Aktenzeichen M 1 K 15.3286
Leitsatz
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat keinen Erfolg. Der Bescheid des Landratsamts Freising vom 17. Juli 2015 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Ein Nachbar hat einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer Baugenehmigung nicht schon dann, wenn diese objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr ist Voraussetzung, dass er durch die Baugenehmigung gerade in eigenen Rechten verletzt wird. Dies ist nur dann der Fall, wenn die verletzte Norm zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dient, also drittschützende Wirkung hat. Eine Verletzung drittschützender Vorschriften liegt hier nicht vor. Das Vorhaben verletzt nicht das Gebot der Rücksichtnahme. Der Kläger kann mit Erfolg weder die Einmauerung oder erdrückende Wirkung des Vorhabens (1.) noch einen Verstoß gegen Lärmschutzgesichtspunkte (2.), die mit der Errichtung des Vorhabens einhergehende Einsehbarkeit seines Grundstücks (3.) oder Vertrauensschutzgesichtspunkte (4.) geltend machen.
1. Das genehmigte Vorhaben hat keine erdrückende Wirkung und verletzt unter diesem Gesichtspunkt nicht das nach § 15 Abs. 1 Baunutzungsverordnung (BauNVO) zu beachtende nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme.
Dabei kann es auf sich beruhen, ob sich das Vorhaben nach dem Maß der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt (§ 34 Abs. 1 BauGB). Gegen die im Gebot des Sich-Einfügens liegende Pflicht zu nachbarlicher Rücksichtnahme würde nicht ohne Weiteres verstoßen, wenn das nicht der Fall wäre. Die Bestimmungen über das Maß der baulichen Nutzung sind grundsätzlich nicht nachbarschützend. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Vorhaben infolge seines Nutzungsmaßes den Nachbarn durch eine „abriegelnde“ oder „erdrückende Wirkung“ unzumutbar beeinträchtigt. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BayVGH, B. v. 20.7.2010 – 15 CS 10.1151 – juris Rn. 18). Als Beispiele sind zu nennen ein zwölfgeschossiges Gebäude in Entfernung von 15 m zum zweigeschossigen Nachbarwohnhaus (vgl. BVerwG, U. v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – DVBl 1981, 928 – juris Rn. 33 f.) oder eine 11,5 m hohe Siloanlage im Abstand von 6 m zu einem Wohnanwesen (BVerwG, U. v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – DVBl 1986, 1271 – juris Rn. 2 und 15). Bei gleicher Geschoßhöhe wird eine erdrückende Wirkung grundsätzlich nicht in Betracht kommen (BayVGH, B. v. 20.7.2010 a. a. O.; BVerwG, U. v. 30.9.1983 – 4 C 18.80 – NJW 1984, 250 – juris Rn. 11).
Nach diesen Maßstäben ist ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme aufgrund einer erdrückenden oder Riegelwirkung des Vorhabens hier nach den Feststellungen des Gerichts im Augenschein vom 5. April 2016, bei dem das nahezu fertig gestellte Vorhaben zu sehen war, zu verneinen. Die vom Kläger genannten Maße des Gebäudes betreffen eine frühere Planung, der gegenüber das jetzt genehmigte Vorhaben reduziert wurde. Anders als von ihm vorgetragen ist der nördliche Gebäudeteil nicht dreigeschossig, sondern verfügt lediglich über eine eingeschossige Halle und einen zweigeschossigen Büroteil; weiter beträgt die Wandhöhe des Gebäudes nach den genehmigten Plänen nicht 9,30 m, sondern 7 m. Zudem soll kein ungegliedertes Gebäude mit 80 m Länge gegenüber seinem Grundstück entstehen, sondern findet eine Gliederung des Gesamtkomplexes durch den erdgeschossigen Zwischenbau und durch den Rücksprung des südlichen Gebäudeteils mit Zwischenbau statt. Nach den Feststellungen des Augenscheins befindet sich der nördliche Gebäudeteil des Vorhabens, der die größte Ausdehnung und die größte Höhenentwicklung (Giebelhöhe 10,25 m) des Gesamtvorhabens aufweist, nordwestlich des klägerischen Grundstücks. Gegenüber dem klägerischen Grundstück liegt der nur eingeschossige Verbindungsbau, der im Erdgeschoss in Glasbauweise ausgeführt ist. Südlich daran schließt sich der südliche Gebäudeteil mit einer Geschossigkeit von E + 1 + D an, der mit einer Giebelhöhe von 10,03 m nicht nennenswert (maximal 1 m) über die Giebelhöhe des Wohnhauses des Klägers hinausgeht. Die tatsächlichen Wirkungen des Vorhabens bleiben überdies hinter der im genehmigten Plan dargestellten Höhe zurück, weil das Vorhaben circa 20 cm tiefer liegt als die Terrasse des Klägers. Damit ist eine in etwa gleiche Höhenentwicklung gegeben, wegen der nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine erdrückende Wirkung grundsätzlich nicht in Betracht kommt (BVerwG, U. v. 30.9.1983 – 4 C 18.80 – NJW 1984, 250 – juris Rn. 11). Weiter liegen zwischen dem Vorhaben und dem Wohnhaus des Klägers insgesamt 17 m (8 m bis zur Grundstücksgrenze und 9 m Gartenbereich), was einer erdrückenden Wirkung ebenfalls entgegensteht. Überdies verfügt das Dachgeschoss des südlichen Gewerbeteils mit den Appartements zu den Klägern hin nicht über Fenster; diese sind vielmehr nach Westen hin ausgerichtet. Der dem klägerischen Grundstück zugewandte Grundstücksstreifen auf dem Grundstück der Beigeladenen soll auch nicht genutzt, sondern lediglich begrünt werden. Das im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 Bayerische Bauordnung (BayBO) genehmigte Vorhaben hält zudem die Abstandsflächen zum klägerischen Grundstück ein; bei einer Wandhöhe des südlichen Gebäudeteils von ca. 7 m ist der Abstand zur gemeinsamen Grundstücksgrenze von ca. 8 m ausreichend für die Gewährleistung von 1 H (vgl. Art. 6 Abs. 5 BayBO). Bei Einhaltung der landesrechtlichen Abstandsflächenvorschriften ist aber im Regelfall auch dem Gebot der Rücksichtnahme Genüge getan (vgl. BVerwG, U. v. 16.1.1993 – 4 C 28.91 – BVerwGE 94, 151 – juris Rn. 21; BayVGH, B. v. 25.8.2015 – 1 CS 15.1411 – juris Rn. 3).
2. Auch im Hinblick auf von dem Vorhaben ausgehende Lärmeinwirkungen auf das Anwesen des Klägers ist ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme zu verneinen. Nach der vorliegenden schalltechnischen Untersuchung der Firma … vom 13. Juli 2015 kommt am Wohnhaus des Klägers ein Beurteilungspegel von 49,1 dB(A) tags und 34,4 dB(A) nachts an, was unter dem in der wohl vorliegenden Gemengelage zulässigen Immissionsrichtwert von 60 dB(A) tags und 45 dB(A) nachts (vgl. Nr. 6.7 TA Lärm) ebenso wie unter den in einem Dorf- oder Mischgebiet geltenden Werten (vgl. Nr. Nr. 6.1 Buchst. c TA Lärm) und auch unter dem im Hinblick auf eine möglicherweise vorhandene Vorbelastung reduzierten Immissionsrichtwert von 54 dB(A) tags und 39 dB(A) nachts (vgl. Nr. 3.2.1 a.E. TA Lärm) liegt. Entsprechend kann die unter Nr. 701.2 der Baugenehmigung enthaltene Nebenbestimmung, dass für das Wohnhaus des Klägers, das vom Landratsamt als Dorf-/Mischgebiet eingestuft wird, ein reduzierter Immissionsrichtwert von 54 dB(A) tags und 39 dB(A) nachts gilt, eingehalten werden.
3. Auch aus der mit dem Vorhaben einhergehenden Einsehbarkeit des klägerischen Grundstücks ergibt sich keine Verletzung von schutzwürdigen Rechten. Das Gebot der Rücksichtnahme bietet in bebauten Ortslagen grundsätzlich keinen Schutz vor Einsichtsmöglichkeiten (BayVGH, B. v. 23.12.2013 – 15 CS 13.1445 – juris Rn. 31).
4. Weiter kann sich der Kläger nicht mit Erfolg auf Vertrauensschutzgesichtspunkte berufen. Er konnte nicht in schutzwürdiger Weise darauf vertrauen, dass die Beigeladene ein Baurecht auf ihrem Grundstück nicht oder nicht in der geschehenen Art und Weise ausnutzen würde. Die fehlende Bebauung des Nachbargrundstücks stellt eine bloße Chance dar, die baurechtlich nicht geschützt ist.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da die Beigeladenen einen eigenen Sachantrag gestellt und sich daher einem Kostenrisiko ausgesetzt haben, entspricht es billigem Ermessen, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten von dem Kläger erstattet erhält, § 154 Abs. 3 i. V. m. § 162 Abs. 3 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 12.500,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG – i. V. m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.