Baurecht

Ausübung eines naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts für an einem Bach gelegene Grundstücke

Aktenzeichen  M 1 K 16.5950

Datum:
12.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 147789
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, § 114 S. 1, § 117 Abs. 5
BayNatSchG Art. 39 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, Abs. 3 S. 1, S. 3
BayVwVfG Art. 28 Abs. 1, Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2

 

Leitsatz

1 Der Charakter der Ausübung des Vorkaufsrechts als fristgebundener Verwaltungsakt (vgl. Art. 39 Abs. 7 S. 1 BayNatSchG) steht der Möglichkeit der Heilung eines etwaigen Anhörungsfehlers (Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG) über Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG im gerichtlichen Verfahren nicht entgegen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Naturschutzrechtlich unerhebliche Beweggründe, die Ausübung des Vorkaufsrechts zu verlangen, lassen tatsächlich vorliegende Rechtfertigungsgründe einer Vorkaufsrechtsausübung nicht entfallen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3 Nach der ständigen Rechtsprechung ist es eine allgemeine Erfahrungstatsache, dass Grundstücke im Eigentum der öffentlichen Hand die Verwirklichung der Ziele von Naturschutz und Landschaftspflege besser und sicherer gewährleisten als Grundstücke in der Hand von Privatpersonen, deren privatnützige Interessen leicht in Konflikt mit den Anforderungen von Naturschutz und Landschaftspflege geraten können. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2) als Gesamtschuldner zu tragen. Die Beigeladene zu 1) trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid des Landratsamts Berchtesgadener Land vom 8. Dezember 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der Bescheid ist formell rechtmäßig.
Der Beklagte, vertreten durch das Landratsamt, war für die Ausübung des Vorkaufsrechts auf Verlangen der Beigeladenen zu 2) zuständig, Art. 39 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 BayNatSchG.
Zwar ist eine Anhörung der Kläger vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids entgegen Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG unterblieben und auch nicht nach Art. 28 Abs. 2 BayVwVfG entbehrlich. Doch wurde der Anhörungsmangel gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG dadurch geheilt, dass der Vertreter des Landratsamts im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erklärt hat, dass er das Vorbringen der Klagepartei zum Anlass genommen habe, die Entscheidung kritisch zu überdenken und dennoch zum Ergebnis komme, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts ermessensgerecht sei (vgl. zu den Anforderungen an die Heilung eines Anhörungsmangels BVerwG, U.v. 17.12.2015 – 7 C 5.134 – juris Rn. 17). Der Charakter der Ausübung des Vorkaufsrechts als fristgebundener Verwaltungsakt (vgl. Art. 39 Abs. 7 Satz 1 BayNatSchG) steht der Heilungsmöglichkeit dabei nicht entgegen (BayVGH, U.v. 11.5.1994 – 9 B 93.1514 – juris Rn. 31; vgl. auch BayVGH, U.v. 3.5.2016 – 14 B 15.206 – juris Rn. 43; B.v. 12.10.2017 – 14 ZB 16.280 – juris Rn. 6, jeweils zum Parallelproblem der Heilung eines Begründungsmangels eines fristgebundenen Verwaltungsakts). Insbesondere waren dadurch, dass die Beigeladene zu 1) ihr Erstreckungsverlangen in der mündlichen Verhandlung zurückgezogen hat, auch keine völlig neuen Ermessenserwägungen in die Ermessensentscheidung einzustellen.
2. Der Bescheid ist materiell rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die Ausübung des naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts für die am … …bach gelegenen Grundstücke ist Art. 39 Abs. 1 Nr. 1 BayNatSchG. Nach dieser Vorschrift stehen dem Freistaat Bayern sowie den Bezirken, Landkreisen, Gemeinden und kommunalen Zweckverbänden Vorkaufsrechte beim Verkauf von Grundstücken zu, auf denen sich oberirdische Gewässer einschließlich von Verlandungsflächen befinden oder die daran angrenzen.
Die Tatbestandsvoraussetzungen für die Ausübung des Vorkaufsrechts liegen vor. Das Landratsamt hat auch das ihm eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend ist auszuführen:
2.1 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist vorliegend der 8. Dezember 2016 als Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (vgl. BVerwG, B.v. 27.12.1994 – 11 B 152/94 – juris). Da die untere Naturschutzbehörde zu diesem Zeitpunkt noch keine Kenntnis bzgl. der geplanten Verlegung des … …bachs hatte, war dieser Umstand auch nicht in der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen.
2.2 Die Kläger bestreiten, dass die Belange des Naturschutzes oder der Landschaftspflege oder das Bedürfnis der Allgemeinheit die Ausübung des naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts rechtfertigen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG sind jedoch zur Überzeugung des Gerichts erfüllt. Der … …bach ist mit seiner Begleitvegetation im maßgeblichen Bereich amtlich biotopkartiert und nach § 30 BNatSchG geschützt. Das Landratsamt hat die insoweit maßgeblichen Belange des Naturschutzes im Bescheid ausführlich, fundiert und plausibel dargestellt. Der Einwand der Kläger, dass der Beklagte das Vorkaufsrecht für die Beigeladene zu 2) zum Erwerb von „Vorrats- und Blockadegrundstücken“ zur Verhinderung des Vorhabens der Beigeladenen zu 1) ausgeübt habe, vermag das Vorliegen der tatbestandlichen Rechtfertigungsgründe nicht in Frage zu stellen. Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts aufgrund naturschutzrechtlicher Belange im getätigten Umfang gerechtfertigt ist und das Vorkaufsrecht – jedenfalls auch – aufgrund dieser Belange ausgeübt worden ist. Ob es darüber hinaus weitere Motive der Beigeladenen zu 2) für die Ausübung des Vorkaufsrechts gegeben hat, ist unerheblich. Denn naturschutzrechtlich unerhebliche Beweggründe der Beigeladenen zu 2), die Ausübung des Vorkaufsrechts zu verlangen, lassen tatsächlich vorliegende Rechtfertigungsgründe einer Vorkaufsrechtsausübung nicht entfallen (BayVGH, U.v. 3.5.2016 – 14 B 15.206 – juris Rn. 53 m.w.N.).
2.3 Die Kläger meinen, das Ermessen sei nicht oder nur unzureichend ausgeübt worden. Die Ermessensausübung ist im Rahmen der dem Gericht nach § 114 Satz 1 VwGO zustehenden Überprüfungskompetenz jedoch nicht zu beanstanden. Das Landratsamt hat das öffentliche Interesse am Erwerb eines für die ökologische Aufwertung nutzbaren Grundstücks einerseits und das Interesse der Kläger an der Veräußerung sowie der Beigeladenen zu 1) am Erwerb der Grundstücke andererseits gegenübergestellt und ohne Ermessensfehler dem öffentlichen Interesse den Vorrang eingeräumt.
2.4 Der Einwand der Kläger, dass die verbleibenden Restflächen nicht mehr vernünftig bewirtschaftbar seien, greift nicht durch. Zunächst sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Kläger aufgrund oder infolge der Ausübung des Vorkaufsrechts wieder Eigentümer der verkauften Restfläche geworden sind und deshalb im Hinblick auf eine etwaige mangelnde Bewirtschaftbarkeit überhaupt in eigenen Rechten verletzt sein können. Ferner sind die Kläger nach wie vor Eigentümer hinreichend großer Grundstücke auf den streitgegenständlichen Flurnummern, die an die verbleibenden Restgrundstücke unmittelbar angrenzen und einheitlich mit diesen bewirtschaftet werden können. Im Übrigen wurde der Einwand der mangelnden Bewirtschaftbarkeit durch die Zurückziehung des Erstreckungsverlangens durch den Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung selbst entkräftet.
2.5 Ebenfalls nicht von Relevanz ist, dass die Kläger beteuern, dass sie bzw. die Beigeladene zu 1) als künftige Erwerberin die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege genauso wie die öffentliche Hand verwirklichen könnten und die Beigeladene zu 1) die Gewähr dafür biete, dass auch sie das Grundstück entsprechend den Forderungen des Naturschutzes pflege. Denn nach der ständigen Rechtsprechung ist es eine allgemeine Erfahrungstatsache, dass Grundstücke im Eigentum der öffentlichen Hand die Verwirklichung der Ziele von Naturschutz und Landschaftspflege besser und sicherer gewährleisten als Grundstücke in der Hand von Privatpersonen, deren privatnützige Interessen leicht in Konflikt mit den Anforderungen von Naturschutz und Landschaftspflege geraten können (BayVGH, U.v. 3.5.2016 – 14 B 15.206 – juris Rn. 54; B.v. 9.3.2015 – 14 ZB 13.2250 – juris Rn. 7 m.w.N.). Auch Bewirtschaftungsvereinbarungen, wie etwa der Vertragsnaturschutz, können den Eigentumserwerb der öffentlichen Hand nicht ersetzen (BayVGH, U.v. 3.5.2016 – 14 B 15.206 – juris Rn. 54; B.v. 9.3.2015 – juris Rn. 10 f.).
Die Klage war demnach abzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Beigeladene zu 1), die keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst (§ 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO). Dagegen sind die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2) den Klägern aufzuerlegen, da sie einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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