Baurecht

Baugenehmigung für Wohnhauserweiterung

Aktenzeichen  Au 4 K 20.109

Datum:
6.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 25226
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 5
BayBO Art. 6 Abs. 1, Abs. 5, Abs. 6

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten gem. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist zulässig, aber unbegründet. Der Kläger wird durch den streitgegenständlichen Bescheid nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Dritte – wie hier der Kläger als Nachbar – können sich mit einer Anfechtungsklage nur dann mit Aussicht auf Erfolg gegen eine Baugenehmigung zur Wehr setzen, wenn diese rechtswidrig ist sowie die Rechtswidrigkeit auf der Verletzung einer im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden Norm beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Dritten zu dienen bestimmt ist (vgl. BayVGH, B.v. 22.1.2020 – 15 ZB 18.2547 – juris Rn. 4 m.w.N.). Eine solche Verletzung von den Kläger als Nachbarn schützenden Vorschriften liegt hier nicht vor.
1. Soweit der Kläger der Sache nach eine Nicht- oder eine unzureichende Beteiligung als Nachbar gem. Art. 66 BayBO rügt, führt dies nicht zum Erfolg der Klage. Art. 66 BayBO ist keine drittschützende Vorschrift in dem Sinne, dass der Nachbar allein wegen ihrer Missachtung der Nachbar die Baugenehmigung erfolgreich anfechten könnte. Die Vorschriften über die Nachbarbeteiligung begünstigen zwar den Nachbarn; sie dienen aber nicht in dem Sinne dem Nachbarschutz, dass der Nachbar schon dann im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in seinen Rechten verletzt wäre, wenn die nach Art. 66 BayBO gebotene Beteiligung unterblieben ist oder fehlerhaft durchgeführt wurde (vgl. BayVGH, B.v. 6.2.2017 – 15 ZB 16.398 – juris Rn. 17 m.w.N.). Daher kann offenbleiben, ob die Rüge des Klägers in der Sache zutrifft.
2. Der Baugenehmigungsbescheid verletzt auch keine abstandsrechtlichen Vorschriften gem. Art. 6 BayBO.
Ausweislich des genehmigten Abstandsflächenplans (M 1_200) nimmt das Vorhaben in Einklang mit Art. 6 Abs. 6 Abs. 1 BayBO vor nicht mehr als zwei Außenwänden (nämlich auf der Nord- und der Ostseite des erweiterten Gebäudes) das so genannte 16-Meter-Privileg in Anspruch. Diese Außenwände weisen auch i.S.d. Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO eine Länge von nicht mehr als 16 Metern auf.
Zwar beträgt die Gebäudebreite nach Norden hin (Bestand und Erweiterung) insgesamt ausweislich des Abstandsflächenplans 19,04 m (11,34 m + 7,70 m). Erforderlich für die Anwendung des 16-Meter-Privilegs ist indes nur, dass die Gesamtlänge aller Wandabschnitte einer Gebäudeseite, auf der die „volle“ Abstandsfläche nicht auf dem Baugrundstück eingehalten wird (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO), nicht mehr als 16 m beträgt (BayVGH, B.v. 5.2.2009 – 1 ZB 08.910 – juris Rn 11; B.v. 23.2.2007 – 1 CS 06.3219 – juris Rn. 33); maßgeblich sind mithin nur die abstandsflächenrelevanten Außenwandteile, also diejenigen Wandteile, die näher als das Tiefenmaß nach Art. 6 Abs. 5 BayBO an die Grundstücksgrenze herangerückt werden sollen (vgl. BayVGH, U.v. 25.5.1998 – 2 B 94.2682 – VGH n.F. 51,101 – juris Rn. 26). Diese Vorgaben sind hier beachtet.
In Richtung Norden wird ausweislich des Abstandsflächenplans 1 H (Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO) auf einer Länge von 15,99 m unterschritten (Bestand und Teil des Anbaus). In diesem Bereich wird indes im Einklang mit Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO eine Abstandsfläche von durchweg mindestens 3 m eingehalten, und zwar insbesondere im Bereich der nach Norden ausgerichteten Dachgaube, in deren Bereich die maximale Wandhöhe erreicht wird. Hinsichtlich des weiter Richtung Osten folgenden Teils des Anbaus wird sodann 1 H (Wandhöhe 3 m) in Folge eines Rücksprungs der Gebäudeaußenwand im 1. OG zu Gunsten einer so entstehenden „Dachterrasse“ eingehalten. Dabei wurde ausweislich der im genehmigten Plan enthaltenen Ansicht von Osten beachtet, dass das Geländer der Dachterrasse in diesem Bereich zurückzuversetzen war, so dass sich insofern keine Erhöhung der Außenwand in unmittelbarer Fortsetzung der darunter liegenden (Erdgeschoss-) Außenwand ergibt, sondern auch die von der Terrassenoberkante „geworfene“ Abstandsfläche auf dem Vorhabengrundstück liegt (vgl. zum Bezugspunkt für die Wandhöhe bei einer Terrassenumwehrung VG München, U.v. 29.7.2013 – M 8 K 12.341 – juris Rn. 22 f. m.w.N.).
Hinsichtlich der Nordseite des Gebäudes ergibt sich auch keine unzulässige Überschreitung der maßgeblichen Außenwand wegen Art. 6 Abs. 6 Satz 3 BayBO, wonach aneinander gebaute Gebäude wie ein Gebäude zu behandeln sind. Vielmehr ist der Beklagte nach dem genehmigten Abstandsflächenplan gerade davon ausgegangen, dass für die Frage der Einhaltung des Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO der Bestand und der Anbau gemeinsam zu betrachten sind. Auch für den gesamten entstehenden Baukörper ergibt sich jedoch, wie ausgeführt, eine maßgebliche Außenwand von weniger als 16 m.
In Richtung Osten unterschreitet die Außenwandlänge 16 m deutlich (ca. 9,55 m), so dass auch auf dieser Seite das 16-Meter-Privileg in Anspruch genommen werden kann. 0,5 H (maximal 3,04 m) bzw. 3 m sind auf dieser Seite zum Grundstück des Klägers ausweislich des Abstandsflächenplans ebenfalls eingehalten. Der Beklagte hat dabei, wie aus Eintragungen im Abstandsflächenplan sowie in der im genehmigten Plan enthaltenen Ansicht von Osten ersichtlich und vom Gericht überprüft, die maßgeblichen Abstandsflächen – insbesondere in Anwendung des Art. 6 Abs. 4 Satz 4 BayBO (Giebelflächen im Bereich des Dachs) – zutreffend ermittelt.
An den übrigen Gebäudeseiten (Süd und West) ist – wie bei Inanspruchnahme des 16-Meter-Privilegs erforderlich (vgl. BayVGH, U.v. 29.10.2015 – 2 B 15.1431 – juris Rn. 37 m.w.N.) – 1 H ausweislich des Abstandsflächenplans durchweg eingehalten. Dies gilt insbesondere im Bereich des nach Süden vorspringenden Balkons des Anbaus, bei dem die Wandhöhe zutreffend aus der Oberkante der Umwehrung ermittelt wurde (vgl. entsprechende Einträge des Beklagten im „Schnitt Erweiterung“ sowie im Abstandsflächenplan).
3. Das Vorhaben verstößt nicht gegen den Kläger schützende Vorschriften des Bauplanungsrechts.
Ob das Vorhaben zu Recht als sonstiges Vorhaben i.S.d. § 35 Abs. 2 BauGB in Anwendung des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB zugelassen wurde, ist vorliegend nicht von Relevanz. Zwar ist die Eigennutzung des Wohnraums gem. § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 Buchst. c) BauGB objektiv-rechtlich eine vom Beigeladenen zu beachtende Genehmigungsvoraussetzung. Die Anforderungen des § 35 Abs. 2 und 3 BauGB schützen jedoch zum größten Teil nicht auch die Nachbarn eines Außenbereichsvorhabens, sondern das Interesse der Allgemeinheit an der grundsätzlichen Freihaltung des Außenbereichs von Bebauung. Nur das Gebot der Vermeidung eines Ausgesetztseins gegenüber schädlichen Umwelteinwirkungen (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB) und das Gebot der Rücksichtnahme als „ungeschriebener“, in dem nicht abschließenden Katalog des § 35 Abs. 3 BauGB nicht geregelter öffentlicher Belang, der andere Auswirkungen des Vorhabens erfasst, dienen dem Nachbarschutz (vgl. BayVGH, B.v. 16.10.2007 – 1 CS 07.1848 – juris Rn. 36 m.w.N.). Auch insoweit liegt jedoch keine Rechtsverletzung des Klägers vor.
Der Eigentümer eines im Außenbereich privilegiert ansässigen Vorhabens hat weder einen allgemeinen Abwehranspruch gegen im Außenbereich zulässige Nachbarvorhaben noch einen Anspruch auf Bewahrung der Außenbereichsqualität seines Grundstücks (vgl. BayVGH, B.v. 11.4.2011 – 2 ZB 09.3021 – juris Rn. 9 m.w.N.). Ein im Außenbereich gemäß § 35 Abs. 1 BauGB privilegierter Betrieb kann vielmehr (nur) dann ein Nachbarvorhaben im Außenbereich abwehren, wenn das in § 35 Abs. 3 BauGB enthaltene Rücksichtnahmegebot verletzt ist (vgl. BayVGH, B.v. 14.06.2013 – 15 ZB 11.2799 – juris Rn. 5 m.w.N.). Hierzu muss bei Zulassung des Vorhabens die weitere Ausnutzung der Privilegierung faktisch in Frage gestellt oder gewichtig beeinträchtigt werden bzw. muss die heranrückende Bebauung die weitere Ausnutzung der Privilegierung stören (vgl. BVerwG, B.v. 1.9.1993 – 4 B 93/93 – juris Rn. 5 und Rn. 7; BayVGH a.a.O., juris Rn. 6); maßgeblich bleibt jedoch eine Gesamtwürdigung aller Umstände und damit der jeweilige Einzelfall (vgl. BayVGH, U.v. 17.5.2000 – 2 B 95.2590 – juris Rn. 18).
Hieran gemessen erweist sich das genehmigte Vorhaben gegenüber dem landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers nicht in dem beschriebenen Sinne als rücksichtslos. Zwar lässt die streitgegenständliche Baugenehmigung im Umfang der Erweiterung des Wohngebäudes ein Heranrücken der Bebauung an den klägerischen Betrieb in Richtung Osten zu; in dieser Richtung befindet sich derzeit eine Mistlege des klägerischen landwirtschaftlichen Betriebs. Wie sich allerdings aus dem Vortrag des Beigeladenen ergibt, besteht offenbar hinsichtlich des Standorts der Mistlege ein gewisser Spielraum, wie auch die beim Augenschein erkennbar gewordene Platzverhältnisse des klägerischen Betriebs zeigen. Insbesondere aber wird vorliegend lediglich ein bereits bestehendes Wohngebäude erweitert, wobei sich der Umfang der Erweiterung (teilweise in Richtung des klägerischen Betriebs) mit etwa 7,70 m in Grenzen hält. Schon bisher lagen Wohnbebauung und klägerischer landwirtschaftlicher Betrieb in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander; so beträgt etwa der Abstand zwischen dem bestehenden Wohnhaus zum nächst gelegenen Gebäude des Betriebs des Klägers ausweislich der Erkenntnisse des Augenscheinstermins und des genehmigten Lageplans nur wenige Meter. Hinsichtlich des weiter nördlich gelegenen Milchviehstalles des Klägers ändert sich an der Entfernung nichts und bleibt es bei der Abschirmung durch das südlich, näher zum Vorhabengrundstück gelegene Gebäude. Alles in allem ändert sich zur Überzeugung des Gerichts der Umfang der gegenseitigen Rücksichtnahmepflicht in Folge des Erweiterungsvorhabens allenfalls unmaßgeblich. Wie bisher ist insbesondere in Rechnung zu stellen, dass beim Kläger ein gem. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegierter landwirtschaftlicher Betrieb vorliegt, während das angrenzende Wohnvorhaben keinen Tatbestand des § 35 Abs. 1 BauGB in Anspruch nehmen kann. Hinreichend konkrete Erweiterungsabsichten, zumal solche, die durch das bzw. in Folge des genehmigten Vorhabens negativ beeinflusst würden, wurden vom Kläger nicht vorgebracht (vgl. allgemein zur Beachtlichkeit von Erweiterungsabsichten etwa BayVGH, B.v. 2.9.2016 – 9 CS 16.1139 – juris).
4. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da sich der Beigeladene mangels Antragstellung keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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