Baurecht

Beeinträchtigung des Grundstückseigentums durch Nutzung einer Brücke und Voraussetzungen eines Notwegerechts

Aktenzeichen  2 U 2451/20

Datum:
19.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 5889
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 903, § 905, § 917, § 1004 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Der Eigentümer muss grundsätzlich ggf. auch Umbaumaßnahmen vornehmen, um eine vorhandene Verbindung seines Grundstücks zu einem öffentlichen Weg nutzen zu können. Nur wenn dies nicht möglich ist oder wenn die mit der Schaffung eines solchen Zugangs verbundenen Erschwernisse so groß sind, dass die Wirtschaftlichkeit der Grundstücksnutzung aufgehoben oder in unzumutbarer Weise geschmälert wird, ist der Nachbar zur Duldung der Benutzung seines Grundstücks als Zugang verpflichtet (hier verneint im Hinblick auf die Nutzung des Nachbargrundstücks zwecks Befahrens einer Brücke). (Rn. 10 – 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

18 O 6735/19 2020-06-23 Urt LGNUERNBERGFUERTH LG Nürnberg-Fürth

Gründe

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 23.06.2020, Az. 18 O 6735/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Der Beklagte ist nicht berechtigt, die streitgegenständliche Brücke zu nutzen. Er ist vielmehr verpflichtet, die damit verbundene Störung des Eigentumsrechts des Klägers zu unterlassen.
1. Allein ein dem Inhalt des Eigentums widersprechende Zustand begründet gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB einen Abwehranspruch (BGH, Urteil vom 19.12.1975 – V ZR 38/74 -, juris Rn. 13; Versäumnisurteil vom 22.09.2000 – V ZR 443/99 -, juris Rn. 8).
Zu dem Zuweisungsgehalt des (Grundstücks-)Eigentums gehört nicht nur die Abwehr von Beeinträchtigungen der Sachsubstanz, sondern auch das Recht, darüber zu entscheiden, wer das Grundstück betreten darf und zu welchen Bedingungen dies ermöglicht werden soll (BGH, Urteil vom 01.03.2013 – V ZR 14/12 -, juris Rn. 14; Urteil vom 19.12.2014 – V ZR 324/13 -, juris Rn. 8). Demgemäß stellt das unbefugte Befahren oder nur Betreten eines fremden Grundstücks eine Eigentumsbeeinträchtigung dar (BGH, Urteil vom 11.04.2003 – V ZR 323/02 -, juris Rn. 8; BayObLG, Urteil vom 25.05.2004 – 1Z RR 2/03 -, juris Rn. 21; ebenso: Thole in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2019, § 1004 Rn. 59). Irgendeine Schädlichkeit ist dazu nicht erforderlich (Saller in: Grziwotz/Lüke/Saller, Praxishandbuch Nachbarrecht, 3. Aufl., Kap. 5 Rn. 19).
2. Entsprechendes gilt im vorliegenden Fall in Bezug auf das Betreten bzw. Befahren der streitgegenständlichen Brücke. Nach der gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindenden Feststellung des Landgerichts ruht diese auf (zumindest) einem Fundament, das sich auf dem klägerischen Grundstück befindet. Wer die Brücke zur Überquerung des Flusslaufes betritt oder befährt, nutzt damit zwangsläufig das Eigentum des Klägers.
Unabhängig davon gehört zu den abwehrbaren Beeinträchtigungen gemäß § 905 Satz 1 BGB grundsätzlich das Benutzen des Luftraums über einem Grundstück (OLG Frankfurt, Beschluss vom 11.01.2011 – 4 W 43/10 -, juris Rn. 12; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26.02.2007 – 9 W 105/06 -, juris Rn. 2; Saller in: Grziwotz/Lüke/Saller, Praxishandbuch Nachbarrecht, 3. Aufl., 5. Kap. Rn. 19), wie es auch beim Betreten oder Befahren einer Brücke der Fall ist.
Die Beschränkung des Eigentumsrechtes nach § 905 Satz 2 BGB beginnt erst dort, wo jedes Interesse des Eigentümers an der Ausübung von Eigentumsrechten oberhalb der Grundfläche seines Grundeigentums aufhört. Zu berücksichtigen ist dabei jedes schutzwürdige Interesse des Grundeigentümers, das sich als solches erkennen lässt (RG, Urteil vom 29.10.1904 – V 165/04 -, abgedruckt in: RGZ 59, 116, 118).
Gemessen daran ist die Befürchtung des Klägers beachtlich, dass die Brücke nur beschränkt tragfähig ist. Dies gilt unabhängig davon, ob sie letztlich objektiv und sachlich begründet ist (OLG Düsseldorf, Urteil vom 09.08.1989 – 9 U 36/89 -, juris Rn. 19; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 24.06.1997 – 1 W 51/97 -, juris Orientierungssatz). Denn insbesondere in Anbetracht der Ausführungen des Ingenieurbüros für Tragwerksplanung Ba. in den Schreiben vom 19.07.2019 (Anlage K3) und 12.09.2019 (Anlage K4) handelt es sich um eine Befürchtung, die – mag sie im Ergebnis vielleicht sogar unbegründet sein – durchaus von verständigen Personen geteilt werden kann, die ihrerseits nicht ohne weiteres in der Lage sind, sich ein eigenes Urteil darüber zu bilden, ob und inwieweit die Tragfähigkeit der Brücke gegeben ist (vgl. dazu: OLG Düsseldorf a. a. O.; RG, Urteil vom 29.10.1904 – V 165/04 -, abgedruckt in: RGZ 59, 116, 119 f.). Selbst wenn die vom Beklagten vorgelegten statistischen Berechnungen des Dipl.-Ing. (FH) B. (Anlage B1) und dessen Aussagen im Schreiben vom 29.08.2019 (Anlage B2) zutreffend sein sollten, gilt letztlich, dass der Kläger als Eigentümer nicht verpflichtet ist, überhaupt ein (auch nur abstraktes) Risiko, das von der Nutzung der Brücke ausgeht, hinzunehmen.
Die erforderliche Beziehung des schutzwürdigen Interesses des Klägers zur Nutzung des Grundstücks (BGH, Urteil vom 23.10.1980 – III ZR 146/78 -, juris Rn. 22) ergibt sich dabei ohne Weiteres aus den Folgen, die ein Einsturz der Brücke, insbesondere auch in Anbetracht des darunterliegenden Gewässers, haben würde. Dabei ist auch die unmittelbare Nähe der Brücke zur Grundstücksoberfläche (1,20 – 1,40 m) zu berücksichtigen.
3. Der Kläger ist nicht verpflichtet, gemäß § 917 BGB die Beeinträchtigung seines Eigentums durch die Nutzung der Brücke zu dulden; dem Beklagten steht kein Notwegerecht zu.
Das Grundstück mit der Flurnummer 3xx/1 hat über das Grundstück mit der Flurnummer 3xx/2 eine Verbindung mit einem öffentlichen Weg. Es mag sein, dass infolge der Bebauung dieser beiden Grundstücke mit einer Halle das Grundstück mit der Flurnummer 3xx/1 ohne die streitgegenständliche Brücke nicht unmittelbar mit einem Fahrzeug befahren werden kann. Für eine Erreichbarkeit mit Kraftfahrzeugen, die eine ordnungsmäßige Benutzung eines Wohngrundstücks in der Regel voraussetzt (BGB, Teilurteil vom 12.12.2008 – V ZR 106/07 -, juris Rn. 24), ist dies aber auch nicht erforderlich. Vielmehr ist es ausreichend, wenn das Kraftfahrzeug an das Wohngrundstück heranfahren und der Eingangsbereich von dieser Stelle aus in zumutbarer Weise – auch mit sperrigen Gegenständen – erreicht werden kann. Der Gesichtspunkt, dass das Erreichen des Hauseingangs bei einem Auffahren auf das Grundstück erleichtert möglich wäre, rechtfertigt noch kein Notwegerecht (BGH, Urteil vom 18.10.2013 – V ZR 278/12-, juris Rn. 12).
Dass ein Erreichen des Eingangsbereichs vom Flurstück 3xx/2 aus unzumutbar wäre, ergibt sich aus dem Vorbringen des als Anspruchstellers insofern darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten nicht (Saller in: Grziwotz/Lüke/Saller, Praxishandbuch Nachbarrecht, 3. Aufl., 4. Kap. Rn. 74; Fritzsche in: BeckOK BGB, 56. Edition, § 917 Rn. 40; Vollkommer in: BeckOGK, BGB, Stand 10/2020, § 917 Rn. 68). Soweit er sich darauf beruft, dass die Müllabfuhr und die Post über die Brücke abgewickelt werden, erschließt sich schon nicht, weshalb dies zukünftig nicht unter der Nutzung des Grundstücks mit der Flurnummer 3xx/2 in zumutbarer Weise möglich sein soll. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung des als Anlage K10 vorgelegten Lichtbildes, auf dem augenscheinlich ein Fahrzeug der Deutschen Post AG zu sehen ist, dass offensichtlich die Zufahrt über das Flurstück 3xx/2 genutzt hat, sowie im Hinblick auf das Schreiben des Entsorgungsunternehmens Ed. GmbH vom 16.07.2019 (Anlage K9), wonach die Müllentsorgung „trotz Sperrung der Zufahrtsbrücke auf der Flur-Nr. 3xx Gemarkung Mühlen, problemlos erfolgen“ können soll.
Zwar mag es sein, dass das Wohnanwesen des Beklagten mittels Hackschnitzeln beheizt wird und sich der Einfüllstutzen für diesen Brennstoff „am Wohnhaus in Richtung des Hofes befindet“, der „mit dem eigenen Schlepper“ nur über die streitgegenständliche Brücke erreichbar ist. Allein dieses Vorbringen vermag allerdings nicht, ein Notwegerecht des Beklagten zu begründen. Denn der Eigentümer muss grundsätzlich ggf. auch Umbaumaßnahmen vornehmen, um eine vorhandene Verbindung seines Grundstücks zu einem öffentlichen Weg nutzen zu können. Nur wenn dies nicht möglich ist oder wenn die mit der Schaffung eines solchen Zugangs verbundenen Erschwernisse so groß sind, dass die Wirtschaftlichkeit der Grundstücksnutzung aufgehoben oder in unzumutbarer Weise geschmälert wird, ist der Nachbar zur Duldung der Benutzung seines Grundstücks als Zugang verpflichtet (BGH, Urteil vom 07.07.2006 – V ZR 159/05 -, juris Rn. 12). Entsprechendes hat der Beklagte, der auch insofern als Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast trägt (OLG Karlsruhe, Urteil vom 28.07.2010 – 6 U 105/08 -, juris Rn. 18), nicht aufgezeigt. Er hat nicht dargelegt, dass die Grenze der Zumutbarkeit, für die im Übrigen allein das Verhältnis der für die Schaffung einer Zuwegung notwendigen Kosten zu der Wirtschaftlichkeit der Nutzung des Grundstücks maßgeblich ist (BGH, Urteil vom 15. April 1964 – V ZR 134/62 -, juris Rn. 13) – beispielsweise durch einen Umbau/Abriss der vorhandenen Halle oder eine Änderung am Heizsystem überschritten wäre. Der Beklagte hat nicht einmal substantiiert zum Einwand des Klägers im Schriftsatz vom 03.03.2020 auf Seite 2 (Bl. 28 d. A.) Stellung genommen, dass Hackschnitzel üblicherweise über Schläuche geliefert, nämlich eingeblasen werden. Ob dies der bisherigen Handhabung des Beklagten entspricht, ist unerheblich.
4. Die Voraussetzungen des § 226 BGB liegen nicht vor. Der Schikaneeinwand setzt voraus, dass die Rechtsausübung nur den Zweck haben kann, einem anderen einen Schaden zuzufügen; nach der gesamten Sachlage muss bei verständiger Würdigung jeder sonstige Zweck als die Benachteiligung eines anderen ausgeschlossen sein (BGH, Urteil vom 15.03.2012 – IX ZR 35/11 -, juris 9; Urteil vom 11.04.1975 – V ZR 165/73 -, abgedruckt in: NJW 1975, 1313, 1314; Grothe in: Münchener Kommentar, BGB, 8. Aufl., § 226 Rn. 4).
Demgemäß steht bereits die Befürchtung des Klägers, dass die Brücke über seinen Grund und Boden nicht tragfähig ist, der Anwendbarkeit des § 226 BGB entgegen. Gerade unter Berücksichtigung der Ausführungen des Ingenieurbüros für Tragwerksplanung Braun – Hass + Partner in den Schreiben vom 19.07.2019 (Anlage K3) und 12.09.2019 (Anlage K4) liegt darin ein objektiv erkennbares (Eigen-)Interesse an der Rechtsausübung, dem die Berechtigung nicht abgesprochen werden kann. Dies schließt den Schikaneeinwand aus (RG, Urteil vom 26.05.1908 – VII 468/07 -, RGZ 68, 424, 425; BayVerfGH, Entscheidung vom 02.02.2004 – Vf. 40-VI-03 -, juris Rn. 23; OLG Stuttgart, Urteil vom 26.03.2020 – 2 U 82/19 -, juris Rn. 160). Die Verfolgung des Zwecks, durch die Rechtsausübung einen Einsturz der Brücke zu verhindern, ist dabei vollkommen unabhängig davon, ob eine entsprechende Gefahr objektiv besteht; aus diesem Grund ist eine Beweiserhebung nicht erforderlich.
4. Dem Einwand der Verwirkung (§ 242 BGB) steht bereits entgegen, dass sich die örtlichen Verhältnisse „ca. im Jahr 2014/2015“, als der Beklagte das Grundstück mit der Flurnummer 3xx/2 erworben hat und damit für ihn eine eigene Verbindung mit einem öffentlichen Weg entstand, grundlegend geändert haben. Zudem hat der Kläger nach den Feststellungen des Landgerichts unmittelbar nach dem eigenen Erwerb, also im Jahr 2016, damit begonnen, sich gegen die Nutzung der Brücke zu wenden. Angesichts dessen ist nicht ersichtlich, dass durch Nichtausübung des Anspruchs über längere Zeit ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden wäre, auf den sich der Beklagte einrichten hätte dürfen. Im Übrigen mag der Großvater des Klägers mit dem Bau der Brücke vor vielen Jahren (bei anderen Ausgangsbedingungen) einverstanden gewesen sein. Dies vermag aber kein widersprüchliches, treuwidriges Verhalten des Klägers zu begründen.
Das Rechtsinstitut des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses gemäß § 242 BGB dient nur in Extremfällen als Korrektiv nach Treu und Glauben zur einzelfallgerechten Bewältigung atypischer nachbarlicher Interessenkonflikte (BGH, Versäumnisurteil vom 22.09.2000 – V ZR 443/99 -, juris Rn. 14; Urteil vom 22.02.1991 – V ZR 308/89 -, juris Rn. 14). Hier liegt indes keine Situation vor, die eine solche Korrektur erfordert. Die Interessen des Beklagten werden durch § 917 BGB hinreichend gewahrt.
5. Der Anspruch des Klägers gemäß §§ 1004, 903 BGB ist nicht verjährt. Der Unterlassungsanspruch entsteht mit jeder rechtswidrigen Nutzung der Brücke neu. Es geht insoweit nicht um die Fortdauer von schädigenden Einwirkungen ein und derselben Handlung und ihre Beseitigung, sondern um die Wiederholung gleichartiger Rechtsverletzungen und ihre Unterlassung (BGH, Urteil vom 22.06.1990 – V ZR 3/89 -, juris Rn. 24).
6. Der Beklagte ist dafür verantwortlich, dass Dritte die Brücke nicht benutzen. Er ist zumindest mittelbarer Störer, wenn er es unterlässt, eine Handlung Dritter zu verhindern, die er – durch den Bau der Brücke – ermöglicht hat (BayObLG, Urteil vom 25.05.2004 – 1 Z RR 2/03 -, juris Rn. 22).
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen ihre Rücknahme nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
Der Beklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.

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