Aktenzeichen M 11 K 15.5496
Leitsatz
Bei Arbeiten im Untergeschoss einer bestehenden Gaststätte, durch die dieses bis zur Vorderkante der darüber liegenden Terrasse bzw. Außenwand erweitert wird, handelt es sich um eine Änderung einer baulichen Anlage iSv Art. 2 Abs. 1 S. 1 BayBO und nicht um eine „Instandhaltungsmaßnahme“ gemäß Art. 57 Abs. 6 BayBO, da unter „Instandhaltung“ in diesem Sinne nur Maßnahmen zu verstehen sind, die dazu dienen, die Gebrauchsfähigkeit und den Wert von Anlagen unter Belassung von Konstruktion und äußerer Gestalt zu erhalten. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
1. Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die im Bescheid des Landratsamtes vom 5. November 2015 unter Nr. 1 ausgesprochene Bestätigung der mündlichen Baueinstellung vom 4. November 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Der Augenschein hat ergeben, dass die streitgegenständliche Erweiterung im Untergeschoss der bestehenden Gaststätte – wie im Rahmen der Baukontrolle festgestellt wurde – vorhanden ist.
Rechtsgrundlage für die Baueinstellungsverfügung ist Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Bayerische Bauordnung (BayBO).
Deren Tatbestandsvoraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt, da die streitgegenständliche Anlage im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet worden ist (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO).
Das Vorhaben ist bereits wegen des Fehlens einer Baugenehmigung formell illegal.
Bei den vorgenommenen Arbeiten im Untergeschoss der bestehenden Gaststätte handelt es sich um die Erweiterung und mithin Änderung einer baulichen Anlage im Sinn von Art. 2 Abs. 1 Satz 1 BayBO. Insbesondere ist die Erweiterung des Untergeschosses der bestehenden Gaststäte nicht als „Instandhaltungsmaßnahme“ gemäß Art. 57 Abs. 6 BayBO verfahrensfrei, da unter „Instandhaltung“ in diesem Sinne nur Maßnahmen zu verstehen sind, die dazu dienen, die Gebrauchsfähigkeit und den Wert von Anlagen unter Belassung von Konstruktion und äußerer Gestalt zu erhalten (vgl. Taft/Busse, in: Simon/Busse, BayBO, 124. EL, 1/2017, Art. 57, Rn. 439).
Die Baumaßnahme hätte somit gemäß Art. 55 Abs. 1 BayBO einer Baugenehmigung bedurft und ist bereits deshalb formell illegal.
Darüber hinaus ist das Vorhaben auch wegen einer fehlenden naturschutzrechtlichen Befreiung formell illegal.
Hier hätte die Baumaßnahme im Untergeschoss der bestehenden Gaststätte gemäß § 6 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 2 der Verordnung über das Naturschutzgebiet „… und …vorgebirge“ (Verordnung) einer Befreiung von dem Verbot der Änderung baulicher Anlagen durch die Regierung … … bedurft. Das Grundstück der Antragstellerin liegt innerhalb des durch § 2 der Verordnung geschützten Bereichs. Demnach ist gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 der Verordnung u.a. die Änderung baulicher Anlagen verboten und bedarf einer Befreiung gemäß § 6 der Verordnung. Zwar sind gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 8 der Verordnung die mit dem Betrieb sowie mit der notwendigen Unterhaltung und Instandsetzung der bestehenden …seilbahn verbundenen Maßnahmen von diesem Verbot ausgenommen. Allerdings ergibt die Auslegung, dass das streitgegenständliche Vorhaben nicht unter diese Ausnahmevorschrift fällt. Die bauliche Erweiterung im Untergeschoss der bestehenden Gaststätte stellt weder eine notwendige Unterhaltungs- noch Instandsetzungsmaßnahme der Seilbahn dar. Auch handelt es sich hierbei nicht um eine mit dem Betrieb der bestehenden Seilbahn verbundene Maßnahme. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es sich nach dem Wortlaut der Schutzgebietsverordnung, die von Verboten spricht, von denen befreit werden kann, sowie dem Sinn und Zweck der Schutzgebietsverordnung sowie des Naturschutzrechts allgemein, nämlich Eingriffe in geschützte Bereiche soweit wie möglich zu unterbinden, um ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt handelt. Bei derartigen Verboten gilt der Grundsatz, dass Ausnahmen restriktiv auszulegen sind, noch stärker als bei präventiven Verboten mit Erlaubnisvorbehalt. Demgemäß handelt es sich hier nicht um eine mit dem Betrieb der Seilbahn verbundene Maßnahme, da hierunter bei gebotener restriktiver Auslegung nur der tatsächliche physische Betrieb, also der auf den Beförderungsvorgang abzielende betriebstechnische Ablauf zu verstehen ist. Dieses Auslegungsergebnis wird durch den Sinn und Zweck der Schutzgebietsverordnung und des Naturschutzrechts allgemein bestätigt, da die Ausnahme in § 5 Abs. 1 Nr. 8 der Verordnung zwar den bestehenden Seilbahnbetrieb erhalten und damit eine gewisse touristische Erschließung ermöglichen soll. Allerdings genügt dem Zweck der touristischen Erschließung die reine Beförderung. Weitergehende Anlagen, die vielmehr nur dem Komfort ankommender Touristen dienen – wie z.B. die streitgegenständliche Erweiterung der bestehenden Berggaststätte – sind für den bloßen Zweck der Erschließung eines sanften Wandertourismus nicht mehr erforderlich und gehen darüber hinaus. Andernfalls könnten alle Arten dem Tourismus dienender Vorhaben auf dem Betriebsgrundstück der Bergstation errichtet werden. Schließlich stützt auch die systematische Auslegung dieses Ergebnis, da gemäß § 5 Abs. 2 der Verordnung selbst dem Betrieb sowie der notwendigen Unterhaltung und Instandsetzung der bestehenden Seilbahn dienende Maßnahmen der vorherigen Genehmigung bedürfen, sofern sie umfangreich und nicht unaufschiebbar sind. Wie sich an der Tatbestandsvoraussetzung der „Unaufschiebbarkeit“ zeigt, betrifft § 5 Abs. 1 Nr. 8 der Verordnung gerade Maßnahmen, die zum Betrieb und zur Instandsetzung notwendig sind. Darüber hinausgehende, einem längerfristigen wirtschaftlichen Konzept zur Steigerung der Beförderungszahlen dienende Maßnahmen sind nicht unaufschiebbar. Zudem wird hierdurch allgemein deutlich, dass Vorhaben, die ein gewisses Maß an potentiellen Auswirkungen auf das Naturschutzgebiet haben, grundsätzlich dem Genehmigungsvorbehalt unterliegen sollen, da selbst Maßnahmen, die mit dem erlaubten Betrieb der Seilbahn zusammenhängen, genehmigungspflichtig sind, wenn sie einen gewissen Umfang und damit eine bestimmte Schwelle gewisser möglicher Auswirkungen auf das Naturschutzgebiet überschreiten.
Ebenfalls die fehlende Befreiung von der Verordnung führt für sich genommen bereits zu der für die Bejahung des Tatbestands des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO ausreichenden formellen Rechtswidrigkeit, da hierfür jeder Verstoß, auch gegen formelles Naturschutzrecht ausreicht und auch keine andere Behörde vorrangig zur Untersagung zuständig ist (vgl. Decker, in: Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, 122. EL 1/2016, Art. 75, Rn. 47).
Die Notwendigkeit der Erteilung der naturschutzrechtlichen Befreiung von der Naturschutzgebietsverordnung „…“ … und …vorgebirge“ besteht auch neben der Baugenehmigungspflichtigkeit der streitgegenständlichen Maßnahme.
Demzufolge ist das Vorhaben sowohl aufgrund des Fehlens einer Baugenehmigung als auch aufgrund des Fehlens einer naturschutzrechtlichen Befreiung formell illegal.
Der streitgegenständliche Bescheid begegnet auch hinsichtlich seiner Bestimmtheit keinen rechtlichen Bedenken.
Aus dem Vermerk des Landratsamtes über die Baukontrolle vom 4. November 2015 ergibt sich, dass auf dem Grundstück Fl.Nr. … lediglich die Arbeiten im Untergeschoss der bestehenden Gaststätte als Arbeiten festgestellt worden sind, hinsichtlich derer keine Baugenehmigung vorliegt.
Hieraus folgt, dass sich die mündlich verfügte Baueinstellung und demgemäß auch die schriftliche Bestätigung der mündlichen Baueinstellung nur hierauf beziehen können. Für die Klägerin ist daher ohne weiteres erkennbar, welche Arbeiten auf dem streitgegenständlichen Grundstück zu unterlassen sind, zumal dies dem Vorstand der Klägerin bereits im Rahmen der Baukontrolle mündlich mitgeteilt worden war. Die Kammer sieht keinen Anlass, insbesondere Letzteres in Zweifel zu ziehen.
Die Entscheidung ist auch ermessensgerecht.
Es handelt sich bei der Befugnisnorm des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO aufgrund des öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Fortsetzung unzulässiger Arbeiten um einen Fall intendierten Ermessens, sodass grundsätzlich bereits die Erfüllung des Tatbestands den Erlass einer Einstellungsverfügung rechtfertigt (vgl. Decker, in: Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, 124. EL Januar 2017, Art. 75, Rn. 83 f.). Besondere Gründe, warum im Einzelfall eine Baueinstellung nicht gerechtfertigt sein sollte, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist das Vorhaben bereits aufgrund des strengen Maßstabs, nach dem Befreiungen gemäß § 6 Abs. 1 der Naturschutzverordnung erteilt werden dürfen, nicht offensichtlich genehmigungsfähig.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).