Baurecht

Baugenehmigung für Mehrfamilienwohnhaus mit Tiefgarage

Aktenzeichen  M 8 K 16.5131

Datum:
29.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 31 Abs. 2
BayBO BayBO Art. 59, Art. 63 Abs. 1, Art. 68 Abs. 4
GaStellV GaStellV § 3 Abs. 1

 

Leitsatz

Die Bindungswirkung eines Bauvorbescheids kann nicht mehr angenommen werden, wenn sich das im Baugenehmigungsverfahren behandelte Vorhaben aufgrund nachträglich eingereichter Unterlagen gar nicht mehr auf das ursprünglich mittels Vorbescheid bereits ausschnittsweise beurteilte Vorhaben bezieht, sondern von diesem abweicht. Die Bindung erstreckt sich nur auf Vorhaben, die inhaltlich dem Vorbescheid vollständig entsprechen oder von diesem ohne Veränderung der Grundkonzeption allenfalls geringfügig abweichen. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vorläufig vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet und hat daher keinen Erfolg. Die streitgegenständliche Baugenehmigung vom 24. Oktober 2016 verletzt die Klägerin nicht in ihren nachbarschützenden Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
I.
Die Klage ist zulässig. Ihr fehlt insbesondere nicht das Rechtsschutzbedürfnis, da die Bestandskraft des Vorbescheids vom 19. Mai 2014 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 24. November 2014 (1.) und der Baugenehmigung vom 29. Januar 2016 (2.) der Klage gegen die Baugenehmigung vom 24. Oktober 2016 nicht entgegen steht. Die Versetzung der Zufahrt zur Bestandstiefgarage ist aber nicht Gegenstand der Klage (3.).
1. Der bestandskräftige Vorbescheid vom 19. Mai 2014 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 24. November 2014 steht der Klage nicht entgegen. Die in der Sache von einem Dritten gegen eine Baugenehmigung, die einem diesem gegenüber bestandskräftig gewordenen Vorbescheid nachfolgt, erhobene Klage ist nicht unzulässig; die Bindungswirkung des Vorbescheids ist eine Frage der Begründetheit der Klage (BVerwG, U.v. 17.3.1989 – 4 C-14/85 – juris Rn. 15; Decker in: Simon/Busse, BayBO, Stand: Januar 2017, Art. 71 Rn. 98). Selbst wenn dem Vorbescheid Bildungswirkung im Hinblick auf die streitgegenständliche Baugenehmigung zukäme (hierzu sogleich unter II.2.), wäre die Klage der Klägerin somit nicht unzulässig.
2. Die bestandkräftige Baugenehmigung vom 29. Januar 2016 – Eintritt der Bestandskraft durch die unterbliebene Anfechtung dieser Baugenehmigung (vgl. § 74 Abs. 1 VwGO) – steht der Klage nicht entgegen, da das vorliegende Bauvorhaben und das im Bescheid vom 29. Januar 2016 genehmigte Vorhaben nicht übereinstimmen, sodass sich die Bestandskraft nicht auch auf die streitgegenständliche Baugenehmigung erstrecken kann. Der Neubau eines Mehrfamilienhauses mit eigener Tiefgarage ist nicht von der Verschiebung der Tiefgaragenzufahrt zur Bestandstiefgarage umfasst.
3. Der Zulässigkeit der Klage gegen die streitgegenständliche Baugenehmigung stehen daher die früheren bauaufsichtlichen Zulassungen nicht entgegen, sodass das streitgegenständliche Vorhaben in zulässiger Weise auf Nachbarrechtsverletzungen hin überprüft werden kann.
Anders als die Klägerin jedoch meint, sind der Abriss und der Neubau – die Versetzung – der Zufahrt zur Bestandstiefgarage nicht Gegenstand der streitgegenständlichen Baugenehmigung. Dies ergibt sich nicht nur aus der explizit hierfür erteilten Baugenehmigung vom 29. Januar 2016, sondern auch aus den Bauvorlagen der streitgegenständlichen Baugenehmigung. In den Plänen wird ausdrücklich und mehrfach darauf hingewiesen, dass der Abriss kein Gegenstand der Baugenehmigung ist und dass sich dieser allein nach dem Bauantrag vom 20. August 2015, genehmigt mit Bescheid vom 29. Januar 2016, richtet. Mögliche Rechtsverletzungen der Klägerin durch die Versetzung der Zufahrt zur Bestandstiefgarage können im diesem Verfahren daher nicht berücksichtigt werden.
II.
Die Klage ist aber unbegründet, da die streitgegenständliche Baugenehmigung vom 24. Oktober 2016 die Klägerin nicht in ihren nachbarschützenden Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Dabei ist zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung zudem nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und die Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (BayVGH, a.a.O.). Verstößt ein Vorhaben gegen eine drittschützende Vorschrift, die im Baugenehmigungsverfahren aber nicht zu prüfen war, trifft die Baugenehmigung insoweit keine Regelung und der Nachbar ist darauf zu verweisen, Rechtsschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Ausführung des Vorhabens zu suchen (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.1997 – 4 B 244/96 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 14.10.2008 – 2 CS 08/2132 – juris Rn. 3).
Das mit der streitgegenständlichen Baugenehmigung zugelassene Vorhaben verstößt weder in bauplanungsrechtlicher noch in bauordnungsrechtlicher Hinsicht gegen drittschützende Rechte der Klägerin, die im unstreitig durchzuführenden vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO zu prüfen sind.
2. Vorab ist festzustellen, dass dem bestandskräftigen Vorbescheid vom 19. Mai 2014 keine Bindungswirkung für die streitgegenständliche Baugenehmigung zukommt, da sich die jeweiligen Bauvorhaben erheblich voneinander unterscheiden.
2.1. Der sachliche Umfang der Bindungswirkung eines Vorbescheids ergibt sich aus den im Vorbescheidsantrag gestellten Fragen. Die im Vorbescheidsverfahren gestellten und entschiedenen Fragen können jedoch nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Die dortige Prüfung bezog sich auf ein bestimmtes Vorhaben und die dem Vorbescheidsantrag zu Grunde liegenden Planzeichnungen (vgl. Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand: Januar 2017, Art. 71 Rn.103). Die Bindungswirkung kann nicht mehr angenommen werden, wenn sich das im Baugenehmigungsverfahren behandelte Vorhaben aufgrund nachträglich eingereichter Unterlagen gar nicht mehr auf das ursprünglich mittels Vorbescheid bereits ausschnittsweise beurteilte Vorhaben bezieht, sondern von diesem abweicht. Die Bindung erstreckt sich nur auf Vorhaben, die inhaltlich dem Vorbescheid vollständig entsprechen oder von diesem ohne Veränderung der Grundkonzeption allenfalls geringfügig abweichen. Das Vorhaben darf mithin nicht derart verändert werden, dass wegen dieser Änderung die Genehmigungsfrage in bodenrechtlicher und/oder bauordnungsrechtlicher Hinsicht erneut aufgeworfen wird. Wird das Vorhaben derart verändert, dass es in rechtserheblicher Weise von den entschiedenen Punkten abweicht und die Genehmigungsfrage neu aufwirft, entfällt die Bindungswirkung des Vorbescheids (vgl. BayVGH, B.v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris Rn. 7 f.).
2.2. Unter Anwendung dieser Grundsätze entspricht das streitgegenständliche Vorhaben nicht dem Vorbescheidsvorhaben und weicht mehr als nur geringfügig hiervon ab. Während das Vorbescheidsvorhaben eine mit der Bestandstiefgarage verbundene Tiefgarage vorsieht, liegt beim streitgegenständlichen Vorhaben keine Verbindung mehr vor; es handelt sich vielmehr um eine völlig eigenständige Tiefgarage. In Folge dessen weist das streitgegenständliche Bauvorhaben an der nördlichen Grundstücksgrenze eine eigene Tiefgaragenzufahrt auf, die im Vorbescheidsverfahren fehlt. Auch die geplanten Mehrfamilienhäuser unterscheiden sich deutlich. So soll zum Beispiel das streitgegenständliche Vorhabengebäude parallel zur westlichen Grundstücksgrenze errichtet werden, wohingegen im Vorbescheidsvorhaben eine solche Lage nicht geplant ist. Zudem unterscheiden sich die Kubaturen der geplanten obersten Geschosse (Staffelgeschoss/Dachgeschoss) erheblich.
Aufgrund dessen wird die Genehmigungsfrage in bauplanungs- und bauordnungsrechtlicher Hinsicht neu aufgeworfen.
3. Die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich vorliegend nach § 30 Abs. 1 BauGB. Danach ist ein Vorhaben im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der allein oder gemeinsam mit sonstigen baurechtlichen Vorschriften mindestens Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen enthält, zulässig, wenn es diesen Festsetzungen nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist.
Einen solchen qualifizierten Bebauungsplan stellt der Bebauungsplan Nr. …, in welchem das streitgegenständliche Grundstück situiert ist, dar, da er ein reines Wohngebiet festsetzt und unter anderem Festsetzungen zu Geschossflächenzahl, Baugrenzen und örtlichen Verkehrsflächen enthält (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 11 BauGB i.V.m. §§ 3, 16 Abs. 2 Nr. 2, 23 Abs. 1, Abs. 3 BaunutzungsverordnungBauNVO).
3.1. Das Vorhaben widerspricht insbesondere hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht den Festsetzungen des Bebauungsplans, da das geplante Mehrfamilienhaus als Wohngebäude genutzt werden soll, was im reinen Wohngebiet allgemein zulässig ist (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO). Die Erschließung ist gesichert.
3.2. Soweit das Bauvorhaben den Festsetzungen des Bebauungsplans widerspricht, hat die Beklagte der Beigeladenen Befreiungen erteilt. Diese verletzen die Klägerin jedoch nicht in ihren eigenen Rechten.
3.2.1. Hinsichtlich des Nachbarschutzes im Rahmen des § 31 Abs. 2 BauGB ist danach zu unterscheiden, ob von drittschützenden Festsetzungen eines Bebauungsplans befreit wird oder von nicht drittschützenden Festsetzungen. Weicht ein Bauvorhaben von drittschützenden Festsetzungen eines Bebauungsplans ab, so hat der Dritte einen Rechtsanspruch auf Einhaltung der jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB (vgl. grundlegend BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64/98 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 26.2.2014 – 2 ZB 14.101 – juris Rn. 3). Bei einer Befreiung von nicht drittschützenden Festsetzungen kann der Nachbar lediglich eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme geltend machen. Alle übrigen denkbaren Fehler einer Befreiung machen diese und die auf ihr beruhende Baugenehmigung dann zwar objektiv rechtswidrig, vermitteln dem Nachbarn aber keinen Abwehranspruch, weil seine eigenen Rechte nicht berührt werden (vgl. BVerwG, B.v. 8.7.1998 a.a.O.; BayVGH, B.v. 26.2.2014 a.a.O.; BayVGH, B. v. 29.8.2014 – 15 CS 14.615 – juris Rn. 22).
3.2.2. Die Befreiungen wegen Überschreitung der festgesetzten Bauräume, wegen Überschreitung der festgesetzten Geschossflächenzahl, wegen Errichtung des Vorhabens anstatt der festgesetzten Kfz-Stellplätze und wegen Verlegung der festgesetzten Lage der Tiefgaragenzufahrt betreffen keine drittschützenden Festsetzungen.
3.2.2.1. Ob eine Festsetzung (zumindest auch) dem Schutz der Nachbarn dienen soll, ist durch Auslegung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung im konkreten Einzelfall zu ermitteln (BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 29.8.2014 – 15 CS 14.615 – juris Rn. 25), wobei sich ein entsprechender Wille aus dem Bebauungsplan selbst, aus seiner Begründung oder auch aus sonstigen Vorgängen im Zusammenhang mit der Planaufstellung ergeben kann (BayVGH, B.v. 29.7.2014 – 9 CS 14.1171 – juris Rn. 15; Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: Februar 2017, § 23 BauNVO Rn. 55 ff.). Letztlich ausschlaggebend ist eine wertende Beurteilung des Festsetzungszusammenhangs (BayVGH, B.v. 29.7.2014 – 9 CS 14.1171 – juris Rn. 15 m.w.N.).
3.2.2.2. Festsetzungen hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche (Baulinien, Baugrenzen, Bebauungstiefen) haben nicht schon kraft Gesetzes eine nachbarschützende Funktion und vermitteln einen weitergehenden – über das Rücksichtnahmegebot hinausgehenden – Drittschutz daher nur dann, wenn sie nach dem Planungswillen der Gemeinde ausnahmsweise diese Funktion haben sollen (vgl. BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64/98 – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 21.11.2008 – 15 CS 08.2683 – juris Rn. 8).
Vorliegend ist nichts dafür ersichtlich, dass die Festsetzung des Bauraums durch Baugrenzen ausnahmsweise Drittschutz vermitteln soll. Entgegen der Ansicht der Klägerin kann insbesondere aus der Begründung des Bebauungsplans, die für das Plangebiet von „zusammenhängende[n] Freiflächen, die […] zur Hebung des Wohnkomforts begrünt werden sollen“ ausgeht, nichts Gegenteiliges geschlossen werden. Denn hierbei handelt es sich um rein städtebauliche Erwägungen; Nachbarinteressen werden nicht erwähnt. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass auf dem streitgegenständlichen Grundstück auch bisher schon mit dem vorhandenen Parkplatz der Boden im Einklang mit dem Bebauungsplan versiegelt ist und gerade keine begrünte Freifläche besteht.
3.2.2.3. Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung vermitteln ebenfalls nur ausnahmsweise Drittschutz gegenüber Nachbarn, wenn sie nach dem Willen der Gemeinde als Planungsträgerin diese Funktion haben sollen (vgl. BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215.95 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 29.8.2006 – 15 CS 06.1943 – juris Rn. 12; B.v. 29.8.2014 – 15 CS 14.615 – juris Rn. 24 ff.; BayVGH, B.v. 12.7.2016 – 15 ZB 14.1108 – juris Rn. 11). Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung im konkreten Einzelfall zu ermitteln (vgl. BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215.95 – juris Rn. 3).
Vorliegend ist nichts dafür ersichtlich und vorgetragen, dass die Geschossflächenzahl Drittschutz vermitteln soll.
3.2.2.4. Auch die Festsetzung von Kfz-Stellplätzen und Tiefgaragenzufahrten sind nicht drittschützend (vgl. BayVGH, B.v. 14.6.2016 – 2 CS 16.836 – juris Rn. 5; B.v. 13.8.2003 – 15 CS 03.1646 – juris 19). Hierfür ergeben sich vorliegend keine Anhaltspunkte und es ist nichts dafür vorgetragen, dass die Festsetzungen Drittschutz vermitteln sollen.
3.2.3. Das Vorhaben verletzt schließlich auch nicht das drittschützende Gebot der Rücksichtnahme.
3.2.3.1. Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlichen von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist, an (vgl. BVerwG, U. v. 18.11.2004 – 4 C 1.04 – juris Rn. 22; U. v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – juris Rn. 16; BayVGH, B. v. 12.09.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4). Bedeutsam ist ferner, inwieweit derjenige, der sich gegen das Vorhaben wendet, eine rechtlich geschützte wehrfähige Position inne hat (vgl. BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215/96 – juris Rn. 9).
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U .v. 13.3.1981 – 4 C-1/78 – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zum 2,5-geschossigen Nachbarwohnhaus; U. v. 23.5.1986 – 4 C-34/85 – juris Rn. 15: Drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen; BayVGH, B. v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris Rn. 23; B .v. 5.7.2011 – 14 CS 11.814 – juris Rn. 21; BayVGH, B. v. 9.2.2015 – 2 CS 15.17 n.v.). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung sind unter anderem die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (vgl. BayVGH, U.v. 4.5.2017 – 2 B 16.2432 – juris Rn. 30; B. v. 19.03.2015 – 9 CS 14.2441 – juris Rn. 31; B. v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12 m.w.N.). Für die Annahme der „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung eines Nachbargebäudes ist somit grundsätzlich kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes, was insbesondere gilt, wenn die Gebäude im dicht bebauten innerstädtischen Bereich liegen (BayVGH, B. v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris Rn. 5; B. v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 9; BayVGH B. v. 9.2.2015 – 2 CS 15.17 n.v).
3.2.3.2. Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme zu verneinen. Das streitgegenständliche Vorhaben ist der Klägerin zumutbar. Dies gilt insbesondere deshalb, weil das klägerische Gebäude mit seinen sechs Geschossen deutlich höher ist als das geplante Gebäude der Beigeladenen. Auch vom Volumen her stellt sich das Vorhabengebäude als deutlich kleiner dar als das Gebäude der Klägerin. Angesichts dessen liegt keine „abriegelnde“ bzw. „erdrückende“ Wirkung vor.
4. Auch die erteilte Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO wegen Überschreitung der maximal zulässigen Rampenneigung nach § 3 Abs. 1 Garagen- und Stellplatzverordnung (GaStellV) verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Eine Abweichung kann nur zugelassen werden, wenn sie „unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange“ mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Damit verlangt das Gesetz eine Abwägung zwischen den für das Vorhaben sprechenden Gründen und den Belangen des Nachbarn. Werden die nachbarlichen Belange nicht mit dem ihnen zukommenden Gewicht berücksichtigt, wird der Nachbar auch dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Vorschrift, von der die Abweichung zugelassen wird, nicht dem Nachbarschutz dient. Bei der Zulassung einer Abweichung von nachbarschützenden Vorschriften, wie den Abstandsflächenvorschriften, kann der Nachbar hingegen nicht nur eine ausreichende Berücksichtigung seiner Interessen beanspruchen. Er ist auch dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Abweichung aus einem anderen Grund, etwa weil sie nicht mit im konkreten Fall zu erwägenden öffentlichen Belangen zu vereinbaren ist, (objektiv) rechtswidrig ist (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2011 – 2 CS 11.1902 – juris Rn. 4 m.w.N.).
Dies zugrunde gelegt, wird die Klägerin durch die Abweichung nicht in ihren Rechten verletzt. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sich eine relevante Nachbarrechtsverletzung durch Änderung der Rampenneigung ergeben könnte.
5. Mit ihrer Argumentation, die zivilrechtliche Eigentumssituation hinsichtlich der Bestandstiefgarage sei für das verwaltungsgerichtliche Verfahren von Bedeutung, kann die Klägerin ebenfalls nicht durchdringen.
5.1. Die Baugenehmigung wird unbeschadet der privaten Rechte Dritter erteilt, Art. 68 Abs. 4 BayBO. Daher begründet ein privates Recht grundsätzlich auch kein Abwehrrecht des Nachbarn gegen die Baugenehmigung, sondern muss vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden (vgl. BayVGH, B.v. 1.6.2016 – 15 CS 16.789 – juris Rn. 19 m.w.N.). Auch der vorliegende Streit zwischen der Klägerin und der Beigeladenen über das Miteigentum an der Bestandstiefgarage und diesbezüglicher Nutzungsrechte der Klägerin stellt eine Frage des privaten Rechts dar, die ggf. im Zivilrechtsweg einer Klärung zugeführt werden muss (vgl. auch BayVGH, B.v. 14.9.2016 – 1 CS 16.1436 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 6.2.2017 – 15 ZB 16.398 – juris Rn. 19).
5.2. Aus der von der Klägerin zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. März 1976 (IV C 7.74 – juris) folgt nichts anderes. Es ist allgemein anerkannt, dass zur Begründung einer Nachbarrechtsverletzung durch eine erteilte Baugenehmigung im Regelfall nicht allein auf das Eigentumsgrundrecht zurückgegriffen werden kann, weil der Gesetzgeber in Ausfüllung seines legislatorischen Gestaltungsspielraums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz – GG) nachbarliche Abwehrrechte im Baurecht verfassungskonform ausgestaltet und insofern unter Einschluss der Grundsätze des nachbarschützenden Rücksichtnahmegebots ein geschlossenes System des nachbarlichen Drittschutzes bereitgestellt hat (ständige Rechtsprechung, vgl. insbesondere BVerwG, U.v. 26.9.1991 – 4 C 5.87 –juris Rn. 40; U.v. 23.8.1996 – 4 C 13.94 –juris Rn. 40 ff.; U.v. 7.11.1997 – 4 C 7.97 –juris Rn. 20 f.). Ausnahmen anerkennt die Rechtsprechung – und so auch bereits das Bundesverwaltungsgericht in der von der Klägerin zitierten Entscheidung – nur in Fallgestaltungen, in denen das genehmigte Bauvorhaben eine praktisch unmittelbar gegenständliche Inanspruchnahme des Nachbargrundstückes zur Folge hat. Einem Nachbarn kann daher ein Abwehrrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG gegenüber einer Baugenehmigung ausnahmsweise dann zustehen, wenn deren Umsetzung infolge des Fehlens der wegemäßigen Erschließung des Baugrundstücks zur Begründung oder Ausweitung eines Notwegerechts nach § 917 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) an seinem Grundstück führt und damit gleichsam im Wege einer „Automatik“ eine unmittelbare Verschlechterung seiner Eigentumsrechte bewirkt, ohne dass ihm im Übrigen hiergegen ein sonstiger effektiver Rechtsschutz zur Verfügung steht, weil die Baugenehmigung nach Bestandskraft auch für die Zivilgerichte bindende Wirkung entfaltet (vgl. BayVGH, B.v. 1.6.2016 – 15 CS 16.789 – juris Rn. 16 m.w.N.; B.v. 6.2.2017 – 15 ZB 16.398 – juris Rn. 67).
Eine solche Situation ist hier nicht gegeben. Ein Notwegerecht hat die Klägerin nicht geltend gemacht. Zudem könnte ein solches Notwegerecht – wenn überhaupt – ohnehin nur hinsichtlich der Bestandstiefgarage bestehen. Inwieweit das klägerische Eigentumsrecht durch das streitgegenständliche Vorhaben – der Abriss der Zufahrt zur Bestandstiefgarage ist kein Teil hiervon – beeinträchtigt wird, hat die Klägerin nicht vorgetragen; eine solche Rechtsverletzung liegt offenkundig auch nicht vor. Die Bestandstiefgarage und die Tiefgarage des streitgegenständlichen Vorhabens sind nicht miteinander verbunden und voneinander unabhängig nutzbar (vgl. dazu bereits oben I.3.).
III.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Es entspricht der Billigkeit, auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen der Klägerin gemäß § 162 Abs. 3 VwGO aufzuerlegen, da die Beigeladene einen Antrag gestellt und sich somit selbst einem Kostenrisiko gemäß § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung er-folgt gemäß § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).

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