Aktenzeichen M 8 K 15.5546
Leitsatz
1 Ob die Grundzüge der Planung durch eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans im Sinne des § 31 Abs. 2 BauGB berührt sind, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwiderläuft. Je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluss auf eine Änderung der Planungskonzeption nahe, die nur im Wege der (Um-)Planung möglich ist. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Beantwortung der Frage, ob die Grundzüge der Planung berührt werden, setzt die Feststellungen voraus, was zum planerischen Grundkonzept gehört und ob dieses planerische Grundkonzept gerade durch die in Frage stehende Befreiung berührt wird. (redaktioneller Leitsatz)
3 Hierbei ist auch zu berücksichtigen, ob das Vorhaben insoweit noch entscheidend ins Gewicht fällt, weil die Grundkonzeption der Planung bereits durch die bisherige tatsächliche Entwicklung im Baugebiet aufgeweicht und möglicherweise sogar stellenweise überholt ist (hier zulässige Abweichung von dem festgesetzten Bauraumgefüge). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom 23. Dezember 2015 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, den Bauantrag vom 7. Februar 2015, Plan-Nr. … zu genehmigen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vorläufig vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Klage ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg, da der Klägerin ein Anspruch auf die Erteilung der beantragten Baugenehmigung zusteht, weshalb sie durch den ablehnenden Bescheid in ihren Rechten verletzt wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und die Verpflichtung zur Erteilung auszusprechen war (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Das Vorhaben, das außerhalb des Bauraumes errichtet werden soll, ist genehmigungsfähig. Soweit nicht ohnehin von einer Funktionslosigkeit der Bauraumfestsetzung auszugehen ist (II. 1. und 2.) hat die Klägerin zumindest einen Rechtsanspruch auf Befreiung (II. 3.). Im Übrigen fügt sich das Vorhaben gemäß § 34 Abs. 1 BauGB in jeder Hinsicht in seine Umgebung ein (III.).
II. 1. Im Bereich westlich der …straße sind – anders als auf der gegenüberliegenden Ostseite der …straße, an der sich nur eine straßenseitige Baugrenze findet – auf dem Baugrundstück und den nördlich sowie südlich benachbarten Grundstücken im Wesentlichen straßenseitige Bauräume durch einfachen übergeleiteten Bebauungsplan festgesetzt worden. Mit Ausnahme des Bauraums auf dem streitgegenständlichen Grundstück und der südlich benachbarten Fl.Nr. … – auf denen sich die Bauräume in der rückwärtigen Hälfte der Grundstücke befinden – sind die Bauräume entlang der …straße mit keinem oder mit Abständen von maximal 5 m von dieser festgesetzt worden. Diese Bauräume sind in dem maßgeblichen, das Baugrundstück prägenden und im Ausschnitt des vorgelegten amtlichen Lageplans enthaltenen Bereich an keiner Stelle eingehalten. Sowohl auf dem Grundstück Fl.Nr. … (…str. 107, 109 und 109 a) als auch auf der Fl.Nr. … (…str. 111 und 113) ragen die Hauptbaukörper ganz wesentlich über den Bauraum hinaus bzw. sind weitere Gebäude völlig außerhalb des Bauraumes vorhanden. Das Gleiche gilt für das Grundstück Fl.Nr. … (…-Str. 44/46). Nördlich des Baugrundstücks setzt sich diese Situierung außerhalb der Bauräume fort, wobei auf dem Grundstück Fl.Nr. … auch der Neubau des Gebäudes …str. 123 a anstelle des Altbestandes im Wesentlichen außerhalb des Bauraumes errichtet wurde, wie beim Augenschein am 3. April 2017 festgestellt werden konnte.
2. Es kann offenbleiben, ob vorliegend aufgrund dieser massiven Überschreitungen die Bauraumfestsetzungen in dem oben umrissenen Bereich der Westseite der …straße bereits funktionslos geworden sind.
Die Annahme der Funktionslosigkeit einzelner Festsetzungen oder des gesamten Bebauungsplans kommt zum einen in Betracht, wenn sich die bauliche Entwicklung in dem Gebiet in einem erheblichen Umfang im Widerspruch zu den planerischen Festsetzungen vollzogen hat. Zu fordern ist für diesen Fall allerdings, dass die tatsächlichen Verhältnisse vom Planinhalt so massiv und offenkundig abweichen, dass der Bebauungsplan eine städtebauliche Gestaltungsfunktion im Sinne von § 1 Abs. 3 BauGB nicht mehr zu erfüllen vermag. Es ist danach darauf abzustellen, ob die Festsetzungen – unabhängig davon, ob sie in Teilen des Plangebiets noch durchsetzbar wären – bei einer Gesamtbetrachtung doch die Fähigkeit verloren haben, die städtebauliche Entwicklung in der durch das planerische Konzept vorgegebenen Richtung zu steuern (vgl. BVerwG, B.v. 9.10.2003 – 4 B 85/03 – BauR 2004, 1128 – zur Festsetzung von Baulinien in einem übergeleiteten Baulinienplan aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts).
Hierfür spricht, dass auch im …nahen rückwärtigen Bereich der Grundstücke …-str. 115/ …-Str. 44/46, …-str. 107/109/109a und …-str. 113 massive Bebauung zu finden ist, die die von der Beklagten dargelegte Konzeption des Bebauungsplans in Form einer Konzentration einer straßennahen Bebauung entlang der …straße, um einen flußbegleitenden Grünzug zu erhalten, konterkariert. Für einen Widerspruch zu dieser planerischen Konzeption spielt es auch keine Rolle, dass das …nah gelegene Gebäude …-Str. 44/46 – anders als die …str. 109 a und 113 – nicht von der …straße aus erschlossen wird.
3. Selbst wenn man vorliegend keine Funktionslosigkeit annehmen wollte, weil der maßgebliche Bereich weiter zu ziehen ist und im Norden und Süden des vorliegend skizzierten maßgeblichen Umgriffs die Massivität der Bauraumüberschreitungen abnimmt, besteht jedenfalls gemäß § 31 Abs. 2 BauGB ein Anspruch auf Befreiung von der Bauraumfestsetzung auf dem streitgegenständlichen Grundstück.
Die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB sind vorliegend gegeben.
3.1 Gemäß § 31 Abs. 2 BauGB kann von den Festsetzungen des Bebauungsplanes befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und
1. Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erfordern oder
2. die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder
3. die Durchführung des Bebauungsplanes zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Mit dem Begriff der „Grundzüge der Planung“ umschreibt das Gesetz in § 31 Abs. 2 BauGB die planerische Grundkonzeption, die den Festsetzungen eines Bebauungsplans zugrunde liegt und in ihnen zum Ausdruck kommt. Hierzu gehört alles, was das Ergebnis der Abwägung über die von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange und den mit den getroffenen Festsetzungen verfolgten Interessenausgleich trägt (Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, Komm. zum BauGB, Stand: 1.10.2016, Rn. 36 f. zu § 31 BauGB m.w.N.).
3.2 Ob die Grundzüge der Planung berührt sind, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwiderläuft. Je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluss auf eine Änderung der Planungskonzeption nahe, die nur im Wege der (Um-)Planung möglich ist (BVerwG, U.v. 18.11.2010 – 4 C 10/09 – juris Rn. 37). Die Beantwortung der Frage, ob die Grundzüge der Planung berührt werden, setzt die Feststellungen voraus, was zum planerischen Grundkonzept gehört und ob dieses planerische Grundkonzept gerade durch die in Frage stehende Befreiung berührt wird.
Hierbei ist auch zu berücksichtigen, ob das Vorhaben insoweit noch entscheidend ins Gewicht fällt, weil die Grundkonzeption der Planung bereits durch die bisherige tatsächliche Entwicklung im Baugebiet aufgeweicht und möglicherweise sogar stellenweise überholt ist (vgl. BayVGH, U.v. 9.8.2007 – 25 B 05.1337 – juris Rn. 35).
3.3 Dem vorrangigen Planungsziel der Freihaltung der rückwärtigen, flußbegleitenden Grundstücksbereiche entspricht die vorgesehene Bebauung. Soweit die Beklagte erklärt, dass zudem durch die Festsetzung von Bauräumen eine zweireihige Bebauung habe vermieden werden sollen, stellt die streitgegenständliche Bebauung dieses Planungsziel – abgesehen davon, dass diese Behauptung nicht durch die Vorlage der Begründung der Bauraumfestsetzungen erhärtet werden konnte – nicht in Frage. Sowohl die Bebauungstiefe als auch die Bestimmung der ein- oder mehrreihigen Bebauung ist von der Erschließungsstraße her zu beurteilen. Damit steht das Vorhaben in der ersten Baureihe – ebenso wie die südlich benachbarten Gebäude …str. 107, 109, 111 und 115 bzw. die nördlich benachbarten Gebäude …str. 121/121 a und 123. Die Tatsache, dass durch die Errichtung des streitgegenständlichen Gebäudes eine zweireihige Bebauung auf dem Grundstück entsteht, ist allein dem Umstand geschuldet, dass die Beklagte hier – anders als auf den übrigen Grundstücken vorgenommen – systemfremd im rückwärtigen Bereich in einem Abstand von 34 m von der Straßenbegrenzungslinie einen Bauraum festgesetzt hat. Das Argument der Beklagten, der Bauraum habe so festgesetzt werden müssen, um den Bestandsschutz der bereits bestehenden Gebäude auf den Fl.Nrn. … und … zu gewährleisten, überzeugt nicht. Die bestehenden Gebäude hätten auch ohne diese Bauraumfestsetzung im Rahmen der geltenden Regeln Bestandsschutz genossen. Lediglich eine Neuerrichtung hätte gegebenenfalls an einer anderen, den Planungszielen der Beklagten entsprechenden Stelle stattfinden müssen, was aber letztlich Sinn einer Planung ist. Das von der Beklagten bereits durch die Festsetzung der Bauräume auf den Fl.Nrn. … und … durchbrochene Planungsziel wird durch die Gebäude …str. 109 a, 113 und 123 a/b weiter in Frage gestellt, auch wenn man mit der Beklagten davon ausgeht, dass die …-Str. 44/46 keine Bebauung in zweiter Reihe darstellt, da dieses Gebäude von der …-Straße aus erschlossen wird. Das vorrangige Planungsziel, die …nahen rückwärtigen Bereiche der Grundstücke von Bebauung freizuhalten, weshalb dann auch eine …nahe Bebauung in zweiter Reihe unerwünscht ist, konterkariert die …-Str. 44/46 allerdings in einem erheblichen Maße.
Die Grundzüge der Planung werden daher durch das streitgegenständliche Vorhaben nicht berührt. Abgesehen davon, dass die Beklagte schon mit der Bauraumfestsetzung auf den Fl.Nrn. … und … ein Abweichen vom Planungssystem in Kauf genommen hat, führen die aktuell vorhandenen massiven – oben beschriebenen – Bauraumüberschreitungen dazu, dass das streitgegenständliche Vorhaben nicht mehr in einer ins Gewicht fallenden Weise die Grundzüge der Planung berühren kann. Soweit die einreihige Bebauung entlang der …straße Planungsziel gewesen sein sollte, wurde dieses Planungsziel durch die Festsetzung des Bauraums auf den Fl.Nrn. … und … (streitgegenständliches Grundstück) selbst in Frage gestellt und in der Folgezeit in einer Weise von diesem Planungsziel abgewichen, die eine ins Gewicht fallende Verschlechterung in Bezug auf die planerische Grundentscheidung ausschließt. Sowohl die Grundentscheidung, den …nahen Bereich auf den Grundstücken zwischen der …straße und der …straße freizuhalten, als auch hier nur eine einreihige Bebauung zuzulassen, wurde durch die tatsächliche Entwicklung im Baugebiet und südlich der Fl.Nrn. … und … sogar vollständig konterkariert.
3.4 Die Abweichung von dem festgesetzten Bauraumgefüge ist gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB auch städtebaulich vertretbar, da eine solche Abweichung, das heißt – auch – Bebauungsmöglichkeiten auf dem Grundstück im straßennahen Bereich, im Rahmen einer entsprechenden Bauraumfestsetzung zulässiger Inhalt eines Bebauungsplanes sein kann und auf dem benachbarten Grundstück auch ist.
Aus den Darlegungen unter 3.3 ergibt sich ebenfalls, dass die Abweichung auch unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Insbesondere kommt dem Vorhaben – entgegen der Ansicht der Beklagten – keine negative Bezugsfallwirkung hinsichtlich weiterer unerwünschter Bebauung in den rückwärtigen Grundstücksbereichen zu, da sich das Vorhaben gerade nicht im rückwärtigen Grundstücksbereich befindet, sondern korrespondierend zur vorhandenen straßenseitigen Bebauung auf den Grundstücken …str. 107 – 122 straßennah errichtet werden soll.
3.5 Die Erteilung einer Befreiung steht grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen der Baugenehmigungsbehörde. Dies bringt der Gesetzgeber in § 31 Abs. 2 BauGB mit der Formulierung zum Ausdruck, dass von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden „kann“. Den Ermessenscharakter der Befreiungsentscheidung betont auch die höchstrichterliche Rechtsprechung in Übereinstimmung mit der vorherrschenden Lehre (BVerwG, U.v. 19.9.2002 – 4 C 13/01, BVerwGE 117, 50/55 ff. m.w.N. und juris).
3.5.1 Allerdings wurde in der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Formulierung geprägt, dass „für die Ausübung dieses Ermessens nur wenig Raum besteht, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung gegeben sind“ (so BVerwG, U.v. 19.9.2002 – 4 C 13/01 – juris unter Bezugnahme auf Löhr in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 8. Aufl. 2002 , Rn. 43 zu § 31 und Jäde in: Jäde/Dirnberger/Weiss, BauGB und BauNVO, 3. Aufl. 2002 , Rn. 26 zu § 31). Wie das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich feststellt, folgt daraus jedoch nicht, dass der zuständigen Behörde entgegen dem Wortlaut der Vorschrift kein Ermessensspielraum zusteht oder das Ermessen stets auf Null reduziert ist, wenn die Voraussetzungen einer Befreiung vorliegen (ebenso Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, Komm. zum BauGB, Stand: 1.10.2016, Rn. 26 zu § 31). Erforderlich ist für eine negative Ermessensentscheidung, dass der Befreiung gewichtige Interessen entgegenstehen (BVerwG, U.v. 19.9.2002 a.a.O., S. 56; U.v. 4.7.1986 – 4 C 31/84 – juris und BVerwGE 74, 315/319).
Sind die Tatbestandsvoraussetzungen einer Befreiung gegeben, steht im Hinblick darauf bereits fest, dass auf Seiten des Bauherren Gründe vorliegen, die immerhin so gewichtig sind, dass sie mit dem grundsätzlichen Geltungsanspruch der gemeindlichen Bauleitplanung sowie mit entgegenstehenden öffentlichen Belangen oder nachbarlichen Interessen konkurrieren und eine Befreiung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit rechtfertigen können.
3.5.2 Im Rahmen des behördlichen Vollzugs ist weiterhin zu entscheiden, ob die für das Vorhaben des Bauherren sprechenden Gründe gegenüber den beeinträchtigten öffentlichen Belangen und privaten Interessen aus Verhältnismäßigkeitsgründen vorrangig sind. Wenn die für die Nutzungsinteressen des Bauherrn streitenden Gründe nach den Umständen des Einzelfalls so gewichtig sind, dass ein Festhalten am Plan ungerecht, insbesondere unverhältnismäßig oder gleichheitswidrig wäre, ist die Befreiung von Verfassungs wegen geboten; in diesen Fällen hat bereits die Erfüllung des Befreiungstatbestandes einen Rechtsanspruch auf Befreiung zur Folge, ohne dass noch ein behördlicher Ermessensspielraum eröffnet wäre. Demgegenüber zwingen weder das Verfassungsrecht noch das grundsätzlich auf behördliche Ermessensbetätigung angelegte einfache Gesetzesrecht zur Bevorzugung der Interessen des Bauherren, wenn die sich gegenüber stehenden Interessen und Belange in etwa gleichgewichtig sind, also nicht außer Verhältnis stehen (vgl. auch: BVerwG, U.v. 4.7.1986, a.a.O.: „zumindest ebenso gewichtig sind“).
3.5.3 Unter Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend kein behördlicher Ermessensspielraum eröffnet, da öffentliche Belange, die der Befreiung entgegenstehen, entgegen der Ansicht der Beklagten nicht gegeben sind, weshalb sich eine im Rahmen des Ermessens vorzunehmende Gewichtung erübrigt. Es entsteht keine Bebauung in der zweiten – rückwärtigen – Reihe; vielmehr erfolgt auf dem Grundstück erstmalig eine Bebauung in erster – straßennaher – Reihe, weshalb von dem Bauvorhaben auch keine Bezugsfallwirkung für eine weitere Bebauung in zweiter Reihe ausgeht. Die …nahen Grünbereiche des Grundstücks werden nicht tangiert.
Sonstige öffentliche Belange sind weder angeführt noch ersichtlich. Das Gleiche gilt für die privaten Belange der Nachbarn, die ebenfalls nicht negativ betroffen werden.
Die Klägerin hat daher einen Anspruch auf Erteilung einer entsprechenden Befreiung für das Bauvorhaben außerhalb des Bauraumes im vorderen Grundstücksbereich.
III. Das Vorhaben, dem gemäß § 30 Abs. 3 i.V.m. § 31 Abs. 2 BauGB das vorhandene Bauraumgefüge nicht entgegensteht, fügt sich auch im Übrigen (§ 30 Abs. 3 i.V.m. § 34 Abs. 1 BauGB) in die maßgebliche Umgebung ein.
1. Hinsichtlich der Art fügt sich das Wohnbauvorhaben ohne weiteres in die überwiegend durch Wohnnutzung und vereinzelte Gewerbenutzung geprägte Umgebung ein.
2. Auch hinsichtlich des Maßes der Nutzung überschreitet das streitgegenständliche Vorhaben nicht den in seiner Umgebung vorzufindenden Rahmen. Wie beim Augenschein festzustellen war, finden sich in der Umgebung Gebäude mit E + 1 und zwei ausgebauten Dachgeschossen (…str. 123 a (im Bau) und …str. 121 a), deren Firsthöhen in etwa 13 m erreichen. Davon abgesehen weist das südlich benachbarte Gebäude …-Str. 40 – das auf gleicher Geländehöhe liegt wie das Bauvorhaben – drei Geschosse und ein ausgebautes Dachgeschoss auf, wobei sich allein die Wandhöhe auf etwa 10 m beläuft. Auch von dem Gebäude …str. 111 mit zwei Geschossen und einem massiv ausgebauten Dachgeschoss – zwerchgiebelartige Gauben auf der Westseite – geht hier eine dreigeschossige Wirkung aus. Das streitgegenständliche Vorhaben bewegt sich somit ohne weiteres im Rahmen der in der Umgebung vorzufindenden Höhenentwicklung. Da die benachbarten Gebäude weitgehend über zumindest gleich große, zum Teil aber erheblich größere Grundflächen – …str. 115/ …-Str. 40 und auch …str. 111 und 113 – verfügen, fügt sich das streitgegenständliche Vorhaben auch im Hinblick auf die Gesamtkubatur problemlos in seine Umgebung ein.
Soweit die Rechtsprechung (vgl. BVerwG, B.v. 14.3.2013 – 4 B 49/12 und B.v. 3.4.2014 – 4 B 12/14 – beide juris) davon ausgeht, dass im Rahmen des Maßes der baulichen Nutzung bei offener Bauweise auch das Verhältnis von mit Hauptbaukörpern bebauter Fläche zur umgebenden Freifläche für das Tatbestandsmerkmal des „Einfügens nach dem Maß der baulichen Nutzung“ eine Rolle spielt, begegnet das Vorhaben ebenfalls keinen Bedenken. Zusammen mit dem Bestand ergibt sich auf der streitgegenständlichen Fl.Nr. … eine Verhältniszahl von mit Hauptbaukörpern bebauter gegenüber einer von solchen Hauptbaukörpern freien Fläche von 0,215. Deutlich ungünstiger für die insoweit nicht bebaute Fläche ist das Verhältnis auf der Fl.Nr. … (…-str. 115/ …-Str. 40/44/46), nämlich 0,412. Auch die Fl.Nr. … weist insoweit eine Verhältniszahl von 0,262 auf und liegt damit bei der mit Hauptbaukörpern bebauten Fläche deutlich über der des streitgegenständlichen Grundstücks.
3. Hinsichtlich der übrigen Tatbestandsmerkmale des § 34 Abs. 1 BauGB – insoweit kommen noch Bauweise und Bebauungstiefe in Betracht – stellt sich das Bauvorhaben ebenfalls als völlig unproblematisch dar.
IV. Da dem Vorhaben weder sonstige planungsrechtliche noch bauordnungsrechtliche Vorschriften – und zwar weder im Prüfprogramm enthaltene noch als Gründe nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BayBO zur Ablehnung berechtigende – entgegenstehen, war die Beklagte mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO zu verpflichten, die streitgegenständliche Bau-genehmigung zu erteilen.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.