Aktenzeichen M 1 K 16.3707
StVO StVO § 33 Abs. 2 S. 1
Leitsatz
Der undifferenzierte Ausschluss von Fremdwerbung – unabhängig von deren Größe – ist regelmäßig wegen des Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unwirksam ( vgl. BayVGH BeckRS 2015, 48405). (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Juli 2016 verpflichtet, der Klägerin eine Baugenehmigung zum Bauantrag vom *. November 2015 zu erteilen.
II. Der Beklagte und der Beigeladene haben die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kostengläubigerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 13. Juli 2016 ist rechtswidrig, da die Klägerin einen Anspruch auf die beantragte Baugenehmigung hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Die Klage ist zulässig. Dem Verpflichtungsbegehren auf Erteilung einer Baugenehmigung fehlt es nicht wegen einer vorrangigen straßenverkehrsrechtlichen Genehmigung an einem Rechtsschutzbedürfnis.
Gemäß Art. 56 Satz 1 Nr. 5 BayBO bedürfen Werbeanlagen keiner Baugenehmigung soweit sie einer Ausnahmegenehmigung nach Straßenverkehrsrecht bedürfen. Eine solche wäre im vorliegenden Fall gemäß § 46 Abs. 2 StVO erforderlich, wenn die Werbeanlage dem Verbot des § 33 Abs. 2 Satz 1 StVO widersprechen würde. Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 StVO dürfen Einrichtungen, die Zeichen oder Verkehrseinrichtungen (§§ 36 bis 43 StVO i.V.m. den Anlagen 1 bis 4) gleichen, mit ihnen verwechselt werden können oder deren Wirkung beeinträchtigen können, dort nicht angebracht oder sonst verwendet werden, wo sie sich auf den Verkehr auswirken können.
Im vorliegenden Fall kommt eine Beeinträchtigung i.S.v. § 33 Abs. 2 Satz 1 StVO nur in Bezug auf die an der Kreuzung zwischen T. Straße und S.-straße angebrachte Stoppschilder (Zeichen 206, Anlage 2 zu § 41 StVO) in Betracht. Der Augenschein des Gerichts hat indes ergeben, dass die Wirkung dieser Stoppschilder durch die geplante Werbeanlage nicht beeinträchtigt werden kann.
Dies ergibt sich zunächst daraus, dass die Werbeanlage an der der Haltelinie gegenüberliegenden Straßenseite geplant ist. Sie befindet sich damit in einem Bereich, der deutlich von der Stelle abgerückt ist, an der der vorfahrtgewährende Verkehrsteilnehmer anzuhalten hat. Angesichts der erkennbaren Bevorrechtigung der S.-straße und der dieses Verhältnis nur verdeutlichenden Stoppschilder ist eine im innerörtlichen Bereich regelmäßig anzutreffende Werbeanlage nicht geeignet, die Wirkung der Schilder zu mindern. Der Verkehrsteilnehmer wird den Verkehrsfluss auf der im Vordergrund liegenden, bevorrechtigten Straße zwangsläufig zuerst in den Blick nehmen und dabei die Stoppschilder wahrnehmen, bevor er sich mit Werbung auf der anderen Straßenseite auseinandersetzt. Die Wirkung der Werbeanlage beschränkt sich auf die Verkehrsteilnehmer, die hinter dem unmittelbar an der Einmündung stehenden Fahrzeug warten. Das Stoppschild wird von der Werbeanlage auch nicht verdeckt oder in sonstiger Weise beeinflusst.
2. Die Klage ist begründet, da die Klägerin einen Anspruch auf die Erteilung einer Baugenehmigung gemäß Art. 68 Abs. 1 i.V.m. Art. 59 BayBO hat.
Die Baugenehmigung ist zu erteilen, da dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Bauplanungsrechtliche Vorschriften stehen dem Vorhaben nach der übereinstimmenden Beurteilung der Parteien nicht entgegen. Auch ein Widerspruch zur Werbeanlagensatzung des Beigeladenen vom 3. Februar 2016 (2.1) sowie eine Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gem. Art. 14 Abs. 2 BayBO (2.2) liegt nicht vor.
2.1 Das Verbot von Fremdwerbung gem. § 3 Abs. 4 WAS kann dem Vorhaben nicht entgegengehalten werden, da diese Vorschrift unwirksam ist.
Die auf Art. 81 Abs. 1 und 2 BayBO beruhende Werbeanlagensatzung verstößt in § 3 Abs. 4 WAS gegen Art. 12 und 14 GG, indem sie sämtliche Werbeanlagen außerhalb der Stätte der Leistung ausschließt. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Anforderungen – insbesondere des Grundrechts auf Eigentum – ist ein Verbot der Errichtung von Werbeanlagen im Rahmen des Art. 81 Abs. 1 Nr. 2 BayBO nur dort gerechtfertigt und verhältnismäßig, wo die von dem Gesetzgeber in Art. 81 Abs. 2 BayBO genannten ortsgestalterischen Gründe ein entsprechendes Verbot erfordern (BayVerfGH, E.v. 23.1.2012 – Vf. 18-VII-09 – juris Rn. 99).
Zwar hat der Beigeladene durch die Beschränkung der Werbeanlagensatzung auf die – auch aus Sicht der erkennenden Kammer – besonders schützenswerte Ortsmitte der Anforderung der Rechtsprechung Rechnung getragen, wonach der Ausschluss der Zulässigkeit von Werbeanlagen eine gewisse Schutzwürdigkeit des betroffenen Straßen- und Ortsbildes voraussetzt (BVerwG, U.v. 22.2.1980 – 4 C 44.76, BayVBl 1980, 408; BayVGH, B.v. 20.1.2015 – 15 ZB 13.2245 – juris Rn. 22). Gleichwohl ist der Eingriff in das Eigentumsgrundrecht und im Fall der Klägerin auch in Art. 12 GG nur dann gerechtfertigt, wenn die Regelung auch zur Erreichung des gewünschten Ziels geeignet, erforderlich und zumutbar ist (BayVerfGH, E. v. 23.1.2012 – Vf. 18-VII-09 – juris Rn. 109). Mit dem vollständigen Ausschluss von Fremdwerbung innerhalb des Satzungsgebietes hat der Beigeladene kein geeignetes Mittel gewählt, um das mit der Satzung verfolgte Gestaltungsziel zu erreichen. Nach § 1 Abs. 3 WAS ist es der Zweck der Satzung, den Ortskern um den Marktplatz vor unverhältnismäßig störender Werbung zu bewahren. Die Ein- und Zufahrten zum Marktplatz sollen ihren einladenden Charakter als Eingangstor zur historischen Mitte beibehalten. Die Werbeanlagensatzung will somit das bestehende Ortsbild von Werbung, die störend wirkt, freihalten. Die Regelung des § 3 Abs. 4 WAS in Form eines Ausschlusses jeglicher Fremdwerbung kann diesem Gestaltungsziel jedoch nicht dienen. Sie ist nicht geeignet, eine positive Gestaltungspflege zu betreiben, da sie Werbeanlagen – unabhängig von ihrer Größe und Ausgestaltung – allein aufgrund der Tatsache ausschließt, dass sie sich nicht an der Stätte der Leistung befindet. Für die Ortsgestaltung ist es ohne Belang, zu welchem Zweck die Werbeanlage dient. Für eine Beeinträchtigung des Ortsbildes bzw. dessen Bewahrung kommt es vielmehr ausschließlich auf die Größe, Zahl und Ausgestaltung der Werbeanlagen an. Um die Gebäude vor übermäßiger Werbung zu schützen, wären Regelungen zu treffen, die die Zahl der Werbeanlagen pro Gebäudeseite, die Größe der Werbeanlagen, die Beleuchtung von Werbeanlagen sowie Schriftgrößen und ähnliche Gestaltungsmerkmale vorgeben. Über diese ortsbildbezogenen und gestalterischen Vorgaben mag sich auch ergeben, dass Werbeanlagen wie die beantragte unzulässig sind. Aus der Eigenschaft als Fremdwerbung allein ergibt sich die ortsbildbeeinträchtigende Wirkung nicht. Der undifferenzierte Ausschluss von Fremdwerbung – unabhängig von deren Größe – ist deshalb regelmäßig wegen des Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unwirksam (BayVGH, B.v. 29.6.2015 – 1 ZB 13.1903 – juris Rn. 5). Diese Regelung ist auch im vorliegenden Fall zur Erreichung des Ziels nicht geeignet und damit eine unverhältnismäßige Einschränkung der
Art. 12 und 14 GG. Dies wird beispielsweise dadurch deutlich, dass die Regelung in § 3 Abs. 4 WAS auch schon kleinste Hinweisschilder ausschließt, sofern sie nicht an dem Gebäude angebracht sind, in dem das Gewerbe ausgeübt wird. Auch solche Anlagen sind Anlagen der Fremdwerbung und damit generell ausgeschlossen, während weitaus größere und optisch störendere Werbeanlagen an der Stätte der Leistung nach der Satzung in unbeschränkter Größe zulässig wären. Eine gestalterische Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung von Eigen- und Fremdwerbung fehlt und führt zur Unwirksamkeit des § 3 Abs. 4 WAS.
2.2 Der begehrten Baugenehmigung steht auch nicht Art. 14 Abs. 2 BayBO als sonstige öffentlich-rechtliche Vorschrift im Sinne von Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO außerhalb des Prüfprogramms im vereinfachten Verfahren entgegen.
Es kann dahinstehen, ob das Landratsamt durch die Erwähnung einer verkehrsbeeinträchtigenden Wirkung der Werbeanlage auf den Straßenverkehr schon die Anforderungen an die Verkehrssicherheit baulicher Anlagen nach Art. 14 Abs. 2 BayBO zum Prüfungsgegenstand des Baugenehmigungsverfahrens gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO gemacht hat, obwohl eine ausdrückliche Nennung dieser Vorschrift im streitgegenständlichen Bescheid fehlt, denn die Werbeanlage gefährdet die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs i.S.v. Art. 14 Abs. 2 BayBO nicht.
Nach Art. 14 Abs. 2 BayBO dürfen baulichen Anlagen und deren Nutzung nicht die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gefährden. Eine solche Gefährdung liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn nach den Erwartungen des täglichen Lebens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass durch die Anlage ein Verkehrsunfall verursacht oder der Verkehr in seinem Ablauf behindert wird. Eine hypothetische Ablenkungsmöglichkeit hingegen genügt nicht (BayVGH, U.v. 22.8.2001 – 2 B 01.74 – juris Rn. 19).
Nach dem Ergebnis des gerichtlichen Augenscheins ist nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass durch die Werbeanlage ein Verkehrsunfall verursacht oder der Verkehr in seinem Ablauf behindert wird. Die Werbeanlage wirkt in erster Linie auf den Fußgängerverkehr und auf den Kraftfahrzeugverkehr, der von der T. Straße kommt, um in die S.-straße einzubiegen. Bei dem Zufahren auf die Kreuzung T. Straße/S.-straße ist die Werbeanlage voraussichtlich besonders gut zu erkennen. Hieraus ergibt sich jedoch nicht, dass die Reibungslosigkeit und Ungehindertheit des Verkehrs in diesem Kreuzungsbereich beeinträchtigt wird. Es ist nach dem Ergebnis des Augenscheins nicht wahrscheinlich, dass Verkehrsteilnehmer, die von der T. Straße in die S.-straße einbiegen wollen, wegen der Werbeanlage den bevorrechtigten Verkehr auf der S.-straße nicht mit der gebotenen Aufmerksamkeit wahrnehmen. Für den Verkehrsteilnehmer auf der T. Straße ist aufgrund der örtlichen Gegebenheiten mehr als deutlich, dass er nicht auf der bevorrechtigten Straße fährt und dem Verkehr an der S.-straße Vorfahrt zu gewähren hat. Dies ergibt sich zunächst aus den durch die Stoppschilder an der Einmündung deutlich klargestellten Verkehrsregeln. Der Eindruck, dass hier Vorfahrt zu gewähren ist, wird aber auch noch durch die auf der Fahrbahn aufgebrachte Haltelinie sowie die entlang der S.-straße verlaufende Regenrinne verdeutlicht. Darüber hinaus handelt es sich bei der T. Straße um die kleinere, schmalere Straße, die in die Hauptverkehrsstraße (St …) einmündet. Die Verkehrsteilnehmer, die von ihr in die S.-straße einbiegen wollen, sind auch aufgrund des starken Verkehrsaufkommens auf der S.-straße gezwungen, den Verkehrsfluss permanent zu beobachten, um in die bevorrechtigte Straße einbiegen zu können.
Es widerspricht jeder Lebenserfahrung, dass ein Verkehrsteilnehmer, der aus der deutlich zu erkennbar nicht bevorrechtigten Straße in eine vielbefahrene Straße einbiegen will, eine Werbeanlage betrachtet, anstatt die Verkehrssituation zu beobachten. Schon aufgrund dieser Umstände ist nicht zu erwarten, dass eine Werbeanlage Einfluss auf die Aufmerksamkeit der einbiegenden Verkehrsteilnehmer hat.
Hinzu kommt, dass es sich bei der beantragten Werbeanlage um eine herkömmliche Plakatanschlagstafel handelt, die weder beleuchtet ist noch aufgrund ihrer Größe oder Anbringungsweise besonders auffällig wirkt. Durch die Anbringung an einem bestehenden Gebäude stellt sich die Werbeanlage vielmehr als herkömmliche innerörtliche Einrichtung dar, wie sie von dem Verkehrsteilnehmer in geschlossenen Ortschaften häufig erwartet wird. Die statische Werbeanlage, die mit nicht permanent wechselnder Werbung ausgestattet ist, zieht daher die Aufmerksamkeit eines geeigneten Verkehrsteilnehmers, der sein Verhalten im Straßenverkehr nach den geltenden Vorschriften ausrichtet (BayVGH, U.v. 17.11.2008 – 14 B 06.3096 – juris Rn. 19) lediglich in verkehrsverträglichem Umfang auf sich. Sie wird voraussichtlich in erster Linie auf die in zweiter und weiterer Reihe hinter dem ersten einfahrenden Fahrzeug wartenden Verkehrsteilnehmer auf der T* … Straße wirken. Für diese ist ein möglicher Aufmerksamkeitsverlust unproblematisch.
3. Der Beklagte und der Beigeladene haben die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte zu tragen. Die Kostenpflicht des Beklagten folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die des Beigeladenen aus §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO. Nachdem der Beigeladene mit seinem Antrag unterlegen ist, waren ihm angesichts seines erheblichen Interesses an der Sache und der Bedeutung für die gemeindliche Werbeanlagensatzung die Hälfte der Kosten aufzuerlegen.
4. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.