Aktenzeichen 2 B 17.544
Leitsatz
Durch eine einzige nicht kerngebietstypische Spielhalle ist ein Trading-Down-Effekt in einer städtebaulichen Gemengelage kaum zu erwarten, sofern durch die geplante Nutzungsänderung kein traditioneller Einzelhandel verdrängt wird, sondern die Einrichtung in einer bisherigen Gaststätte erfolgen soll. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Au 4 K 15.623 2016-02-24 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die zulässige Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg (§ 124 Abs. 1 VwGO). Der Bescheid vom 8. April 2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er hat einen Anspruch auf Erteilung des beantragten Bauvorbescheids für eine Spielhalle (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Nach Art. 71 Satz 1 BayBO kann vor Einreichung eines Bauantrags auf schriftlichen Antrag des Bauherrn zu einzelnen in der Baugenehmigung zu entscheidenden Fragen vorweg ein schriftlicher Bescheid (Vorbescheid) erlassen werden. Aus der Formulierung „zu einzelnen Fragen des Bauvorhabens“ folgt, dass der Vorbescheid hinreichend bestimmt sein muss. Die ganz herrschende Meinung fordert für die Vorbescheidsfrage einen konkreten Vorhabensbezug (vgl. BayVGH, U.v. 14.2.2008 – 15 B 06.3463 – juris). Ein Vorbescheidsantrag wäre nicht verbescheidungsfähig, wenn die zur Entscheidung gestellte Frage nicht ohne Kenntnis und Prüfung des Gesamtvorhabens beurteilt werden kann, die Bauvorlagen eine Beurteilung des Vorhabens nicht zulassen oder wesentliche Fragen ausgeklammert bleiben.
Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Nutzungsänderung in einem Gebäude. Die bestehende Gaststätte im Erdgeschoss des Gebäudes soll in eine Spielhalle umgewandelt werden. Die Bestimmtheit des Antrags ergibt sich daraus, dass nach der Klarstellung im Augenscheinstermin des Erstgerichts und in der mündlichen Verhandlung des Senats die Fläche der Spielhalle auf 100 m² begrenzt sein soll und damit von einer nicht kerngebietstypischen Vergnügungsstätte auszugehen ist.
2. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend erkannt, dass das Vorhaben bauplanungsrechtlich nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zu beurteilen ist. Nach dem Ergebnis der Augenscheinseinnahme des Senats begegnet die Einschätzung des Erstgerichts keinen rechtlichen Bedenken, dass die Eigenart der näheren Umgebung des Baugrundstücks (a)) nicht einem der in der Baunutzungsverordnung (BauNVO) bezeichneten Baugebiete im Sinn von § 34 Abs. 2 BauGB entspricht (b)). Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt (c)). Ein Vorhaben fügt sich im Allgemeinen ein, wenn es sich hinsichtlich dieser vier Kriterien innerhalb des Rahmens hält, der durch die in der Umgebung vorhandene Bebauung gezogen wird. Auch ein den Rahmen überschreitendes Vorhaben kann aber ausnahmsweise zulässig sein, wenn es trotz der Überschreitung keine städtebaulichen Spannungen hervorruft (d)).
a) Als nähere Umgebung im Sinn von § 34 BauGB ist der umliegende Bereich anzusehen, soweit sich die Ausführung des Vorhabens auf ihn auswirken kann und soweit er seinerseits den bodenrechtlichen Charakter des zur Bebauung vorgesehenen Grundstücks prägt oder doch beeinflusst (vgl. BVerwG, B.v. 20.8.1998 – 4 B 79.98 – juris). Die Grenzen sind nicht schematisch, sondern nach der jeweiligen städtebaulichen Situation zu bestimmen (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2003 – 4 B 74.03 – juris). Bei der für die Prüfung erforderlichen Bestandsaufnahme ist grundsätzlich alles tatsächlich Vorhandene in den Blick zu nehmen.
Der Senat zieht den Bereich der näheren Umgebung für das hier maßgebliche Merkmal der Art der baulichen Nutzung enger als das Verwaltungsgericht. Das Verwaltungsgericht hat als nähere Umgebung das Straßengeviert zwischen der K. Straße im Westen, der R. und K.straße im Süden sowie der R.straße im Osten angesehen. Nach Auffassung des Senats kann der Bereich der R.straße nicht mehr in die nähere Umgebung miteinbezogen werden. Denn zwischen den Bebauungen entlang der R.straße und entlang der K. Straße besteht ein deutlicher Strukturunterschied. In der Rechtsprechung des Senats ist anerkannt, dass bei klaren Strukturunterschieden innerhalb eines Quartiers eine prägende Wirkung verneint werden kann (vgl. BayVGH, U.v. 18.12.2009 – 2 B 08.2154 – juris; BayVGH, B.v. 14.1.2014 – 2 ZB 12.2477 – juris). Ein solcher Sonderfall liegt hier vor. Entlang der R.straße hat sich eine Bebauung entwickelt, wie sie einem typischen Wohnviertel entspricht. Lediglich in den Anwesen R.straße 32a und b befinden sich im Erdgeschoss noch eine Praxis für Naturheilkunde sowie ein Wellness- und Physiotherapiebereich. Im weiteren Verlauf der R.-straße findet sich Wohnbebauung. Diese ist teilweise massiv mit mehrgeschossiger Blockbebauung für Wohnnutzung ausgeprägt. Nur im Anwesen R.straße 1 findet sich im Erdgeschoss noch ein Schlüsseldienst, in den Obergeschossen Wohnnutzung (Niederschrift über den Augenschein vom 27.7.2017, S. 4). Demgegenüber ist entlang der K. Straße auf der Ostseite strukturell eine Bebauung entstanden, die sich in keinen Baugebietstyp der Baunutzungsverordnung einordnen lässt. Diese Bebauung ist sowohl von ihrer Struktur und den Nutzungen typisch für Entwicklungen, wie sie entlang großer Ein- und Ausfallstraßen in die Städte zu beobachten sind. Sie steht mit der dahinterliegenden Bebauung entlang der R.straße in keinem städtebaulichen Zusammenhang. Dabei reicht der hier maßgebliche Bereich von der Kreuzung K. Straße/R. Straße im Süden bis zur Mündung der R.straße in die K. Straße im Norden.
Keine prägende Wirkung entfaltet die Bebauung südlich der R. Straße sowie die Bebauung nördlich des Einmündungsbereichs der R.straße in die K. Straße. Denn die dort gelegenen Grundstücke sind vom Vorhabensgrundstück zu weit entfernt als dass sie noch prägende Wirkung entfalten könnten.
Der Bereich westlich der K. Straße ist nicht in die nähere Umgebung einzubeziehen, weil der B 12 vorliegend eine trennende Wirkung zukommt. Ob eine Straße trennende oder verbindende Wirkung hat und ob die Bebauung jenseits der Straße noch prägend ist für die Bebauung diesseits der Straße und umgekehrt, ist eine Frage des Einzelfalls (vgl. BVerwG, U.v. 12.12.1990 – 4 C 40.87 – BauR 1991, 308; BayVGH, U.v. 24.7.2014 – 2 B 14.896 – BayVBl 2015, 317). Die erforderliche Einzelfallwürdigung gilt auch in Bezug auf vorhandene Hauptverkehrsstraßen, die nicht stets Baugebiete trennen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann vielmehr auch einer Hauptverkehrsstraße nach den Umständen des Einzelfalls eine trennende oder eine verbindende Wirkung zukommen (vgl. BVerwG, B.v. 11.2.2000 – 4 B 1.00 – juris). Entscheidend ist die tatsächlich vorhandene städtebauliche Situation. Diese kann so beschaffen sein, dass die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung dort zu ziehen ist, wo zwar jeweils einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit aber voneinander verschiedenen Bau- und Nutzungsstrukturen aneinander stoßen. Der Grenzverlauf der näheren Umgebung ist nicht davon abhängig, dass die unterschiedliche Bebauung durch eine künstliche oder natürliche Trennlinie (Straße, Schienenschranken, Gewässerlauf, Geländekante etc.) entkoppelt ist (vgl. BVerwG, B.v. 29.8.2003 – 4 B 74.03 – juris). Eine solche Linie hat bei einer beidseitig andersartigen Siedlungsstruktur nicht stets eine trennende Funktion (vgl. BVerwG, B.v. 10.6.1991 – 4 B 88.91 – juris). Umgekehrt führt ihr Fehlen nicht dazu, dass benachbarte Bebauungen stets als miteinander verzahnt anzusehen sind und insgesamt die nähere Umgebung ausmachen. Nach der danach erforderlichen Einzelfallwürdigung geht der Senat vorliegend davon aus, dass die vorhandene Hauptverkehrsstraße trennende Wirkung hat. Bei der B 12 handelt es sich um eine stark befahrene Bundesstraße. Nach dem Ergebnis des Augenscheins ist erkennbar, dass die B 12 eine Zäsur zwischen den beiden Gebieten bildet. So befindet sich vom Vorhabenstandort aus gesehen schräg gegenüber das Städtische Senioren- und Pflegeheim R. (Niederschrift über den Augenschein vom 27.7.2017, S. 2). Dieser große Bebauungskomplex erscheint von seiner Struktur her anders als die Bebauung östlich der K. Straße. Diese optische Wirkung wird noch dadurch verstärkt, dass im unmittelbaren Bereich des Bauvorhabens keine Übergänge etwa mit Ampelanlagen vorhanden sind. Auch die Beklagte ist im angefochtenen Bescheid davon ausgegangen, dass der B 12 trennende Wirkung zukommt.
b) Das Vorhabensgrundstück befindet sich in einem Bereich, in dem verschiedene Elemente vorzufinden sind. Beim Anwesen K. Straße 58 handelt es sich um ein größeres Gebäude. Im Erdgeschoss finden sich ein Friseursalon sowie ein Architekturbüro, im Obergeschoss ist Wohnnutzung vorhanden. Beim Anwesen K. Straße 60 handelt es sich um ein viergeschossiges größeres Mehrfamilienhaus. Anschließend findet sich ein kleinerer Parkplatz, der zu der Gewerbeeinheit K. Straße 66 gehört. Danach folgt auf dem Anwesen K. Straße 64 die Gaststätte „P. Bar“. Im Obergeschoss befinden sich Wohnräume. Neben der Gaststätte befindet sich ein kleiner Parkplatz mit acht Parkplätzen. Beim Anwesen K. Straße 66 finden sich eine Bäckerei und Konditorei mit Café, ein Getränkemarkt sowie der Fabrikverkauf L. (s. world). Wohnnutzung sowie Ferienwohnnutzung finden sich in der K. Straße 70, beim Anwesen K. Straße 70a beschränkt sich die Nutzung auf Wohnen. Im Anwesen K. Straße 72 finden sich eine Musikschule sowie eine Musikalienhandlung, im Dachgeschoss Wohnnutzung. Bei den Anwesen K. Straße 74 und 76 handelt es sich um größere Mehrfamilienhäuser, ebenso bei der K. Straße 78 und 82. Beim Anwesen K. Straße 84 ist eine Wäscherei genehmigt. Inzwischen wird das Gebäude aber als Lager benutzt. In den Anwesen K. Straße 86a und b entstehen größere Mehrfamilienhäuser. Das Anwesen K. Straße 88 ist ein größeres Mehrfamilienhaus (Niederschrift über den Augenschein vom 27.7.2017, S. 2 und 3). Die im maßgeblichen Bereich vorgefundenen Elemente reichen von Wohn-, Geschäfts- und Bürogebäuden bis zur Einzelhandelsnutzung. Damit entziehen sich die vorgefundenen Elemente einer klaren Klassifikation. In seiner zufälligen Zusammensetzung entspricht das Gebiet daher keinen städtebaulichen Ordnungsvorstellungen. Die maßgebliche nähere Umgebung ist somit als Gemengelage einzustufen.
Der Senat teilt die Auffassung des Erstgerichts, dass der Annahme eines allgemeinen Wohngebiets jedenfalls der Fabrikverkauf L. (s. world) im Gebäude auf FlNr. 193 Gemarkung R. entgegensteht. Dabei handelt es sich weder um einen der Versorgung des Gebiets dienenden Laden nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO noch um einen sonstigen nicht störenden Gewerbebetrieb gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO, der ausnahmsweise im allgemeinen Wohngebiet zulässig ist. Unter dem Eindruck des Augenscheins ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass der Fabrikverkauf L. (s. world) nicht der Versorgung des Gebiets dient. Insofern kommt es diesbezüglich auf die Darlegungen des Klägers und die Ermittlungen seines Detektivs nicht an. Bei dem Fabrikverkauf L. (s. world) handelt es sich um einen großmarktähnlich organisierten Verkauf. Die Waren sind in Kisten reihum aufgestapelt. (Niederschrift über den Augenschein vom 27.7.2017, S. 2). Das Erscheinungsbild entspricht einer auf einen größeren Kundenkreis abzielenden Verkaufsstätte. Das Angebot besteht im Wesentlichen aus Gebäck- und Knabberwaren und ist von daher hoch spezialisiert. Auch dies ist ein Gesichtspunkt, der gegen einen der Versorgung des Gebiets dienenden Laden spricht.
Der Fabrikverkauf L. (s. world) ist auch nicht als Fremdkörper von der Betrachtung auszuschließen. Als Fremdkörper sind lediglich bauliche Anlagen auszusondern, die von ihrem quantitativen Erscheinungsbild oder nach ihrer Qualität gar nicht die Kraft haben, die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen, die der Betrachter also nicht oder nur am Rand wahrnimmt (vgl. BVerwG, U.v. 15.2.1990 – 4 C 23.86 – BVerwGE 84, 322; BayVGH, U.v. 13.9.2012 – 2 B 12.109 – BayVBl 2013, 241). Dies ist hier nicht der Fall. Bereits quantitative Gesichtspunkte sprechen gegen eine Einordnung als Fremdkörper. Der Fabrikverkauf L. (s. world) ist deutlich wahrnehmbar. Die Anlage fällt in ihrer Qualität auch nicht völlig aus dem Rahmen der sonst in der näheren Umgebung anzutreffenden Bebauung heraus. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass auch die Beklagte im angefochtenen Bescheid die Auffassung vertreten hat, dass die Eigenart der näheren Umgebung keiner der Baugebietstypen der Baunutzungsverordnung entspricht (Bescheid vom 8.4.2015, S. 3).
Ein faktisches Mischgebiet liegt nicht vor. Gemäß § 6 Abs. 1 BauNVO dienen Mischgebiete dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, B.v. 11.4.1996 – 4 B 51.96 – NVwZ-RR 1997, 463) stehen diese Nutzungen als gleichwertige Funktionen nebeneinander. Dabei ist das Verhältnis der beiden Nutzungsarten weder nach der Fläche noch nach den Anteilen zu bestimmen. Allerdings bedeutet dies auch, dass keine der Nutzungsarten ein deutliches Übergewicht gewinnen darf. Es muss sowohl qualitativ als auch quantitativ eine Durchmischung von Wohnen und nicht wesentlich störendem Gewerbe gegeben sein. Gewerbliche Nutzungen finden sich hier lediglich auf den Grundstücken FlNr. 193 Gemarkung R. (Fabrikverkauf L. s. world, Getränkemarkt, Bäckerei und Konditorei), FlNr. 196 Gemarkung R. (Friseursalon) und FlNr. 96 Gemarkung R. (Musikalienhandlung). Weiterhin ist auf dem Grundstück FlNr. 101 eine gewerbliche Nutzung genehmigt, wobei das Gebäude mittlerweile als Lager genutzt wird. Demgegenüber ist auf acht Grundstücken in der näheren Umgebung reine Wohnnutzung gegeben. Im Bereich der näheren Umgebung findet sich mithin zahlreiche, auch mehrstöckige Wohnbebauung. Zudem findet sich auf FlNr. 196 Gemarkung R. über dem Ladengeschäft Wohnnutzung (vgl. Niederschrift über den Augenschein vom 27. Juli 2017, S. 3). Gleiches gilt für das Anwesen auf der FlNr. 194. Im vorliegenden Fall tritt daher in der näheren Umgebung eine der beiden Hauptnutzungsarten, nämlich das Wohnen, sowohl nach Anzahl als auch nach Umfang übergewichtig in Erscheinung.
c) Für die Frage, ob sich ein Vorhaben nach seiner Nutzungsart in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, ist die konkrete, am tatsächlich Vorhandenen ausgerichtete Betrachtung maßgeblich (vgl. BVerwG, U.v. 15.12.1994 – 4 C 13.93 – juris). Nach der Art der baulichen Nutzung hält sich das Vorhaben nicht im Rahmen der Umgebungsbebauung, weil sich in der maßgeblichen näheren Umgebung keine weitere nicht kerngebietstypische Vergnügungsstätte findet.
d) Eine Überschreitung des in der Umgebung gesetzten Rahmens führt zwar im Regelfall zur Unzulässigkeit des Vorhabens, da dies in der Regel die Gefahr nach sich zieht, dass der gegebene Zustand in negativer Hinsicht in Bewegung und damit in Unordnung gebracht wird. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde gelegt, wonach dies aber nicht unbedingt gilt (vgl. BVerwG U.v. 26.5.1978 – IV C 9.77 – BVerwGE 55, 369). Die Frage, ob eine solche Entwicklung zu befürchten ist, kann nur unter Berücksichtigung der konkreten Eigenart der näheren Umgebung und der konkreten Umstände, die Spannungen hervorrufen können, beantwortet werden. Die abstrakte und nur entfernt gegebene Möglichkeit, dass ein Vorhaben Konflikte im Hinblick auf die Nutzung benachbarter Grundstücke auslöst, schließt die Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB nicht aus (vgl. BVerwG, U.v. 15.12.1994 – 4 C 13.93 – juris). Vorliegend besteht angesichts der besonderen Umstände des Einzelfalls nicht die Gefahr, dass sich die gegebene Situation verschlechtert, gestört, belastet oder in Bewegung gebracht wird.
aa) Die Gefahr, dass städtebauliche Spannungen bereits durch eine Vorbildwirkung entstehen, weil die weitere Ansiedlung einer Spielhalle dieser Größenordnung nicht mehr verhindert werden könnte, ist nicht gegeben. Wie der Senat bei seinem Augenscheinstermin feststellen konnte, sind in der Umgebung keine Leerstände in Gebäuden ersichtlich, die die weitere Ansiedlung einer Spielhalle befürchten lassen. Insoweit besteht lediglich eine – nicht ausreichende – abstrakte Möglichkeit wegen der in der Umgebung vorhandenen Läden bei einer etwaigen Umnutzung. Soweit die Beklagte befürchtet, dass in den Anwesen K. Straße 84 (FlNr. 101 Gemarkung R.*) und 94 (FlNr. 129 Gemarkung R.) weitere Spielhallen eingerichtet werden könnten, hat die Klägerseite darauf hingewiesen, dass das Anwesen K. Straße 84 zu nah am beantragten Vorhaben liegt. Am 24. Juli 2017 wurde das „Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Staatsvertrags zum Glücksspielwesen in Deutschland und andere Rechtsvorschriften (AGGlüStV)“ für Bayern beschlossen (GVBl S. 393). Das Gesetz ist am 1. August 2017 in Kraft getreten. Nach Art. 9 Abs. 3 Satz 1 AGGlüStV darf ein Mindestabstand von 500 m Luftlinie zu einer anderen Spielhalle nicht unterschritten werden. Abweichend hiervon beträgt der Mindestabstand bei bestehenden Spielhallen und solchen, für die der vollständige Antrag auf Erlaubnis bis zum 30. Juni 2017 gestellt wurde, 250 m Luftlinie. Das Anwesen K. Straße 84 liegt in einem Abstand von ca. 225 m (gegriffen aus dem Lageplan vom 13.7.2017, Bl. 239 der VGH-Akte) zum Vorhabensgrundstück. Damit ist hier eine Erlaubniserteilung nicht zu erwarten. Zwar kann die zuständige Erlaubnisbehörde unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Umfeld des jeweiligen Standorts und der Lage des Einzelfalls Ausnahmen von dem nach Satz 1 festgesetzten Mindestabstand zulassen (Art. 9 Abs. 3 Satz 2 AGGlüStV). Der Senat hat jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Verhältnisse im Umfeld des Standorts eine Ausnahme von dem nach Satz 1 festgesetzten Mindestabstand zulassen würden.
Das Anwesen K. Straße 94 liegt bereits außerhalb der hier zu betrachtenden näheren Umgebung. Im Übrigen gelten die obigen Überlegungen hier entsprechend, da das Anwesen K. Straße 94 innerhalb eines Radius von 500 m liegt (ca. 360 m, gegriffen aus dem Lageplan vom 13.7.2017, Blatt 239 der VGH-Akte).
bb) Für die Frage, ob die erste Vergnügungsstätte in einem Gebiet die städtebauliche Situation negativ in Bewegung bringt, sind vor allem die in § 1 Abs. 6 BauGB angeführten städtebaulichen Belange maßgeblich (vgl. BVerwG, U.v. 26.5.1978 – 4 C 9.77 – BVerwGE 55, 369). Die Beklagtenseite hat darauf hingewiesen, dass sie ein Vergnügungsstättenkonzept in Planung habe und die Mittel hierfür für das Jahr 2018 angemeldet seien. Nach § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB sind grundsätzlich nur die Ergebnisse eines von der Gemeinde beschlossenen städtebaulichen Entwicklungskonzepts oder einer von ihr beschlossenen sonstigen städtebaulichen Planung zu berücksichtigen. Jedenfalls in seinem derzeitigen Verfahrensstadium kann ein Vergnügungsstättenkonzept – welche städtebauliche Bedeutung man diesem auch beimessen möchte – keine Auswirkungen haben. Ein weitreichender Planungsstand wurde von Beklagtenseite nicht dargetan.
cc) Soweit von der Beklagten ausgeführt wurde, dass an eine Überplanung zu denken sei, vermag auch dies eine konkrete Verschlechterung der heutigen städtebaulichen Situation nicht zu begründen. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB knüpft die Zulässigkeit an Voraussetzungen, die sich an der Umgebungsbebauung zu orientieren haben. Die Vorschrift bietet keine Garantie dafür, dass die Eigenart des Gebiets auf Dauer unangetastet bleibt. Der vom Gesetzgeber in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB verwandte Zulässigkeitsmaßstab bringt es zwangsläufig mit sich, dass sich der Beurteilungsrahmen für künftige Vorhaben durch bauliche Veränderungen in der Umgebung verschieben kann (vgl. BVerwG, B.v. 13.11.1997 – 4 B 195.97 – juris [Rn. 6]). § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB bietet keine Handhabe, überkommene Strukturen zu perpetuieren. Es wäre mithin an der Beklagten ihre städtebaulichen Vorstellungen durch die Mittel der Bauleitplanung zu verwirklichen. Allein die Überlegung, einen Bebauungsplan aufzustellen, ist kein städtebaulicher Belang, der im Rahmen des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zu berücksichtigen wäre.
dd) Die Beklagte befürchtet einen Trading-Down-Effekt. Ein solcher Effekt liegt vor, wenn es aufgrund der Verdrängung des traditionellen Einzelhandels und damit eines Rückgangs der gewachsenen Angebots- und Nutzungsvielfalt durch Spielhallen zu einem Qualitätsverlust von Einkaufsstraßen und –zonen kommt (vgl. Brandenburg/Brunner, BauR 2011, 1851; Kaldewei, BauR 2009, 1227). Der Senat folgt dabei der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach sich die Frage, ab wann von einem Trading-Down-Effekt auszugehen ist, nicht allgemein, sondern nur mit Blick auf die Umstände des konkreten Einzelfalls beantworten lässt (vgl. BVerwG, B.v. 4.9.2008 – 4 BN 9.08 – juris). Ob ein Trading-Down-Effekt zu befürchten ist, beurteilt sich nicht nach quantitativen Faktoren. In dem hier vorliegenden Fall ist ein solcher Effekt nicht zu befürchten. Durch eine einzige nicht kerngebietstypische Spielhalle ist ein solcher Effekt in einer städtebaulichen Gemengelage auch kaum zu erwarten. Hier wird auch kein traditioneller Einzelhandel verdrängt, sondern die Einrichtung soll in einer bisherigen Gaststätte erfolgen. Die Gemengelage und die dort vorherrschenden Nutzungen zeigen ferner, dass das Gebiet auch auf einen übergeordneten Einzugsbereich abzielt (Fabrikverkauf L. s. world, Musikgeschäft) und nicht nur der Versorgung oder gar Entspannung und Freizeit in einem begrenzten Stadtteil dient. Wie sich im Augenscheinstermin bestätigt hat, zielen die im Gebiet ansässigen Gewerbebetriebe auf Kunden ab, für die die Attraktivität der Umgebung keine Rolle spielt. Es handelt sich bei der maßgeblichen näheren Umgebung um ein Gebiet, wie es sich typischerweise entlang von Ein- und Ausfallstraßen mittelgroßer Städte entwickelt hat. Mögen dort vor langer Zeit vereinzelt bevorzugte Wohnlagen anzutreffen gewesen sein, kann davon angesichts der zunehmenden Motorisierung der Bevölkerung keine Rede mehr sein. Auch sonst ist nicht zu erkennen, aus welchen städtebaulichen Gründen die nähere Umgebung vor der Ansiedlung einer Spielhalle geschützt werden müsste. Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung auf die städtische Obdachlosenunterkunft in der R. Straße 63 (FlNr. 199/1 Gemarkung R.*) hingewiesen hat, gehört diese nicht mehr zur näheren Umgebung.
ee) Auch das objektiv rechtliche Gebot der Rücksichtnahme im Rahmen des Einfügens nach § 34 Abs. 1 BauGB ist nicht verletzt. Eine stärkere Belästigung der Wohnbebauung auf den umliegenden Grundstücken als durch die Gaststätte ist hier nicht zu erwarten, zumal sich die Parkplätze für das Vorhaben auf dem Vorhabensgrundstück befinden. Die nächstgelegene Wohnbebauung auf FlNr. 196/1 ist vom Bauvorhaben deutlich abgesetzt. Zwischen dem Bauvorhaben und dieser Wohnbebauung befindet sich sowohl der kleine Parkplatz, der zur Gewerbeeinheit K. Straße 66 gehört als auch der kleine Parkplatz mit 8 Stellplätzen, der zur Gaststätte auf dem Anwesen K. Straße 64 gehört (vgl. Niederschrift über den Augenschein vom 27.7.2017, S. 2). Auch insoweit ist zu berücksichtigen, dass die geplante Spielhalle sich direkt an der B 12 befindet. Für den Senat sind keine Anhaltspunkte erkennbar, dass das Bauvorhaben zu Immissionen führen wird, die gegenüber der vorhandenen Wohnbebauung unzumutbar sind. Dies gilt auch für die ohnehin nicht mehr zur näheren Umgebung gehörenden Nutzungen des an der B 12 gegenüberliegenden Senioren- und Pflegeheims in der R. Straße 57 (FlNr. 38 und 91 Gemarkung R.) sowie des (ehemaligen) Bestattungsinstituts in der K. Straße 56 (FlNr. 35 Gemarkung R.).
3. An dem gefundenen Ergebnis würde sich auch nichts ändern, wenn man als nähere Umgebung das gesamte Straßengeviert nehmen würde. Denn auch bei einer umfassenderen Sichtweise wäre die nähere Umgebung als Gemengelage einzustufen. Keinesfalls käme man zu dem von der Beklagten im Berufungsverfahren vorgetragenen allgemeinen Wohngebiet. Denn diesem steht schon der Fabrikverkauf L. (s. world) entgegen. Soweit bei dieser Betrachtungsweise auch die Städtische Obdachlosenunterkunft in der R. Straße 63 (FlNr. 199/1 Gemarkung R.) zur näheren Umgebung zählen würde, ändert dies an der Zulässigkeit des Vorhabens nichts. Denn zu den städtebaulichen Gründen zählt insbesondere nicht, Vorsorge gegen Spielleidenschaft zu treffen (vgl. BVerwG, B.v. 22.5.1987 – 4 N 4.96 – BVerwGE 77, 308; Hauth in Rixner/Biedermann/Steger, BauGB BauNVO, 2. Aufl. 2014, § 1 BauNVO Rn. 36). Suchtprävention ist auf andere Weise zu bewerkstelligen. Überdies zählen die Bewohner dieser Unterkunft offensichtlich nicht zum vom Kläger gewünschten Kundenkreis (Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 27.7.2017, S. 4). Auch sonstige städtebauliche Gründe, wie etwa der Schutz vor Immissionen, führen bei einer erweiterten Betrachtung hinsichtlich der dann einzubeziehenden Objekte nicht zur Unzulässigkeit des Vorhabens, da angesichts der Entfernungen und der vielbefahrenen B 12 nicht erkennbar ist, dass städtebauliche Spannungen auftreten werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.