Aktenzeichen M 9 K 17.1100
Leitsatz
Das Bauvorhaben beeinträchtigt die Belange gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB (Verfestigung einer Splittersiedlung), sowie § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB (Darstellung des Flächennutzungsplan) und § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB (natürliche Eigenart der Landschaft). (Rn. 26 – 27) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid des Landratsamts Ebersberg vom 16. Januar 2017 (Verlängerungsbescheid, Az.: …*) wird aufgehoben.
II.Der Beklagte und der Beigeladene haben die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III.Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Klage hat Erfolg.
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid des Landratsamts ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, i.V.m.
§ 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB. Der Verlängerungsbescheid vom 16. Januar 2017 wurde trotz des rechtmäßig verweigerten Einvernehmens des Klägers erteilt, weshalb dieser in seiner Planungshoheit gemäß Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV als Bestandteil des kommunalen Selbstverwaltungsrechts verletzt wird.
1. Das Vorhaben ist, wovon offensichtlich auch das Landratsamt ausging, genehmigungspflichtig. Verfahrensfreiheit nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 11 lit. b) BayBO liegt nicht vor, weil es nicht um Arbeiten innerhalb eines Wohngebäudes geht. Auch Verfahrensfreiheit gemäß Art. 57 Abs. 6 BayBO ist nicht gegeben. Instandhaltung nach Art. 57 Abs. 6 BayBO endet nach herrschender Meinung dort, wo die Änderung i.S.v. Art. 55 Abs. 1 BayBO anfängt (vgl. zur Kasuistik Dirnberger in: Simon/Busse, BayBO, Art. 3 Rn. 74ff). Eine Unterfangung ist insofern schwierig zu beurteilen, als es dem Wesen der Unterfangung entspricht, Eingriffe in die Substanz mit sich zu bringen, gleichwohl aber als Zweck die Erhaltung zu haben. Würde man nur auf die Funktion als Wohnhaus abstellen, spräche das dafür, Unterfangungsarbeiten noch als zur Instandhaltung gehörig einordnen. Das Gesetz, z.B. in den Genehmigungsfreiheitstatbeständen des Art. 57 Abs. 1 Nr. 11 BayBO, betrachtet aber zumindest auch die Intensität eines Eingriffs in die Substanz eines Gebäudes als Kriterium für eine nicht verfahrensfreie Änderung, weswegen die hier beantragte Unterfangung wegen des baufälligen Zustands keine Instandhaltung mehr ist.
Das Landratsamt hat einen Genehmigungs- bzw. Verlängerungsbescheid erteilt, der sich jedenfalls an der Übereinstimmung mit §§ 29ff. BauGB messen lassen muss, weil bauplanungsrechtlich unstreitig ein Vorhaben i.S.v. § 29 Abs. 1 BauGB vorliegt.
Der Umstand, dass der Verlängerungsantrag bereits nicht innerhalb der Geltungsdauer der ursprünglichen Baugenehmigung gestellt wurde, und dieser deshalb nach Art. 69 Abs. 2 Satz 2 BayBO verfristet ist, schadet nicht. Zwar hätte das Landratsamt den Verlängerungsantrag objektiv-rechtlich nicht mehr als solchen, sondern nur als neuen Bauantrag behandeln dürfen, für den dann aber die Formerfordernisse an Bauanträge, insbesondere nach der Bauvorlagenverordnung, nicht beachtet waren. Der mit E-Mail des Beigeladenen vom 26. Juli 2016 gestellte Verlängerungsantrag war nicht formwirksam und deswegen unbeachtlich. Eine einfache E-Mail ohne elektronische Signatur wahrt das hier geltende Formerfordernis der Schriftform gemäß Art. 3a BayVwVfG nicht, vgl. Art. 3a Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG. Ein Ausnahmetatbestand nach Art. 3a Abs. 2 Satz 4 BayVwVfG liegt nicht vor. Eine „einfache“ E-Mail entspricht nicht den Formerfordernissen (vgl. auch BayVGH, B.v. 15.4.2009 – 8 ZB 08.3146 – juris Leitsatz Satz 2 und Rn. 13). Der schriftliche Verlängerungsantrag, der am 26. August 2016 beim Kläger einging, wahrt zwar die für einen Verlängerungsbescheid erforderliche (Simon/Busse, BayBO, 127. EL, Stand: Dezember 2017, Art. 69 Rn. 80) Form, ist aber verspätet, nämlich erst nach Ablauf der Geltungsdauer der ursprünglichen Baugenehmigung eingegangen. Darauf kann sich jedoch der Kläger nicht berufen, weil die Fristregelung beim Verlängerungsantrag mit der gemeindlichen Planungshoheit nichts zu tun hat und der Kläger deswegen dadurch nicht in seinen Rechten verletzt ist.
2. Die Verlängerung der Baugenehmigung ist aber wegen eines Verstoßes gegen Bauplanungsrecht rechtswidrig, worauf sich der Kläger wegen § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB bei einem Außenbereichsvorhaben wie hier berufen kann, weil § 36 BauGB eine einfachgesetzliche Ausprägung der klägerischen Planungshoheit ist, die von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV als Bestandteil des kommunalen Selbstverwaltungsrechts geschützt wird (vgl. VG München, U.v. 27.7.2016 – M 9 K 15.2555 – juris Rn. 50).
Der Verlängerungsantrag für die Baugenehmigung der Unterfangung ist bauplanungsrechtlich nicht genehmigungsfähig.
Die vom Landratsamt vorgenommene Einordnung als sonstiges Vorhaben i.S.v. § 35 Abs. 2 BauGB ist zutreffend, Anhaltspunkte für die Geltung von § 35 Abs. 1 BauGB bestehen nicht.
Jedoch trifft es nicht zu, dass durch das Vorhaben keiner der öffentlichen Belange gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB beeinträchtigt wird (nachfolgend unter a). Das bestehende Gebäude genießt auch keinen Bestandsschutz, der die Genehmigung der Unterfangung rechtfertigen würde (nachfolgend unter b).
a) Das Vorhaben beeinträchtigt die Belange gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 Var. 2 BauGB (Verfestigung einer Splittersiedlung), sowie § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB (Darstellung des Flächennutzungsplan) und § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB (natürliche Eigenart der Landschaft).
Die Darstellung des Flächennutzungsplans des Klägers ist durch die Ansiedlung der „S. …“ nicht funktionslos geworden. Er ist auch beeinträchtigt. Das Bestehen eines Siedlungssplitters im Außenbereich ist nicht selten und führt nicht schon gleichsam automatisch dazu, dass ein Flächennutzungsplan, der eine typische Außenbereichsdarstellung wie Landwirtschaft enthält, funktionslos wird. Ebenso wird die natürliche Eigenart der Landschaft, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Var. 4 BauGB, beeinträchtigt. Die Flächen, auf denen sich die streitgegenständlichen Gebäude befinden, haben ihre natürliche Eigenart noch nicht verloren. Die Unterfangungsarbeiten sind zudem geeignet, die bestehende Splittersiedlung zu verfestigen. Durch die Ertüchtigung würde der Baufälligkeit des Gebäudes entgegengewirkt und es würden Fakten für den Verbleib des Gebäudes geschaffen. Dass auch nach der Auffassung des Landratsamts die Unterfangung den öffentlichen Belang der Splittersiedlung grundsätzlich – vorbehaltlich des angenommenen Bestandsschutzes – beeinträchtigt, ergibt sich aus dem streitgegenständlichen Verlängerungsbescheid (dort Seite 3 dritter Absatz von unten).
b) Für das Gebäude besteht kein Bestandsschutz, der als Grundlage für die Genehmigung der Unterfangung in Betracht käme. Die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage, ob für das bestehende Wohngebäude, das sog. grüne Wohnhaus, jemals Bestandsschutz bestanden hat, ist für die Entscheidung des streitgegenständlichen Falles unerheblich, da bereits mit rechtskräftigem Urteil des Gerichts vom 10. April 2013 (Az. M 9 K 12.1199) entschieden wurde, dass kein Bestandsschutz besteht. Daran hat sich zwischenzeitlich nichts geändert. Das Gebäude war unbenutzbar mit der Folge, dass kein Bestandsschutz mehr vorliegt (BVerwG, B.v. 11.12.1996 – 4 B 231.96 – juris Rn. 2).
Darauf, dass das Landratsamt einen für genehmigungspflichtige Vorhaben überwiegend nicht mehr für richtig gehaltenen materiellen Bestandsschutz annimmt (vgl. hierzu VG München, U.v. 29.11.2017 – M 9 K 16.2159 – juris Rn. 47 m.w.N.; v. 22.5.2014 – M 11 K 13.3437 – juris Rn. 63 m.w.N. aus der obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung), kommt es nicht an. Denn jedenfalls ist, unterstellt man, dass das Wohngebäude zu irgendeiner Zeit bestandsgeschützt gewesen wäre, jeglicher Bestandsschutz erloschen. Das folgt aus dem Urteil des Gerichts vom 10. April 2013 im Verfahren Az. M 9 K 12.1199 (bestätigt durch BayVGH, B.v. 8.9.2015 – 2 ZB 13.1204 – und den zugrundeliegenden Feststellungen im damaligen gerichtlichen Augenscheinstermin, Niederschrift ab Seite 2, Gerichtsakte im beigezogenen Verfahren ab Bl. 124) mit denselben Beteiligten wie hier und bezogen auf dasselbe Grundstück wie hier. Bereits zu diesem Zeitpunkt war eine Wohnnutzung wegen des Zustands des Gebäudes gar nicht mehr möglich („nicht mehr funktionsgerecht als Wohnhaus benutzbar“). Diese Feststellung ist auch rechtskräftig. Zwar folgt die Reichweite der Rechtskraft grundsätzlich aus dem Tenor einer gerichtlichen Entscheidung, der bei einem klageabweisenden Urteil jedoch um die wesentlichen tatsächlichen Feststellungen, die die Klageabweisung tragen, zu ergänzen ist (z.B. Rennert in: Eyermann, VwGO, 14. Auflage, § 121 Rn. 22).
Daraus wiederum folgt, dass spätestens ab diesem Zeitpunkt feststeht, dass jeglicher Bestandsschutz bereits erloschen war. In Rechtsprechung und Rechtsliteratur wird übereinstimmend vertreten, dass der Bestandsschutz mit der Unbenutzbarkeit endet (vgl. statt aller BVerwG, B.v. 11.12.1996 – 4 B 231/96 – juris Rn. 2; ebenso BayVGH, B.v. 9.8.2017 – 1 ZB 14.68 – juris Rn. 3). Die Rechtsprechung dazu, dass eine Nichtausübung einer genehmigten Nutzung nicht zum Entfallen von Bestandsschutz führt (vgl. hierzu BVerwG B.v. 5.6.2007 – 4 B 20/07 – juris Rn. 4), betrifft nicht den vorliegenden Fall, da es hier nicht um ein Erlöschen von Bestandsschutz wegen nicht ausgeübter Nutzung geht, sondern um das unstreitige Entfallen eines etwaigen Bestandsschutzes aufgrund von Nichtnutzbarkeit. Das Landratsamt geht in der Klageerwiderung selbst von der früheren Notwendigkeit einer Wiederbewohnbarmachung des Gebäudes aus. Der Umstand, dass der Beigeladene später nach eigenem Vortrag wieder eine Wohnnutzung etabliert hat, ändert an diesem Ergebnis nichts, denn der einmal erloschene Bestandsschutz kann dadurch nicht wieder aufleben.
Wegen der Feststellung des Gerichts, dass eine Wohnnutzung bereits im Jahr 2013 nicht mehr möglich war, geht der Bescheid zu Unrecht von einem Bestandsschutz für das Gebäude aus. Unberücksichtigt blieb auch der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. September 2015 im Verfahren Az. 2 ZB 13.1204, aus dem hervorgeht (Entscheidungsabdruck Seite 3, Rn. 7), dass für das sogenannte grüne Wohnhaus von vorneherein nur Bestandsschutz für eine privilegierte Nutzung gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB in Betracht kommt; ob dieser Bestandsschutz für eine privilegierte Nutzung wirklich besteht, konnte der Verwaltungsgerichtshof offen lassen. Da die vom Beigeladenen behauptete Nutzung in jedem Fall und zwischen den Beteiligten auch unstreitig nur eine nicht privilegierte Wohnnutzung darstellt und mangels existierenden Betriebs i.S.v. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB eine privilegierte Nutzung auch gar nicht denkbar ist, besteht rechtlich keine Grundlage für den vom Landratsamt unterstellten Bestandsschutz. Vielmehr bleibt es dabei, dass das Vorhaben die oben genannten Belange gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 5 und 7 BauGB beeinträchtigt, da die Unterfangung dem Erhalt eines Gebäudes dient, das als Ruine im Außenbereich weder dort stehen noch wiederhergestellt werden darf.
3. Diesem Ergebnis steht es nicht entgegen, dass der Kläger zu dem ursprünglichen Bauantrag vom 26. Juni 2012 sein Einvernehmen noch erteilt hatte, denn jeder Bau- bzw. Verlängerungsantrag stellt einen eigenständigen Verfahrensgegenstand dar, der eine neue Prüfung erfordert. Der Kläger war berechtigt und verpflichtet, den gegenständlichen Verlängerungsantrag zu prüfen und die Erteilung des Einvernehmens zu verweigern.
Nach alledem wird der angefochtene Bescheid aufgehoben. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, Abs. 3 Hs. 1 VwGO. Dem unterlegenen Beigeladenen waren die Kosten hälftig aufzuerlegen, da er sich durch eine Antragstellung in ein Kostenrisiko gemäß § 154 Abs. 3 Hs. 1 VwGO begeben hat. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.