Baurecht

Baugenehmigung zum Einbau von neun Wohneinheiten

Aktenzeichen  Au 4 K 16.1719

Datum:
3.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 31 Abs. 2
BauNVO BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Die in einem Bebauungsplan vorgenommene Beschränkung der Wohnungsanzahl dient allein städtebaulichen Gründen und hat keine nachbarschützende Wirkung, wenn nach der Begründung des Bebauungsplans die Beschränkung der Zahl der Wohneinheiten zur Unterstützung des städtebaulichen Konzepts mit der von West nach Ost zum Wohngebiet hin abnehmenden Bauintensität erfolgt ist. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Klage konnte entschieden werden, obwohl keiner der Beteiligten zur mündlichen Verhandlung erschienen war. Hierauf war gem. § 101 Abs. 2 VwGO in den Terminsladungen hingewiesen worden.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Zwar bestehen auch unter Berücksichtigung der von der Beklagten während des gerichtlichen Verfahrens erteilten Befreiung Zweifel an der objektiven Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Baugenehmigung. Ein Nachbar kann eine Baugenehmigung gem. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO jedoch nur dann mit Erfolg anfechten, wenn diese ihn in seinen nachbarschützenden Rechten verletzt. Dies ist hier nicht der Fall.
Soweit der Kläger geltend macht, durch die Umwandlung der Nutzung des Gebäudes verändere sich der Charakter des Gebäudes wie des Gebiets, beruft er sich womöglich auf den so genannten Gebietserhaltungsanspruch. Eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs kommt vorliegend jedoch nicht in Betracht. Der Gebietserhaltungsanspruch gibt den Eigentümern von Grundstücken in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet das Recht, sich gegen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht zulässige Vorhaben zur Wehr zu setzen (vgl. etwa BayVGH, B.v. 6.2.2017 – 15 ZB 16.398 – juris Rn. 9 m.w.N.). Im vorliegenden Fall ist jedoch für das Vorhabengrundstück ein Mischgebiet festgesetzt, für das Grundstück des Klägers hingegen, wie Kläger und Beklagte übereinstimmend angegeben haben, ein allgemeines Wohngebiet. In einem solchen Fall greift der Gebietserhaltungsanspruch nicht, denn dieser Anspruch steht einem Eigentümer, dessen Grundstück sich außerhalb des jeweiligen Baugebiets befindet, grundsätzlich jedoch nicht zu. Dies gilt auch dann, wenn – wie hier – die jeweiligen (unterschiedlichen) Baugebiete im selben Bebauungsplan festgesetzt wurden (vgl. etwa BayVGH, U.v. 25.3.2013 – 14 B 12.169 – juris LS 1). Zudem wurde mit der hier für das Vorhabengrundstück maßgeblichen Bebauungsplanteiländerung insoweit der bisher bestehende, auch das Grundstück des Klägers umfassende Bebauungsplan geändert und insoweit aufgehoben (§ 3 der der Satzung der Bebauungsplanteiländerung). Auch deshalb liegen das Grundstück des Klägers und das Vorhabengrundstück nicht – wie für den Gebietserhaltungsanspruch erforderlich – im gleichen Plangebiet.
Keine Rechtsverletzung des Klägers ergibt sich auch daraus, dass die streitgegenständliche Baugenehmigung unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich erteilten Befreiung den Einbau von neun Wohneinheiten zulässt, obwohl der Bebauungsplan maximal zwei Wohneinheiten pro Wohngebäude vorsieht. Bei Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans (§ 31 Abs. 2 BauGB) hängt der Umfang des Rechtsschutzes des Nachbarn davon ab, ob die Festsetzungen, von deren Einhaltung dispensiert wird, dem Nachbarschutz dienen oder nicht. Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung ist der Nachbar schon dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, weil eine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht erfüllt ist. Bei einer Befreiung von einer Festsetzung, die nicht (auch) den Zweck hat, die Rechte der Nachbarn zu schützen, sondern nur dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz hingegen nach den Grundsätzen des Rücksichtnahmegebots (§ 31 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO). Nachbarrechte werden in diesem Fall nicht schon dann verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, sondern nur, wenn der Nachbar durch das Vorhaben infolge der zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird (BayVGH, B.v. 29.8.2014 – 15 CS 14.615 – juris Rn. 22 mit zahlreichen Nachweisen).
Ein nachbarschützender Charakter der Festsetzung betreffend die Zahl der Wohneinheiten ist hier nicht anzunehmen. Die in einem Bebauungsplan vorgenommene Beschränkung der Wohnungsanzahl hat nicht schlechthin nachbarschützende Wirkung (VGH BW, B.v. 9.8.1996 – 8 S 2012/96 – juris Rn. 4) Ob eine solche Beschränkung allein städtebaulichen Gründen dient oder ob sie auch nachbarschützend sein soll, richtet sich vielmehr nach dem Gesamtinhalt des jeweiligen Bebauungsplans (BVerwG, B.v. 9.3.1993 – 4 B 38/93 – juris Rn. 3). Im vorliegenden Fall ist eine Festsetzung allein aus städtebaulichen Gründen anzunehmen. Dies ergibt sich eindeutig aus der Begründung zur Bebauungsplanteiländerung (S. 19), wonach die Beschränkung der Zahl der Wohneinheiten zur Unterstützung des städtebaulichen Konzepts mir der von West nach Ost zum Wohngebiet hin abnehmenden Bauintensität erfolgt ist. Ferner findet sich diese Begründung im Abschnitt „Städtebauliche und gestalterische Gründe“. Schließlich enthält der Bebauungsplan in Bezug auf die in einem Mischgebiet gem. § 6 BauNVO ebenfalls zulässigen gewerblichen Nutzungen – soweit nicht durch § 4 Abs. 1 und Abs. 2 der Satzung der Bebauungsplanteiländerung ausgeschlossen – keinerlei Beschränkungen bezüglich der zulässigen Nutzungseinheiten. Dies spricht ebenfalls dagegen, dass der Satzungsgeber die an das Mischgebiet angrenzenden Wohngrundstücke als Nachbarn schützen wollte. Damit liegt auch nicht der von der Rechtsprechung erörterte Fall vor, dass eine Beschränkung der Zahl der Wohneinheiten dann nachbarschützend sein kann, wenn damit ein besonderer Gebietscharakter zugunsten der dort Wohnenden geschützt sein sollte, zumal dies für Festsetzungen innerhalb eines reinen Wohngebiets diskutiert wurde (vgl. VGH BW, B.v. 9.8.1996 – 8 S 2012/96 – juris Rn. 4; VG Karlsruhe, U.v. 3.8.2016 – 4 K 4013/15 – juris Rn. 41). Im vorliegenden Fall liegt jedoch weder ein reines Wohngebiet vor, noch befinden sich – wie ausgeführt – das Vorhabengrundstück und das Grundstück des Klägers im gleichen Gebiet. Vielmehr liegt nahe, dass die Begrenzung der Zahl der Wohneinheiten jedenfalls auch dazu dienen sollte, die zulässigen gewerblichen Nutzungen des festgesetzten Mischgebiets dadurch zu schützen, dass nicht am Rande des Mischgebiets zur bestehenden Wohnbebauung hin eine übermäßige Wohnnutzung entsteht. Aus einer solchen, dem Charakter des Mischgebiets dienende Festsetzung können Nachbarn eines angrenzenden allgemeinen Wohngebiets jedoch nichts für sich herleiten. Dem entspricht es, dass die – hier von der Beklagten im Baugenehmigungsverfahren auch erörterte – Frage des „Kippens“ eines Mischgebiets ein Aspekt der Gebietserhaltung ist (vgl. BayVGH, B.v. 12.7.2010 – 14 CS 10.327 – juris Rn. 34); ein entsprechender Anspruch steht dem Kläger jedoch nicht zu.
Das dem Kläger damit allein zustehende Gebot der Rücksichtnahme (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO) ist nicht verletzt. Dies wäre, wie ausgeführt, nur dann der Fall, wenn sich für den Kläger eine unzumutbare Beeinträchtigung ergäbe. Dies ist nicht anzunehmen. Die vom Kläger insoweit angeführte vermehrte Einsichtnahme durch die Wohnnutzung des bereits im Rohbau errichteten Gebäudes begründet grundsätzlich keinen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme (vgl. etwa BayVGH, B.v. 15.2.2017 – 1 CS 16.2396 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 20.12.2016 – 9 CS 16.2088 – juris Rn. 19, jeweils m.w.N.). Für einen Ausnahmefall ist hier weder etwas vorgetragen noch ersichtlich. Der Kläger musste nicht zuletzt angesichts der im Bebauungsplan für das Vorhabengrundstück festgesetzten maximalen Gebäudehöhe von 8,5 m sowie der zulässigen zwei Vollgeschoße mit einer erheblichen baulichen Nutzung rechnen. Nicht zu folgen vermag die Kammer dem Einwand des Klägers, eine Wohnnutzung sei für ihn störender als eine gewerbliche Nutzung. Abzustellen ist insoweit nicht auf die subjektive Einschätzung des Klägers, sondern, nachdem eine Verletzung von § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO zu erörtern ist, auf die Regelungen der BauNVO. Allein aus dem Kanon der dort enthaltenen Gebietsarten ergibt sich, dass der Normgeber von der grundsätzlichen Verträglichkeit gleichartiger Nutzungen (also insbesondere Wohnen neben Wohnen) ausgeht, während ein Zusammentreffen von gewerblicher und Wohnnutzung grundsätzlich konfliktträchtig ist. Dies folgt namentlich auch aus § 6 Abs. 1 BauNVO, wonach Mischgebiete – wie hier festgesetzt – dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben dienen, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Zwar mag es einzelne gewerbliche Nutzungen geben, die, was ihre Wahrnehmbarkeit angeht, dem Wohnen gleich stehen oder gar, wie eine Büronutzung während der üblichen „Büroarbeitszeiten“, im Einzelfall weniger wahrnehmbar sind. Eine solche Beschränkung sieht jedoch der vorliegende Bebauungsplan nicht vor; dies würde auch dem Charakter des festgesetzten Mischgebiets nicht entsprechen. Zudem ist, was die „Störung“ durch Gewerbebetriebe angeht, nicht nur auf einzelne Tätigkeiten, sondern auf die mit einem gewerblichen Betrieb einhergehenden weiteren Auswirkungen wie etwa Zu- und Abfahrtverkehr sowie betriebliche Anlagen und Einrichtungen etc. abzustellen. Insoweit profitiert der Kläger durch die genehmigte ausschließliche Wohnnutzung sogar davon, dass dadurch gewerbliche Nutzungen mit Störpotenzial von seinem Wohngrundstück gleichsam weiter abgehalten werden. Insbesondere auch angesichts des Umstands, dass das klägerische Grundstück nicht inmitten eines allgemeinen Wohngebiets, sondern am Rand zu einem Mischgebiet liegt, erweist sich die genehmigte Wohnnutzung auch hinsichtlich ihres Umfangs dem Kläger gegenüber nicht als rücksichtslos.
Eine Verletzung von Nachbarrechten des Klägers durch die angefochtene Baugenehmigung wegen Nichteinhaltung von Abstandsflächen kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Abstandsflächen im hier einschlägigen vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO nicht geprüft werden (vgl. etwa BayVGH, B.v. 28.12.2016 – 9 ZB 14.2853 – juris Rn. 8 m.w.N.)
Nach allem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da die Beigeladene sich mangels Antragstellung dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 VwGO nicht ausgesetzt hat, trägt sie ihre außergerichtlichen Kosten billigerweise selbst (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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