen.
Der Bescheid werde gegenüber dem Antragsteller zu 2) zurückgenommen, da er zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheids nicht mehr Eigentümer des Grundstücks gewesen sei. Der Rechtsstreit werde insoweit für erledigt erklärt. Die Kosten seien insoweit dem Antragsteller zu 2) aufzuerlegen, da er diesen Sachverhalt nicht bereits im Rahmen des Widerspruchsverfahrens vorgetragen habe und somit unnötig das Gericht bemüht habe. Die Antragstellerin zu 1) mache keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids geltend, sondern stütze sich allein auf vermeintliche Formfehler und eine angeblich verweigerte Akteneinsicht. Selbst bei unterstellter Richtigkeit dieses Vortrags würde dies dem Antrag nicht zum Erfolg verhelfen. Unbeschadet dessen habe die Antragsgegnerin den Antragstellern bzw. deren Bevollmächtigter mehrfach Akteneinsicht angeboten. Im Schreiben vom 4. November 2015 habe die Antragsgegnerin den Antragstellern zur Frage einer Ersterschließung dargelegt, dass ein Lageplan aus dem Jahr 1962 ergebe, dass der … Weg nur am Beginn der Einmündung der Hauptstraße bebaut gewesen sei und welche rechtlichen Konsequenzen dies habe.
Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 31. März 2016 ließen die Antragsteller u. a. wie folgt erwidern: Die Kosten seien der Antragsgegnerin aufzuerlegen. Der Antragsteller sei als Laie nicht verpflichtet zu prüfen, ob der Bescheid an den richtigen Adressaten ergangen ist. Das Risiko der richtigen Adressatenstellung sei dem Bereich der Antragsgegnerin zuzuordnen. Der Vortrag, dass den Antragstellern umfassende Akteneinsicht gewährt worden sei, sei falsch. Die Recherchen der Antragstellerin zu 1) hätten ergeben, dass es sich bei der von der Erschließungsmaßnahme betroffenen Straße um eine historische Straße handele. 1908 sei das Haus auf Fl.Nr. … erstmals im Ortsregister erwähnt worden. Von einer Einzelbebauung könne keine Rede sein, da sich zwischen 1950 und 1960 aufgrund gehäufter Bebauung offensichtlich die Notwendigkeit ergeben habe, die Ortschaft mittels Straßennamen zu untergliedern. Das Haus auf dem Grundstück der Antragstellerin zu 1) habe in den 1950er Jahren keine Ortsrandlage gehabt. Aus einer Flugzeugaufnahme des Ortes von 1944 sei ersichtlich, dass die Ortskirche lediglich ca. 300 m vom Grundstück der Antragstellerin entfernt gelegen habe. Es habe sich damit bereits in den 1940er Jahren um eine innerörtliche zum Anbau bestimmte Straße gehandelt. Auf dem historischen Katasterauszug von 1887 sei der … Weg bereits als Ortsverbindungsstraße zwischen … und … erkennbar gewesen. Der damalige Ausbauzustand habe den zu jener Zeit herrschenden Verkehrsverhältnissen entsprochen. Die Straße habe bereits in den 1940er Jahren den damals üblichen Makadam-Belag aufgewiesen und den Kriterien der Ministerialentschließung vom 6. August 1936 entsprochen.
Die Antragsgegnerin äußerte sich mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 6. April 2016 hierzu u. a. wie folgt: Das Risiko der richtigen Adressatenstellung mag der Gemeinde zuzuordnen sein. Es gehe aber darum, ob es erforderlich gewesen sei, ohne entsprechenden Hinweis an die Gemeinde sofort das Gericht zu bemühen. Eine Karte der Vermessungsverwaltung von 1962 zeige, dass das Anwesen der Antragstellerin zu 1) das einzige Haus an der damaligen „… Straße“ gewesen sei. Dieser Zustand habe schon im Jahr 1934 bestanden, wie eine weitere Karte der Vermessungsverwaltung zeige. Dass die Ortskirche lediglich ca. 300 m vom Grundstück der Antragstellerin entfernt gewesen sei, spiele keine Rolle. Der von der Antragstellerin vorgelegte Kartenauszug aus 1887 zeige, dass damals reiner Außenbereich vorgelegen habe.
Mit Schreiben vom 12. April 2016 legte die Antragsgegnerin ihr Schreiben vom 11. April 2016 an den Antragsteller zu 2) vor, wonach der Bescheid vom 21. Juli 2015 diesem gegenüber zurückgenommen werde.
Die Antragsteller äußerten sich abschließend mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 25. April 2016 u. a. wie folgt: Bezüglich des Antragstellers zu 2) werde der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO für erledigt erklärt. Es werde beantragt, die Kosten der Antragsgegnerin aufzuerlegen. Der Antragsteller zu 2) sei nicht verpflichtet zu überprüfen, ob der Bescheid an den richtigen Adressaten gegangen ist. Er sei auch nicht verpflichtet, der Antragsgegnerin einen Hinweis zu erteilen. Höchstvorsorglich werde die Einrede der Verjährung erhoben. Der verfahrensgegenständliche Bescheid weise als Tag des Eingangs der letzten Unternehmerrechnung den 28. September 2012 aus. Grundlage dieser Rechnung seien Ingenieurverträge vom 25. März 2010 und 28. Dezember 2010. Diese Verträge seien in den zur Akteneinsicht übergegeben Unterlagen nicht enthalten gewesen. Aus einem Schreiben der Antragsgegnerin ergebe sich, dass die Maßnahmen zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen gewesen seien. Auch aus Abnahmeniederschriften gehe hervor, dass die Maßnahmen spätestens am 21. September 2009 abnahmebereit gewesen seien. Mit weiterem Schriftsatz vom 29. April 2016 ließen die Antragsteller hierzu noch ergänzend vortragen, gemäß Schreiben des Ingenieurbüros vom 26. April 2016 sei Grundlage für die Rechnung vom 28. September 2012 ein Ingenieurvertrag vom 4. April 2006 gewesen. Die Rechnung des Ingenieurbüros vom 28. September 2012 besitze keine Rechtsgrundlage, da die als Rechtsgrundlage angegebenen Ingenieurverträge vom 25. März 2010 und 28. Dezember 2010 fälschlicherweise angegeben worden seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
II.
1. In entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO war das Verfahren einzustellen, soweit der Antragsteller zu 2) das Verfahren hinsichtlich seines Antrags mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 25. April 2016 für erledigt erklärt hat und die Antragsgegnerin dem bereits mit Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 16. Februar 2016 sinngemäß vorab zugestimmt hatte.
2. Im Übrigen, also hinsichtlich des Antrags der Antragstellerin zu 1), ist der Antrag zwar zulässig. Insbesondere ist § 80 Abs. 6 VwGO erfüllt, da die Antragsgegnerin den mit Schreiben vom 19. August 2015 gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung mit Schreiben vom 4. November 2015 abgelehnt hatte. In der Sache hat der Antrag allerdings keinen Erfolg:
§ 80 Abs. 5 VwGO besagt nichts darüber, unter welchen Voraussetzungen die aufschiebende Wirkung anzuordnen ist. Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist unter Berücksichtigung der für die Aussetzung der Vollziehung durch die Behörde in § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO enthaltenen Bestimmung bei öffentlichen Abgaben die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs dann anzuordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Pflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Da es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, kann und muss sich das Gericht – insbesondere im Hinblick auf die Sachverhaltsermittlung – auf eine geringere Prüfungsdichte als im Klageverfahren beschränken. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts sind dann anzunehmen, wenn so erhebliche Bedenken bestehen, dass eine Aufhebung oder Abänderung des Verwaltungsakts mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann. Hierbei ist ein strenger Maßstab anzulegen.
Gemessen hieran bestehen nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage hinsichtlich der Antragstellerin zu 1) keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Erschließungsbeitragsbescheids vom 21. Juli 2015:
a) Entgegen der Auffassung der Antragsteller handelt es sich beim … Weg nicht um eine sog. historische Straße, also um eine vorhandene Straße, die gemäß § 242 Abs. 1 BauGB (bzw. Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG n. F.) dem Anwendungsbereich des Erschließungsbeitragsrechts entzogen ist.
Eine vorhandene (historische) Straße im Sinne des § 242 Abs. 1 BauGB (bzw. Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG n. F.) liegt vor, wenn sie zu irgendeinem Zeitpunkt vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 Erschließungsfunktion besessen hat und für diesen Zweck endgültig hergestellt war (ständige Rechtsprechung; statt vieler: BayVGH, U. v. 27.1.2015 – 6 ZB 13.1128 – juris Rn. 6 m. w. N.). Erschließungsfunktion erhält eine Straße nicht schon dadurch, dass vereinzelt Grundstücke an ihr bebaut sind; erforderlich ist vielmehr, dass an ihr eine gehäufte Bebauung vorhanden ist, also zumindest für eine Straßenseite bauplanungsrechtlich eine Innenbereichslage im Sinne von § 34 Abs. 1 BBauG/BauGB zu bejahen ist. Das verlangt, dass die maßgeblichen Grundstücke in einem Bebauungszusammenhang liegen, der einem Ortsteil angehört (BayVGH, a. a. O., m. w. N.).
Vorliegend hatte der … Weg zu keinem Zeitpunkt vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 Erschließungsfunktion besessen. Dies belegen die von den Beteiligten vorgelegten Flurkarten von 1887, 1934 und 1962. Noch im Jahr 1962 waren die am … Weg anliegenden Grundstücke lediglich im Einmündungsbereich zur …straße sowie auf dem heutigen Grundstück Fl.Nr. … bebaut, im Übrigen waren die Grundstücke beidseits der Anlage gänzlich unbebaut. Dahingestellt kann bleiben, inwieweit die Bebauung im Einmündungsbereich zur …straße schon deshalb außer Betracht zu bleiben hat, weil diese aus den Lageplänen ersichtlich zur …straße hin ausgerichtet ist (vgl. dazu BayVGH, B. v. 19.1.2015 – 6 ZB 13.1548 – juris Rn. 7) und/oder weil es sich um bauliche Anlagen handelt, die nicht dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen (vgl. dazu ebenfalls BayVGH, a. a. O., m. w. N.). Denn selbst dann, wenn man diese Bebauung berücksichtigt und zusätzlich das bebaute Grundstück Fl.Nr. … mit in den Blick nimmt, kann von einer gehäuften Bebauung entlang des … Wegs und einer zumindest einseitigen Innenbereichslage im Sinne des § 34 Abs. 1 BBauG/BauGB keine Rede sein.
In diesem Zusammenhang von vornherein irrelevant ist das Vorbringen der Antragsteller, dass sich wegen einer gehäuften Bebauung im Bereich des Ortsteils … zwischen 1950 und 1960 die Notwendigkeit von Straßennamen ergeben haben soll, dass die Ortskirche lediglich ca. 300 m vom bebauten Grundstück Fl.Nr. … entfernt gelegen hat sowie dass der … Weg 1887 eine Ortsverbindungsstraße zwischen … und … gewesen sein soll. Entscheidend ist allein, dass entlang des … Wegs noch 1962 keine gehäufte Bebauung im Sinne einer zumindest einseitigen Innenbereichslage im Sinne des § 34 Abs. 1 BBauG/BauGB vorgelegen hat, was die von den Antragstellern vorgebrachten Gesichtspunkte nicht in Frage stellen können. Auf die von den Antragstellern angesprochene weitere Frage, inwieweit der Ausbauzustand den damaligen Verkehrsverhältnissen entsprochen hat, kommt es angesichts der noch 1962 fehlenden Erschließungsfunktion nicht mehr an.
b) Entgegen der Auffassung der Antragsteller ist der Beitragsanspruch auch nicht wegen Verjährung erloschen:
Die Festsetzungsverjährung einer Erschließungsbeitragsforderung richtet sich nach Art. 10 Nr. 2 KAG, Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) – dd), Abs. 2 KAG i. V. m. §§ 169 ff. AO. Gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) cc), Abs. 2 KAG i. V. m. § 170 Abs. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden ist. Die Festsetzungsfrist beträgt gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) KAG i. V. m. § 169 Abs. 2 Satz 1 AO vier Jahre. Die Beitragspflicht entsteht erst dann, wenn alle Voraussetzungen für das Entstehen der sachlichen Beitragspflichten vorliegen. Hierzu gehört u. a. auch, dass der Aufwand für die Erschließungsmaßnahme ermittelt werden kann, was erst nach Eingang der letzten Unternehmerrechnung der Fall ist (Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand Januar 2016, Rn. 1101 m. w. N.; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Auflage 2012, § 19 Rn. 6, 9, 11 jew. m. w. N.).
Vorliegend sind nach Aktenlage die für den Aufwand relevanten Rechnungen der Fa. … Tiefbau vom 16. Februar 2012, Anlagen B und C, sowie die Rechnung des Ingenieurbüros vom 28. September 2012 erst im Laufe des Jahres 2012 bei der Antragsgegnerin eingegangen. Entgegen dem Vorbringen der Antragsteller gehört auch die Schlussrechnung des Ingenieurbüros zu den relevanten Unternehmerrechnungen: Es ist nicht weiter verwunderlich, dass ein u. a. zur Überprüfung der Rechnungen der Bauunternehmer eingesetztes Ingenieurbüro seine Schlussrechnung erst geraume Zeit nach Abschluss bzw. Abnahmefähigkeit der tatsächlichen Baumaßnahmen stellt. Das Vorbringen der Antragsteller, die Ingenieurrechnung vom 28. September 2012 habe „keine Rechtsgrundlage“, weil das Datum des zugrundeliegenden Ingenieurvertrags falsch angegeben sei, ist rechtlich abwegig. Unbeschadet dessen waren neben dieser Rechnung des Ingenieurbüros auch die Schlussrechnungen des Tiefbauunternehmers erst 2012 eingegangen, so dass allein im Hinblick auf die letztgenannten Rechnungen die sachlichen Beitragspflichten erst im Jahr 2012 entstanden sein können. Begann somit vorliegend die Festsetzungsverjährung erst mit Ablauf des Jahres 2012, war bei Erlass des verfahrensgegenständlichen Bescheids vom 21. Juli 2015 die vierjährige Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen.
c) Schließlich lässt die Antragsgegnerin zu Recht vortragen, dass sich aus einer angeblich nach Bescheidserlass verweigerten Akteneinsicht und einer angeblich fehlenden Begründung für die Ablehnung der Außervollzugsetzung des Bescheids von vornherein keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Erschließungsbeitragsbescheids vom 21. Juli 2015 ergeben können. Unbeschadet dessen trägt die Antragsgegnerin ebenso richtig vor, dass den Antragstellern sehr wohl Akteneinsicht angeboten wurde (siehe allein das Schreiben vom 1. September 2015) und die Ablehnung der Außervollzugsetzung im Schreiben vom 4. November 2015 sehr wohl begründet worden war.
Nachdem auch sonst keine sich zulasten der Antragstellerin zu 1) auswirkende Mängel vorgetragen oder sonst erkennbar sind, war der Antrag hinsichtlich der Antragstellerin zu 1) abzulehnen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf Folgendem:
Soweit der Rechtsstreit hinsichtlich des Antragstellers zu 2) durch übereinstimmende Erledigterklärungen des Antragstellers zu 2) und der Antragsgegnerin in der Hauptsache erledigt ist, ist über die Kosten gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen zu entscheiden. Billigem Ermessen entspricht es, dass insoweit die Antragsgegnerin die Kosten zu tragen hat. Sie hat das erledigende Ereignis dadurch herbeigeführt, dass sie den verfahrensgegenständlichen Bescheid hinsichtlich des Antragstellers zu 2) mit Bescheid vom 11. April 2016 aufgehoben hat. Außerdem wäre die Antragsgegnerin bei Fortsetzung des Verfahrens hinsichtlich des Antragstellers zu 2) unterlegen gewesen, da der verfahrensgegenständliche Bescheid diesem gegenüber rechtswidrig war: Der Antragsteller zu 2) war im maßgeblichen Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beitragsbescheids nicht Eigentümer des herangezogenen Grundstücks und deshalb nicht beitragspflichtig (§ 134 BauGB). Insoweit kommt es allein auf die objektive Rechtswidrigkeit des Beitragsbescheids an, hingegen nicht, inwieweit sich die Antragsgegnerin dies vorwerfen lassen muss. Dem Antragsteller zu 2) kann auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis für seinen Antrag bei Gericht abgesprochen werden: Erhält ein Bürger einen rechtswidrigen Bescheid, so kann er hiergegen gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen. Er muss nicht die Behörde zuvor auf einen rechtlichen Mangel hinweisen und dieser Gelegenheit geben, diesen zu beseitigen. Es ist auch nicht erkennbar, dass sich der Antragsteller zu 2) rechtsmissbräuchlich verhalten hätte: Als rechtlicher Laie muss er nicht wissen, dass es hinsichtlich der persönlichen Beitragspflicht auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheids ankommt (§ 134 BauGB) und nicht etwa – was ebenso denkbar wäre – auf den Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten.
Hinsichtlich der Antragstellerin zu 1) sind die Kosten gemäß § 154 Abs. 1 VwGO von dieser als unterliegendem Teil zu tragen.
Im Hinblick darauf, dass somit unterschiedliches Obsiegen/Unterliegen der Antragstellerin zu 1) und des Antragstellers zu 2) vorliegt, war bei der einheitlich zu treffenden Kostenentscheidung die allgemein anerkannte Baumbach´sche Formel anzuwenden.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nrn. 1.5 und 3.1 des Streitwertkatalogs.