Aktenzeichen M 1 K 16.4690
Leitsatz
Die von landwirtschaftlichen Betrieben (hier einem Milchviehlaufstall) üblicherweise ausgehenden Emissionen (Tiergeräusche, Maschinenlärm, Geruchsentwicklung) sind sowohl im Außenbereich, dem landwirtschaftliche Betriebe durch § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB ausdrücklich zugewiesen sind, als auch im Dorfgebiet iSd § 5 BauNVO gebietstypisch und daher in der Regel nicht als unzulässige Störung der in der Nachbarschaft vorhandenen oder geplanten Wohnnutzung anzusehen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Das genehmigte Vorhaben verletzt die Kläger nicht in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Weder die landwirtschaftliche Privilegierung des streitigen Vorhabens gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB noch der Umstand, dass es sich bei dem Weiler, in dem sowohl die Grundstücke der Kläger als auch die Hofstelle des Beigeladenen liegen, um ein Dorfgebiet i.S.d. § 5 BauNVO handelt, werden von den Beteiligten in Frage gestellt. Ebenso einvernehmlich gehen die Beteiligten davon aus, dass es sich bei dem Baugrundstück FlNr. 67 um ein Außenbereichsgrundstück handelt.
Streitig ist allein die Frage, ob der dem Beigeladene genehmigte Milchviehlaufstall zu Lasten der Kläger schädliche Umwelteinwirkungen hervorruft und ihm deshalb öffentliche Belange i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB entgegenstehen. Dies ist nicht der Fall. Eine Verletzung des in § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5, § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO ebenso wie in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB verankerten Rücksichtnahmegebots durch das Vorhaben scheidet daher aus.
Die von landwirtschaftlichen Betrieben üblicherweise ausgehenden Emissionen (Tiergeräusche, Maschinenlärm, Geruchsentwicklung) sind sowohl im Außenbereich, dem landwirtschaftliche Betriebe durch § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB ausdrücklich zugewiesen sind, als auch im Dorfgebiet i.S.d. § 5 BauNVO gebietstypisch und daher in der Regel nicht als unzulässige Störung der in der Nachbarschaft vorhandenen oder geplanten Wohnnutzung anzusehen (vgl. BayVGH, B. v. 3.5.2016 – 15 CS 15.1576 – UPR 2017, 32 ff. m.w.N. – juris Rn. 23).
1. Unzumutbare Lärmimmissionen zu Lasten der Kläger gehen von dem genehmigten Milchviehlaufstall nicht aus.
Die Zumutbarkeit der von dem Vorhaben hervorgerufenen Lärmimmissionen ist nicht anhand der Immissionsrichtwerte der TA Lärm zu beurteilen. Nach Nr. 1 Abs. 2 Buchst. c TA Lärm sind nicht nach dem Immissionsschutzrecht genehmigungsbedürftige landwirtschaftliche Anlagen wegen der besonderen Privilegierung der Landwirtschaft (vgl. BayVGH, B. v. 4.3.2015 – 22 CS 15.33 u.a. – juris Rn. 17; B. v. 10.2.2016 – 22 ZB 15.2329 – juris Rn. 22) ausdrücklich vom Anwendungsbereich der TA Lärm ausgenommen. Eine immissionsschutzrechtliche Genehmigungspflicht sieht die 4. BImSchV i.V.m. Nr. 7.1.5 ihres Anhangs 1 erst für Ställe mit 600 oder mehr Rinderplätzen vor, also nicht für den zur Entscheidung stehenden Milchviehlaufstall mit 120 Tierplätzen.
Nach dem Baurecht zu beurteilende landwirtschaftlichen Anlagen im Sinn von Nr. 1 Abs. 2 Buchst. c TA Lärm sind Anlagen, die, wie Lüftungsanlagen für Ställe, Melkmaschinen, Mähdrescher oder Traktoren im Rahmen der Urproduktion (vgl. § 201 BauGB), der Gewinnung landwirtschaftlicher Erzeugnisse oder der Zubereitung, Verarbeitung und Verwertung selbst gewonnener derartiger Erzeugnisse dienen (vgl. BayVGH, B.v. 3.5.2016 a.a.O. m.w.N.). Da landwirtschaftliche Betriebe nur im Außenbereich (§ 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB) oder in Dorfgebieten (§ 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BauNVO) errichtet werden dürfen, sind dort die mit ihnen einhergehenden Immissionen gerade auch unter dem Gesichtspunkt des Rücksichtnahmegebots von benachbarten Nutzungen grundsätzlich hinzunehmen. Das kommt auch im Wortlaut von § 5 Abs. 1 Satz 2 BauNVO zum Ausdruck, wonach auf die Belange der landwirtschaftlichen Betriebe einschließlich ihrer Entwicklungsmöglichkeiten vorrangig Rücksicht zu nehmen ist. Dies bezieht sich gerade auch auf den Immissionsschutz und soll in erhöhtem Maß die Standortsicherheit landwirtschaftlicher Betriebe gewährleisten (vgl. BR-Drs. 354/89 S. 49 f. zu § 5 BauNVO 1990). Im zu entscheidenden Fall kommt hinzu, dass der Kläger zu 3) nach seinen eigenen Angaben selbst, wenn auch in geringerem Umfang, landwirtschaftliche Nutzung betreibt.
Dem Beweisantrag des Klägerbevollmächtigten, gerichtet auf Einholung eines schalltechnischen Gutachtens zur Lärmentwicklung des streitigen Stalls, musste deshalb nicht nachgekommen werden.
2. Auch die durch den genehmigten Milchviehlaufstell hervorgerufenen Geruchseinwirkungen sind nicht unzumutbar und deshalb von den Klägern hinzunehmen.
Die VDI Richtlinie 3894, auf die die Kläger sich berufen, ist im zu entscheidenden Fall nicht heranzuziehen, weil der Abstand zwischen den klägerischen Anwesen und dem geplanten Standort des Stalls weniger als 50 Meter beträgt. Entfernungen zwischen dem landwirtschaftlichen Emissionsort und dem Immissionsort von weniger als 50 Metern fallen nicht in den Anwendungsbereich der VDI Richtlinie 3894 (vgl. VG München, U. v. 23.7.2014 – M 9 K 12.4357 – juris Rn. 42). Der Abstand zwischen dem geplanten Stall und den Anwesen der Kläger beträgt nach deren eigenen Angaben zwischen 20 und 30 Meter, jedenfalls aber weniger als 50 Meter.
Geht man zunächst, dem technischen Immissionsschutz des Landratsamts folgend, bei 147 Großvieheinheiten von einer Anwendung der vom Bayerischen Arbeitskreis „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ entwickelten Abstandsregeln aus, ist im Einzelfall zu prüfen, ob die von dem genehmigten Milchviehlaufstall zu erwartenden Immissionen als unzumutbare schädliche Umwelteinwirkungen einzustufen sind, denn die Anwesen der Kläger liegen in einer Entfernung zwischen 25 und 50 Meter von dem geplanten Stall im Dorfgebiet i.S.d. § 5 BauNVO.
Die in der am … Mai 2016 vorgelegten Geruchsausbreitungsberechnung der Firma … für den Fall der Verwirklichung des genehmigten Milchviehlaufstalls prognostizierten Geruchsstundenhäufigkeiten an den Anwesen der Kläger belegen die Zumutbarkeit des genehmigten Vorhabens in der Einzelfallprüfung.
Für die Zumutbarkeit der von landwirtschaftlichen Tierhaltungsbetrieben verursachten Gerüche kann auf die Regelungen der Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL) in der Fassung der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz (LAI) vom 29. Februar 2008 mit einer Ergänzung vom 10. September 2008 zurückgegriffen werden. In der Rechtsprechung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs ist geklärt, dass diese Richtlinie im Einzelfall als Orientierungshilfe herangezogen werden kann, auch wenn sie in Bayern nicht als Verwaltungsvorschrift eingeführt wurde (vgl. BayVGH, B. v. 3.5.2016 – 15 CS 15.1576 – UPR 2017, 32 ff. m.w.N. – juris Rn. 23).
In Anwendung der GIRL ist die nach der Geruchsausbreitungsberechnung als Gesamtbelastung ermittelte Geruchsstundenhäufigkeit von bis zu 14% am Anwesen des Klägers zu 3) und bis zu 6% am Anwesen der Kläger zu 1) und 2) zumutbar. Nach Nr. 3.1 Satz 2 (Tabelle 1) der GIRL sind die von einem Tierhaltungsbetrieb hervorgerufenen Geruchsimmissionen in der Regel als erhebliche Belästigung zu werten, wenn – was hier eben nicht der Fall ist – die Gesamtbelastung den Immissionswert für Dorfgebiete von 15% überschreitet. Dieser Wert entspricht im Grundsatz dem sich aus § 5 Abs. 1 Satz 2 BauNVO ergebenden Rücksichtnahmegebot gegenüber land- und forstwirtschaftlichen Betrieben (vgl. Begründung und Auslegungshinweise zu Nr. 3.1 der GIRL) und wird hier nicht erreicht. Hinzu kommt, dass sich die Anwesen der Kläger an der Grenze zum Außenbereich befinden, wo eine Zwischenwertbildung zwischen Dorfgebiet und Außenbereich möglich ist, was sogar zur Zumutbarkeit einer Geruchsstundenhäufigkeit von bis zu 20% führen kann (vgl. Begründung und Auslegungshinweise zu Nr. 3.1 der GIRL, „Zuordnung der Immissionswerte“). Denn der Außenbereich dient dazu, nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegierte Vorhaben wie landwirtschaftliche Betriebe unterzubringen, sodass Eigentümer von Wohngebäuden im Randgebiet zum Außenbereich jederzeit mit der Ansiedlung solcher Betriebe rechnen müssen und ihr Schutzanspruch deswegen gemindert ist (vgl. BayVGH, B. v. 3.5.2016 a.a.O.).
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Kläger tragen hierbei die Kosten zu gleichen Kopfteilen (§ 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO). Dass der Beigeladene seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt, entspricht der Billigkeit, weil er keinen Sachantrag gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, § 162 Abs. 3 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.