Baurecht

Baugenehmigung zum Abbruch einer Doppelhaushälfte sowie zum Neubau einer Doppelhaushälfte

Aktenzeichen  M 11 SN 16.5298

Datum:
7.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 29, § 34
BayBO BayBO Art. 6, Art. 12
BauNVO BauNVO § 22 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 12. August 2016 wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen eine den Beigeladenen (Bauherren) vom Antragsgegner (Landratsamt …; im Folgenden: Landratsamt) erteilte Baugenehmigung zum Abbruch einer Doppelhaushälfte und eines Nebengebäudes sowie zum Neubau einer Doppelhaushälfte mit zwei Wohnungen und drei Garagen auf dem Grundstück Fl.Nr. …, Gemarkung …
Mit Vorbescheid vom 20. Januar 2016 stellte das Landratsamt gegenüber den Beigeladenen fest, dass der Abriss eines Bestandswohnhauses und der Neubau eines Zweifamilienhauses den Vorschriften nach §§ 29 – 38 BauGB entspreche. Der neue First könne gegenüber dem bestehenden First um 90° gedreht und um 50 cm erhöht werden. Auf der Südseite dürfe ein Quergiebel mit einer Grundfläche von 2 m x 5 m über alle Geschosse errichtet werden.
Als Auflage wurde festgesetzt, dass die Abstandsflächen einzuhalten seien.
Der Bescheid wurde der Antragstellerin nicht zugestellt.
Unter dem 30. Mai 2016 beantragten die Beigeladenen den Abbruch einer Doppelhaushälfte und eines Nebengebäudes sowie den Neubau einer Doppelhaushälfte mit zwei Wohnungen und drei Garagen.
Der Markt … erteilte mit Schreiben vom 2. Juni 2016 sein Einvernehmen. Er wies darauf hin, dass für die erforderliche Abstandsfläche – die auf dem Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung … zum Liegen komme – die Vorlage einer Abstandsflächenübernahmeerklärung notwendig sei. Der Vordachüberstand des Querbaus rage teilweise über die Grundstücksgrenze des angrenzenden Nachbar-gebäudes. Mit der grenznahen Garagenbebauung werde die zulässige maximale Grenzbebauung von 9 m überschritten. Mit der darüber liegenden Dachterrasse könnten die notwendigen Abstandsflächen nicht berücksichtigt werden.
Mit Schreiben vom 20. Juni 2016 forderte der Antragsgegner die Beigeladenen auf, eine Abstandsflächenübernahmeerklärung für den Bereich des Wohnhauses sowie der Grenzgarage (Terrasse) durch die Nachbarn (Fl.Nr. …) vorzulegen. Zudem wurde der Nachweis einer Brandwandausführung an der Grundstücksgrenze zur zweiten Doppelhaushälfte gefordert. Es wurde darauf aufmerksam gemacht, dass der Überbau des Vordaches zum Nachbargrundstück ohne Nachbarzustimmung nicht möglich sei.
In der Folge gingen Änderungspläne am 10. August 2016 beim Antragsgegner ein.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 12. August 2016 erteilte das Landratsamt den Beigeladenen im vereinfachten Genehmigungsverfahren antragsgemäß die Baugenehmigung für den Abbruch einer Doppelhaushälfte und eines Nebengebäudes sowie den Neubau einer Doppelhaushälfte mit zwei Wohnungen und drei Garagen.
Mit Schriftsatz vom 16. September 2016, eingegangen beim Verwaltungsgericht München am 19. September 2016, ließ die Antragstellerin durch ihre Bevollmächtigte Klage gegen den Bescheid erheben (M 11 K 16.4254).
Am 20. Oktober 2016 ging beim Verwaltungsgericht München die Baubeginnsanzeige ein.
Am 11. November 2016 wurden die Behördenakten vorgelegt.
Mit Schriftsatz vom 21. November 2016 ließ die Antragstellerin beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wurde ausgeführt:
Die Antragstellerin sei Eigentümerin des Grundstücks „…str. 5b“ mit der Fl.Nr. … der Gemarkung …, welches in nördlicher Richtung unmittelbar an das von den Beigeladenen erworbene Grundstück mit der Fl.Nr. … angrenze. Die Grundstücke „…str. 5“ seien mit einem einheitlichen ehemaligen Bauernhofkomplex bebaut, wobei der sich auf dem Grundstück mit der Fl.Nr. … befindliche nördliche, rückwärtige Teil im Jahre 1979 von der Antragstellerin erworben, innen renoviert worden sei und seitdem von dieser selbst bewohnt werde.
Das Grundstück mit der Fl.Nr. …, welches mit dem südlicheren Teil des vormaligen Bauernhofkomplexes bebaut sei, sei von den Beigeladenen erworben worden. Den Beigeladenen sei die Genehmigung erteilt worden, den auf der Fl.Nr. … befindlichen Gebäudeteil (bezeichnet als „Doppelhaushälfte“) abzubrechen sowie dort einen Neubau zu errichten. Der geplante Neubau solle jedoch nicht wie bisher die durch den Doppelhauscharakter vorgegebene Hausrichtung in Nord-Süd-Richtung aufnehmen, sondern um ca. 90° gedreht werden und in Ost-West-Richtung entstehen, sodass hierdurch für die Antragstellerin – insbesondere auch durch das geplante massive Satteldach – eine im Süden gelegene Riegelwirkung entstehe, welche für sie mit massiven Einbußen an Belichtung, Besonnung und Belüftung sowie mit deutlichen Sichteinschränkungen verbunden sei. Verstärkt werde diese Wirkung noch dadurch, dass das Haus im Vergleich zum Altbestand nicht nur um etwa 90° gedreht, sondern auch noch um mindestens 50 cm angehoben und zur Gartenseite hin (an dessen Süd-West-Ecke) um ca. 1,55 m verbreitert werde, sodass es damit nun unmittelbar an die Grundstücksgrenze der Antragstellerin heranreiche.
Der sich derzeit auf dem Grundstück der Beigeladenen befindliche Anbau im Erdgeschoss werde daher der Höhe, Breite sowie dem Raumvolumen nach deutlich überschritten. Zwischen den beiden bisher als Doppelhaushälften genutzten Gebäudeteilen verliefen (wohl einschalig gebaute) Kommunmauern, welche in bautechnischer Hinsicht als Zwischen- und nicht als Außenwand konzipiert und genutzt würden. Hinter diesen Gebäudetrennwänden lägen die Zwischenwandanschlüsse des jeweiligen Hausteiles.
Aufgrund der erst später erfolgten Aufteilung des zuvor einheitlich genutzten Bauernhofes in zwei Doppelhaushälften handele es sich dabei nicht um eine einzige, in vertikaler Richtung verlaufende Trennwand, sondern um mehrere Zwischenwände, sodass sich die im Erdgeschoss des antragstellerischen Gebäudeteils liegenden Räumlichkeiten um etwa 30 cm – 40 cm versetzt zu den im Ober- und Dachgeschoss befindlichen Räumen befänden. Bei einer Errichtung des Neubaus auf dem Grundstück Fl.Nr. … sei vorgesehen, dass dieser nicht mehr an die Gebäudetrennwand unmittelbar angrenze, sondern etwas entfernt davon schräg gesetzt werde, sodass zwischen dem Gebäude auf Fl.Nrn. … und … nun erstmals ein Spalt entstehe, welcher aufgrund der neuen Ausrichtung zwischen 35 cm (an der Straßenseite im Osten) und 48 cm (an der Gartenseite im Westen) breit sei. Durch den Wegfall eines Teils der Kommunwand und das geplante Abrücken des Neubaus stehe zu befürchten, dass das antragstellerische Anwesen statische und bautechnische Probleme erhalte, wie zum Beispiel Kältebrücken.
Die Abstandsflächenvorschriften würden nicht beachtet, da das Bauvorhaben an der Nord-Ost-Ecke lediglich in einem sehr geringen Abstand zur Grundstücksgrenze der Antragstellerin errichtet werden solle. Der gedrehte Baukörper löse eine eigene Abstandsfläche aus, da durch die Drehung der Doppelhauscharakter aufgelöst werde. Bereits wegen des Verstoßes gegen die nachbarschützende Vorschrift des Art. 6 BayBO sei das Vorhaben rechtswidrig.
Ferner werde durch den Abriss der Gebäudetrennwand zwischen den Doppelhaushälften und dem damit verbundenen Wegfall einer isolierenden Brandmauer die drittschützende Vorschrift des Art. 12 BayBO verletzt. Das Vorhaben sei zudem rücksichtslos. Es habe eine „erdrückende“ Wirkung. Diese entstehe durch die Drehung um 90°, die Errichtung eines massiven Satteldaches sowie die Erweiterung des Gebäudes in Höhe und Breite im Vergleich zum derzeitigen Altbestand.
Das fragliche Baugebiet sei ein Mischgebiet, welches überwiegend mit zweistöckigen Einfamilienhäusern und ehemaligen landwirtschaftlichen Anwesen bebaut sei. Dabei seien die als Doppelhäuser genützten Gebäude stets in derselben Himmelsrichtung errichtet und wiesen keinerlei Riegelbildung auf.
Der einseitige Grenzanbau verletze aufgrund seiner Massivität den in dem engen nachbarschaftlichen Austauschverhältnis wurzelnden Anspruch der Antragstellerin auf Bewahrung des Doppelhauscharakters und stelle sich damit bereits aus diesem Gesichtspunkt als rücksichtslos dar. Die Eigentümer von Doppelhausgrundstücken seien untereinander in besonderer Weise zu einer Art „bodenrechtlicher Schicksalsgemeinschaft“ verbunden und unterlägen daher grundsätzlich einer besonderen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme. Das enge nachbarschaftliche Austauschverhältnis werde einseitig aufgehoben und aus dem Gleichgewicht gebracht, sodass sich das Bauvorhaben aus diesem Grund als rücksichtslos darstelle. Das nachbarschaftliche Austauschverhältnis würde auch dadurch verletzt, dass das Vorhaben von der gemeinsamen Trennwand um durchschnittlich 40 cm abgerückt gebaut werden solle, mit der Folge, dass die bisherige Innentrennwand zur Außenwand umfunktioniert werde. Das Bauvorhaben der Beigeladenen müsse so ausgeführt werden, dass am antragstellerischen Altbestand kein Schaden entstehe. Der einseitige Anbau bewirke eine unzumutbare Beeinträchtigung der Belichtung und Belüftung des Grundstücks der Antragstellerin.
Mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2016 beantragt der Antragsgegner,
den Antrag abzulehnen.
Ob das Vorhaben die Abstandsflächen einhalte, sei nicht Gegenstand der Prüfung. Dies müsse gegebenenfalls bauaufsichtlich geprüft werden. Die derzeitige Kommunwand solle bestehen bleiben. Der Neubau solle eine eigene neue Wand erhalten. Ob sich daraus Probleme ergeben, sei im Genehmigungsverfahren nicht zu klären. Eine erdrückende Wirkung gehe von dem Vorsprung der Westwand nicht aus. Es werde vermutet, dass der Vertreterin der Antragstellerin die genehmigten Pläne nicht vorgelegen haben. Genehmigt worden sei die eingereichte Umplanung.
Aus dem beigefügten Vermerk über eine Kontrolle der Anbauten vom 30. November 2016 ergibt sich, dass sich im Anbau mit den Glasbausteinen ein Eingangsbereich befindet und daran anschließend an der Grundstücksgrenze ein zweiter Anbau besteht, der als Wohnzimmer diente.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Klageverfahren (M 11 K 16.4254) sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag (§ 80a Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2, § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO); § 212a Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB)) ist begründet.
Das Gericht ordnet die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung nach Abwägung der jeweiligen Interessen deshalb an, weil die Erfolgsaussichten der Antragstellerin im Klageverfahren, vorbehaltlich des Ergebnisses einer gerichtlichen Beweisaufnahme, überwiegen, und selbst wenn man sie als offen betrachtet, ohne aufschiebende Wirkung der Klage die Schaffung vollendeter oder nur schwer rückgängig zu machender Tatsachen zu befürchten ist. Die Realisierung des Bauvorhabens könnte der Antragstellerin gegenüber möglicherweise das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme verletzen.
Die streitgegenständliche Baugenehmigung ist bauplanungsrechtlich auf der Grundlage des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB erteilt worden. Nach dieser Bestimmung ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Das im Begriff des „Einfügens“ enthaltene Rücksichtnahmegebot ist dann verletzt, wenn sich ein den genannten Rahmen der Umgebungsbebauung einhaltendes Vorhaben auf das (Nachbar-)Grundstück unzumutbar auswirkt oder wenn die von einem den Rahmen überschreitenden Vorhaben hervorgerufenen „städtebaulichen Spannungen“ gerade in solchen Auswirkungen bestehen (BVerwG v. 6.12.1996 NVwZ-RR 1997, 516). Die Auswirkungen sind unzumutbar, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit der Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was der Nachbar billigerweise hinnehmen muss, überschritten wird. Wann dies der Fall ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. BayVGH v. 21.1.2008 – 1 ZB 06.2304 – juris unter Verweis auf BVerwG v. 13.3.1981, BauR 1981, 354).
Vorliegend dürfte sich das streitgegenständliche Vorhaben nach der Bauweise nicht einfügen, weil es aus dem bestehenden Doppelhaus in einer Weise ausbricht, die gegen das Rücksichtnahmegebot verstößt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U. v. 24.2.2000 – 4 C 12/98) ist ein Doppelhaus im Sinne des § 22 Baunutzungsverordnung (BauNVO) eine bauliche Anlage, die dadurch entsteht, dass zwei Gebäude auf benachbarten Grundstücken durch ein Aneinanderbauen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu einer Einheit zusammengefügt werden. Im System „der offenen Bauweise“ gewinnt der Begriff des „Doppelhauses“ seine planungsrechtliche Bedeutung dadurch, dass die bauliche Anlage auf zwei Nachbargrundstücken errichtet wird. Die Festsetzung „offene Bauweise“ betrifft allein die Anordnung der Gebäude auf einem Baugrundstück im Verhältnis zu den seitlichen Grenzen der Nachbargrundstücke. Doppelhäuser, die auf verschiedenen Grundstücken errichtet werden, zeichnen sich dadurch aus, dass sie gemeinsame Grundstücksgrenzen ohne seitlichen Grenzabstand überwinden, weshalb sie zunächst in der „offenen Bauweise“ als systemwidrig erscheinen. Gleichwohl hat sie der Verordnungsgeber in § 22 Abs. 2 BauNVO auch für den Bereich der „offenen Bauweise“ planungsrechtlich für zulässig erklärt. Darin liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Modifikation der „offenen Bauweise“, die dem Begriff des „Doppelhauses“ eine eigenständige, das Abstandsgebot an der gemeinsamen Grundstücksgrenze überwindende Bedeutung verleiht. „Gebäude“ im Sinne des § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO ist das Doppelhaus als bauliche Einheit, da die Errichtung als Gesamtgebäude (mit seitlichem Grenzabstand) mit einem Grenzabstand vor den äußeren Seitenwänden des Doppelhauses erfolgt. Ein Doppelhaus entsteht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur dann, wenn zwei Gebäude derart zusammengebaut werden, dass sie einen Gesamtbaukörper bilden. Zwar können die ein Doppelhaus bildenden Gebäude an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zueinander versetzt oder gestaffelt aneinander gebaut werden; soweit diese Gebäude jedoch als zwei selbständige Baukörper erscheinen, die sich zwar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze noch berühren, bilden sie kein Doppelhaus. Erforderlich ist weiterhin, dass die beiden Haushälften in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinandergebaut werden, da insoweit das Erfordernis der baulichen Einheit nicht nur ein quantitatives, sondern auch qualitatives Element enthält.
Im Urteil vom 5. Dezember 2013 (4 C 5/12) hat das Bundesverwaltungsgericht weiterhin entschieden, dass die von ihm entwickelten Grundsätze zu § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO über das im Tatbestandsmerkmals des „Einfügens“ in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene Gebot der Rücksichtnahme auch im unbeplanten Innenbereich zur Anwendung kommen.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze fügt sich das streitgegenständliche Bauvorhaben nicht in einer die wechselseitige Verträglichkeit beachtenden Weise in das Doppelhaus ein. Der auf beidseitigem Verzicht auf seitliche Grenzabstände basierende Interessenausgleich ist nicht mehr gewahrt, wenn ein Gebäude verwirklicht wird, das sich als gänzlich anderer Haustyp mit unterschiedlichen Gebäudeabmessungen und Höhenentwicklung darstellt. So liegt der Fall hier.
Zunächst bildete der Bauernhof ein Gebäude – vermutlich mit einem Wohnteil und einem landwirtschaftlichen Teil. Später wurde die Landwirtschaft aufgegeben und das Gesamtgebäude sowie das Grundstück so geteilt, dass ein Doppelhaus entstand. Die beiden Haushälften stehen an der Grundstückgrenze in wechselseitig verträglicher Weise. Die Kubatur beider Haushälften scheint nach den Fotos in den Akten E + 1 + D aufzuweisen. Bisher ist das Gesamtgebäude dadurch geprägt, dass die Firstrichtung des Gebäudes in Nord-Süd-Richtung auf gleicher Höhe verläuft. Das Doppelhaus hat ein einheitliches Satteldach. In dem Satteldach befinden sich lediglich Dachflächenfenster bzw. eine Dachgaube.
Durch die Drehung des Dachfirstes um 90° verliert die Gesamtkubatur des alten und neuen Gebäudes seine Einheitlichkeit. Zudem ragt das Gebäude der Beigeladenen um 1,50 m in westlicher Richtung über das Gebäude der Antragstellerin vom Erd- bis zum Dachgeschoss hinaus.
Diese Ungleichheit verstärkt sich auch, wenn man die Ansicht „Nord“ der genehmigten Pläne betrachtet, dadurch, dass das neue Dach einen Überstand von 1,20 m nach Osten bzw. Westen aufweist und die Ost- und Westwand des neuen Gebäudes deutlich höher ist als die Wand des Gebäudes der Antragstellerin. Aber auch die Ost- und Westansichten zeigen, dass das neue Gebäude mit den Querbauten die Kubatur des alten Doppelhauses verlässt und einen völlig neuen Gebäudecharakter entstehen lässt.
Während auf der Westansicht ein großer Querbau erkennbar ist, ist die Dachlandschaft des Gebäudes der Antragstellerin lediglich durch Dachflächenfenster und eine Gaube gekennzeichnet. Auf der Ostansicht befinden sich auf dem antragstellerischen Dach nur Dachflächenfenster, wohingegen bei dem Vorhaben der Beigeladenen ein großer Querbau entsteht.
Dadurch, dass das neue Gebäude die wechselseitige Verträglichkeit verlässt, ist ein beiderseitiger Verzicht auf die seitlichen Grenzabstände der Antragstellerin nicht zumutbar; vielmehr müsste ein solcher Bau die Abstandsflächen zur Antragstellerin einhalten, was für das gesamte an der Grundstücksgrenze zum antragstellerischen Grundstück stehende Hauptgebäude nicht der Fall ist.
Das Vorhaben erscheint in seiner Gesamtschau rücksichtslos.
Zwar befindet sich bisher ein Anbau der Beigeladenen an der Grenze zum antragstellerischen Grundstück, der als Wohnzimmer diente. Dieser ist jedoch nur erdgeschossig. Der bisherige Anbau rechtfertigt daher nicht, dass die Antragstellerin nun eine um ca. 1,50 m über ihre Hauswand nach Westen hinausragende Hauswand der Beigeladenen über Erd- bis Dachgeschoss mit einem Dachüberstand von 1,20 m hinnehmen muss.
Soweit aus den Plänen ersichtlich hat das Wohnzimmer nur ein Fenster nach Westen, also nicht zum antragstellerischen Grundstück hin. Die Rücksichtslosigkeit des Vorhabens wird auch durch die neuen Einblicksmöglichkeiten – die der Balkon im westlichen Anbau der Beigeladenen in Richtung des antragstellerischen Gartens im Dachgeschoss eröffnet – verstärkt.
Auch die Einblicksmöglichkeiten, die erstmals durch die als Terrasse überbaute Garage in einer Höhe von teilweise 2 m zum antragstellerischen Grundstück eröffnet werden, sind bedenklich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst, weil sie keinen Sachantrag gestellt und sich auch keinem Prozessrisiko ausgesetzt haben (§ 162 Abs. 3, § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und entspricht der Hälfte des voraussichtlich im Klageverfahren anzusetzenden Streitwertes.

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