Baurecht

Baugenehmigung für Werbeanlagen Bahnunterführung

Aktenzeichen  M 1 K 18.1095

Datum:
19.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 62067
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 16 Abs. 2,Art. 59 S. 1 Nr. 3, Art. 81 Abs. 1, Art. 91 Abs. 1 Nr. 2
GO Art. 26 Abs. 2
BayStrWG Art. 23 Abs. 2 S. 2, Art. 24 Abs. 1 u. Abs. 3
VwZVG Art. 4 Abs. 1 u. 2 S. 2
VwGO § 57, § 74 Abs. 1 S. 1, § 113 Abs. 5 S. 1, § 124, § 124 a Abs. 4, § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3, § 167
ZPO § 222 Abs. 1, § 708 f.
BGB § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2
BayVwVfG Art. 43 Abs. 1
BauGB § 34 Abs. 1
FStrG § 9
GKG § 52 Abs. 1
RDGEG § 3, § 5

 

Leitsatz

Anlagen zur Außenwerbung gehören seit langem zum Straßenbild und stellen regelmäßig keine Störungs- und Ablenkungsquellen dar, da sie den Verkehrsteilnehmern vertraut sind (vgl. BayVGH, U.v. 22.8.2001 – 2 B 01.74) (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die am 6. März 2018 bei Gericht eingegangene Klage ist fristgerecht erhoben worden. Gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO muss die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden. Die Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids erfolgte hier mittels Zustellung durch Einschreiben, Art. 43 Abs. 1 BayVwVfG, Art. 4 Abs. 1 VwZVG. Gemäß Art. 4 Abs. 2 Satz 2 VwZVG gilt ein Dokument, sofern – wie hier – kein Rückschein vorhanden ist, am dritten Tag nach Aufgabe zur Post als zugestellt, es sei denn, dass es nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Hier ist der Bescheid am 1. Februar 2018 zur Post aufgegeben worden und würde daher als am 4. Februar 2018 zugestellt gelten. Nach dem Vortrag der Klagepartei und dem auf dem Bescheid aufgebrachten Eingangsstempel erfolgte der tatsächliche Zugang jedoch erst später, und zwar am 6. Februar 2018. Da das Landratsamt einen früheren Zugang nicht nachgewiesen hat (vgl. Art. 4 Abs. 2 Satz 3 VwZVG), ist auf den 6. Februar 2018 als maßgeblichen Zugangszeitpunkt abzustellen. Die Frist begann somit am 7. Februar 2018 zu laufen und endete am 6. März 2018 (§ 57 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB), sodass die am Tag des Fristendes bei Gericht eingegangene Klage fristgerecht erhoben worden ist.
Die Klage ist jedoch unbegründet, weil der Ablehnungsbescheid nicht rechtswidrig ist und die Klägerin dadurch nicht in ihren Rechten verletzt wird. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung für die Errichtung von Werbeanlagen auf der Südseite der Unterführung auf dem Grundstück FlNr. 7…/43 Gem. … (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der Baugenehmigung für die Errichtung der Werbeanlagen stehen zwar keine örtlichen Bauvorschriften nach Art. 81 Abs. 1 BayBO entgegen, die im hier zutreffend gewählten vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c) BayBO zu prüfen sind. Der Baugenehmigung steht jedoch das straßen-rechtliche Anbauverbot nach Art. 24 Abs. 1, Abs. 3 Art. 23 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG entgegen; ferner steht der Genehmigung Art. 14 Abs. 2 BayBO entgegen, wonach bauliche Anlagen die Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs nicht gefährden dürfen.
1. Bauplanungsrechtlich dürfte das Vorhaben zulässig sein. Der geplante Standort der Werbeanlagen liegt im unbeplanten Innenbereich. Die Beurteilung der näheren Umgebung als Gemengelage, so wie vom Beklagten angenommen, wurde durch die Erkenntnisse beim Augenschein nicht erschüttert. Das Vorhaben würde sich insbesondere nach der Art und dem Maß in die nähere Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB wohl einfügen.
2. Örtliche Bauvorschriften stehen dem Vorhaben nicht entgehen.
Im Hinblick auf die Werbeanlagensatzung der Beigeladenen vom 5. Dezember 2018 folgt dies daraus, dass das Vorhaben nicht im maßgeblichen Geltungsbereich der Altstadt liegt.
Die „Satzung als örtliche Bauvorschriften über das Verbot der Errichtung von großflächigen Plakatanschlagtafel im Bereich des Stadtgebietes … … gem. Art. 91 Abs. 1 Nr. 2 BayBO“ vom 1. Dezember 1998 in der Fassung der Änderungssatzungen vom 10. August 2000 und 4. Juli 2001 steht dem Vorhaben ebensowenig entgegen. Zwar handelt es sich bei dem Vorhaben um großflächige Werbeanlagen im Sinne von § 2 Abs. 1 der Satzung, die nur an den in der Satzung i.V.m. der Anlage zugelassenen Standorten zulässig sind (§ 4 Abs. 1 der Satzung) und zu denen das hier in Rede stehende Baugrundstück nicht gehört. Die Satzung ist jedoch formell und materiell rechtswidrig und damit nichtig. Sie kann für die Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens daher nicht herangezogen werden.
a) Die Werbeanlagensatzung, die auf der Grundlage von Art. 91 Abs. 1 Nr. 2 BayBO in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. August 1997 beschlossen wurde, ist wegen eines Ausfertigungsmangels nichtig. Die Unterschrift des Bürgermeisters nur unter dem Satzungstext und nicht auch unter der Anlage genügt nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Ausfertigung. Es liegen keine sonstigen Umstände vor, die jeden Zweifel an der Zugehörigkeit der Anlage zu der beschlossenen Satzung ausschließen; auch ist keine Heilung des Ausfertigungsmangels eingetreten.
Gemäß Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO sind Satzungen und damit auch örtliche Bauvorschriften auszufertigen. Die Ausfertigung ist dabei ein Teil des Rechtsetzungsverfahrens und hat eine doppelte Funktion: Zum einen soll sie mit öffentlich-rechtlicher Wirkung bezeugen, dass die zeichnerische und die textliche Fassung der Rechtsvorschrift mit dem Willen des Rechtsetzungsberechtigten übereinstimmt („Authentizität“); durch die Ausfertigung entsteht die Originalurkunde. Zum anderen soll sie die Einhaltung des für die Normgebung gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrens („Legalität“) bezeugen (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 25.2.2014 – 1 ZB 12.353 – juris Rn. 4; B.v. 4.7.2017 – 2 NE 17.989 – juris Rn. 17). Zu diesem Zweck hat das dafür zuständige Organ den beschlossenen Normtext unter Angabe des Datums handschriftlich zu unterschreiben. Nur durch die so geschaffene Originalurkunde wird erreicht, dass die Rechtswirkungen mit der nachfolgenden Bekanntmachung eintreten können (Decker in Simon/Busse/Decker, 134. EL August 2019, BayBO Art. 81 Rn. 55 ff.).
Besteht eine Satzung aus einem Textteil und einer oder mehreren zeichnerischen Darstellungen, müssen diese entweder körperlich untrennbar miteinander verbunden sein, oder es sind grundsätzlich alle Teile gesondert auszufertigen. Die Ausfertigung allein des Textteils oder allein der zeichnerischen Darstellungen genügt nur dann, wenn durch eindeutige Angaben oder auf andere Weise jeder Zweifel an der Zugehörigkeit aller Planteile zu der beschlossenen Satzung ausgeschlossen wird. Die Rechtsprechung fordert bei Bebauungsplänen, dass Textteil und zeichnerische Darstellungen für eine ordnungsgemäße Ausfertigung am Maßstab von Art. 26 Abs. 2 GO durch eine Art „gedanklicher Schnur“ untereinander derart verknüpft sein müssen, dass Zweifel vorgenannter Art ausgeschlossen sind (vgl. etwa BayVGH, B.v. 28.2.2008 – 1 NE 07.2946 – juris Rn. 36; U.v. 5.2.2009 – 1 N 07.2713 u. a. – juris Rn. 37; U.v. 28.4.2017 – 15 N 15.967 – juris Rn. 38 m. w. N.). Diese Grundsätze gelten auch allgemein, wenn eine Satzung – wie hier – aus mehreren Teilen besteht, die nicht auf einem Blatt zusammengefasst sind (vgl. Decker in Simon/Busse/Decker, 134. EL August 2019, BayBO Art. 81 Rn. 57).
Diesen Anforderungen wird die Satzung nicht gerecht. Dies ergibt sich aus dem – teil-weise nur noch in Kopie erhaltenden – Normaufstellungsakt der Beigeladenen. Die Unterschrift des Bürgermeisters befindet sich ausschließlich auf dem Textteil der Satzung. Die Anlage mit dem Verzeichnis der zugelassenen Standorte für Werbeanlagen, die wesentlicher Bestandteil der Satzung ist (vgl. § 4 Abs. 1 Satzung), ist nicht unterschrieben. Die Satzung ist mit der Anlage weder körperlich verbunden, noch ist im ausgefertigten Teil mit hinreichender Bestimmtheit auf die Einzelblätter der Anlage Bezug genommen oder auf andere Weise jeder Zweifel an der Zugehörigkeit der nicht gesondert ausgefertigten Teile zur Satzung ausgeschlossen. Vielmehr fehlt es bereits an einer einheitlichen Terminologie. In § 4 Abs. 1 der Satzung ist die Rede von einer „Liste“. Das gesonderte Blatt, auf dem die Standorte aufgezählt werden, ist als „Anlage“ bezeichnet. Auch wird auf diesem Blatt die Satzung nicht erwähnt.
Zwar kann auch die Unterzeichnung des für die Ausfertigung zuständigen Gemeindeorgans auf dem Auszug aus der Sitzungsniederschrift über den Satzungsbeschluss ausreichen, sofern in der Niederschrift die Bestandteile der Satzung in einer Weise bezeichnet sind, dass Zweifel an der Identität der Satzung nicht gegeben sind (vgl. BayVGH, U. v. 22.10.2007 – 26 N 06.2031 – juris Rn. 21); jedoch liegen auch diese Voraussetzungen nicht vor. Ebensowenig ist eine Heilung durch die Ausfertigungen der nachfolgenden Änderungssatzungen eingetreten. Durch die nachfolgenden Änderungen wurden neue Standorte geschaffen und insoweit die Anlage zur Satzung geändert. Jedoch liegt diesen Änderungssatzungen keine konsolidierte Fassung der Anlage mit allen Standorten, also unter Einschluss der alten Standorte vor, die ausgefertigt worden wäre.
b) Die Satzung leidet ferner an materiellen Mängeln, die zu ihrer Unwirksamkeit führen.
Die Satzung gilt für das gesamte Stadtgebiet einschließlich aller nicht bebaubarer Grundstücke und Außenbereichsflächen (vgl. § 1 Satzung). Sie gilt sowohl für Eigen- als auch Fremdwerbung (§ 2 Abs. 1 Satzung) und sieht ein grundsätzliches Verbot für großflächige Werbung vor (§ 4 Abs. 1 Satzung). Nur an den in der Anlage genannten Standorten ist Werbung zulässig.
Ein generalisierender Ausschluss von Fremdwerbung durch eine Norm des Baugestaltungsrechts ist nur zulässig, um eine Beeinträchtigung des Charakters eines Baugebiets durch bestimmte, in diesem Baugebiet funktionswidrige Werbeanlagen zu verhindern (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 28.4.1972 – 4 C 11.69 – BayVBl 1973, 471) oder sonst in Bereichen, in denen dies aus ortsgestalterischen Gründen erforderlich ist (vgl. BayVerfGH, E.v. 23.1.2012 – Vf. 18-VII-09 – VerfGH 65, 1 – juris Rn. 105). Nach der o.g. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verstößt ein generelles Verbot in einer Ortssatzung, durch das die Werbung mit Großflächenwerbetafeln in Mischgebieten verboten wird, gegen Art. 14 GG. Das generalisierende Verbot bestimmter Werbeanlagen in bestimmten Baugebieten muss hiernach seine Entsprechung in einem Mindestmaß an Einheitlichkeit des Baugebietscharakters finden. Fehlt es, wie beim Mischgebiet, voraussetzungsgemäß an einer einheitlichen Funktion und damit auch an einer einheitlichen Eigentumssituation der Bauflächen, lasse sich unter dem Gesichtspunkt besonderer gestalterischer Anforderungen keine einheitliche Beantwortung der Frage erreichen, ob sich bestimmte Werbeanlagen ihrer Umgebung funktionsgerecht anpassen. Örtliche Bauvorschriften nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 2 BayBO bzw. Art. 91 Abs. 1 Nr. 2 BayBO 1997 könnten demgemäß auch Mischgebiete erfassen, es müssten aber „ortsgestalterische Gründe“ gegeben sein, die eine Beschränkung rechtfertigen können. Im Hinblick auf die von Art. 14 GG und Art. 103 BV umfasste Baufreiheit müssten diese Gründe ein bestimmtes Gewicht haben. Nach der oben genannten Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 23. Januar 2012 werden Regelungen, die die Zulässigkeit von bestimmten Werbeanlagen oder Werbeanlagen überhaupt im Hinblick auf die besondere Schutzwürdigkeit der Erhaltung des Orts- oder Landschaftsbildes von der Art des Baugebiets abhängig machen, als vertretbar angesehen. Voraussetzung ist jedoch hiernach, dass je nach den Gegebenheiten des jeweiligen Gemeindebereichs und dem damit verbundenen Schutzzweck unterschiedliche Anforderungen an die Zulässigkeit von Werbeanlagen gestellt werden und nach diesen Schutzmaßstäben abgestuft wird. Eine generalisierende Regelung für Werbeanlagen setzt die Homogenität des zu schützenden Bereichs voraus, was bedeutet, dass grundsätzlich bei Erlass einer Werbeanlagensatzung die Schutzbedürftigkeit des betroffenen Gebiets durch den Satzungsgeber sorgfältig abzuwägen ist und im Zweifel nach Baugebieten, Bauquartieren und unter Umständen noch weitergehend, etwa nach Straßenzügen, ab-zustufen ist.
Diesen Anforderungen entspricht die Satzung der Beigeladenen nicht. Sie beschränkt sich auf die reine Aufzählung zulässiger Standorte, gegliedert nach den die Werbung aufstellenden Firmen. Dies legt den Schluss nahe, dass die Satzung lediglich den Bestand festschreibt, jedenfalls differenziert sie in keiner Weise im Sinne der o.g. Rechtsprechung etwa zwischen Gebietsprägungen und nach schützenswerten Bereichen im großräumigen und als heterogen einzuschätzenden Stadtgebiet.
3. Der Erteilung der Genehmigung steht jedoch das straßenrechtliche Anbauverbot nach Art. 24 Abs. 1 BayStrWG, Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO entgegen.
a) Ob es sich bei den Regelungen zu den Anbauverboten nach Art. 23, 24 Bay-StrWG um solche des sog. „aufgedrängten öffentlichen Rechts“ i.S.v. Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO handelt und ob diese damit zum Prüfprogramm im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren gehören, ist umstritten. Im Hinblick auf § 9 FStrG verneint dies der 14. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 17.11.2008 – 14 B 06.3096 – juris Rn. 18; zum Streitstand und in kritischer Auseinandersetzung: VG Würzburg, U.v. 9.8.2011 – W 4 K 10.1140 – juris Rn. 35 ff.). Im Verhältnis zu den Anbauverbotsregelungen nach dem Bayerischen Straßen- und Wegegesetz lässt die überwiegende untergerichtliche Rechtsprechung die Frage unentschieden angesichts der Möglichkeit, bei entgegenstehendem Straßenrecht jedenfalls das Sachbescheidungsinteresse des Bauwerbers gemäß Art. 68 Abs. 1 Halbsatz 2 BayBO zu verneinen. Sowohl der 25. als auch der 9. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bejahen hingegen die Zugehörigkeit der Anbauverbote nach dem BayStrWG zum Prüfprogramm des Baugenehmigungsverfahrens (vgl. BayVGH, U.v. 20.11.2001 – 25 B 99.522 – juris Rn. 18; BayVGH, U.v. 28.6.2018 – 9 B 13.2616 – juris Rn. 34, 38; so auch Robl in BeckOK BauordnungsR Bayern, Stand: 1.9.2019, Art. 55 Rn. 18; dagegen Wiget in Zeitler, BayStrWG, Stand: März 2019, Art. 23 Rn. 135 f., 77, der von zwei rechtlich selbständigen Verwaltungsakten ausgeht). Die Kammer schließt sich angesichts der explizit angeordneten Verfahrenskonzentration in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG, wonach die Entscheidung im Baugenehmigungsverfahren durchgeführt wird, der insoweit klaren Rechtsprechung des 9. und des 25. Senats des BayVGH an und hält die Anbauverbote nach dem Bayerischen Straßen- und Wegegesetz für aufgedrängtes öffentliches Recht im Sinne des Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO (vgl. U.v. 30.7.2019 – M 1 K 17.4867 – juris Rn. 37).
b) Durch die Lage der Werbetafeln im Abstand von je etwa 3,5 Metern zur Staats straße im innerörtlichen Bereich hat die Baubehörde gemäß Art. 24 Abs. 1, Abs. 3, Art. 23 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG die Straßenbaubehörde im Verfahren zu beteiligen. Nach Art. 24 Abs. 1 Satz 2 BayStrWG darf diese ihr Einvernehmen zur Errichtung baulicher Anlagen im Erschließungsbereich von Staatsstraßen nur verweigern, so-weit dies für die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs, besonders wegen der Sichtverhältnisse, Verkehrsgefährdung, Bebauungsabsichten und Straßenbaugestaltung erforderlich ist. Die Straßenbaubehörde hat ihr Einvernehmen hier zu Recht verweigert.
Das straßenrechtliche Anbauverbot geht nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs über das Ziel hinaus, eine im Einzelfall bestehende gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Hiernach kommt es nicht allein darauf an, ob Gefahren oder Schäden für die Verkehrsteilnehmer eintreten könnten; geschützt werden soll auch ein normaler Verkehrsablauf, ohne dass die Wahrscheinlichkeit von Verkehrsunfällen bestehen muss. Maßstab ist also, ob eine abstrakte Gefährlichkeit gegeben ist. Anders als Art. 14 Abs. 2 BayBO fordert Art. 24 Abs. 1 BayStrWG keine konkrete Gefährdung des Straßenverkehrs, sondern lässt eine abstrakte Gefahr ausreichen; dabei soll der reibungslose und ungehinderte Verkehr ebenfalls sichergestellt werden (vgl. BayVGH, B.v. 25.10.2011 – 15 ZB 10.2590 – juris Rn. 3 zu § 9 FStrG m.w.N.; VG München, U.v. 26.4.2017 – M 9 K 16.1946 – juris Rn. 40).
Es muss im Einzelfall festgestellt werden, ob und in welcher Weise das Bauvorhaben nach seiner Lage, Größe, Art, Ausgestaltung und Benutzung nach den verkehrstechnischen Erfahrungen geeignet ist, die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs zu stören oder den Verkehrsablauf zu beeinträchtigen. Diese Beurteilung richtet sich nach den örtlichen Verkehrsverhältnissen, bei denen insbesondere der Zustand der Straße, die Sichtverhältnisse und die Verkehrsdichte zu berücksichtigen sind, und stellt auf den durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer ab. Die Anbauvorschrift ermächtigt nicht erst dann zum Verbot eines Bauvorhabens oder zu Nebenbestimmungen im Interesse der Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs, wenn das Vorhaben die Wahrscheinlichkeit von Verkehrsgefahren oder von Verkehrsbeeinträchtigungen begründen würde. Die Vorschrift verlangt zwar die erkennbare, in konkreten Ursachen bestehende Möglichkeit, nicht aber die unbedingte Gewissheit, dass das Bauvorhaben den Verkehrsablauf auf der Straße beeinträchtigen oder gefährden würde (vgl. Wiget in Zeitler, BayStrWG, 29. EL März 2019, Art. 24 Rn. 47 m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass Anlagen zur Außenwerbung seit langem zum Straßenbild gehören, den Verkehrsteilnehmern deshalb vertraut sind und dementsprechend regelmäßig keine Störungs- und Ablenkungsquellen darstellen (BayVGH, U.v. 22.8.2001 – 2 B 01.74 – juris Rn. 20).
Nach diesen Maßstäben sind die streitgegenständlichen Werbeanlagen, die dem von Norden und Süden herannahenden Verkehrsteilnehmer in das Blickfeld geraten, auf Grund ihrer Ablenkungswirkung geeignet, die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, insbesondere einen ungehinderten Verkehrsablauf, zu beeinträchtigen. Dies hat die Beweisaufnahme durch Einnahme eines Augenscheins vor Ort zur Überzeugung des Gerichts ergeben.
In unmittelbarere Sichtbeziehung zu den Vorhaben befindet sich ein Kreuzungsbereich mit komplexer Verkehrsführung. Insbesondere die aus Norden kommenden Verkehrsteilnehmer sehen sich mit drei Richtungsmöglichkeiten konfrontiert (Rechtsabbieger, Linksabbieger, Geradeausfahrer), was anhand der Beschilderung und der Kennzeichnung auf der Fahrbahn ersichtlich ist. Dies führt zu Spurwechseln, die grundsätzlich ein höheres Maß an Konzentration erfordern. Als erschwerendes Moment kommt die Radwegführung hinzu, die die gleichfalls von Norden kommenden und geradeaus fahrenden oder linksabbiegenden Radfahrer noch vor der Unterführung den Radweg verlassen lässt und ihn auf die Fahrbahn leitet. Dieser Mischverkehr verlangt von den Verkehrsteilnehmern ein besonders hohes Maß an Umsicht. Ferner müssen die Verkehrsteilnehmer im Hinblick auf die vom geplanten Standort nur ca. 60 Meter entfernte Kreuzung Aufmerksamkeit walten lassen. Erschwerend für die Sichtbeziehungen ist ferner, dass die Straße zwischen Unterführung und beampelter Kreuzung leicht kurvig ist und in der Unterführung selbst eine Senke aufweist.
Zu dieser Verkehrssituation kommen erhebliche Verkehrszahlen hinzu. Nach den Verkehrszählungen weist der Unterführungsbereich eine hohe Anzahl an motorisiertem Verkehr ebenso wie an Radfahrern sowie Fußgängern auf, nicht zuletzt aufgrund der in der Nähe befindlichen Schulen; dies deckt sich im Übrigen mit dem beim Augenschein gewonnenen Eindruck einer hohen Verkehrsdichte.
Legt man nur das verkehrsregelkonforme Verhalten zugrunde, wird hier also ein besonderes Maß an Konzentration von den Verkehrsteilnehmern erwartet (vgl. BayVGH, U.v. 22.8.2001 – 2 B 01.74 – juris Rn. 20 a.E.). Dabei können die von der Beigeladenen angeführten zahlreichen „Geisterradler“, also die Radfahrer entgegen der Fahrtrichtung, außer Betracht bleiben. Wenngleich der Klägervertreter mögli-cherweise nicht zu Unrecht darauf hinweist, dass die Verkehrsführung gefährlich sei und eine mögliche Änderung Abhilfe schaffe, vermag daraus allerdings kein Anspruch hierauf oder gar auf Erteilung einer Baugenehmigung abgeleitet zu werden. Eine auch nur kurzfristige Ablenkung durch Werbung, die im Kern naturgemäß darauf ausgerichtet ist, Aufmerksamkeit zu erregen, ist in der vorgefundenen Verkehrssituation, in der die Verkehrsteilnehmer besonders gefordert sind und die mit einer generellen Gefährlichkeit einhergeht, als die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigend anzusehen.
Ohne dass es auf die Wahrscheinlichkeit von Verkehrsunfällen oder gar eine bestehende Unfallhäufigkeit ankäme, sind nach Auskunft der unteren Straßenverkehrsbehörde in der mündlichen Verhandlung bereits ohne Verwirklichung des Vorhabens in den letzten sieben Jahren vierzehn Unfälle unmittelbar in der Unterführung passiert. Dies spricht verstärkend dafür, das Verkehrsgeschehen nicht noch weiter durch Werbeanlagen zu beeinflussen und darüber hinaus Reize zu setzen.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass durch Nebenbestimmungen Abhilfe geschaffen werden könnte.
4. Die beantragte Baugenehmigung durfte auch aufgrund einer befürchteten Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs im Sinne des Art. 14 Abs. 2, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BayBO abgelehnt werden. Es handelt sich hierbei um einen selbständigen Ablehnungsgrund. Dabei ist eine tatbestandliche Gefährdung zu bejahen, wenn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass durch die Anlage ein Verkehrsunfall verursacht oder der Verkehr in seinem Ablauf behindert wird; eine hypothetische Ablenkungsmöglichkeit genügt nicht (BayVGH, U.v. 22.8.2001 – 2 B 01.74 – juris Rn. 19). Diese konkrete Gefährdung des Straßenverkehrs ist wegen der oben unter 3. dargestellten Gründe ebenfalls erfüllt. Die Werbeanlage wirkt in einen verkehrlich anspruchsvollen Raum hinein. Eine Unfallgefahr erscheint daher durch eine Minderung der Aufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer infolge einer Ablenkung durch die Werbeanlagen wahrscheinlich.
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Dabei entspricht es der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre Kosten selbst trägt, weil sie in Ermangelung einer eigenen Antragstellung sich ihrerseits auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. §§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen