Aktenzeichen Au 4 K 18.203
Leitsatz
1. Wird eine Klage abgewiesen, geben erst die tragenden Gründe des Urteils Aufschluss darüber, weshalb ein geltend gemachter Anspruch verneint wurde. Deshalb nehmen die tragenden Gründe an der Rechtskraft des Urteils teil. Mehrere selbstständig nebeneinander stehende, das Urteil tragende Erwägungen nehmen sämtlich an der Rechtskraft teil. (Rn. 60) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Abweisung einer Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Baugenehmigung erstreckt sich die Rechtskraft- bzw. Bindungswirkung auch auf die Feststellung der materiellen Baurechtswidrigkeit des Vorhabens. (Rn. 60) (redaktioneller Leitsatz)
3. Dem Urteil in einem Vorprozess kommt Bindungswirkung auch in den Fällen zu, in denen die rechtskräftige Zu- oder Aberkennung eines prozessualen Anspruchs für einen anderen zwischen denselben Beteiligten streitigen prozessualen Anspruch vorgreiflich ist, d.h. auch bei fehlender Identität des Streitgegenstands. (Rn. 63) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage, über die gem. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, bleibt ohne Erfolg.
Sie ist unzulässig, weil ihr die Bindungswirkung des rechtskräftig gewordenen Urteils vom 18. Oktober 2017 im Verfahren Au 4 K 17.23 entgegensteht (§ 121 Nr. 1 VwGO). Mit diesem Urteil ist rechtskräftig darüber entschieden, dass der nunmehr von der Klägerin erneut geltend gemachte Anspruch auf Erteilung eines Bauvorbescheids nicht besteht. Das umstrittene Vorhaben ist in den Punkten, auf den die Kammer ihre klageabweisende Entscheidung vom 18. Oktober 2017 gestützt hat, identisch mit demjenigen, für das die Klägerin im vorliegenden Verfahren einen Vorbescheid erstreiten will. Die Sach- und Rechtslage hat sich seither nicht in einer die Klägerin begünstigenden Weise geändert. Die Bindungswirkung des im Vorprozess ergangenen Urteils steht damit jeder erneuten, zumindest aber jeder abweichenden Sachentscheidung entgegen (vgl. BayVGH, U.v. 10.11.1995 – 26 B 93.426 – UA S. 8 [angeführt in den Schriftsätzen des Beigeladenen und der Klägerin]).
Die Kammer hat in ihrem Urteil vom 18. Oktober 2017 den seinerzeit geltend gemachten Anspruch auf Erteilung eines Bauvorbescheids für einen Lebensmittelmarkt mit Tiefgarage und Stellplätzen verneint, weil das Baugrundstück im Außenbereich gem. § 35 BauGB liege und das Vorhaben den Darstellungen des Flächennutzungsplans des Beigeladenen gem. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB widerspricht (Rn. 65 – 79 des Urteils). Die Klage sei aber auch dann unbegründet, wenn man – wie die Klägerin – von einer Baulücke im Sinne des § 34 BauGB ausginge. In der maßgeblichen näheren Umgebung befinde sich bislang kein großflächiger Einzelhandelsbetrieb; bei Zulassung eines solchen Betriebs der Klägerin könnten städtebauliche Spannungen auf Grund der Vorbildwirkung entstehen (vgl. Rn. 81 – 88 des Urteils).
Der streitgegenständliche Vorbescheidsantrag weicht von demjenigen, über den im Vorprozess entschieden wurde, allein hinsichtlich der Verkaufsfläche ab (799 m2 statt ca. 950 m2). Diese Änderung betrifft nur die Frage der Großflächigkeit i.S.d. § 11 Abs. 3 Satz 1 BauNVO, die nunmehr nicht mehr gegeben wäre (zur Schwelle von 800 m2 Verkaufsfläche vgl. BVerwG, U.v. 24.11.2005 – 4 C 10/04 – BVerwGE 124, 364 – juris). Relevanz hätte diese Änderung nur, wenn das Vorhaben bauplanungsrechtlich nach § 34 BauGB zu beurteilen wäre. Hinsichtlich des weiteren – im Urteil vom 18. Oktober 2017 schwerpunktmäßig behandelten – Versagungsgrunds der Lage im Außenbereich und des Entgegenstehens eines Belangs gem. § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB ergeben sich jedoch Änderungen der Sach- oder Rechtslage weder aus dem Vorbescheidsantrag, noch hinsichtlich der Bebauung in der Umgebung des Baugrundstücks oder hinsichtlich der Festsetzungen des Flächennutzungsplans. Insoweit hätte die Kammer im vorliegenden Verfahren über die identischen Sach- und Rechtsfragen zu entscheiden wie im Vorprozess. Eine derartige Wiederholung der Prüfung ist mit der sich aus § 121 Nr. 1 VwGO ergebenden Bindungswirkung nicht zu vereinbaren.
Dementsprechend hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in dem bereits angeführten Urteil vom 10. November 1995 (26 B 93.426 zu VG Augsburg, GB v. 23.12.1992 – Au 4 K 90.1342) die Unzulässigkeit einer Verpflichtungsklage (Untätigkeitsklage) betreffend einen Tektur-Bauantrag angenommen, der gegenüber demjenigen des Vorprozesses nicht entscheidungserheblich geändert worden war. Die Änderungen des Vorhabens, zu denen sich der dortige Kläger hatte entschließen können, berührten die maßgebenden Gründe des klageabweisenden Urteils nicht. Rechtserheblich sei allein, ob den entscheidungstragenden Erwägungen im rechtskräftigen Urteil die Grundlage entzogen sei; eine solche Situation habe der dortige Kläger nicht geschaffen (BayVGH, U.v. 10.11.1995 – 26 B 93.423 – UA S. 10 f.). Eine vergleichbare Konstellation liegt hier vor.
Für die Annahme einer Bindungswirkung gem. § 121 Nr. 1 VwGO spricht auch folgendes: Wird – wie hier im Vorprozess – eine Klage abgewiesen, geben erst die tragenden Gründe Aufschluss darüber, weshalb ein geltend gemachter Anspruch verneint wurde. Deshalb nehmen diese an der Rechtskraft des Urteils teil (vgl. BVerwG, U.v. 7.8.2008 – 7 C 7/08 – juris Rn. 18). An der Rechtskraft teil nehmen mithin die tragenden Gründe für die Verneinung des Anspruchs. Damit entfaltet auch die Aussage im gerichtlichen Urteil Bindungswirkung, aus welchen Gründen der Anspruch nicht besteht. Dementsprechend erstreckt sich die Rechtskraft- bzw. Bindungswirkung bei der Abweisung einer Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Baugenehmigung auch auf die Feststellung der materiellen Baurechtswidrigkeit des Vorhabens (vgl. BVerwG, B.v. vom 11.11.1998 – 8 B 218.98 – juris Rn. 5). Mehrere selbstständig nebeneinander stehende, das Urteil tragende Erwägungen nehmen sämtlich an der Rechtskraft teil (Clausing, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 121 Rn. 51).
Aus den Gründen des im Vorprozess ergangenen Urteils ergibt sich, dass die Kammer – selbstständig tragend – angesichts § 35 BauGB von einer materiellen Baurechtswidrigkeit des Vorhabens, unabhängig von der Verkaufsfläche, ausgegangen ist. Dieser Grund für die Verneinung des Anspruchs ist entsprechend der dargestellten Rechtsprechung in Rechtskraft erwachsen. Die von der Klägerin vorgenommene Reduzierung der Verkaufsfläche berührt diesen Versagungsgrund, d.h. diesen Grund für die Baurechtswidrigkeit nicht.
Insoweit sind auch nicht bloße Vorfragen – oder tatsächlichen Feststellungen, Feststellungen einzelner Tatbestandsmerkmale, der Entscheidung zugrunde liegenden vorgreiflichen Rechtsverhältnisse oder Schlussfolgerungen – innerhalb des rechtskräftigen vorangegangenen Urteils angesprochen (vgl. hierzu etwa BVerwG, U.v. 18.09.2001 – 1 C 4/01 – BVerwGE 115, 111 – juris Rn. 14). Hiergegen spricht bereits, dass die Fragen des Vorbescheidsantrags i.S.d. Art. 71 Satz 1 BayBO aus dem Vorprozess wort-, und bis auf die (für die Baurechtswidrigkeit gem. § 35 BauGB unerhebliche) Verkaufsfläche zahlengleich sind. Gerade die Klärung der materiellen Baurechtmäßigkeit war bereits Gegenstand des Vorbescheidsantrags aus dem Vorprozess und Gegenstand des vorangegangenen Urteils. Insofern ist die Baurechtswidrigkeit im Vorprozess keine Vor-, sondern die zu klärende Frage selbst gewesen. Hieran ändert nichts, dass der Beklagte auf den erneuten Vorbescheidsantrag einen weiteren Ablehnungsbescheid erlassen hat. Die Aufhebung des Versagungsbescheids gehört nicht zum Streitgegenstand der Verpflichtungsklage (vgl. Sodan/Ziekow, VwGO, § 121 Rn. 51).
Im Übrigen kommt dem Urteil im Vorprozess Bindungswirkung auch in den Fällen zu, in denen die rechtskräftige Zu- oder Aberkennung eines prozessualen Anspruchs für einen anderen zwischen denselben Beteiligten streitigen prozessualen Anspruch vorgreiflich ist, d.h. auch bei fehlender Identität des Streitgegenstands (vgl. BVerwG, B.v. 25.3.2010 – 4 B 13/10 – juris Rn. 9; BVerwG, U.v. 18.9.2001 – 1 C 4/01 – BVerwGE 115, 111 – juris Rn. 13). Jedenfalls eine solche Vorgreiflichkeit in Bezug auf den jetzt zur Prüfung gestellten Vorbescheidsantrags wäre hier anzunehmen. Zweck des § 121 VwGO ist es zu verhindern, dass die aus einem festgestellten Tatbestand hergeleitete Rechtsfolge, über die durch Urteil entschieden worden ist, bei unveränderter Sach- und Rechtslage erneut – mit der Gefahr unterschiedlicher Ergebnisse – zum Gegenstand eines Verfahrens zwischen denselben Parteien gemacht wird (BVerwG, U.v. 24.11.1998 – 9 C 53/97 – juris Rn 12). Der im Erstprozess unterlegene Beteiligte darf den bzw. die obsiegenden Beteiligten nicht erneut in eine Prozesssituation bringen, in der dieselben Sach- und Rechtsfragen zu beantworten sind (vgl. BVerwG, B.v. 25.3.2010 – 4 B 13/10 – juris Rn. 9). Das Vorbringen der Klägerin im vorliegenden Verfahren zielt jedoch erkennbar darauf ab, eine vom Urteil vom 18. Oktober 2017 abweichende Entscheidung der Kammer in Bezug auf die Lage des Vorhabengrundstücks im Innen- oder Außenbereich herbeizuführen. Diesem Vorgehen stehen die dargestellten Grundsätze sowie Sinn und Zweck des § 121 VwGO entgegen.
Selbst wenn man jedoch annähme, dass keine Bindungswirkung des vorangegangenen Urteils besteht, geht die Kammer auch bei Würdigung der Ausführungen der Klägerin im jetzigen Verwaltungsstreitverfahren weiterhin davon aus, dass das zur Bebauung vorgesehene Grundstück bzw. die Vorhabensfläche im Außenbereich gem. § 35 BauGB liegt. Die Klägerin hat im vorliegenden Verfahren nochmals ihre diesbezüglichen Sach- und Rechtsausführungen vertieft. Die von ihr angesprochenen Fragen, insbesondere zur trennenden Wirkung von *- und * Straße, zur Qualifizierung der öffentlichen Parkplatzflächen nördlich des klägerischen Grundstücks, sowie zur Bewertung der Freifläche auf dem Vorhabengrundstück sowie ihre Einbettung in die Umgebung, sind bereits Gegenstand der Ausführungen der Beteiligten im Vorprozess und dementsprechend der Überlegungen, Beratungen und Urteilsausführungen der Kammer gewesen. Die Kammer kann dem Vortrag der Klägerin der Sache nach keinen von ihr für die Frage, ob es sich um Innen- oder Außenbereich handelt, bisher nicht erkannten oder berücksichtigten Umstand entnehmen.
Hinsichtlich des Pultdachs (Frage 2 des Vorbescheidsantrags) kommt es angesichts der (weiterhin) negativen Beantwortung der ersten Vorbescheidsfrage wie bisher nicht an (vgl. Rn. 88 des Urteils vom 18.10.2017).
Die Klage war nach allem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da sich der Beigeladene mit der Stellung eines eigenen Antrags in ein Kostenrisiko begeben hat (§ 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit, der Klägerin auch seine außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.